Erstbefahrung: 400km-Brevet von ARA Schönbuch mit dem Milan SL
Etappe 3 meiner PBP-Qualifikation: auf 200 km ab Bennewitz und 300 km ab Treuchtlingen sollten 400 km ab Stuttgart-Rohr folgen. Mit dem Milan, trotz der reichlich vorhandenen, auch mal längeren Anstiege auf einem Kurs, der auf dem Papier so aussah, als müsse man die wertvolle kinetische Energie ziemlich oft wegbremsen. 402km, etwa 3600 Hm. Start am Morgen.
Die Strecke war ganz neu, noch nie für ein Brevet genutzt. Ich war der einzige Velomobil-Fahrer. Was geradezu dazu verpflichtet, hier davon zu berichten! Der einzige Liegeradfahrer war ich aber nicht, auch
@Streamer mit seinem Wolf&Wolf war da, und Bernd mit seinem Zox (er kennt jetzt meinen Forumsnamen, aber ich habe mir seinen leider nicht merken können). Wir waren ordentlich auf die drei Startgruppen verteilt, im Abstand von je 10 Minuten: Bernd zuerst, dann ich, dann
@Streamer.
Die Organisatoren bemühten sich herzlich um die ca. 90 Teilnehmer. Frühstück stand bereit, es gab ein ausführliches Briefing zur Strecke, und dies war mein erstes Brevet mit bebilderten Hinweisen zu jeder Kontrollstelle. Insgesamt 8 Kontrollen neben Start und Ziel, viele an Sehenswürdigkeiten. Sehr liebevoll gemacht. Außerdem wurden eBrevet und Papierkontrolle parallel angeboten. Ich habe dann beides genutzt. Wenn man die digitale Brevet-Karte das erste Mal verwendet, kann man ja dumme Fehler machen, oder die Technik kann streiken (was sie unterwegs auch mehrfach tat...).
Mein erstes 400km-Brevet war es auch noch. Da weiß man nicht so recht, was auf einen zukommt. Wie viele Stunden Nachtfahrt? Wird die Technik durchhalten? Was machen die Beine, wenn der lange Schlussanstieg auf den letzten 30km ansteht? Ich hatte schon ordentlich Respekt vor der „Prüfung“, und versuchte das im Vorfeld durch penible Vorbereitung auszugleichen. Track-Anpassungen (bergab keine Radwege), detaillierte Auflistung der Anstiege, Zeitplanung für die Kontrollpunkte, Hervorhebungen und Anmerkungen im Roadbook — was man halt so tun kann, um seine Erfolgschancen zu verbessern.
Ermutigenderweise war mein Garmin auf der kurzen Anfahrt vom Parkplatz zum Start (etwa 4km, man konnte nicht am Start parken) der Meinung, meine Form sei grottenschlecht. So negative Werte hatte ich noch nie auf der Anzeige gesehen… Obendrein rächte sich die Lücke in der Vorbereitung, dass ich keinen Track vom Parkplatz zum Start hatte. Verfahren, beim Wenden auf der schmalen, abschüssigen Straße nicht gleich ausgestiegen, Kettensalat produziert, naja. Das fing ja gut an. Es war aber nichts kaputt. Noch nicht.
Die ersten 25 km bis Nürtingen waren für mich im Velomobil ein absolutes Sahnestück. Im frühen Morgenlicht bei Sonne auf der ehemaligen Bahntrasse das Siebenmühlental hinunterflitzen, dann die Nürtinger Straße herunterfliegen (ohne Nutzung der Radwege), das war ein großer Spaß. 40 km/h Schnitt bis Nürtingen. Eigentlich begann die Prüfung erst hier.
Anstieg Richtung Owen (auf dem Radweg

), ganz oben mit Blick auf die Burg Teck. Die Rennradfahrer, die ich eingesammelt hatte, zogen wieder vorbei. Runter nach Owen, auf ruhigen Wirtschaftwegen um die Burg herum und hinauf nach Hepsisau zur ersten Kontrolle. Sehr schön zu fahren.

Blick auf Burg Teck (ganz klein im Bild auf dem gegenüberliegenden Hügel)

Auf dem Weg nach Hepsisau
Mit der Hepsisauer Steige folgte der längste Anstieg der Tour. Moderat steil (meist 6-7%), 360 Hm am Stück. Geduld. Zeit, mit jedem, der vorbeizog, kurz zu quatschen. Das waren einige, bis ich nach 45 Minuten endlich oben war.

Blick zurück auf Hepsisau von der Steige
Wellige Strecke bis zum 2. Kontrollpunkt, dem „Alten Lager“ in Münsingen. Manchmal konnte ich den Milan sehr gut laufen lassen, manchmal war der Verkehr ungünstig oder die Strecke zu winklig oder eine Querung lag genau unten in der Senke. Gemein war eine steile Abfahrt, die man fast im Schritttempo beenden musste, gefolgt von einer längeren 13% Betonrampe, an der mir fast die Traktion fehlte. Aber danach eine herrlich langgezogene, leicht abfallende Passage, die das wieder vergessen ließ.
Im „Alten Lager“ bei Km 77 waren wir drei Liegeradfahrer gleichzeitig. Ich hatte es schon geahnt,
@Streamer war in seinem Heimatrevier richtig schnell. Nun folgte allerdings ein langes, fast nur abfallendes Stück bis zur nächsten Sehenswürdigkeit zum „Blautopf“ in Blaubeuren. Auf dem ersten, recht geraden Steilstück habe ich unabsichtlich meinen Geschwindigkeitsrekord geknackt. Und war echt froh, die folgende Rechtskurve vorausschauend angebremst zu haben. Die 70mm-Trommeln mussten hart arbeiten.
Der Blautopf ist wirklich sehenswert. Leider war sehr viel Betrieb, und ich wollte mich nicht lange aufhalten, um so viel wie möglich noch bei Tageslicht zu schaffen. Der nächste lange Anstieg folgte sofort, kurze Zeit später noch einmal eine rasante, aber kurvige Abfahrt, leider mit einer recht scharfen Kurve am Ende. Also noch einen Anstieg langsam hochkurbeln. Und dann fast 70km überwiegend leicht abwärts durch das Donautal „fliegen“. Hat jemand behauptet, diese Strecke sei nichts für Velomobile?

Oberhalb des Wehrs der Blautopf. Die Wasserfärbung sieht man nur, wenn man herumgeht und von oben hineinblickt.
Eine Stelle war wirklich nichts für Velomobile: kurz vor Gundelfingen eine Fußgängerbrücke mit sehr enger Anfahrt und einem Böschungswinkel, der nur zu bewältigen war, indem ich den Milan rückwärts auf dem Hinterrad auf die Brücke schob, den Bug angehoben. Das und später die enge Einfahrt zur Wallfahrtsbasilika Wemding waren aber die einzigen Stellen, wo eine Durchfahrt ohne Aussteigen nicht möglich war.

Blick zurück auf die Fußgängerbrücke. "Radfahrer absteigen" mal ernst zu nehmen. Für den Milan jedenfalls.

Dieselbe Stelle, Blick nach links. Doch Pause machen?
An der 180km-Marke, 4. Kontrolle auf der Strecke, wurde mir klar, dass auch viele Kilometer hohes Tempo mit dem Velomobil nicht viel schneller machen, wenn man längere Pausen macht (am Blautopf), mal eine Weile rangieren muss (Fußgängerbrücke), oder eine Weile an Kreuzungen und Ampeln verhungert (ab Gundelfingen).
@Streamer war schon da, wie der sprichwörtliche Igel, der schneller ist als der Hase. Wie es ihm danach ergangen ist, weiß ich nicht. Meine Pause war länger als seine, und wir haben uns nicht wieder getroffen. Aber ich habe die 360-Grad-Kamera an seinem Lenker gesehen. Vielleicht gibt es da ein paar kurze Szenen von der Strecke?
Am Wendepunkt in Wemding (Km 223) schien immer noch die Sonne. Mittlerweile war es gegen 18 Uhr. Leider kein Bäcker mehr offen. Aber noch genug Cracker und Riegel und Nüsse im Vorrat. Was man so alles mitschleppt in seiner rollenden Schüssel… am Ende der Tour war wieder einiges übrig, ich kann die richtige Menge immer noch nicht gut einschätzen.

Marktplatz Wemding
Wemding-Nördlingen war überwiegend „Flugstrecke“. Wenn man einen Milan hat. Kein Problem, die 50 km/h zu halten.
Es ging in den Abend. Der nächste Kontrollpunkt nach einem knackigen Anstieg war wieder eine Sehenswürdigkeit, das Freilichtmuseum „Keltenwelt“ am Ipf. Leider schon geschlossen. Kontrollfrage, kurz verschnaufen, die Aussicht genießen, dann vorsichtig die steile Abfahrt herunter. Erwähnte ich schon, dass man manchmal sehr viel bremsen musste?

Freilichtmuseum "Keltenwelt" kurz vor Sonnenuntergang

Blick zurück Richtung Wemding. Auf Aufstieg folgt Aussicht!
Die folgenden 150 km waren wieder deutlich hügeliger. Es wurde dunkel. Ich hatte den Fehler gemacht, auf der Strecke, die im Dunkeln liegen würde, die Radwege an Gefällestrecken im Track zu lassen. Auf der Abfahrt hinter Nattheim, die bei Tageslicht auf dem Radweg bestimmt sehenswert ist, habe ich das bitter bereut. Auch mit guter Beleuchtung sehr unübersichtlich und winklig. Na gut, immerhin die B466 vermieden dabei. Das wusste ich vorher nicht einzuschätzen. Später Richtung Schwäbisch Gmünd ignorierte ich spontan den Radweg auf meinem Track, musste nur aufpassen, dass mir die Route nicht seitlich „auswandert“. Wobei der Garmin nicht gerade hilfreich war mit seinen eigenwilligen Reaktionen auf „Streckenabweichung“… Der war überhaupt in der 2. Hälfte eher unpässlich. Mal vergaß er, dass die Navigation eigentlich lief und verlor sich in langen Neuberechnungen, mal wollte er die Hintergrundbeleuchtung nicht einschalten, mal wollte ein Anstiegs-Profil (ClimbPro), das mal wieder genau im falschen Moment vor einer Abbiegung auftauchte, sich nicht durch Wischen verscheuchen lassen (Blindflug-Navigation macht es wohl interessanter). Das Gerät hielt mich jedenfalls wach.
Die Dunkel-Strecke dehnte sich letztendlich über etwa 7 Stunden, bis 4 Uhr morgens. Etwas länger, als ich kalkuliert hatte. Aber im Dunkeln kann man die VM-typischen Vorteile nur noch selten ausspielen, weil man für schnelles Fahren einfach nicht weit genug sieht; die schönen, aber engen Passagen wie der 22 km lange Bahntrassen-Radweg von Schwäbisch Gmünd nach Faurndau zwangen zu moderatem Tempo, und der Schlussanstieg am Stuttgarter Flughafen vorbei über Wirtschaftswege mit schlecht rollendem Belag war auch sehr zäh.
Bei km 401 ging dann schlagartig mein Licht aus. Die XT Powerbank hatte präzise bei 0% abgeschaltet. Jetzt weiß ich genau, dass mir das nie auf einer Abfahrt passieren sollte. Vorausschauend Akku wechseln. Den letzten Kilometer also mit dem Reserveakku gefahren. Der Garmin war auch müde, zeigte die Position nur noch verzögert an, so dass ich den letzten Linksabbieger noch verpasste. Mal wieder rückwärts rollen, nicht zum ersten Mal an diesem langen Tag.
Im Ziel nach etwas über 20h brutto war ich anfangs etwas wacklig auf den Beinen. Dank herzlicher Betreuung mit nächtlicher Verpflegung (Radler, Bier, Brötchen, leckere Kartoffelsuppe, es hätte auch Spaghetti gegeben) legte sich das aber bald und es gab reichlich Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch. Als ich wieder an meinem Camper ankam (und mich auf 3km dreimal verfahren hatte und einmal sogar schieben musste), war es längst hell. Egal, nach so einer Tour schläft man auch bei Licht und Verkehrsrauschen der nahen Autobahn mindestens ein paar Stunden.
Erster 400er geschafft! Dieses Brevet kann ich empfehlen. Auch für Velomobil-Fahrer! Eine sorgfältig ausgesuchte, abwechslungsreiche Strecke, überwiegend verkehrsarm, schöne Landschaft, viele Sehenswürdigkeiten, schnelle Passagen, meist moderat steile Anstiege, nette Organisatoren und Teilnehmer. Es hat mir sehr gut gefallen.
Nur eine Warnung für Milan-Fahrer: es gibt wirklich viele Gelegenheiten, aufzusetzen. Tankstelleneinfahren, Supermarkt-Einfahrten, Bodenwellen. Schützt eure Fußhubbel!
Ach ja, nach der Tour war doch was kaputt. Sitz angebrochen. Sieht so aus, als hätte er da ab Werk eine Schwachstelle gehabt. Das muss jetzt schnell repariert werden, ich will auch den 400er von Karl in knapp 2 Wochen noch fahren. Der hat nämlich einen Abendstart. Wie die 90h-Gruppe bei PBP.