Retrospektive Glorifizierung. Und Ihr so?

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Eigentlich retrospektiv auch PBP 2023. Formal gesehen ein Desaster: Irre lange Anreise, Hotel mit kaputter Klima, vor dem Start schon erste Probleme mit der Schaltung, die sich dann über die ersten 300 km ziehen sollten und zig mal Hinterrad und Kassette ausbauen.
Das elende Helm-Thema vor und bei dem Start, es war brüllwarm und schwitzig fast die ganze Zeit, außer diese letzte Nacht auf dem Zetlplatz wo es einfach nur nass und kalt war. Man kam in wuselige Kontrollen voll mit völlig abgef*ckten anderen Irren, die umherirrten, halbtot irgendwo rumlagen und schliefen.
Nachts total müde, Steigung nach Steigung in der Sonnenhitze. Und am Ende kommt man einfach an und bekommt was? Ein blödes Blechschild mit Band dran.
Kann man auch alles hier genauer nachlesen.

Aber trotzdem (und zum Glück nicht nur retrospektiv, sondern man ist ja durch jahrelange Konditionierung so weit, dass man das größte Leid schon als wundervolles Geschenk sieht): man blendet das meiste davon beim Event sofort weg.
Die brüllende Hitze ist fabelhaftes Wetter, die anderen Irren sind Kameraden und Leidensgenossen, mit denen man zusammen für ein Ziel kämpft: Das Finish! Völlig Irre Zivilisten, die stunden- oder tagelang am Straßenrand hocken und klatschen sind das Publikum.
Also am Ende - und je länger es zurück liegt - ein endloses Fest von kleinen Touren von 50-80 km, an deren Ende eine schöne Stadt mit Party und leckerem Essen liegt. Nur einfach nicht gemütlich über Wochen verteilt - sondern (warum auch immer?) am Stück Tag und Nacht in knapp 4 Tagen. Man-hat-ja-keine-Zeit. :rolleyes:
Ja nee - war schon toll. Kann nur keine Sau verstehen, außer denen, die dabei waren.
 
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Eigentlich retrospektiv auch PBP 2023.
Nicht "eigentlich auch", der ganze Ruf von PBP hängt davon ab.
Wolltest Du nicht wissen, ob Du hast, was es braucht um das zu schaffen?
Was es ist und was es braucht, weißt Du dann, wenn Du es mindestens einmal geschafft hast.
Fast jeder weiß vorher (und hinterher), dass es keine Dauerparty bei bestem Wetter ist. Das vergißt resp. verdrängt man nicht. Wäre ja auch blöd, denn dann könnte es jeder schaffen und dann wäre es auch Nichts.

(Gute Fahrer in einem VM könnten es dazu machen, aber die meisten davon tun es nicht. Man müsste mal die Einstellung von @Cars10 mit der anderer vergleichen. ;) )

Bragging Rights sind extrem flüchtig. Ausser einem kleinen Kreis anderer Spinner weiß eh keiner, was Du da tust.

Es gibt auf Youtube Filmchen von Damon Peacock, darunter auch dieses über die Downside von PBP und Du siehst, dass genau die, die kämpfen oder gar scheitern auch die sind, die es nochmal machen wollen. Ich stelle beim Hinschauen fest, dass diese Sorte Bericht mich mehr dazu motivieren könnte, es noch einmal zu machen, als sonnigere Erzählungen.
Irgendwo darin finde ich mich. Jedesmal, wenn ich gefahren bin, habe ich mich gefragt, was dieses Mal anders kommt als erwartet, was mich dieses Mal quälen würde, wie ich dieses Mal mit Widrigkeiten umgehen kann.
Falls ich einen Therapeuten hätte, würde ich mit ihm darüber sprechen. ;)

Damon Peacock war es meiner Erinnerung nach auch, der meinte, dass diese Form von Extrembelastung die Fassade von den Menschen putzt und man dann sieht, wie sie im Kern sind. Das gilt auch für die Fahrer selbst, denke ich. Man lernt sich kennen.
 
Als ich letztes Jahr auf meiner Tour um Bodensee und am Rhein war dachte ich auch quasi jeden Morgen "Warum tust du dir den Scheiß eigentlich an, du könntest jetzt deinen Arsch in nen Sandstrand drücken und Mädels im Bikini nachsabbern". Nach spätestens 20km wars dann aber ein "Geiel! [SIC!] Mehr Kilometer!"

Und am Ende, total ausgepowert, nach nem Tag schlafen wars ein "Och, eigentlich könnt ich schon wieder los!"
 
Wolltest Du nicht wissen, ob Du hast, was es braucht um das zu schaffen?
Was es ist und was es braucht, weißt Du dann, wenn Du es mindestens einmal geschafft hast.
Eigentlich genau das. Es war über ein Jahrzehnt irgendwo unerreichbar als Gipfel irgendwo am Horizont und plötzlich steht man davor und sieht, dass es klappen kann und dann probiert man es einfach.
Fast jeder weiß vorher (und hinterher), dass es keine Dauerparty bei bestem Wetter ist.
Ich vermute, dieses Jahr war es das überwiegend. Das Wetter war einfach sehr vorteilhaft (außer in der Mittagshitze).
Ich kann mir vorstellen, dass es bei Dauerregen und Kälte mit meinen Defekten schnell ganz anders ausgesehen hätte. Da hatte ich einfach ziemlich viel Glück. Aber auch diese Erfahrung muss man gemacht haben.
Damon Peacock war es meiner Erinnerung nach auch, der meinte, dass diese Form von Extrembelastung die Fassade von den Menschen putzt und man dann sieht, wie sie im Kern sind. Das gilt auch für die Fahrer selbst, denke ich. Man lernt sich kennen.
Ja, ich habe bei HBK ein Jahr vorher mal die einzige weibliche Teilnehmerin aus Scherz gefragt, warum man sich sowas eigentlich antut.
Und ihre Antwort war etwa sowas wie: "Damit man noch mal auf den harten Boden der Realität kommt und andere Dinge zu schätzen lernt"
Ging etwa in die gleiche Richtung.
 
Man müsste mal die Einstellung von @Cars10 mit der anderer vergleichen
OK, jetzt hats Du meine Aufmerksamkeit ... was habe ich da bei Rolf im Garten mit Kaffee und Kuchen von mir gegeben?
Ich hatte mir als Ziel gesetzt, PBP unter 80h zu schaffen ... als meine Königin dann verkündete, sie wolle auch das Meer sehen, schaltete ich einen Gang zurück und buchte ein Hotel in Brest für den gemeinsamen 8 Stunden Strand-Urlaub und erlaubte mir außerdem täglich
in der Mittagshitze
mich im Fluss oder See ab zu kühlen.
Ahh, jetzt beim Schreiben erinnere ich mich an das, was Du @Jedrik gesagt hast über hydrostatischen Druck. In etwa:
Bei einer Wassertiefe von 1,30 m herrscht somit am Beckenboden ein Umgebungsdruck von 1,13 bar.
 Wenn man den Druckverlauf von unten nach oben betrachtet, haben wir eine abfallende Drucksäule, wie bei einer Kompressionsbandage.
 Im Wasser kann der Druck auf den ganzen Körper wirken. Somit werden auch die Lymphgefäße am Rumpf komprimiert und dadurch die Lymphflüssigkeit besser zu den Hauptabflüssen geleitet.
Seite 4 [finde jetzt nichts besser Erklärendes, aber gibt eine Vorstellung davon]
 
Nur einfach nicht gemütlich über Wochen verteilt - sondern (warum auch immer?) am Stück Tag und Nacht in knapp 4 Tagen. Man-hat-ja-keine-Zeit. :rolleyes:
Hab was vergessen.
Nein, das ist nicht, weil Du keine Zeit hast, das ist damit Du keine Zeit hast.
Es ist PBP. In den Pausen schwätzt man nicht über den blöden Kollegen oder die familiäre Situation oder den Nachbarn, der....
Es ist PBP. Sonst Nichts. Das kann auch befreien.
 
Nein, das ist nicht, weil Du keine Zeit hast, das ist damit Du keine Zeit hast.
Mein Verständnis war immer: "weil es nicht einfach ist und weil man es aber kann"
Es ist PBP. In den Pausen schwätzt man nicht über den blöden Kollegen oder die familiäre Situation oder den Nachbarn, der....
Das ist eine weitere Betrachtung.
Den Alltag wegschieben in einen Modus "wie komme ich da durch".
Ja. Hat was. (y)

Und halt die Selbsterfahrung, wie man mit Übermüdung, Hunger, möglichen Magen- oder Muskelproblemen umgeht.
Einfach mal raus aus der Komfortzone und etwas tun, was man unter normalen Umständen niemals denken oder wagen würde.
 
Mein Verständnis war immer: "weil es nicht einfach ist und weil man es aber kann"
Den Berichten über die Qualifizierungsbrevets nach hätte ich nicht erwartet, dass das Zeitlimit eine echte Beschränkung für die ausgewachsenen Fahrer moderner Velomobile ist, also jedenfalls nicht so, dass es Gedanken beherrschen könnte?

Den Alltag wegschieben in einen Modus "wie komme ich da durch".
Ja. Hat was. (y)
Es fängt doch im Januar an, mit der Planung der Qualifizierungsbrevets, ja manchmal sogar mit einem langen Brevet im Vorjahr, mit dem man sich für eine frühere Anmeldung qualifiziert? Das Planen der Quali, die Absprachen zwecks An- und Abfahrten, gegebenenfalls das gemeinsame Fahren, Das ganze Jahr läuft bis zum Start mit einem Blick auf PBP. Es ist DAS ZIEL und DER PLAN, da hat nicht viel sonst Platz, dafür gehen fast alle Urlaubstage drauf und danach hat die Familie jede Menge gut.

Dazu kommt das Zusammenwachsen zu einer Art Schicksalsgemeinschaft, unter anderem, weil es ja sonst keiner versteht. ;)

Beides nicht unerhebliche Teile der Gesamterfahrung und auch ein Grund, warum man sich hinterher "leer" fühlt. Mit der Absolvierung der finalen Prüfung ist das Ziel erreicht, der Plan erfüllt und viel weiter hat ja keiner gedacht. Es gibt zwar ein vages "nach PPB", an das man hier und da einen Gedanken verschwendet hat, aber man ist nicht investiert.

Oder anders: Der Mythos PBP, die Glorifizierung, ist schon da, wenn man anfängt, sonst würde man nicht so viel investieren.
Spannend ist, wie man seine persönlich Bewertung hinterher einordnet

Einfach mal raus aus der Komfortzone und etwas tun, was man unter normalen Umständen niemals denken oder wagen würde.
Vielleicht. Aber was genau wäre es dann, was man riskiert?
 
OK, jetzt hats Du meine Aufmerksamkeit ... was habe ich da bei Rolf im Garten mit Kaffee und Kuchen von mir gegeben?

:) Alles gut, ich meinte genau dies:

... als meine Königin dann verkündete, sie wolle auch das Meer sehen, schaltete ich einen Gang zurück und buchte ein Hotel in Brest für den gemeinsamen 8 Stunden Strand-Urlaub und erlaubte mir außerdem täglich mich im Fluss oder See ab zu kühlen.
Das ist schon eine sehr entspannte Einstellung zu diesem Event.
 
Den Berichten über die Qualifizierungsbrevets nach hätte ich nicht erwartet, dass das Zeitlimit eine echte Beschränkung für die ausgewachsenen Fahrer moderner Velomobile ist, also jedenfalls nicht so, dass es Gedanken beherrschen könnte?
Es kann immer mal was passieren, einen aufhalten, Pannen, Müdigkeit etc.
So viel schneller bin ich selbst mit dem VM nicht gewesen. Ein @jostein ist natürlich weit vorne, aber als Durchschnittsfahrer habe ich mir durchaus auch ein wenig Gedanken über Zeit gemacht, wie vermutlich jeder.
Aber ja - wenn man fit genug ist und alles glatt läuft, hat man eigentlich Zeit genug. Eigentlich.

Beides nicht unerhebliche Teile der Gesamterfahrung und auch ein Grund, warum man sich hinterher "leer" fühlt. Mit der Absolvierung der finalen Prüfung ist das Ziel erreicht, der Plan erfüllt und viel weiter hat ja keiner gedacht. Es gibt zwar ein vages "nach PPB", an das man hier und da einen Gedanken verschwendet hat, aber man ist nicht investiert.
Oh ja. Wo ich das "Ankommen" als die vermutlich größte Erfahrung erhofft hatte, war es seltsamerweise das unspektakulärste überhaupt.
Eigentlich fast enttäuschend. Also dass es schon zu Ende ist.

Vielleicht. Aber was genau wäre es dann, was man riskiert?
Ich war noch nie so lange am Stück (also auch mit so engem Zeitlimit) mit dem VM unterwegs, so weit weg von organisierter Hilfe (dass die Strecke gepflastert von Helfern und sogar Fahrradmechanikern an den Kontrollen ist, wird einem erst klar, wenn man mal dabei war).
Man kann stranden, aus diversesten Gründen. Und es gibt keine Bekannten / Partner / Besenwagen, der einen "wieder reinholen" kann.
Da muss schon mehr passen als bei den "kleineren" Touren und Brevets, nahe der Heimat mit vergleichsweise überschaubaren Distanzen.

Oder anders: Der Mythos PBP, die Glorifizierung, ist schon da, wenn man anfängt, sonst würde man nicht so viel investieren.
Spannend ist, wie man seine persönlich Bewertung hinterher einordnet
Ja, das stimmt.
Insgesamt war es ganz toll und wir hatten viel Glück. Vor allem mit dem Wetter und der grandiosen Organisation.
 
Beim lesenim Thema 'Nerv-Faden - alles rein was auf den Geist geht!' https://www.velomobilforum.de/forum...ein-was-auf-den-geist-geht.45706/post-1651850 Beitrages fiel mir auch eine Anekdote ein, die ich im Nachhinein irgendwie schön finde, obwohl sie in dem Moment doof war:

Ich war auf Radreise in Oslo. Auf dem Campingplatz mit Zelt und dann in die City geradelt. Das Rad an der Hafenpromenade angeschlossen und die Stadt erkundet. Zu später Stunde will ich zurück zum Campingplatz radelt, aber mir bricht der Schlüssel im Bügelschloss ab...

Nach einigem Probieren und Überlegen habe ich dann die Standbesatzung eines kirchlichen Werbestandes angesprochen und sie haben mit mir in aller Öffentlichkeit mein Fahrrad geknackt. Nicht, dass irgendwer übrigens überprüft hätte, ob es wirklich mein Rad ist, ich wirkte wohl zu verzweifelt...

Schöne Geschichtchen...über 20Jahre her...
 
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