Aus dem Leben eines EVO-R

Also ob Grossvater oder Urgrossvater ist nicht so wichtig. Hingegen war der Hinweis auf den Perlonfaden (alias Storm Strip) Gold wert. Es ist nun ein ganz anderes Fahrgefühl. Mehr Sicherheit und gesamthaft einiges schneller, weil ich nun nicht immer am Bremsen bin. Besten Dank an alle vom Forum, die mich darauf hingewiesen haben.
 
In den letzten Tagen ging es bei DYNAMIK hektisch zu. Alles musste - und natürlich in letzter Minute - für die Fahrt nach Appulien vorbereitet werden. Warum gerade Apulien? Dynamik meint, es hätte auf dem Weg dorthin auf 1000 km keinen einzigen Berg. Wir werden ja sehen. Das Hardtop wurde noch etwas verkürzt, damit man notfalls bei Regen neben der Scheibe vorbeigucken kann. Mit Hardtop sehe ich übrigens auch viel eleganter aus. Dynamik hat noch extra ein (kunst)Lederverdeck genäht, das man wie bei einem alten Sportwagen mit Druckknöpfen befestigen kann. Sieht übrigens echt chic aus. Die schmalen Conti-Reifen, die man auf 8 bar aufpumpen kann, bleiben drauf. Das wird sich noch böse rächen. Spiegel gibt halt nur links, weil Dynamik den Erssatz für den in Spanien abrasierten Spiegel zu spät bestellt hat. Aber sonst ist alles perfekt. Heute früh hoch über dem Nebelmeer des Neuenburgersees gings dann los Richtung Süden zum Genfersee und dann ostwärts der Rhone entlang Richtung Simplonpass. Alles läuft perfekt ausser dass die Gerantin des Hotels nach Hause will und Dynamik eben doch nicht so schnell ist, wie er gemeint hat. Zum Glück hat die Gerantin ein gutes Herz. Ich darf übrigens in der Hotelreception schlafen. Die Tagebuchseiten von Dynamik, die nun folgen, erzählen übrigens nur die offizielle Version. Die Wirklichkeit ist noch schöner aber auch harter.

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Sonenaufgang über dem Neuenburgersee

Chippis, 27.10.17

Ab nach Appulien


So, geht's auf Langfahrt? fragte meine liebe Gattin, als ich heute morgen früh um 10 Uhr mein Velomobil bestieg. Langfahrt ist das was die Vikinger im Herbst unternahmen, wenn es auf dem Hof zu Hause in Norwegen nichts mehr zu tun gab. Damit keine Langeweile ausbrach, wurden fremde Küsten angesegelt. Und da ist schon das eine oder andere mitgelaufen worden. Bei mir ist es anders und doch nicht ganz anders. Langeweile darf nämlich auch nicht ausbrechen. Aber ich werde nichts mitlaufen lassen. Dafür ist mein Gefährt einfach etwas zu klein.

Der historische Aspekt soll aber nicht zu kurz kommen. Die Fahrt führt - falls nichts schief geht - unter dem Simplon durch, durch die Po-Ebene und dann der adriatischen Küste entlang und schliesslich nach Sizilien. Interessant dabei ist, dass der adriatischen Küste entlang und auf der Insel Sizilien lauter Städt aufgereiht sind, die ursprünglich von den alten Griechen gegründet worden sind. Das Motto der Reise heisst deshalb "Auf den Spuren der Alten Griechen".

Im Moment bin ich allerdings erst im Wallis (in Chippis). Das Hotel "Les Berges" mit den schlossähnlichen Türmchen dürfte vielleicht jemandem bekannt sein. Man muss ja niemandem sagen, dass es das ehemalige Schlachthaus ist. Die alten Griechen haben es allerdings nicht bis ins Wallis geschafft. Aber die alten Römer haben uns beim Pfynwald eine Strasse hinterlassen. Momentan wird dort gerade die Autobahn gebaut. Offensichtlich wussten die alten Römer schon welches die optimale Linienführung ist.

Die Fahrt vom Jura zum Genfersee und dann der Rhone entlang bis nach Chippis war wunderschön. Etwas bedeckt und nur ganz wenig Regen. Nach Martigny hörte der Regen ganz auf und ein wunderschöner Regenbogen überspannte das Tal (und mein EVO-R). Soviel ich mich erinnern mag, bedeutet das doch, dass es den Rest der Ferien nicht mehr regnen werde.

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Kurze Pause im "Coucou" kurz nach Martigny
 
Zuletzt bearbeitet:
das ist aber super, dass mal ein Wikinger in einem Dreirad griechische Städtegründungen in Italien erkundet!
Fährt sich das neue MacDonald's Federbein so weich wie weisse Brötchen, oder bist Du nur viel schneller damit?
 
Dynamik hat wohl nicht gut aufgepasst im Geschichtsunterricht. Von wegen Wikinger, die im Sommer auf dem Feld gearbeitet haben und erst im Herbst auf Langfahrt gegangen sein sollen. Die Wikinger waren frühe und eher schlecht erzogene Touristen, die wie alle späteren Touristen nicht unbedingt gern froren und nässer wurden als unbedingt nötig. D.h. sie unternahmen ihre Langfahrten im Sommerhalbjahr, wenn das Klima etwas kooperativer war. Den Hof überliessen sie jeweils getrost ihren Frauen. Die würden das schon irgendwie schaffen - taten sie auch. Im Winter war dann Ruhe - grosses erzählen und "spise etter hijertens lust". Die Frauen hatten ja vorgesorgt, dass etwas zu essen da war!

Arona, 28.10.17

Unter den Alpen durch

Man wird älter, wenn man ... Nein, nicht wenn es nicht mehr so schnell vorwärts geht. Ich "flieg" immer noch mit 35 kmh über die Ebene. Nein, wenn man bei jedem Streckenabschnitt denkt, da war ich doch schon einmal mit dem Fahrrad. Die heutige Strecke von Chippis nach Brig hab ich doch schon mit meiner Gattin, mit meinen Kindern und sogar mit einem sportlichen Geschäftsfreund erlebt. Und sie ist immer noch wunderschön und neuartig. Heute hab ich den Weg über Varen gewählt. Ich hatte gehofft, ich könne dabei in der Talsohle bleiben aber der Weg in der Talsohle ist für Fahrräder gesperrt. So gabs eine kleine Bergetappe mit 6 kmh durch die Rebberge.

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Blick von Varen über das Rhonetal

Der Verlad beim Simplontunnel verlief problemlos. Ich wurde vom Lokführer sogar eingeladen, im Füherstand Platz zu nehmen. Mit 120 kmh gings durch die 20 km lange Röhre nach Iselle.

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"Autoverlad" Simplontunnel

Von Iselle gings dann mehrheitlich bergab bis zum Lago Maggiore. Wunderschön aber nicht ganz ungefährlich mit einem Velomobil. Dei Kurven habens in sich. Aber auch diese Strecke bin ich doch schon einmal gefahren. Klar, das war mit Daniela, meiner ältesten Tochter. Von der Simplonpasshöhe runter bis zum grössten Alpensee. Man wird tatsächlich älter.

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Lago Maggiore bei Arona

Dafür erhielt ich vom Hotelier in Arona, am Südende des Lago Maggiore, ein Riesenkompliment für mein Unterfangen mit 66 Jahren auf dem "Fahrrad" Sizilien erreichen zu wollen.
 
OT
Ich hatte gehofft, ich könne dabei in der Talsohle bleiben aber der Weg in der Talsohle ist für Fahrräder gesperrt.
Echt? Ich kam Mitte Oktober zuletzt da durch mit dem Rad und da war die Situation so (wie schon seit einigen Jahren): Für Fahrräder gesperrt (in beide Richtungen) ist lediglich der Tunnel unter Salgesch zwischen den beiden Kreiseln. Bergauf gibt es via Salgesch statt durch den Tunnel vielleicht 10 Hm mehr...
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Der Verlad beim Simplontunnel verlief problemlos.
Wie geil ist das denn? Hast du vorreserviert oder hast du dich auf öffentlich verfügbare Informationen verlassen ("einfach vorgefahren")?
 
Simplontunnelverlad: geht super ohne Reseration, kostet 15 Fr.
Bergstrecke: irgendwie erwische ich immer die Berge. Es gibt natürlich die Kantonsstrasse am Fuss des Pfynwalds, die hat nur wenig Steigung.
 
In Apulien lege ich Dir einen Besuch von Tarento ans Herz - eine morbid verfallende Altstadt, ein altes sehenswertes Castell aber auch die "Neustadt" hat Charme!
Die Fahrt um die Stiefelspitze halte ich für ein Muss - ich war leider nur mit dem Auto dort!
Auf dem Weg nach Sizilien werden Dir Höhenmeter nicht erspart bleiben - aber das kennst Du ja schon aus Galizien!
Allseits gute Fahrt!
 
Ich bin nicht nur schön sondern auch unglaublich schnell. Ganze 170 km haben wir heute geschafft. Und das obwohl die Sonne sich bereits um 4 Uhr verabschiedet. Und vor 10 Uhr sind wir ja selten auf der Piste. Vielleicht hatte Dynamik recht, dass er die Continental-Grandprix-Reifen montiert hat. Vielleicht auch nicht. Denn jedesmal wenn Schlaglöcher kommen, gibt es grosses Slalomfahren. Bis jetzt hat er Glück gehabt. Naja, schauen wir uns doch die nächste Tagebuchseite an.

Piacenza, 29.10.17

Dem Ticino entlang in die Po-Ebene

Velomobil-Fahren ist einfach genial. Man ist viel schneller, muss sich weniger anstrengen und am Schluss erhält man von allen Seiten Lorbeeren, als ob man den Giro d'Italia gewonnen hätte. In Vigevano erging es mir fast so, denn ein Fotograph hatte mein einzigartiges Fahrzeug entdeckt. Zuerst wollte er alles über meine Reise wissen, dann musste das Velomobil in die Mitte der Piazza Ducale geschoben werden. Dann mussten die Leute richtig aufgestellt sein, denn es hatten sich immer mehr Leute angesammelt. Am Schluss hatte er etwa 100 Fotos geschossen und ich konnte losfahren. Aber zuerst musste ich mir eine Gasse durch die vielen Leute bahnen.
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Piazza Ducale in Vigevano

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Noch nie so etwas gesehen

In Pavia war es nicht viel anders. Hier waren es die Mitglieder der Babtist-Church, die sich speziell für mein Velomobil interessierten. Zum Glück hat diese Kirche hier nicht so viele Mitglieder.

Aber auch ohne diese schönen Begegnungen und Gespräche mit den Leuten hier ist das Fahren durch die Po-Ebene traumhaft schön. Die Felder und die Bäume in den Herbstfarben sind wunderschön. Langweilig wird es nie, da man so nahe dran ist. Man kann auch tatsächlich über längere Zeit mit 40 kmh durch die Ebene flitzen. Einmal hat mich ein Rennradler überholt, obwohl ich doch schon etwa mit 35 km/h unterwegs war. Ich wusste dass die Rennradler bei etwa 40 km/h ihre Grenze haben. Also etwas Gas geben. Das merkte er sofort und steigerte sein Tempo auf 40 und dann auf 45. Mit dem Velomobil liegen aber 50 km/h in der Ebene noch gut drin. Also legte ich noch ein Brikett nach und überholte ihn. Das ist ihm wohl noch nie passiert. Allerdings im nächsten Dorf beim Start an der Rot-Ampel war er dann viel schneller weg.

Gegen 5 Uhr hab ich nach 170 km schliesslich Piacenza erreicht und gleich ein schönes Hotel in der Altstadt gefunden. Nun sitze ich auf der Dachterasse bei einem Glas Weisswein, das mir in perfektem Englisch serviert wurde. Auf meine Frage, wo sie so gut Englisch gelernt hat, antwortete die Serviertochter, ihre Mutter sei eben Englischlehrerin.

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Piacenza bei Nacht

Piacenza hat übrigens eine sehr schöne Stadtmauer aus dem 16. Jahrhundert. Aber bereits die Römer hatten etwa 200 v. Chr., als Placentia römische Kolonie wurde, eine solche gebaut. Aber die Gallier hatten unfairerweise nicht gewartet, bis die Mauer fertig war und Placentia angegriffen. Allerdings ohne viel Erfolg. Erst 500 Jahre später als die Alemannen kamen, verloren die Römer diese Stadt. Aber dann war es ohnehin nicht mehr zum Besten bestellt mit dem römischen Reich.
 
Verkehr in den italienischen Städten
Obwohl jede italienische Stadt eine Umfahrungsstrasse hat, habe ich keine Stadt am Weg ausgelassen. Es ist wunderschön mit so 10 kmh durch historische Stadtzentren zu gondeln. Der Verkehr stört mich nicht. Die Fahrer passen schon auf. Der Strassenbelag ist natürlich meistens auch historisch. Und oft ist ja die Innenstadt für Autos gesperrt. Die Leute winken und ab und zu winkt auch ein Glas Wein.
 
Der Strassenbelag ist natürlich meistens auch historisch
Eine Diva wie das EVO-R meistert sicher auch das Kieselpflaster mit Stöckelschuhen (bzw. schmalen Conti GP) (y)
Da bieten sich doch in der Regel gleich ein paar Kavaliere an, um das Ding zu tragen ? :p
Insgesamt eine schöne Unternehmung - da werde ich echt neidisch !
 
Heute waren wir wieder flott unterwegs. 156 km mit einem Schnitt von 22 km/h. Ist doch ganz gut. Aber Dynamik meint, etwas stimmt mit dem Sitz nicht. Eine Carbonschale mit Ventisitz ist natürlich noch kein Fernsehsessel. Nach langem Nachdenken - und dafür hat er ja Zeit, denn er muss ja fast nichts tun bei diesen flachen Strassen - ist ihm die Lösung eingefallen: der Neigungswinkel sei falsch. Distanz bei der oberen Abstützung des Sitzes um 5 cm verringert und seit dem ist alles gut. Ist ja auch logisch, denn jetzt ist die Belastung viel besser verteilt.


Bologna, 30.10.17

E solo una bici un po speciale

Heute Morgen auf der Suche nach dem besten Weg aus dem Gassenlabyrinth von Piacenza wurde ich von einer Dogge ganz böse angeknurrt. Zum Glück sass ich schön gesichert in meinem Carbonpanzer. Da höre ich wie die Besitzerin ihren Hund zu trösten versucht. Er müsse keine Angst haben, "E solo una bici un po speciale". Tia, wer hat da wohl mehr Angst gehabt.

Nach einigen Irrläufen hab ich dann die Strasse nach Parma doch noch gefunden. Vormittags ist es hier noch etwas frisch aber in meinem Velomobil war es nach ein paar Kilometern bald gemütlich warm. Das ist der Vorteil der "integrierten" Heizung. Die 60 km nach Parma waren rasch vorbei, da es hier ja keine Berge gibt. Nicht einmal den kleinsten Hügel. Streckenweise ist die Landschaft wunderschön ländlich, streckenweise aber auch durch Industrie "verändert" .

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Kurz vor Modena

Parma ist wunderschön. Aber das kann man ja fast von allen italienischen Städten sagen. Auch Modena (etwa 60 km später) ist ein Juvel. Mit dem Velomobil kann man, da es als Fahhrrad gilt, gemütlich durch die für den Autoverkehr verbotenen Altstadtzonen kurven. Und dabei wird man immer mit Komplimenten für das Velomobil überhäuft.

Das absolute Highlight war aber Bologna, das Etappenziel für heute. Man könnte tagelang durch die alten Gassen von Bologna schlendern. Im Hotel Orologio habe ich eine wunderschöne Herberge gefunden. Das Zimmer unter dem Dach ist gemütlich und stilvoll eingerichtet. Das Problem mit dem Schlafplatz für mein EVO-R wurde ganz elegant gelöst. Die Besitzerin - eine gediegene Dame in den 80-ern - war vollständig begeistert von der Schönheit des EVO-R. Sie meinte, man solle das Velomobil in den Empfangsraum stellen, man könne dies für Werbezwecke verwenden. Umso besser.

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Im Empfangsraum des Hotels Orologio in Bologna

Bologna wurde übrigens im Jahre 189 v. Chr. römische Kolonie. Und die Römer hatten Sinn für Ordnung. Ein schachbrettartiges Strassensystem mit zwei sich kreuzenden Hauptstrassen und sechs bzw. acht parallelen Nebenstrassen teilten die Stadt in regelmässige Rechtecke ein. Und diese sind bis heute erhalten geblieben.

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Bologna by night
 
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