Nein, wir können nicht "ein bisschen länger warten".
Rosanne Hertzberger
Es fühlt sich an, als hätten wir in den letzten Wochen in den Niederlanden den Marshmallow-Test machen müssen. Sie wissen schon, ein Experiment, bei dem Kinder ein zweites Marshmallow bekommen, wenn sie es schaffen, zehn Minuten lang ohne Aufsicht die Finger von einem ersten zu lassen.
Konnten wir in den Niederlanden der Verlockung niedriger Infektionsraten, geschlossener Corona-Abteilungen, geimpfter gefährdeter Menschen und einer steigenden Impfrate gerecht werden? Nein, wir haben kläglich versagt. Wir fielen uns massenhaft in die Arme, wir umarmten und küssten uns und innerhalb einer Woche ging es von 500 Fällen pro Tag auf 5.000.
Ich habe so viel Lebenslust gesehen. Wer sich noch fragte, ob es jemals Lust auf "Testen für den Zugang" geben würde, staunte über die Warteschlangen vor den Teststraßen. Die Menschen wollten tanzen, sich verlieben, feiern, ein gemeinsames Leben beginnen. Es gab auch eine Limousinenschlange vor dem Rathaus von all den Leuten, die ihre Hochzeiten nachholen wollten. Das waren keine Kleinkinder, die sich von einem ersten Marshmallow nicht fernhalten konnten. Es waren Menschen, die leben wollten.
Es ist fehlgeschlagen. Wir waren zu gierig, die Kontrolle kam zu kurz, die Regeln waren nicht streng genug, aber vor allem war das Virus dreimal so ansteckend geworden. "Told you so", reagierten die üblichen Kritiker im Internet, auf die sich Redakteure immer berufen können, um über die Regierungspolitik zu jammern. Die in Anlehnung an Ruttes Kindergartenstil - wenn man sich benimmt, darf man wieder draußen spielen - fast standardmäßig jede Entspannung verurteilen.
Seit eineinhalb Jahren fordern sie so wenig wie möglich, am besten null Covid. Lange Zeit konnte ich mich damit abfinden, aber jetzt, wo die Impfrate steigt, beunruhigt mich zunehmend der Fanatismus, mit dem sie auf ihrer Geduld beharren. Covid ist mittlerweile eine deutlich weniger schwerwiegende Erkrankung. Menschen leiden immer noch darunter, und manche über lange Zeiträume. Doch das Virus verliert langsam aber sicher sein gesellschaftszerstörendes Potenzial. Und doch rufen sie immer wieder zur Geduld auf: Können wir nicht wenigstens warten, bis jeder über 12 Jahren die Gelegenheit hatte, sich vollständig impfen zu lassen? Es perlt so glatt von so vielen Zungen ab, ohne dass man merkt, wie das kleine bisschen Geduld in der Praxis aussieht.
Dieser Anstieg hätte durch drei Monate Repressionen verhindert werden können. Man hätte einer Generation erklären müssen, dass sie trotz der leeren Krankenhäuser, trotz der geimpften Schutzbedürftigen, trotz der Tatsache, dass sie selbst nicht ernsthaft erkranken werden, immer noch nicht rausgelassen werden. Das bedeutet einen Sommer, in dem illegale Partys aufgerollt und Bußgelder verteilt werden. Der durchschnittliche Achtzehnjährige wird von Pfizer Anfang September geschützt und nach einer Janssen-Spritze nicht einmal mehr so viel früher. Dann sind es nur noch ein paar Tage Sommer und ein weiteres Semester hirnverbrannter Zoom-Vorlesungen steht bevor. Es ist fast herzlos, die Leichtigkeit, mit der dieses "Du kannst doch ein bisschen warten" ausgesprochen wird. Für die Regierung bestand der Trick darin, nicht versehentlich die Hälfte Ihrer Bevölkerung mit Maßnahmen zu kriminalisieren, sondern sich mit ihr zu bewegen. Ich verstehe, warum die Regierung vermeiden wollte, ihre wohlmeinenden Bürger mit einem Strafbuch oder einem Schlagstock in der Hand zu konfrontieren.
Diese Entspannungen waren zu schnell. Aber bei all den Kommentaren und dem ganzen Gezänk frage ich mich zunehmend, wie die Zukunft aussehen wird. Der Sommer 2022. von 2023. Werden wir bald lernen können, mit diesem Virus zu leben? Oder werden wir mit dieser Politik der "Stotterbremse" fortfahren? Mundkappen ab, Mundkappen auf, Clubs offen, Clubs geschlossen, Grenzen offen, Grenzen geschlossen. Die Varianten werden in den nächsten Jahren weiter kommen, das Virus entwickelt sich schneller weiter, als wir Impfstoffe optimieren können. Es wird eine ugandische Sorte, eine malaysische Sorte und eine amerikanische Sorte geben. Immer wieder werden sie bei Kindern, ungeimpften Menschen, zirkulieren und unsere Impfstoffe durchbrechen.
Ich schaue auf Israel und mache mir Sorgen. Trotz hoher Impfraten und leerer Krankenhäuser wurde dort Ende Juni bei 100 Infektionen pro Tag wieder ein Mundschutz in Geschäften und anderen Innenräumen für alle über sieben Jahre vorgeschrieben. Das ist das Weltuntergangsszenario. Dass wir dieses Virus irgendwann nicht mehr loswerden. Aber wir müssen es. Es darf unser Leben nicht dauerhaft stören.
Rosanne Hertzberger ist Mikrobiologin.