Die Feuertaufe: 400km-Brevet von ARA Nordbayern mit dem Milan SL
Für meine PBP-Qualifikation zählte dieser 400er nicht mehr (es war mein Backup-Termin), aber zum Training für den 600er bei Karl war mir die Teilnahme sehr wichtig. Würde ich auch steile Rampen und mehr als 4000 Höhenmeter schaffen? Und eine Nacht durchfahren können?
Ich hatte dank Feiertag und Urlaubstag eineinhalb Tage zur Vorbereitung. Die habe ich auch gebraucht. Ausführliches Streckenstudium, vor allem der Anstiege und Abfahrten. Als Ergebnis der Beschluss, die vorderen Laufräder noch gegen die neuen von
@Lutz/Co mit Kühltürmchen zu tauschen. Also zum ersten Mal vorne die Federbeine ausbauen. Auf den Lehrvideos geht das ja ganz leicht. Ich habe mich schwer abgemüht damit, trotz passendem Bordwerkzeug. Warum sind die Gewinde oben am Milan-Federbein eigentlich so lang, dass man die Muttern in Etappen lösen muss? Lockern, ein Stück herausziehen, weiter lockern, … Und wer in Rumänien hat das Gewinde an meinem rechten Federbein so vermurkst, dass ich eine Weile lang dachte, ich bekomme das niemals heraus (nachdem das linke Vorderrad schon getauscht war…)? Auf jeder Seite bestimmt 2 Stunden Arbeit. Jetzt weiß ich zu schätzen, dass Daniel Fenn den Radausbau an seinen Konstruktionen verbessert hat! Aber immerhin, sollte es unterwegs doch mal nötig sein, das Federbein herauszunehmen, ich könnte es jetzt. Gibt Selbstvertrauen auf langen Touren. Nur hinten habe ich noch nicht geübt.
Trotz aller Vorbereitung und der guten Wetterprognose und trotz der Tatsache, dass ich bei körperlichen oder technischen Problemen jederzeit hätte abbrechen können: ich hatte großen Respekt vor der Runde. Was auch daran lag, dass ich mich körperlich nicht gerade topfit fühlte. Konnte ich mir das überhaupt zutrauen?
Nur Mut. Einfach ausprobieren, wie es läuft. Ich war zeitig vor Ort, konnte in Ruhe alles herrichten und ein bisschen fachsimpeln. Vor allem mit dem Fahrer des ICE VTX Trike, den ich leider immer noch nicht nach seinem Namen gefragt habe (das hole ich beim 600er aber nach). Außer ihm noch
@Nemberch und ein Randonneurs-Veteran mit M5 CHR. Ich war der einzige Velomobilfahrer. Karl war hoch erfreut über mein buntes und ungewöhnliches Fahrzeug.
Gedränge am Start. Karl nimmt viel mehr Randonneure an als andere Veranstalter. Liegeräder waren dieses Mal spärlich vertreten.
Startgruppe 1, es ging fast pünktlich um 20:00 Uhr los. Schon kurz nach dem Start die ersten Anstiege, ich ließ die Heißsporne lieber vor. Langer Anstieg aus dem Schambach-Tal, dann waren sie sowieso außer Sicht. Sobald man oben war, lief es aber erstaunlich flüssig, eigentlich die ganze lange Strecke bis nach Beilngries. Der Wind blies uns von Osten kräftig entgegen, was ich aber eigentlich nur an den Windrädern und gelegentlichen Böen merkte. Ich wurde immer schneller, viele 5km-Abschnitte mit mehr als 40 km/h, und wenn ich mich nicht täusche, war ich sogar der Erste in Beilngries.
Die Baustelle in Beilngries hatte es aber in sich. Erst falsch nach rechts abgebogen. Schotter. Zurückrollen lassen. Links herum, da ist der Radweg. Der war nach wenigen Meter durch eine mächtige Schotterrampe geradezu überspült. Aussteigen, Milan drüberwuchten. Mein vor einer Woche gezerrter Rücken protestierte heftig. Ein paar Meter weiterrollen, dann kam der zweite lange Anstieg.
Auf halber Höhe eine Lichterschlange hinter mir. Ein Trupp von etwa 10 starken Rennradlern zog vorbei. Man denkt im VM ja, man steht geradezu. Aber wenn es wegen der Distanz nur 150W sein dürfen bei 105kg Systemgewicht und die anderen bergauf bestimmt mit 250W fahren bei 85kg Systemgewicht, dann sind sie doppelt so schnell. Kann man leicht nachrechnen.
Weiter durch die Nacht. Immer wieder Abfahrten, aber leider welche, bei denen die mühevoll erstrampelte Energie in den Bremsen landete. War ich froh, dass ich mir wegen der Kühltürmchen nicht so viel Sorgen um die Standfestigkeit machen musste! Je näher wir Kastl kamen, um so welliger wurde es und umso giftiger wurden die Anstiege. Einige über 10%. Die 14% aus Freischweibach heraus waren mir eine Warnung. Die gingen gerade noch, und ich wusste, die Ludwigshöhe ganz am Schluss ist noch steiler…
Trotzdem, ich war schneller an K1 als erwartet. Die schnellen VM-tauglichen Abschnitte zwischendurch halfen doch.
Nach der verdienten Pause mein erster Fehler. Man steigt nicht genauso gekleidet wieder ins Velomobil, wie man angekommen ist, wenn man eine halbe Stunde ausgeruht hat und eine lange schnelle Abfahrt folgt! Meine Weste wäre nötig gewesen. Was habe ich gefroren bis Ammerthal! Unvernünftig, nicht sofort anzuhalten und den Fehler zu korrigieren. Aber wenn die Kiste gerade so gut läuft? Schon wieder alles wegbremsen??
Anschließend gab es wieder ein paar Anstiege, mir wurde wärmer. An K2 in Königstein, eine zusätzliche Kontrolle mit netter Betreuung, über die sich viele gefreut haben, musste die Weste dann aber zum Einsatz kommen. Gute Wahl. Auf den nächsten 5 km ging es fast nur zügig bergab. Guter Asphalt, keine engen Kurven, gute Sicht. 5-km-Durchschnitt: 56,5 km/h. Wie schön, dass auch solche Abfahrten dabei waren!
Allmählich dämmerte es wieder. Ich fuhr durch stille Orte und stille Täler, niemand vor mir und hinter mir in Sicht. Nur die Vögel waren zu hören. Wenn mein VM nicht gerade mal wieder quietschte, knackte und rumpelte. Was es auf dieser Tour deutlich vernehmlicher tat. Wie sich daheim herausstellte, hatten die beiden Federbeine oben etwas Spiel (ich hätte die Muttern noch weiter anziehen müssen) und der geflickte Leih-Sitz war oberhalb der Flickstelle erneut gebrochen…
Den McDonalds in Plech, den Karl in seiner Streckenbeschreibung erwähnt, passierte ich über 2h vor seiner Öffnungszeit, aber schon bei Tageslicht. Es ging von dort eine Weile bergauf, ich bekam wieder Gesellschaft in Form einer Dreiergruppe Rennradfahrer. Um 5:22 Uhr begann dann die Abfahrt ins Trubachtal. Auf dem steilen Abschnitt bis Obertrubach musste ich noch viel bremsen, weil das Überholen der Gruppe zu gefährlich gewesen wäre (wieso mussten die eigentlich nebeneinander fahren?), aber weiter unten im flacheren Abschnitt begann VM-Revier. 20 Minuten fliegen lassen bis Pretzfeld. Dann ein giftiger, aber kurzer Anstieg, herab nach Ebermannstadt und das Leinleitertal hochkurbeln. Das steile Stück ab Burggrub begann mit einem Verschalter. Ich fand den Hebel für das kleine Kettenblatt nicht rechtzeitig (doch zu müde?) und hinten hatte ich noch ein zu kleines Ritzel drauf. Musste ein Stück zurückrollen lassen und beim Wiederanfahren mit Gangwechsel krachte es derart laut im Antriebsstrang, dass ich bestimmt die Familie im Haus nebenan geweckt habe. An einem Samstag kurz nach 6 Uhr. Sorry!
Oben in Teuchatz Fotokontrolle K3. Damit man den Berg nicht auslässt. Wer die Kapelle kennt, weiß, ich war da!
Die Kapelle steht gemeinerweise in einer Senke, die man sonst "durchfliegen" kann, um den nächsten Anstieg leicht zu schaffen.
Dann rasante Abfahrt (trotz viel Bremsen) nach K4, Buttenheim, km 258. Nur eine gute Viertelstunde, dann war es Zeit für die Frühstückspause.
Inzwischen war die Sonne herausgekommen. Beste Bedingungen, um die restlichen 146 Kilometer zu genießen.
Die Route verlief jetzt durch mein Heimatrevier, so dass ich die nächsten 40 km fast ohne Blick auf den Track und störungsfrei fahren konnte. Fast störungsfrei. Auf einem welligen Stück, ich glaube es war nahe Adelsdorf, machte es links von mir „plopp“ und die Verpflegungstüte mit den Crackern fiel um. Ich dachte mir zunächst nichts dabei. Als ich aber kurz danach die Flasche neben der Tüte zum Trinken hochnehmen wollte, war sie fast leer. Neue Erfahrung: bei den beliebten 1L-Flaschen von Elite lässt sich der Deckel zum Reinigen teilen. Das wusste ich noch nicht. Der Druck der Kohlensäure aus der Schorle, die ich an K4 umgefüllt hatte, hat es mich gelehrt.
So sieht die Elite Corsa aus, wenn Kohlensäure den Deckel wegsprengt.
Links neben dem Sitz schwappte die Brühe und weichte alles durch. Zum Glück halten die Versteifungsholme im Milan MK7 die "Badewanne" zusammen. Ich konnte später alles aufwischen und ein durchgeweichtes Brötchen und leckeren Cräckerbrei genießen
Solche Getränke nehme ich in Zukunft einfach ohne Umfüllen mit und werfe die leere Flasche zwecks Recycling dann hinten links neben den Radkasten in meinen „Kofferraum“. Scheppert ab und zu etwas, wiegt aber nichts. Im VM ist es doch sowieso laut.
Das Höhenprofil war jetzt von kurzen Anstiegen und kurzen Abfahrten geprägt. Leider wieder mit viel Bremseinsatz.
An K5 in Burgschwabach, km 343, noch einmal eine Verpflegungspause. Ich schrieb meiner Frau etwas optimistisch, der Rest sei jetzt „fast flach“ mit Ausnahme der Ludwigshöhe. Stimmte nicht ganz, die nächsten 30 km waren durchaus noch wellig. In Veitsaurach hatte Karl sogar eine 22%-Rampe mit Rasensteinen in den GPS-Track eingebaut. Die alten Hasen wussten, dass man die leicht umfahren kann. Ich nicht. Ich musste schieben und war oben trotzdem außer Atem.
Bei der Ortseinfahrt nach Mäbenberg kurz vor Georgensmünd ging es auf schlechtem Asphalt schon wieder bergauf. Hier hatte ich mein mentales Tief. Nach 368 km und 3650 Höhenmetern wollte ich keine Anstiege mehr sehen. Musste das jetzt sein? Und es waren immer noch 36 km und knapp 400 Hm zu fahren. „Fast flach“ halt, bis auf die Ludwigshöhe…
Für die Ortsdurchfahrt von Ellingen hätte ich mir mehr Zeit für Fotos nehmen sollen. Die Route passiert eine wirklich sehenswerte Brücke mit acht Steinfiguren und dann ein historisches Stadttor, nach einem durchaus anspruchsvollen Anstieg auf Kopfsteinpflaster
Beim nächsten Mal mache ich Fotos, so viel Zeit muss sein.
Schließlich die Ludwigshöhe. Will man nach 396 km und etwa 18h Reisezeit wirklich so ein Schild sehen? Bei der Alten Hexe ist das vielleicht normal, aber bei einem Brevet mit dem Velomobil?
In Wirklichkeit war es noch steiler, denn die Zufahrtsstraße zur Kontrolle zweigt kurz hinter der Brücke nach rechts ab und enthält einen Abschnitt von 15% (meinte mein Garmin, aber der war schon im Energiesparmodus und schlief zwischendurch), gefühlt jenseits von 16%. Kurbeln ging nicht mehr, ich musste „pumpen“. Halbe Kurbelumdrehung mit dem rechten Bein, Stillstand. Halbe Kurbelumdrehung mit dem linken Bein, Stillstand. Zum Glück fällt man mit dem VM nicht um, und die Traktion war noch ausreichend. Irgendwann begann die Traverse am Hang, viel flacher. Kontrollzange. Fast alle Höhenmeter im Kasten!
Letzte Kontrolle 6km vor dem Ziel. Im Hintergrund am Geländer der Treppe die Kontrollzange. Mit Schild, damit sie leichter gefunden wird und niemand sie mitnimmt.
Nach der Kontrolle noch einmal 20 Höhenmeter, netterweise mit 14%. Dann eine lange, etwas winklige und wellige Abfahrt bis Dettenheim, noch einmal mit Schwung über den kleinen Buckel nach der B2-Brücke drücken und sehr vorsichtig rechts in die schmale, unübersichtliche Bahnunterführung. Mir kam ein dicker SUV entgegen, der die ganze Unterführung in Anspruch nahm. War ich froh, dass ich abgebremst hatte!
Im Ziel nach 18,5h brutto, 16,5h netto. Das hatte ich nicht erwartet. Gut, noch viel weiter hätte ich an diesem Tag nicht fahren wollen, aber ich fühlte mich noch nicht einmal müde.
Die 3h Pause mit viel Fachsimpeln, die ich vor der Heimfahrt gemacht habe, waren aber vielleicht doch etwas knapp. Die Veranstalter der Vätternrundan in Schweden setzen bekanntlich 6h Ruhezeit durch. Ich musste mich im Auto doch sehr bewusst konzentrieren. Radfahren wäre fast einfacher gewesen. Vielleicht komme ich beim nächsten Mal mit dem Rad und mache so einen 600er daraus, wie der junge Randonneur aus Forchheim.
Wie Karls Zielstempel sagt: Schön war´s!