HH-B –Das aufregenste Fahrradereignis des Jahres - für mich.
2012 fuhr ich mein erstes „Rennen“, das Zeitfahren HH-B. Ich war für meine Verhältnisse fit wie ein Turnschuh, hatte sehr große Teile meines Übergewichtes auf den südniedersächsischen Landstraßen verbrannt und übers Jahr einige Fahrten zwischen 200 und 300 km Länge gemacht. Einmal bin ich morgens gegen halb sechs in Holle mit dem Musashi los und war abends kurz vor sieben in Kreuzberg. Das ist für viele hier pillepalle, für mich jahrzehntelang extrem übergewichtigen und vollständig sportlosen Menschen war das wirklich eine coole Nummer. An einem Brevet oder einer RTF hatte ich aber nie teilgenommen. So war ich gut vorbereitet für HH-B 2012.
Direkt nach dem Start wurde ich von Hormonen oder sonstigen Aufregungs- und Glücksstoffen durchflutet, dass es eine Wonne war. Dieses Zeitfahren machte mir unglaublich viel Spaß. 9h 35Min war meine Zeit in Gatow und ich war stolz auf mich.
Obwohl ich seitdem kaum mehr lange Strecken gefahren war (zweimal ca. 170km in 2013, sonst nix) hatte ich mir nun vorgenommen, meine Zeit zu verbessern. Unter neun Stunden war das erste Ziel. Mein Plan war, überwiegend die Standzeiten zu verringern. In Dömitz sollten 5 Minuten für klogehen und Essen und trinken fassen reichen. Das würde 10 Minuten bringen.
Weiterhin wollte ich einfach keine Panne haben, das sollte weitere 20 Minuten bringen, denn solange hatte ich 2012 am platten Hinterrad herumgemacht. Zuletzt wollte ich auf die drei Baustellenampeln, die ich 2012 alle in vollen Zügen genießen durfte, verzichten und damit nochmal 9 Minuten holen. Das hätte schon gereicht, um unter 9h zu kommen.
Darüber hinaus habe ich damit geliebäugelt, einfach etwas schneller zu fahren und den Nettoschnitt von etwa 31,5 auf 33 km/h zu steigern. Das hätte dann auch 8,5h in erreichbare Nähe gebracht. Das war also das zweite Ziel.
Am Freitagmorgen also das Mango in den Sprinter gepackt und auf zum Elm (dem Harz des kleinen Mannes) und Herrn
@Guzzi mitsamt Rad eingeladen. Es folgte eine lange und verworrene aber auch sehr kurzweilige (der Herr Guzzi ist ein wahrer Schnellsprecher) Fahrt, die uns schließlich nach Dömitz brachte. Von dort dann mangomäßig entspannt nach Geesthacht zur Jugendherberge, wo schon alles voller Velomobile war. Lustiges gemeinsames Abendessen und um sechs Uhr morgens sollte es dann losgehen zum Start.
Für mich hat diese morgendliche Atmosphäre im Dunkeln am Start mit Kontrollzettelausgabe, herumwuselnden Radfahren, Gepäckverladung, gleißenden Fahrradlichtern, Frühstücksgetümmel, und immer wieder „5 – 4 – 3 – 2 – 1– und tschüss!“ etwas berauschendes. Punkt sieben habe ich angefangen mich fertig zu machen, Hose und Jacke aus und verstauen, Garmin herrichten und zum Start rollen.
7:12 Uhr - „und tschüss!“ -
@madeba,
@Guzzi und ich sind auf und davon.
Gleich auf der Brücke habe ich beide aus den Augen verloren, ich hielt es für eine gute Idee, den Radweg zu benutzen. Sollmanjanicht. Ich kam gut voran und hatte sehr bald deutlichen Vorsprung auf meine 2012er Zeiten herausgefahren (ich hatte mir eine Marschtabelle gemacht).
In Alt Garge an der Einfahrt zu dem kurzen Schotterstück (damit umgeht man den recht steilen Anstieg am Campingplatz) wollte ich etwas links ausholen, um besser durch die schmale Öffnung zu kommen. Ein kleiner Absatz in Längsrichtung war dann doch wohl ein klein wenig zu hoch und hat mich abgewiesen. Mit einem richtig fiesen Geräusch. Daß in diesem Moment, nach 47km schon meine ganzen Pläne zunichte gemacht waren, realisierte ich erst später. Den unmittelbaren Gedanken „ich werde mir doch wohl nicht das Fahrwerk zerhauen haben, ogottogott, die Spurstangen“ habe ich schnell wieder verjagt.
Diese Verdrängung hielt genau 6,8km. In Neu Darchau beim Rechtsabbiegen, hätte es mich fast umgeworfen. Es fühlte sich an, als wolle das linke, kurvenäußere Rad sich querstellen. Die kurze Prüfung ergab: der linke Querlenker war krumm wie eine Mondsichel. Wie auf Eiern ging es dann nach Dömitz. Die Auswertung hinterher zeigt, dass ich auf dem Flachstück der 191 vor Dömitz etwa 155 Watt für 31km/h und über 180 Watt für 34 km/h brauchte. Das war eine Radierfahrt.
Ich hatte mich inzwischen innerlich von meinen Plänen verabschiedet und mir vorgenommen, das Mango wieder halbwegs fahrfähig zu machen, mich aber gleichzeitig auf einen Abbruch vorzubereiten. Deshalb brauchte ich meine Tasche aus dem Begleitfahrzeug. Der Gepäcksprinter wurde mir geöffnet, ich könne ja mal sehen, ob ich meine Tasche finde. Man schaut praktisch auf eine in die Tiefe des Sprinters hinein ansteigende Fläche aus unzähligen Taschen, Rucksäcken etc.. Irgendwo in der Mitte sollte auch meine Tasche sein. Man muss vor sich die Taschen einzeln wegnehmen, und hinter sich ablegen, bis man zum Boden durchschaut. Dort kann man neuen Stand für den Fuß finden und sich so Stück für Stück vorarbeiten. Immer vorne weg und hinten hin. Kaum sind zehn Minuten um, schon hat man seine Tasche und kann in gleicher Weise den Rückweg durch den Sprinter antreten.
Vorher gab es noch ein leicht verstörendes Schauspiel zu betrachten. Daniel kam angerauscht, wild umkläfft von seinem Hund. „Wow, der fährt mit Hund, cool!“ dachte ich. Schon begann er zu fuchteln und schreien. Die umstehenden blickten erstaunt, was denn hier los sei. Es sah aus, als führe er um sein Leben. Und drumherum immer dieser Hund. Der musste dann erst noch eingefangen werden, sonst wäre der tatsächlich mit Daniel losgerast, denn er war natürlich nicht mitgelaufen sondern im Rückholfahrzeug mit an Bord. Der ganze Spuk hat wohl keine Minute gedauert.
Mir gelang es tatsächlich, die verbogene Spurstange (es war der Querlenker, also die vordere) aus der Konterung zu drehen, geradezubiegen und wieder einzubauen. Nach knapp anderthalb Stunden in Dömitz war ich wieder fahrfähig und weiter ging es.
Irgendwie war jetzt die Luft raus, es lief ganz zäh. Blöderweise hatte ich den Track gewechselt von der geplanten B5-Strecke ab Karstädt auf die Rennradstrecke. Und dieser Track machte gleich anfangs einen völlig unnötigen Bogen auf dem Weg nach Lenzen, das wurde mir aber zu spät erst klar. Die Laune ging immer weiter in den Keller, „mannmannmann läuft das zäh“. Irgendwann realisierte ich dann, dass ich immer noch viel zu hohe Leistung treten musste für die gefahrene Geschwindigkeit. Die Spur musste es sein. Ich hatte beim Wiedereinbau die Gewindestange auf Anschlag in den Gelenkkopf geschraubt, so hatte ich das mal bei einem anderen Mango vorgefunden. Weiter rein ging jetzt also nicht, so konnte ich sie nur wieder rausdrehen. Also anhalten, aufbocken, Rad ab, Schraube lösen, zwei Umdrehungen raus (oder lieber gleich drei, ach nee, lieber erst mal nur zwei), Schraube wieder fest, Rad wieder dran und nach sechs Minuten ging’s weiter.
Das brachte tatsächlich Erleichterung. Mit Zehn Watt weniger ging es fünf km/h schneller. Trotzdem wurde die Stimmung nicht besser, ich war ständig verunsichert, dass die Spur weiterhin nicht stimmt, wofür das alles überhaupt gut sein solle, war mir nicht klar und überhaupt, ich wollte nach Hause. Einfach kehrt machen, 50km zurück nach Dömitz, da steht mein Auto oder 140 km bis Berlin. Da kam ein Anruf von den Freunden, die zeitgleich ein Rennbahntreffen am Flugplatz (sic) machten. Man drücke mir die Daumen und glaube an mich und esse und trinke gemütlich für mich mit undsoweiter undsofort. Ist schon irre, wie so was einem helfen kann.
Ich legte mir nun ein kleineres Ziel zurecht, ich wollte es einfach nur bis zur Hälfte zwischen Dömitz/meinem Auto und dem Ziel in Gatow schaffen. Dann könne ich ja immer noch kehrtmachen, log ich mich an. Sowas funktioniert auch, man soll es nicht meinen.
Leider wurde es nicht wirklich besser. Teilweise extra übler Asphalt. Ganz neu aber total grob. Wer macht so was?
Wenn man so durchhängt, bleibt die Leistung weg. 140Watt fühlen sich an wie 200. Immer mehr freute ich mich auf die B5 bei Friesack. Da war dann die Baustellenampel (ich glaube in Rhinow) mit dem freundlichen Schild „6 Minuten – Motor abstellen“ auch egal. Mit viereinhalb Minuten war ich dabei. Dann ging es endlich bei Friesack auf die B5. Ohh B5, Strecke meiner Träume, Wünsche und Hoffnung. Kurz danach rechts raus auf einen Parkplatz, den Lichtakku wechseln. Da kam die Polizei. Ein Pärchen. Was das denn sei. Ein Fahrrad könne es ja nicht sein, denn ein Fahrrad habe zwei Räder. Der Mann schien nicht so helle, dafür aber gutmütig zu sein. Beide waren ernsthaft um mich besorgt, denn gerade in letzter Zeit würden sie wieder wie die Irren fahren in diesem Abschnitt. Am laufenden Band Unfälle, insbesondere durch riskantes Überholen und ich solle bloß aufpassen. Ich habe dann das „Nebelrücklicht“ zusätzlich angeschaltet, davon waren beide sehr angetan. Mit sorgenvoller Miene haben sie sich verabschiedet und es ging weiter.
Hinter Nauen im Wald fiel mir ein, ich sollte vielleicht mal im Hotel anrufen, da ich nun doch schon deutlich verspätet unterwegs war. Frau Krienke vom Grünen Baum war sehr nett. Ich wisse aber schon, dass sie dann weggehe. Achherrje, wann denn? Ja um 18:00 Uhr. 17:59 stand auf dem Navi. Gut, dass wir drüber gesprochen haben. Der Schlüssel wurde versteckt, mein Zimmer war mir sicher. Während ich sprach, rollte ich auf eine Fünfergruppe zu, die sich mit einer Panne herumschlug. Irgendwie bekamen sie den Schaden an einem Rad nicht in den Griff. Die in Gatow schon wartenden Abholer wurde angerufen und um Hilfe gebeten. Die Fünf waren insgesamt nicht glücklich, sie hätten sich verfahren, 30km Umweg hätten sie gemacht und irgendwie sei das Mist. Ich konnte auch nicht helfen und bin weiter. Je näher ich dem Ziel kam, desto entspannter und auch langsamer wurde ich. Wie wenn ich es jetzt am Ende noch richtig genießen wollte.
Der liebe Herr Guzzi hatte mich auf den Trichter gebracht, am Ende der Strecke große Teile des Stadtverkehrs zu umgehen. In Falkensee am Kreisel bei dem Baumarkt rechts auf die L20. Diese dann geradeaus über die B5 hinweg bis Seeburg, dort links bis zur B2, diese ca.600m Richtung Nordost und rechts in den Weinmeisterhornweg bis Gatower Straße. Ist ein kleiner Umweg, aber fast überall freie Fahrt. Fand ich gut.
Kaum waren zwölf Stunden um, war ich am Ziel.
Wer sehr spät kommt, der bekommt Applaus. Und das ist auch gut so.
Am Wassersportheim in Gatow gab es dann Kuchen, Bier und eine fröhliche Runde – was will man mehr. Ich war froh, mich ein wenig durchgebissen zu haben. Aber das Feuerwerk wäre eigentlich nicht nötig gewesen.
Die Nacht im Grünen Baum war lang und erholsam, beim Frühstück saß mir
@chally gegenüber. Als ich gegen halb Zehn mein Mango klarmachte, waren alle futsch. Hab dann Burkhard noch Modell gestanden und los ging’s, zurück nach Dömitz. Die Rückfahrt lief wie am Schnürchen, ich war entspannt und locker unterwegs und traf, weil ich öfter pausierte, immer wieder einen Rennradler. Der fuhr allein und recht flott Richtung Hamburg und war trotz leichtem Gegenwind guter Dinge. Diese alleinfahrenden Rennradler sind schon die Helden auf dieser Strecke.
Alles was mir am Vortag im Nieselregen beschwerlich und mühsam erschien, war nun sonnig und leicht. Nach sieben Stunden war ich in Dömitz, mein Auto stand noch am Parkplatz, gut.
Die Rückfahrt verlief noch wirrer als es hinwärts war. Erst wieder völliges Durcheinander um Lüchow, dann doch über Uelzen, nur um bei Gifhorn dann komplett durch die Pampa geschickt zuwerden. Aber mir war alles egal, ich war entspannt. Auf dieser Umleitung wurde es vor mir ganz langsam, es war inzwischen stockfinster. „Ha!“ dachte ich, „so ist das also“. Es konnte nur ein Velomobil irgendwo da vorne sein. Praktisch unsichtbar und furchtbar langsam. Hält den ganzen Verkehr auf. Als der letzte vor mir zum Überholen ansetzte, sah ich (wenn ich mich nicht täuschte) den Thomas
@knightrider und Marita, offensichtlich auf dem Heimweg. Wacker! Ich bin eine Weile direkt dahinter gefahren ohne zu Überholen, was vermutlich die beiden und auch die hinter mir genervt hat. Konnte mich aber nur schwer von dem schönen Bild trennen. Das war ein runder Abschluss für ein sehr interessantes Wochenende.
Ich war zwölf Stunden unterwegs.
Davon zweieinviertel Stunden Standzeit.
Strecke 285 km
Nettoschnitt 29,3 km/h
Durchschnittsleistung 139 Watt
Zuhause habe ich dann noch einen guten Zentimeter Vorspur gemessen
HH-B ist eine tolle Veranstaltung, sehr gut und entspannt organisiert.
Ich habe einiges erfahren über mich, über den Einfluss der mentalen Verfassung auf meine physische Leistungsfähigkeit.
Ich bin froh, nicht abgebrochen zu haben und danke denen, die dabei geholfen haben.
Für nächstes Jahr hoffe ich, wieder dabei sein zu können. Ich werde sicherlich einen noch besser ausgeklügelten Plan aushecken.
Es würde mich sehr freuen, wenn noch mehr von uns hier sich dann auch trauten, vielleicht regt meine Geschichte ja dazu an.
Rainer