Und der Teil 5.
Die schwindenden Stromreserven und das Wetter zwingen mich zu improvisieren: Die abfotografierte Karte auf dem Handy in Innerleithen hilft mir sicher nach Eskaldemuir ohne Nutzung des GPS. Dort angekommen bietet sich mir im sehr nassen Morgengrauen das wahre kalte Grauen einer solchen Veranstaltung: Viel zu viel erschöpfte, verkühlte Menschen auf viel zu engem Raum. Letzte sozialverträgliche Verhaltensweisen weichen gänzlich auf. Hygiene ist relativ. Schlaf einzig wichtig. Egal wie und wo. 1 Stunde pennen in einem bulligwarmen Pumakäfig.
Es geht auch erfrischend weiter in den Morgen: Wetter hat deutlich abgekühlt. Die Holzlaster sollte man auf den engen Wegen gebührend ernst nehmen, sie tun es nämlich nicht so sehr...
Und wieder zurück!
Hier ist das Wetter noch ok. Hinter Brampton nach Alston auch noch. (Hier nun keine Kontrolle mehr). In Alston habe ich eine denkwürdige Situation: Die freundlichen Jungs aus Thailand, welche mir an den allerersten Stationen mit ihren bunten Outfits aufgefallen waren, fragen mich in mehreren Anläufen (Thai-Englisch ist für mich in dem Zustand nur sehr schwer zu verstehen) nach dem Weg nach (!) Edinburgh. Ich versuche ihnen verstehen zu geben, dass sie vielleicht besser die Nummer der Orga anrufen sollten. Sie gingen weiter die cobblestones runter, ihrer Wege; keine Ahnung welches Schicksal sie ereilte...diese Kopfsteinpflaster übrigens sind in dem Winkel ziemlich der Hammer. Wandertag also in Nordengland, mein lieber Jörg B. Aber ich schwöre Dir, hier würdest Du auch schieben!
Direkt im Anstieg Alston raus kommt das gemeldete Sturmtief aus Südwest mit vollster Wucht; wenn sogar die Tommys sagen, dass es schlechtes Wetter wird...den ganzen Anstieg in die Pennines und zum Yad Moss werde ich nass verprügelt. Versuche komplett hochzufahren, nur ja keine Pause, nicht auskühlen. Da oben ist, ausser fast am Gipfel der Camper mit Tee, nix ausser Schafe und Landschaft. Ich hörte später von Frank W., dass er anhielt zum trinken. Es dauert gefühlt ewig. Regen läuft mir beidseitig durch den Augenkanal die Nase wieder raus. Endlich oben, Jacke an und Vollgas nach Barnard Castle. Es hört auf zu regnen, dafür lassen meine Bremsen nach, wohl Luft gezogen.Ich muss mit den Füssen mitbremsen.
In Barnard Castle treffe ich wieder auf Hanno und Andreas. Abermals starten wir zusammen weiter.
Auch diese Szenen sollten die meissten von Euch kennen; ob aus Frankreich oder eben hier.
Wir fahren zu viert nach Pocklington. Andrea aus Rumänien (lebt aber in London) schliesst sich uns an. Wir legen uns irgendwann neben der Strecke auf ein Hinweisschild eines Autohändlers als Unterlage (Strasse nass), Alumatte drüber und alle vier nebeneinander gekuschelt für eine Viertelstunde. Hanno schnarschelt sofort. Regen lässt uns wieder weiterfahren. Zum Schluss geben wir noch einmal Vollgas nach Pocklington.
Hier lasse ich mich für 6.30 Uhr wecken, schlafe aber wieder ein und werde vom Matratzen aufräumen um 7.30 Uhr wieder wach. Ich bin nun über 2 Stunden hinter der Zeit. Hanno, Andreas und Andrea sind lange weg. Mein Garmin tut es aber wieder. In Louth werde ich mich eine Zeit lang mit Chris unterhalten, der Akteur aus dem Video mit dem Retrobike; er ist dieses Jahr Helfer. Netter Kerl. Ausserdem tut hier auch Lee wieder Dienst am Servicestand. Er macht wie bekloppt Bilder vom Cometen, ist schon ganz aufgeregt auf die WM nächstes Jahr und liebt seinen Milan. Ich kann seinen Slang kaum verstehen. Wetter ist nun angenehm, aber immer noch sehr windig.
Nach Spalding geht es noch mit dem Wind. Hier muss ich aber zwangspausieren, da meine Achse hinten sich verschoben hat und das Rad blockiert. Verkleidung also lösen, hierbei macht es auf einmal pfffft und ich bemerke in diesem Moment eine kleine Macke an der Flanke (warum in diesem Moment erst, keine Ahnung), ich drehe in die Milch rein, sofort verschliesst es. Pumpe wieder auf und gut ist. Tubeless kann auch schön sein. Das gefühlt komplett restliche Fahrerfeld zieht an mir vorbei. Müsste nun über 3 Stunden minus haben.
Richtig windig ist es erst auf dem Weg nach Spalding, so sehr, dass die meissten, da Uprights, an diesem Tage echt Körner lassen. Ich rolle relativ entspannt mit gut 29-30 km/h durch die Ebene bis nach Kirton. Pause in einem Bioladen. Auf einmal kommen wieder Hanno und Andreas um die Ecke. Habe also das minus fast wieder rausgefahren. In Spalding Verpflegung und gemeinsam weiter. Auf halbem Weg nach St. Ives müssen beide erschöpft abreissen lassen und geben mir das go für eine alleinige Weiterfahrt (später erfahre ich, dass Hanno ernstere Probleme hatte). Ich weiss, was mich erwartet, kenne die Reststrecke und gebe Gas. Kurz nach Mitternacht bin ich in St. Ives, verpflege mich und lade an den USB Stationen noch meine Geräte notdürftig auf. Ich weiss, dass wenn das Material hält, das Zeitlimit gehalten werden kann.
An meinem Tisch sitzt ein älterer Mitfahrer, offensichtlich Engländer. Er schaut ins Leere und fragt mich ohne eine Wort vorher wann ich weiterfahren würde. Ich traue mich nicht ihm zu sagen, dass ich ein relativ schnelles Liegerad habe, jetzt noch Kraft mobilisieren muss und kann. Ich sage ihm "next 5 minutes, maybe". Ich sage nichts weiter und muss fahren. Er suchte einfach nur einen Mitfahrer durch die Nacht. Werde mich später selbst dafür schämen.
Wir kurz vor der Trennung mitten vor St. Ives.
Die Ebenen rund um Cambridge fliegen gefühlt an mir vorbei. Auch vor vier Jahren war ich hier im Dunkeln unterwegs. Irgendwann komme ich mal vorbei, wenn es hell ist. Muss eine sehr schöne Gegend sein. Sehr nette kleine Orte im Dunkel. Kann mittendrin verpflegen und mit mir selbst auf den Geburtstag anstossen. Sogar ein Nickerchen von 20 min ist drin. Weiss, dass die Sache geritzt ist.
Great Easton ist erreicht. Pluszeit!
Das ist hier eine komische Sache: Man weiss, dass es nur noch 48 km sind, man wähnt sich schon im Ziel. Habe das Gefühl, dass die hier Angekommenen keinerlei Hektik haben, alles bemerkenswert ruhig. Der Fuhrpark steht recht voll.
Meine letzten Meter werden ein extrem harter Kampf gegen das einschlafen am Lenker. So hart, wie die ganze Reise nicht! Endlich ist Epping erreicht und dann Loughton. Geschafft!
Um 8 Uhr 43 werde ich gestempelt. Also 116 h 28 min. Fast genau wie vor vier Jahren. Für ein paar Meter mehr dieses Mal. Der Sonnenbrand ist heute am Donnerstag bereits wieder geschält und ich habe tatsächlich bemerkenswert wenig Pein. Gefühlt war es aber deutlich härter als 2013. Erst hier im Ziel werde ich von den Abbrechern erfahren. Leider. Hanno, Andreas und Frank W. rollen wenige Stunden später auch noch ein. Haben sich wieder berappelt. Die einzigen Macken unterwegs, waren ein selbstverschuldeter kompletter Kettenklemmer beider Ketten und die besagte Achsverschiebung. Was mich am meissten Zeit kostete war die Verkleidung. Von den Bremsen rede ich hier gar nicht mehr, durch ausreichend vorheriges Pumpen konnte ich doch noch Druck aufbauen und mein redundantes Fussbremssystem tat das übrige. Das Thema Garmin muss ich untersuchen. Ähnliche Nässeaussetzer hatte mein alter Edge auch. Meine einzigen körperlichen Wehwehchen unterwegs waren am 2. Tag die rechte Achillessehne, am 3. Tag die linke, aber am 4. Tag waren beiden wieder vollkommen ok.
Also das ansich Wahnsinnsunternfangen, mit einem vollkommen uneingefahrenen Cometen untrainiert anzutreten und in der Zeit zu finishen, hat funktioniert!
Hätte alles auch nicht funktioniert, wenn Jürg, Regula und Jürg von Birkenstock nicht auch solche fantastische Arbeit mit dem Cometen geleistet hätten! Ein endgeiles Fahrzeug! Euch ganz herzlichen, lieben Dank für Alles! An Hanno, Andreas, Ichi, Andrea, Frank W. mit der kurzzeitigen Singlespeed Rohloff, an die verrückten Asiaten, die echt toughe Australierin, Alistair, Bob, Tim, Chris, Lee, alle bei Audax UK und die ganzen Volunteers, die vielen kleinen und klitzkleinen Situationen und Halluzinationen, welche mich geärgert und mir trotzdem weitergeholfen haben.
Allen bei Busch & Müller und Rohloff, ebenso SON, BFO, THM und Schwalbe.
Einen lieben Dank an mein tolle Familie: Elena, Linus, Matti und Alison, ich liebe Euch von ganzem Herzen!
Allen anderen Mitfahrern, Finishern, Randonneuren und Radfahrern ebenso einen lieben Gruss und Dank!
Danke für alle gemachten Erfahrungen und Eindrücke! Keep on rolling, bonne route et bonne chance! Auf ein Wiedersehen irgendwo.
Euer ReggeBabe.