Moin,
gut, damit ich mich auf der Spezi jetzt nicht die ganze Zeit rechtfertigen muss, warum ich mich getraut habe, so einen primärreizlosen, zweidimensionalen, unbilligen, sackschweren, untermotorisierten, hölzernen, hochsitzenden und generell unnütz erscheinenden Heimwerkerkasten hinzustellen, vielleicht doch eine kurze vorgezogene Erklärung, was sich der Verantwortliche dabei gedacht hat:
Nix!
Ehrlich, das was dort jetzt steht, war vorher nicht durchgeplant, sondern hat sich im Laufe des Herumtüftelns ergeben. Ich hab es als möglichst von Grund auf simplizifierte Forschungskiste begonnen (daher KISS). Ein einfacher Holz-Rechteckkasten, auf dem man draufsitzen kann und diverse offene Fragen des Fahrzeugbaus mal durchspielen kann. Dafür finde ich das vorläufige Endergebnis optisch ganz gelungen und alltagspraktischer als alle anderen mir bekannten Liegeräder.
Dabei gibt es 2 Funken für das Projekt:
1. Das
Four Favore war als Hülle an einem Punkt mit noch ganz vielen grundsätzlichen Fragen zur Fahrwerksintegration etc. Das wollte ich erstmal an einer Reset-Vorlage durchspielen - und das ist der in 1-2 Tagen zusammengezimmerte "Sarg" da untendrunter, an den alles Funktionale angedockt werden könne.
2. Das
erste Velomo-Quad war nützlich, aber ihm fehlte noch der Wetterschutz. Also hab ich die 4F-Forschungskiste nicht als zukünftigen Abfall geplant, sondern im Hinterkopf behalten, ob so eine Funktionskiste nicht auch das bessere Hochsitzlastenquad werden kann, wo man nicht erst umständlich anbauen muss, sondern sowas wie Sitz, Lastenfläche, Bodenplatte und Verkleidungsansatz gleich integriert in die Trägerstruktur hat.
Also stand am planerischen Anfang die vollfunktionale, offene Torsionsbox in 240 x 50 x 25cm, auf der man drauf sitzt, die hinten direkt einen 100 x 50cm Kofferraum plus Aufschubfläche hat, und an deren Seitenwangen alle Fahrwerksexperimente stattfinden konnten.
Gerade die Vorderachse hat dabei diverse Stadien durchgemacht, um am Ende doch die Erkenntnis zu hinterlassen, dass Rosta etc. da alles nur komplizierter macht und Doppelblattfeder am Zentralrohr die bestmögliche Variante bleibt. Aufgrund des Bau-Pfades war das leider an diesem konkreten Objekt nicht mehr ganz so leicht zu implementieren, weshalb da jetzt eine Einzelblattfeder mit Zusatzelastomeren und ner McPhersons-Führung oben arbeitet. Hinten blieb es bei Rosta, nur wurde das gesamte Fahrwerk hochgelegt und die nötige Schwingenlänge verkürzt. Weitere Forschungsbaustellen waren natürlich Lenkung, Tretlager, Versatzwelle, Schaltung im Kasten, Motor usw. usf.
D.h. bis hierin hatte das Ding nix von einem Velomobil, sondern war - rein funktionell betrachtet - ein viel nützlicheres Hochsitz-Trike auf der Basis eine ganz simplen integrativen Rechteck-Kiste. Hier eine schematische Darstellung:
Als das dann vor mir stand und ich über die Punkte Wetterschutz (Nase) + Rückenlehne + Transportbox sinnierte, zog ich kurzentschlossen die Dachkonstruktion drüber. D.h. statt Kopf-Draußen-Stückwerk wurde es gleich eine integrative Kabine. Nicht in dem Sinne, dass ich auf ein vollgekapseltes Velomobil hinaus wollte, sondern ein besseres "Velo-Top", welches seitlich den einfachen Einstieg offen lässt. Und das Dach reicht als Fahrradfahrer-Wetterschutz für Kopf und Füße - die Seiten/ Arme zu schützen ist sekundär (wir sind ja keine Auto-Fahrer!). Dass ich wegen dem Dach oben noch Probleme mit der Sitzkiste unten bekam und ungewollte 2-3 Wochen Zusatzarbeit hatte, ist ne andere Episode...
Nun noch ein bissl Lack und Öl drauf...
... fertig ist das nicht mehr ganz so simple, dafür aber ausgesprochen funktionale Holzkisten-Lastenrad-Cityroller-Velomobil. Erstmal für den Steffen-Eigengebrauch als Nahverkehrs-Nutztier und Gera-Weida-Pendel-Alternative (weil im Winter Füße kalt, gelegentlich Kopf nass, Gepäckmitnahme und so Alltagskram).
Zielgruppe:
Viele unsere Räder sind aus dem Motiv entstanden, dass einer von uns das haben wollte und wir dann in die Welt fragen, ob das für andere auch interessant sei. Auf das "KISS" ein Velomo-Label draufzupappen, der Öffentlichkeit als Konzept-Studie vorzustellen und zu fragen, ob sowas noch jemanden anderen nützlich sein könnte, liegt also nahe. Dass das hier im Forum nicht sonderlich viel Begeisterung hervorruft, war erwartet. Aber die realsitische Einordnungsfrage ist:
ob man hier überhaupt dem ELF eine Existenzberechtigung zubilligt!? Oder einem 50kg-Scorpion-Plus-Pedelec mit Velotop? Alles relativ teure, und nach unseren HPV-Maßstäben viel verkaufte Konzepte, über die hier 95% der Foristen die Nase rümpfen.
D.h. hier setzt der ehrliche Vergleich an. Das 4K fällt in die gleiche Rubrik wie das ELF. Was kann es besser, was schlechter? Mal vom etwas verbastelten Prototypen abgesehen; auch in 2D-Holz kann das nächste 4K etwas mehr >aus einem Guss< erscheinen. Sobald man es aber nur als holzfreie 3D-Form wertschätzen kann, wird das ein anderes, teureres, funktionsreduziertes Projekt, was wir dann eher mit EC-velo verfolgen. Die 4K-Kabine bleibt sicher 2D-Holzarbeit, relativ teuer, relativ selten... aber eine Handlungsoption, die sich lohnt nüchtern durchzukalkulieren im Vergleich zu anderen Liegerad (Trike, VM) und Funktionsrad-Konzepten.
Also die Eck- und Einordnungs-Daten des derzeitigen Konzepts:
- 250cm lang - so lang wie ein Trike mit Nose und kürzer als ein Plastezäpfchen.
- 85cm breit - d.h. schmaler als Premium-Trikes und auf den gleichen Lebensraum angewiesen.
- 140cm hoch - Augenhöhe bei Autofahrern, auf der urbanen Straße sicherlich eher ne Wohlfühlzone als ein Sportvelomobil.
- 50cm Sitzhöhe - mit sehr leichtem Seiteneinstieg. D.h. auch vom Dach abgesehen eine mögliche Alternative zu Hochsitz-Trikes.
- 15-20cm Bodenfreiheit mit sehr weicher 4-Rad-Federung - der 2CV-Vergleich oben trifft es ganz gut
- ~50kg Gewicht, dabei vollgefedert, gut motorisiert und lasten tauglich. Eine Zahl wie 35kg in den Raum zu werfen ist unsinnig. Ein DF mit Motor wäre schon bei 35kg. Lastendreiräder wiegen unmotorisiert >50. Konzepte wie ELF, Citkar, Schaeffler, Armadillo gehen weit über 60, teils 80kg, wenn man ehrlich ist.
- 50/50 Lastverteilung. D.h. Vorderradbremsen reichen und hinten ist die Traktion sogar einseitig recht gut.
- Kofferraum für ~6 Bierkästen, nen Kind oder nen großen Hund. Das ist vergleichbar mit der üblichen Ausnutzung eines PKW-Kofferraums. Wenn das derzeitige Kabinen-Konzept in der nächsten Ausbaustufe tatsächlich von schmal (open-wheeler) auf breit (über Radkästen) gezogen wird, ist das mehr Kofferraum, als ein Radfahrer bewältigen kann.
- ~9.000€ Baukosten-Abschätzung, wenn man sowas einzeln fertigen darf. Wohl gemerkt als stabiles Fully-Quad mit Dach, Kofferraum etc. Ist natürlich unmöglich als Vergleich zu China-Drehschemel-Dreirädern. Aber in der gleichen Größenordnung, als würde man ein Premium-Trike mit diesem Funktionsumfang zusammenstellen wollen (Motor, Dach, Gepäckraum), vom üblichen Sport-Velomobil ohne jede Zusatzfunktion ganz zu schweigen...
- Wird das ein Massenmarkt? Sicher nicht durch Velomo! Wir haben Spaß daran, Handlungsoptionen aufzuzeigen und gangbar zu machen... und sie für die paar Interessenten, die das so wertschätzen, umzusetzen. Wenn jemand aus dem Grundkonzept ein industrielles Massenprodukt mit schöner Thermo-Plast-Hülle aufsetzen will, stehen wir gerne als kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung. Aber aus unserer Werkstatt heraus passiert das nicht.
- Gleiches gilt für die 45km/h Zulassung. Sowas wird Velomo sicher nicht stemmen... Sollte das mit EC-velo was werden, dann schauen wir dort mal, was möglich ist. Aber das Frontscheibenthema umgehst du nicht mal eben durch nette Prüfer. An dem geringen Interpretationsspielraum werden auch Podrides, Podbikes, ELFs und alle anderen hängen bleiben. Bleiben also nur 25km/h oder Kopf-draußen-Ansätze... und sowieso Serienprodukte statt custom-made-Handwerkskunst.
Zusammenfassung: Das ist ne Konzeptstudie auf der Suche nach Leuten, die darin einen Nutzen sehen - sei es als individuelle 2D-Holzarbeit für den Eigengebrauch, oder als Forschungsgrundlage für ein semi-industrielles Kooperationsprojekt.
Viele Grüße,
Steffen