Nachdem ich mich durch diesen sehr praxisnahen Thread
gelesen habe, will ich als häufiger Landstraßenfahrer auch mal meinen Senf - ääh, meine Er-fahr-ungen, weitergeben.
Auf dem Arbeitsweg zu meinem letzten Arbeitgeber (35km einfach, ca. 10% innerorts, ca.20% Radweg, 70% Landstraße) habe ich in den letzten Jahren so viele lebensgefährliche Beinahe-Kollisionen erlebt, daß ich mittlerweile zu 100% auf Sicherheit fahre. Das bedeutet für mich: Auf einer Landstraße, deren Fahrspuren so schmal sind, daß ein Autofahrer mich nicht mit 1m Seitenabstand überholen kann, ohne über den Mittelstreifen zu kommen (wenn ich ganz rechts fahren würde), fahre ich
konsequent in der Mitte meiner Fahrspur, um auch dem letzten Möchtegernschumi
klar zu machen, daß er sich beim Überholen mit dem Gegenverkehr befassen muß. Wurde oben auch schon unter dem Stichwort "eindeutige Signale geben" angesprochen - dem kann ich nur zustimmen!
Ich spreche, wie gesagt, aus leidvoller Erfahrung, denn bei (fast) jeder Fahrt gab es min. 1-2 Beinahe-Kollisionen, weil Autofahrer meinten, sie könnten sich an mir (1spurer mit Verkleidung, ganz rechts fahrend) noch vorbeizwängeln, obwohl die Fahrspur gerade mal für 1 Auto breit genug ist. Weil diese Lebensmüden dann auch noch gerade dort überholen, wo wegen Kurven und/oder Kuppen der Gegenverkehr gar nicht einzusehen ist, ist der weitere Ablauf im Falle eines Falles klar - der Überholer sieht, daß doch Gegenverkehr kommt und zieht nach rechts, nach dem Motto "lieber den eigenen Hintern retten" -- in den Straßengraben fliegt dann halt der lästige Radler, was muß er auch hier fahren!
Wenn ich also auf einer solchen Straße in der Mitte meiner Fahrspur fahre, rette ich nicht nur mein eigenes Leben, sondern halte (hoffentlich!) auch den Drängler von einem lebensgefährlichen Überholmanöver ab, das im schlimmsten Fall mich, ihn selbst und die Insassen des entgegenkommenden Fahrzeugs das Leben kosten kann.
Einmal wäre ich allerdings trotz aller Vorsichtsmaßnahmen beinahe zu Tode gekommen, weil mir auf meiner Spur ein überholender Gegenverkehr entgegenkam - viel zu schnell und ganz offensichtlich nicht bereit, wegen mir den Überholvorgang abzubrechen. Übersehen haben kann er mich nicht, da ich mit dem sehr hellen (und relativ hoch eingestellten) LED-Scheinwerfer unterwegs war. Wäre ich nicht vorsichtshalber auf den Grünstreifen gefahren, wäre ich gnadenlos plattgemacht worden.
Die oben geschilderte Erfahrung, daß viele Autofahrer gerade kurz vor Verkehrsinseln oder Kreisverkehren noch versuchen, sich engstmöglich an einem vorbeizudrängeln, kenne ich ebenfalls zur Genüge. Auch da hilft nur EINDEUTIGES Fahren und das Hupen halt in Kauf zu nehmen.
Auf breiten Bundesstraßen dagegen fahre ich ziemlich weit rechts, nahe der weißen Linie, denn bei den dortigen Fahrbahnbreiten hat der Gegenverkehr genügend Platz, auch einem unvernünftig überholenden Auto auszuweichen. Siehe oben - nicht
unnötig die Straße blockieren - das ist ja selbstverständlich. Außerdem sind auf Bundesstraßen die durchschnittlichen Geschwindigkeiten der Motorisierten höher.
Da ich ja selbst auch die andere Seite (als Autofahrer) kenne, habe ich mir immer wieder Gedanken gemacht, warum Autofahrer sich so gerne an Radfahrern knappstmöglich vorbeidrängeln. Meine Vermutung ist, daß "der Autofahrer an sich" unbewußt die langsamer vor ihm fahrenden Fahrzeuge in zwei Kategorien einteilt:
"Schmal" --
kann ich überholen, ohne mich um den Gegenverkehr zu kümmern, und
"Breit" --
da komme ich nicht vorbei, muß also auf die Gegenfahrbahn.
Mein Eindruck ist, daß der 1spurige Radler unbewußt in die Kategorie "schmal" eingeordnet wird, zusammen mit Fußgängern, die am Straßenrand laufen.
In der Mitte der Fahrbahn zu fahren sendet dem nachfolgenden Autofahrer also das eindeutige Signal "
Achtung, hier ist ein BREITES Hindernis, das ich nicht innerhalb meiner Spur überholen kann!" --> VM-Fahrer sollten es da vielleicht etwas leichter haben (weil breiter), oder täusche ich mich?
Daß manche Zeitgenossen genervt auf die Hupe drücken, nehme ich in Kauf, wenn ich damit Menschenleben (meins eingeschlossen) retten kann.
Ich muß auch zugeben, daß ich früher, als ich noch nicht selber häufiger auf Landstraßen mit dem Rad unterwegs war, als Autofahrer das wohl unbewußt auch s0 eingeordnet habe. Seit ich die Radfahrer-Seite ausgiebig kennengelernt habe, verhalte ich mich auch mit dem Auto Radlern gegenüber anders.
Im Übrigen darf man gerade auf einer Landstraße als Radfahrer durchaus mit einem gesunden Selbstbewußtsein unterwegs sein, auch wenn man langsamer (und bergauf auch mal sehr langsam) fährt. Schließlich sind da auch Mähdrescher mit <15km/h, Bagger mit <20km/h und Traktoren und Mofas mit <25km/h unterwegs, und die muß ein Autofahrer genauso hinnehmen (oder hat schon mal jemand von euch erlebt, daß ein Bauer oder Baggerfahrer angehupt wird, weil er nicht schneller fährt? Hab ich noch nie beobachtet.)
Landstraße ist halt Landstraße und keine Autobahn, das muß auch der Autofahrer (also auch ich
) ganz einfach akzeptieren. (soviel zum Thema "Radfahrerminderwertigkeitskomplex"
)
Nachtrag: Nachts ist es meiner Erfahrung nach übrigens besser - vielleicht weil die meisten da doch vorsichtiger sind und sicherheitshalber erst mal abbremsen, solange sie nicht ganz klar erkennen können, was sie da vor sich haben.
<off-topic> Nach-Nachtrag: Es wäre mal einen eigenen Thread wert, sich mit dem Thema "Blendende Kraftfahrer und ihre Weigerung, für Fahrradfahrer abzublenden" zu beschäftigen... </off-topic>