Ich habe erst vor wenigen Tagen von diesem fantastischen Thread sowie ähnlichen und dem obigen Beitrag von Georg Rasmussen gehört. Das Thema interessiert mich schon seit Jahren, leider nicht praktisch, da ich in der Schweiz wohne, wo es auf den wenigsten Strassen brauchbare Winde gibt, sondern als Versuch zu quantifizieren, wieviel auf einem Rundkurs mit einem Velomobil theoretisch gesegelt werden könnte. Die folgenden Ausführungen entstammen also meinem Wissensstand vor der Lektzüre dieser Beiträge im VM-Forum.
Ich habe dazu eine Tabellenkalkulation gemacht. Der erste Schritt besteht darin, den scheinbaren Wind als Vektoraddition des wahren Winds und des Fahrzeuggegenwinds zu bestimmen. Dann braucht es neben den üblichen Fahrzeugparameter die Auftriebs- und Widerstandsbeiwerte der Verschalung. Ich habe dazu die bekannten Bücher von S.F. Hoerner, Fluiddynamic Drag und Fluiddynamic Lift, studiert. Die üblichen Berechnungen für Flügel bzw Segel gehen nur sehr bedingt, da die Streckung (aspect ratio AR) einer Verschalung mit ca. 1 sehr klein ist, während die meisten Daten sich auf hohe AR beziehen. Auch die Methode, vom Fall AR = unendlich den indizierten Widerstand dazuzurechnen, greift wohl zu kurz und es braucht echte Messungen von Körpern mit kleinen AR.
Solche Messungen und auch theoretische Berechnungen gibt es in Hoerner etliche, aber nur für den Auftrieb (d.h. beim VM die Seitenkraft), und Widerstandsmessungen fand ich nur für einen einzigen Körper, den olympischen Diskus. Da ein halber solcher Diskus eine passable VM-Verschalung darstellen könnte (bei denselben Reynolds Zahlen), habe ich für meine Tabellenkalkulation eine Funktion gebastelt, die den publizierten Daten etwa entspricht.
Dieses Bild zeigt den Auftriebsbeiwert von Flügeln mit niedrigem AR sowie dem erwähnten Diskus. Es zeigt sich, dass der Strömungsabriss bei immer grösseren Anströmwinkeln geschieht, desto kleiner AR ist. Beim Diskus zeigt sich eine abrupte Verschlechterung ab 27°. Die Widerstandsbeiwerte liessen sich hier nicht gut darstellen, aber ich habe die Verhältniss Auftrieb/Widerstand (L/D) ungefähr vermerkt, und es ist diese Zahl, die uns interessiert, besonders das Maximum von 3 bei etwa 13°.
Die Übernahme dieser Daten stellt allerdings eine starke Vereinfachung dar. Der halbe Diskus (hochkant) als Verschalung hat zwar denselben AR um 1 bis 1.27 (je nach Definition), aber der Boden macht natürlich viel mehr aus. Einerseits übt der Boden des Fahrzeugs einen zusätzlichen Widerstand aus, auch wenn offen, und andererseits bremst der Boden den wahren Wind, was auch den scheinbaren Wind verdreht: ganz in Bodennähe kommt er von weiter vorne. In der Tabellenkalkulation habe ich zudem den seitlichen Schlupfwinkel und den zusätzlichen Widerstand der seitlich belastetetn Reifen nicht berücksichtigt. Die Resultate sind also grob optimistisch.
Hier ein Bild der Tabellenkalkulation (die Datei selbst liess sich nicht anhängen):
Es wird eine Fahrt um einen Halbkreis herum berechnet, beginnend mit einem genauen wahren Gegenwind (0°) bis zu einem wahren Rückenwind (180°). Zunächst wird die benötigte Leistung bei Null wahrem Wind berechnet, hier also 182 W. Das ist also hauptsächlich der Luftwiderstand bei der gewählten Fahrgeschwindigkeit (Achtung: CD bezieht sich auf die projizerte seitliche Fläche, nicht Stirnfläche) und der Rollwiderstand. Optional noch eine Steigung, hier Null. Das ist also die rote Linie. Dann kommt der wahre Gegenwind dazu; jetzt werden fast 400 W benötigt. Wenn nun der Wind nur ganz wenig seitlich kommt, reduziert sich die benötigte Leistung sofort: das Hybridsegeln findet also bei jedem Winkel statt. (Die scharfe Spitze irritiert mich: ich hätte eine Abrundung wie bei 180° erwartet.) Von 55° an (= wahrer Wind, der (hier verdeckte) scheinbare Wind kommt von 20°) findet echtes Segeln statt. Um die definierte Geschwindigkeit von 10 m/s zu behalten, muss nun gebremst werden, bis ca. 150°, und dann bis 180° wieder leicht getreten werden. Der "günstigste" Kurs ist also um 100°. Könnte die Segelenergie gespeichtert werden (z.b. mit elektrischer Nutzbremsung) würde über den ganzen Halbkreis ein Energiegewinn stattfinden (Punktlinie, gemittelt ca. 15 W, bei 100% Wirkungsgrad). Geht diese Energie jedoch durch nichtregeneratives Bremsen verloren, beträgt die mittlere benötigte Leistung ca. 70 W (gestrichelte Linie), also gut 100 W weniger als ohne Wind. Das ist also echtes Hybridsegeln.
Es ist zwar nur ein ungenaues Gedankenexperiment mit etlcihen falschen Annahmen, das aber zeigt, dass theoretisch bei jedem kreisförmigen Rundkurs und jedem Wind Energie gerntet wird. In der Praxis mit böigem Wind dürfte dies allerdings weniger zutreffen, so dass die Rekorde auf Rundkursen weiterhin mehr oder weniger der menschlichen Leistung entsprechen. Aber es ist sicher möglich, bei günstigen Bedingungen zu proftitieren, wie die in diesem Thread gezeigten Beispiele belegen.