Reiseerfahrung mit Schubanhänger

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Hallo

Nach unserer ersten grossen Radtour mit Solarmobil sind wir seit Dezember auf einer gemütlichen Erkundungsreise Richtung Nordamerika unterwegs.
Da ich in Mexiko mit teils schlechteren Strassen rechnete (bisher nicht der Fall, in Belize hingegen schon) und wir allgemein etwas geländetauglicher sein wollten, haben wir uns diesmal für ein einspuriges Setup entschieden.

20230522_132103.jpgAntriebsdetailsBremsscheibenadapter für Rekuperation
Auf ein Nazca Quetzal Tandem habe ich ein Solardach gesetzt, Motor und Akkus sind in einem selbstgebauten Schubanhänger untergebracht. Nach unserer ersten Tour wollten wir den Motor auf jeden Fall wieder geschaltet haben, im Antriebsstrang des Tandems unterbringen war aber keine Option wegen zu viel Drehmoment auf der Rohloff. Daher ist der Motor nun im Anhänger verbaut, wo er über zwei Ketten sowohl geschaltet antreiben (eine Rohloff dient im Notfall auch als Ersatzteil fürs Tandem) als auch rekuperieren kann. Im (schwer beladenen) Tourenbetrieb hat sich insbesondere die zusätzliche Bremse im Anhänger (durch Rekuperation) als super stabilisierend auf das Gespann erwiesen - das würde ich sofort wieder so bauen.

Nach bisher rund 4500km - meist auf Asphalt, teils aber auch Schotter- und Schlaglochpisten, anfangs vereinzelt Schnee - und einigen steilen Testfahrten in den Alpen bewährt sich das Gespann ganz gut. Um dem Thema Schubanhänger einige Erfahrungswerte beizusteuern, schreibe ich mal die Vor- und Nachteile auf, die sich für uns bis jetzt zeigten:
  • richtig beladen (35kg total Anhänger, 200kg total Tandem) und im kleinsten Gang hilft uns der Hänger auf Asphalt locker eine 22% Steigung / 800hm hoch
  • bis zu 50km/h auf Asphalt, bei 20km/h auf grobem Schotter mit Schlaglöchern und auf Eis (mit Spikes) fühlte sich das Gespann bisher immer sicher an
  • Rekuperation im Anhänger wirkt sehr stabilisierend bei Bergabfahrt. Mit CycleAnalyst und Gasgriff eignet sich der Motor super als hauptsächlich verwendete Bremse und verhindert das Überholen des Anhängers
  • ursprünglich befürchtete Probleme mit Aufschaukeln sind kaum vorhanden, die Kupplung darf um die vertikale Achse nur nicht zu leicht drehen
  • mit relativ wenig Investition (2. Pedalsensor und Gasgriff, Bob-Yak Kupplung) kann man den Anhänger einfach an zusätzlichen Rädern nutzen und hat die Elektrifizierung passend zur Last dabei
Technisch würde ich einen Schubanhänger mit Reku sicherer einschätzen als einen schweren motorlosen Anhänger. Die Schubleistung ist (mit Pedelecmotor) nicht extrem hoch, wird bei niedriger Geschwindigkeit eingesetzt und ist gut dosierbar. Die nicht kontrollierbare Schubleistung des Anhängergewichts bergab wird jedoch durch die Rekubremse deutlich weniger gefährlich. Dennoch gibts auch ein paar Nachteile:
  • mit zu wenig Ladung springt der Hänger ab 300W gerne, auf Schotter dreht das Rad manchmal durch. Mit entsprechender Technik ist das allerdings gut beherrschbar (Leistung per Gasgriff regeln) und weniger problematisch als befürchtet.
  • die Beladung muss passen. Wir haben 7kg Akkus und 3kg Motor so tief wie möglich verbaut, dennoch müssen die Wassertanks ganz vorn und das Gepäck halbwegs ausbalanciert sein um den Anhänger nicht instabil werden zu lassen. Geht wenn mans mal raus hat, würd ich aber nicht jedem so in die Hand geben.
  • die Akkus sind für tiefere Pfützen zu weit unten, wir mussten den Anhänger auch schon kurze Strecken tragen
  • die rechtliche Lage ist nicht geregelt, der Verbund Schubanhänger und Zweirad geht bestenfalls als Inline-Trike durch
Insgesamt bewährt sich das Konzept >Schub<-Anhänger für uns sehr gut.
Der >Einspur<-Anhänger zeigt neben super Vorteilen (Wir können recht üble Strassen fahren! Fahrradwege mit Grasnarbe in der Mitte machen wieder sowas von Spass!) jedoch auch deutliche Nachteile. Neben den oben genannten Punkten ist vor allem auch der Verschleiss am Hinterrad des Tandems sehr deutlich.
  • Der Schwalbe Marathon war nach 4300km seitlich komplett abgefahren, während in der Mitte noch gut Profil drauf war
  • Wir hatten auf den letzten 1500km etliche Speichenbrüche direkt am Nippel (wohl mitbedingt durch eine nicht ideale Felge und allgemeine Überladung, knapp 150kg auf dem Hinterrad). Ich hoffe das mit einer richtungsgebohrten Andra und neu einspeichen in den Griff zu kriegen, werde in ein paar Monaten wieder berichten :)
  • Die Torsionskräfte auf der Bob Yak-Kupplung und der Hinterradschwinge sind schon nicht ohne. Wie stark genau die Kräfte werden ist schwer einzuschätzen, bis jetzt scheint alles gut zu gehen, allerdings bleibt diese Stelle meine Hauptsorge bei diesem Konzept.
So, nach der Textwand noch ein paar Reisefotos
0_pragel.jpg20230602_084651.jpg20230815_105537.jpg

Mehr davon auf unserem Reiseblog

Saludos de Mexico
 
Schöner Bericht mit vielen Details. Die Berichte und Fotos auf Eurem Blog sind auch toll.

mit zu wenig Ladung springt der Hänger ab 300W gerne, auf Schotter dreht das Rad manchmal durch. Mit entsprechender Technik ist das allerdings gut beherrschbar (Leistung per Gasgriff regeln) und weniger problematisch als befürchtet.
Ob da eine Federung des Anhängers was bringen würde?

die rechtliche Lage ist nicht geregelt, der Verbund Schubanhänger und Zweirad geht bestenfalls als Inline-Trike durch
In welchem Land? ;)
Ich denke mal in der Praxis wird es eher keine Probleme geben. Man sieht den Motor ja nicht mal. Notfalls kann man immer noch Kette entfernen oder Motor ausbauen.

Der Schwalbe Marathon war nach 4300km seitlich komplett abgefahren, während in der Mitte noch gut Profil drauf war
Profil an beiden Seiten abgefahren aber nicht in der Mitte? Ich versuche mir gerade vorzustellen wie das funktioniert, überfordert aber meine Vorstellungskraft. Habt Ihr eine Erklärung dafür?

Würdet Ihr im Nachhinein betrachtet wieder den Einspurer nehmen? Wie ist der Vergleich zum Zweispurer?
 
Was für ein schöner Bericht von einer sicherlich tollen Reise!

Mich würde mal interessieren, wie Du das technisch gelöst hast, daß Du mit dem Motor sowohl die Rohloff zum Schalten nutzt, wie auch mit dem Motor rekuperieren kannst. Magst Du das mal erzählen?

150 Kilo Anhänger bremsen zu können ist Gold wert!
Ich war jetzt am Wochenende mit meinem Fahrradcamper unterwegs und war immer wieder heilfroh, daß dieses 120 Kilo-Monster eine Auflaufbremse hat! Rekubremse ist natürlich noch schöner, weil sie Reichweite generiert, wenn auch nur wenig, aber auf langen Etappen freut mal sich über jeden Kilometer Reichweite.
 
Mich würde mal interessieren, wie Du das technisch gelöst hast, daß Du mit dem Motor sowohl die Rohloff zum Schalten nutzt, wie auch mit dem Motor rekuperieren kannst. Magst Du das mal erzählen?
Ich sehe auf dem Foto zwei Ketten beiderseits des Rades.
Eine vermutlich zum Antrieb über die Rohloff, die andere zum Rekuperieren (da wird dann wohl ein Freilauf "rückwärts" nötig sein).
Korrekt?
Das zweite Ritzel wird dan wohl auf der Bremsscheiben-Aufnahme der Rohloff sitzen.
 
Schöner Bericht mit vielen Details. Die Berichte und Fotos auf Eurem Blog sind auch toll.


Ob da eine Federung des Anhängers was bringen würde?


In welchem Land? ;)
Ich denke mal in der Praxis wird es eher keine Probleme geben. Man sieht den Motor ja nicht mal. Notfalls kann man immer noch Kette entfernen oder Motor ausbauen.


Profil an beiden Seiten abgefahren aber nicht in der Mitte? Ich versuche mir gerade vorzustellen wie das funktioniert, überfordert aber meine Vorstellungskraft. Habt Ihr eine Erklärung dafür?

Würdet Ihr im Nachhinein betrachtet wieder den Einspurer nehmen? Wie ist der Vergleich zum Zweispurer?
Federung würde auf jeden Fall was bringen, mit Big Ben bei ~1.5Bar Luftdruck läuft der Anhänger beladen schon absolut ruhig - mit Marathons bei 4 Bar war das ganz anders. Unbeladen (d.h. mit rund 25kg Eigengewicht inkl. Akkus, Motor und Schaltung) ists halt je nach Piste immer noch etwas nervig, aber der soll ja auch nicht unbeladen sein ;)

Soweit ich weiss ist die Lage in der Schweiz und Deutschland nicht geregelt, in der Praxis ist sowas wohl nur bei einem Unfall wegen Versicherung relevant. In Belize hätten wir laut Einheimischen wohl selbst als normales Pedelec eine Bewilligung gebraucht - generell dachten die Leute aber, wir benutzen die 240Wp Solarpanels um das Telefon zu laden :cool:

Das seitliche abfahren ist mir ehrlich gesagt auch noch ein Rätsel. Vor allem da auch der Reifen beim Vorderrad (deutlich weniger stark) die Tendenz zeigt. Vielleicht liegts an zu wenig Luftdruck für die Belastung oder weil der Reifen doch relativ stark seitlich radiert in Kurven.

Für eine solche Tour würde ich definitiv wieder einen Einspurer nehmen. Wir sind einfach freier in der Routenwahl, kommen auch mal mit einem Stück Singletrail zurecht wenn der Weg immer schlechter wird. Auf gut asphaltierten Strassen in Europa war der zweispurige Bett-Anhänger natürlich deutlich mehr Luxus..
 
Was für ein schöner Bericht von einer sicherlich tollen Reise!

Mich würde mal interessieren, wie Du das technisch gelöst hast, daß Du mit dem Motor sowohl die Rohloff zum Schalten nutzt, wie auch mit dem Motor rekuperieren kannst. Magst Du das mal erzählen?

150 Kilo Anhänger bremsen zu können ist Gold wert!
Ich war jetzt am Wochenende mit meinem Fahrradcamper unterwegs und war immer wieder heilfroh, daß dieses 120 Kilo-Monster eine Auflaufbremse hat! Rekubremse ist natürlich noch schöner, weil sie Reichweite generiert, wenn auch nur wenig, aber auf langen Etappen freut mal sich über jeden Kilometer Reichweite.
Der Anhänger hat "nur" etwa 45kg, aber dennoch, bremsen ist toll.

Die technische Lösung hat @ChristianW schon korrekt erfasst. Rechts ist ein Adapter direkt am Motorgehäuse montiert, links in der Aufnahme für die Scheibenbremse. Rechts ist das Ritzel starr und die Kette geht auf den normalen Antrieb der Rohloff, die ja einen Freilauf hat. Links ist ein (umgedrehtes) Freilaufritzel am Motor, ein starr verbundenes Kettenblatt an der Bremsaufnahme der Rohloff.
Normalerweise (Antrieb) dreht der Motor schneller als das Rad / Gehäuse der Rohloff. Der Freilauf am Motor ist dadurch aktiv, die linke Kette überträgt keine Kraft. Überholt nun das Rad den Motor, wird dieser von der linken Kette zwangsweise mitgedreht, bzw. kann das Rad abbremsen. Die rechte Kette überträgt dann keine Kraft.

Ursprünglich hatte ich beide Ritzelkombinationen mit der gleichen Übersetzung (12:16 Antrieb, 18:24 Reku) gewählt, damit auch rückwärts rangieren theoretisch möglich wäre. Das hat in der Praxis aber nie gut funktioniert (kleine Differenzen gibts immer, die Freiläufe verhaken dann), und wir haben in Frankreich einen Baserunner gekillt - vermutlich wegen Zwangsrekuperation bei etwa 33km/h und leerem Akku (Zwangsreku ab 25km/h). Seither fahren wir am Motor ein 22er Ritzel und haben moderates Field Weakening aktiviert. Damit gabs bisher keine Probleme mehr, 50km/h bei vollem Akku gingen und bis 35km/h bei leerem Akku sollten theoretisch auch sicher sein.
 
Na, das muss ich dann erst mal ganz in Ruhe durchdenken, wie das genau arbeitet, aber mit einem Freilauf am Motor wird das plausibel.

Vielen Dank für die Aufklärung!
 
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