In der deutschen Pandemiepolitik überwog die Sorge um die Gesundheit der Bürger gegenüber wirtschaftlichen Interessen. Das war bei früheren Seuchen anders, analysiert der Historiker Malte Thießen.
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Das lag daran, dass die Gesellschaft auf Corona ganz anders reagiert hat als beispielsweise noch auf die Hongkong-Grippe Ende der 1960er Jahre.“ Damals habe es zu einem „normalen Verlauf“ einer Pandemie gehört, wenn Alte und Vorerkrankte daran gestorben seien. Mit dem medizinischen Fortschritt und auch einer zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft habe sich ein neues Pandemieverständnis etabliert.
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Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit hatten die Menschen viele Erfahrungen mit Pandemien, sie lebten mit den Toten der Pandemie, das gehörte in gewisser Weise zum Lebensalltag – letztlich bis in die 1960er Jahre der Bundesrepublik. In einer Gesellschaft, in der der Erhalt der Gesundheit ersatzreligiösen Charakter hat, ist auch der Umgang mit Pandemien anders.
[Angebliche Übervorsicht der Regierungen bei Corona] im historischen Vergleich handelt es sich aber um einen sehr modernen Ansatz in der Pandemiebekämpfung. Krankheit wird nicht mehr als Strafe, Läuterung oder Prüfung Gottes verstanden.
[Impfpflicht und gewandeltes Staatsverständnis seit den Sechzigerjahren] Seither zähle aber im Verhältnis Staat und Bürger das Individuum stärker. Nun solle der Staat den Einzelnen vor Impfschäden schützen, nicht in erster Linie die gesamte Gesellschaft vor der Pandemie. […]