Na, wenn ich mir die Häufung der heftigen Unfälle in letzter Zeit ansehe, sollte man seine Augen vielleicht nicht verschliessen.
Dieser Gedanke von Andreas mag vielleicht in diesem Forum unpopulär sein, dennoch denke ich, dass wir uns ihm stellen sollten, alleine schon deswegen, damit wir aus all den Unfällen einen Nutzen für die Gemeinschaft ziehen können. Probleme werden üblicherweise nicht durch Verdrängung oder Verleugnung gelöst.
Ich selbst bin jetzt seit 28 Jahren auf allen möglichen Liege(drei)rädern unterwegs und habe mittlerweile mehr als 550TSD unfallfreie Kilometer hinter mich gebracht. Die Zahl der wirklich gefährlichen Situationen kann ich an ein paar Händen abzählen, die Zahl der Vollbremsungen ebenso.
Warum ist das so? Zunächst mal hatte ich sicherlich schon einige Male Glück, aber das erklärt nicht alles. Dann fahre ich nicht in einer Großstadt, sondern überwiegend in ländlicher Umgebung, aber auch das ist keine befriedigende Erklärung, denn als ich noch Renn- und Reiserad, sowie MTB fuhr, bewegte ich mich schon auf den gleichen Strecken und kam dabei wesentlich häufiger in gefährliche Situationen. Und genau das, nämlich gefährliche Situation pro Zeiteinheit ist auch für mich das beste Maß für meine Sicherheit auf einem Fahrzeug.
Nach dem Umstieg aufs Liegerad merkte ich sehr schnell, dass ich wesentlich seltener in kritische und bedrohliche Situationen geriet, und zwar nicht etwas weniger, sondern um Größenordnungen weniger, also nicht mehr eine kritische Situation pro Woche, sondern höchstens noch eine alle paar Monate. Und das obwohl -oder vielleicht gerade deswegen - weil ich mit den Gefährten und ihrem Fahrverhalten noch nicht vertraut war und mich im Verkehrsgeschehen zum Teil sehr unsicher fühlte.
Dies würde den Mangel an kritischen Situationen aber nur der Anfängerphase erklären, sie wurden mit mangelnder Fahrpraxis aber nicht mehr, sondern nahmen eher noch weiter ab.
Fazit für mich: Ich bin deshalb auf dem Liegerad wesentlich sicherer unterwegs, weil ich darauf deutlich entspannter und gelassener fahre als zuvor auf dem Rennrad. Ich fahre nicht auf Zeit oder Schnitt, sondern auf Genuss. Ich messe mich nicht mehr mit anderen, sondern fahre unbeirrt mein eigenes Tempo und ich sitze vor allem auf dem Liegerad, um meine Gedanken strömen zu lassen, Ideen auszutüfteln, das Panorama und die Natur zu genießen, kurz einfach eine gute Zeit zu haben. Das geht aus leicht ersichtlichen Gründen nur dann, wenn meine Herzfrequenz und mein Atemrhythmus nicht zu hoch sind und ich noch klar und ruhig denken kann, mich also nicht etwa gehetzt fühle oder dergleichen.
Nun ist mir natürlich klar, dass nicht alle mit dieser Einstellung auf oder im Rad liegen, und ich will sie auch nicht anderen vorschreiben, nur sollten wir uns schon darüber klar sein, dass gerade der Gemütszustand eines Radfahrers, bzw Verkehrsteilnehmers allgemein, dafür verantwortlich ist, wie aggressiv oder riskant er im Verkehr unterwegs ist.
Auch mir sind in letzter Zeit die hohen Unfallzahlen bei Velomobilen aufgefallen, aber ich bezweifle sehr stark, dass dies im Fahrzeugkonzept begründet liegt. Von der Theorie her müssten Dreiräder mit Karosserie sogar deutlich sicherer sein als Zweiräder. Gerade auch über den Schutz durch die Vollverkleidung wurde hier schon vieles geschrieben, und im Prinzip mag das ja auch richtig sein, nur scheint es eben Aspekte zu geben, die den an sich höheren Schutz durch das Fahrzeugkonzept nicht nur relativieren, sondern eventuell sogar vermindern, also de facto die Gefahr, verletzt zu werden, sogar erhöhen.
Diese Aspekte sehe ich nicht im Fahrzeug, sondern in den Köpfen der Fahrer, weshalb Verbesserungen an den VMs für mich auch nicht der springende Punkt sind. Im Bewusstsein der Fahrer muss sich etwas tun, um die Gefahren zu erkennen und zu bekämpfen.
Ich selbst habe wenig Erfahrung mit schnellen Velomobilen, aber man muss nicht lange hier mitlesen, um zu erkennen, welchen Reiz sie ausüben können: Vergleichbar mühelos ein hohes Tempo fahren, zumindest solange es einigermaßen flach ist, pfeilschnell durch die Landschaft zu gleiten, Strecken zu bewältigen, die einem zuvor selbst noch unglaublich erschienen, etc...
Verständlich, dass einen da der Geschwindigkeitsrausch packen kann, das Adrenalin strömt, und gleichzeitig nimmt halt dann oft das Risikobewusstsein ab. Ich will hier wirklich niemandem die Freude am schnellen Fahren vermiesen, aber ich möchte ganz klar auf die damit verbundenen Gefahren hinweisen, sollte ich das auch nur ansatzweise schaffen, ist der Zweck dieses Postings erfüllt. Das Erwachen aus diesem Rausch ist oft böse und jäh, und jeder sollte sich überlegen, was ihm dieser Rausch wert ist und wann er ihn im Bewusstsein seiner Verantwortung mit intakter Selbstkontrolle ausleben kann.
Ganz unabhängig davon und auch von Christophs Unfall halte ich eine gesellschaftliche Debatte über die Rolle des Radfahrens für lange überfällig. Es ist hoch an der Zeit, dass die Radfahrer nicht länger als Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse betrachtet, sondern als Gleichberechtigte behandelt werden. Bisher werden sie ausgebremst, an den Rand gedrängt, auf Umwege abgeschoben, manchmal sogar ganz verboten, und alles das unter dem Vorwand, sie zu schützen und vor allem, um den Verkehrsfluss nicht zu stören. Es ist Verdammtnochmal endlich an der Zeit zu erkennen, dass auch die Radfahrer Teil des Verkehrs sind, und keine Chaoten oder Störenfriede, die den motorisierten Verkehr ausbremsen.
Derzeit ist es leider Fakt, dass Radfahrer, die gerade auf innerstädtischen Radwegen sicher unterwegs sein wollen, sehr langsam und defensiv unterwegs sein müssen, um nicht unter die Räder zu kommen. Abbremsen und langsames Heranfahren an fast jede Ausfahrt oder Abbiegung, schlechte Wegequalität, Hindernisse und Fallen mitten auf den Wegen, etc..., Hupen und Bedrohungen, falls aus noch so gutem Grund die Fahrbahn gewählt wird, usw...
All dies ist in meinen Augen ein untragbarer Zustand, der sofort geändert gehört. Leider haben auch viele Radfahrer ihre Situation so verinnerlicht, dass sie sich mit den Zuständen, wenn auch mit Murren abfinden. Erst wenn sich das ändert und die Fahrradfahrer mehr gesundes Selbstbewusstsein entwickeln, wird sich auch an der Grundstruktur unseres Verkehrs etwas ändern.
Also passt auf euch auf!