Aerodynamik bei Seitenwind für Vortrieb

Angeregt durch den Disput in der VM-Grundwissen-FAQ knüpfe ich jetzt hier nochmal an:
In erster Näherung entsteht Vortrieb wenn die seitlich auftreffende Luftströmung mehr zum Heck abgelenkt wird als zum Bug.
Das sollte eigentlich dann der Fall sein, wenn der breiteste Punkt des Fahrzeugs möglichst weit vorne liegt und es dahinter gleichmäßig Spitz zuläuft. Das ist bei den meisten VMs gegeben.
Die dabei entstehende Kraft sollte ja im Stand mittels Federwaage noch relativ einfach zu messen sein. Vermutlich verwirbelt die Luft hierbei auf der wind-abgewandten Lee-Seite bereits stark. Trotzdem kann dies ausreichen, dass das Fahrzeug losrollt, wie man in meinem Video sehen kann.
Je schneller es wird, desto günstiger wird die Richtung der Gesamtströmung und diese legt sich auf der Lee-Seite mehr und mehr an. Dies führt nach gängiger Lehre dort zu einem Unterdruck. Dieser erhöht die Gesamtkraft auf das Fahrzeug. Angenommen man würde mit Windgeschwindigkeit fahren, so dass der scheinbare Wind aus 45° käme, um welchen Faktor würde sich diese Gesamtkraft erhöhen?

Umgekehrt wäre das dann auch eine Erklärung für den vermuteten Effekt der Stormstrips.
 
Dieser erhöht die Gesamtkraft auf das Fahrzeug. Angenommen man würde mit Windgeschwindigkeit fahren, so dass der scheinbare Wind aus 45° käme, um welchen Faktor würde sich diese Gesamtkraft erhöhen?
Die seitliche Kraft durch Seitenwind aufs VM dürfte bei nennenswerter Vorwärtsfahrt etwa proportional von der Fahrgeschwindigkeit abhängen. Nur für langsame Fahrt, bis runter zum Stillstand, wird die Proportionalität nicht stimmen.
 
Die seitliche Kraft durch Seitenwind aufs VM dürfte bei nennenswerter Vorwärtsfahrt etwa proportional von der Fahrgeschwindigkeit abhängen.
Ja, proportional und nicht quadratisch wie bei Anströmung von vorne. Wie kann man sich das veranschaulichen: Bei seitlicher Anströmung treffen bei höherer Geschwindigkeit pro Sekunde viel mehr Luftteilchen seitlich auf das Fahrzeug auf und liefern ihre Bewegungsenergie ab.
Das hattest du hier schon mal angemerkt:
Das ließe sich aufs Fahrzeug mit konstantem Seitenwind etwa so übertragen, dass die seitwärts wirkende Windkraft ungefähr linear mit der Vorwärtsgeschwindigkeit steigen dürfte.
Also nehmen wir 30km/h wahrer Seitenwind bei 30km/h Fahrgeschwindigkeit an.
Was würdest du schätzen welchen Anteil der Unterdruck auf Lee an der gesamten seitlichen Kraftkomponente und welchen bei der Vortriebskraft hat?

Kann man da irgendetwas rechnerisch abschätzen unter der Annahme dass die Strömung lee-seitig vollständig anliegt?
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Überlegung geht so:
Die Luftkräfte gehen allgemein mit dem Quadrat der Geschwindigkeit;
Die Seitwärtsluftkraft am VM ist proportional zum Schräganblaswinkel („Anstellwinkel“ des VMs gegenüber der Luft);
Die Fahrgeschwindigkeit sei deutlich größer, als der konstante Wind;
Bei Windrichtung (im ortsfesten System) senkrecht zur Fahrtrichtung ist dann der Schräganblaswinkel ungefähr umgekehrt proportional zur Fahrgeschwindigkeit;
Damit bleibt zusammen nur noch: Fq ~ v^2/v = v

Das sind schon ziemlich viele Annahmen. All zu viele Erkenntnisse sollte man davon nicht abzuleiten versuchen.
Vor allem da einen Zusammenhang zum Vortrieb herzustellen, wird sicher nicht klappen.
Aber es reicht, um das eh schon bekannte nochmal festzustellen: Wenn man starken Seitenwind hat, der einen umzukippen droht, dann sollte man bremsen!
 
Jetzt mal sehr weit aus dem Fenster gelehnt.

Angenommen, der Seitenwind ist schwach genug, und das VM schnell genug, so dass der Schräganblaswinkel klein genug ist, dass keine Ablösungen auf der Leeseite auftreten und das aerodynamische Verhalten soll in dem Bereich mal ideal sein und schön linear. Dann könnte man erwarten, dass der Vortrieb in Fahrtrichtung durch den Segeleffekt als Kraft etwa konstant ist. Denn die Luftkraft, die aus der Schräganströmung resultiert, ist proportional Fahrgeschwindidkeit, und der Anteil dieser Luftkraft in Fahrtrichtung wiederum umgekehrt proportional. Daraus das Produkt ist eben konstant.

Die geschenkte Leistung durch den Segeleffekt wäre damit wieder proportional zur Fahrgeschwindigkeit.

Ich glaube aber, dass die Wirklichkeit wesentlich komplizierter ist und diese Überlegungen sind rein akademisch. Praxisrelevant ist der Segeleffekt nur in Ausnahmesituationen. Ein VM daraufhin zu optimieren wäre m.E. Unsinn. Böenunempfindlichkeit ist dagegen ein ganz anderes, aber sehr praxisrelevantes Ziel.
 
Ein VM daraufhin zu optimieren wäre m.E. Unsinn. Böenunempfindlichkeit ist dagegen ein ganz anderes, aber sehr praxisrelevantes Ziel.
Vielleicht ist das Ziel beim Milan ja bereits weitgehend erreicht:
Kennt jemand einen Milan mit Stormstripps? Habe solches noch nicht gelesen - sind sie also gar nicht notwendig.

Ich habe das Diagramm aus Beitrag #97 noch etwas besser aufbereitet:
1577983619576.png
Details siehe dort.
 
Ich! Hatte sogar einen mit Stormstrips in der Garage. Aber erfuhr damit keine Verbesserung wie beim Quest. Also wieder abgemacht.
 
Hier noch angefügt zwei Seitenwind-Diagramme mit höheren Seitenwinden:
upload_2018-4-29_4-29-38.png


Auch ich habe Seitenwinderfahrungen gemacht: meistens von schräg hinten aber bei moderaten,böigen Wind. Das spürt man vor allen daran, dass der Wind in den Nacken bläst, die Haube liften möchte, und das VM beschleunigt ...
Ausführlicher hier erklärt.
Wie wird sich der "Bodeneffekt" bei Fahrt gegenüber obigen Berechnungen auf Grund der Windkanal-Messungen auswirken?
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Quest.
In der Draufsicht entspricht die Rumpfform dem Schnitt einer Tragfläche mit vollsymetrischem Profil - interessanterweise ziemlich genau dem GOE 776 (goe776-il) :

Da kann man schon so einiges mit anfangen.
Schön auch diese Seite:
 
In der Draufsicht entspricht die Rumpfform dem Schnitt einer Tragfläche mit vollsymetrischem Profil - interessanterweise ziemlich genau dem GOE 776 (goe776-il) :

Da kann man schon so einiges mit anfangen.
Ähnliches hatten wir ja auch schon in #83 diskutiert.
Inzwischen haben wir in #97 nicht nur ein ähnliches Tragflächenprofil, sondern ein vermessenes "Milan-Profil".
Die Frage war ob bei diesem der Bodeneffekt beim rollenden Milan ein völlig anderes Ergebnis zeitigt wie oft behauptet.
Oder sind die Abweichungen in der Größenordnung z.B. eines zusätzlichen Außenspiegels.
 
Tragflächenprofil
Die Flugzeugflügel-Analogie wiederholt sich ja durch die verschiedenen Threads und bleibt dennoch unzutreffend.
Ein Flügelprofil ist dafür gemacht, in engen Anströmwinkelbereichen bestmöglichen Auftrieb zu Widerstand erzeugt. Am Flügel strömt an Ober- und Unterseite die Luft im gewünschten Fall ausschließlich
von Vorne nach hinten und praktisch nicht quer dazu.
Am VM
- treten ganz andere Winkel der Luftströmung zur Mittelachse auf
- ist auf der Leeseite die Strömung oft vollturbulent und in weiten Bereichen abgelöst.
- VM entsprechen im o.g. Vergleich am ehesten den Verhältnissen am Flügelende ("Randbogen"). Dort gibt es in.d.R. eine heftige Quer-Strömung von der Unterseite seitlich um den Flügelrand herum. Relativ unabhängig vom Profilverlauf.

Daher kann man Flügelprofil-Vergleiche vergessen, auch wenn's so nett ähnlich aussieht.

Der "Bodeneffekt" der Fliegerei (dort mit Gleitweg verlängernder Wirkung) findet in einem ganz anderen Abstand zum Boden statt (1 bis x Meter).
Die Quetsch-Vorgänge der Luft unter dem VM hängen im Wesentlichen von einer hoch oder tief angeordneten "Nasenspitze" (Staupunkt der Luft) und einem flach verlaufenden oder hinten hochgezogenen Karosserieverlauf ab, (und teilweise auch vom Formverlauf der Karosse).
Dabei steht ein möglichst Fahrbahn-Paralleler VM-Boden leider im krassen Gegensatz zur Forderung, Bordsteine und Rampen befahren zu können ohne aufzusetzen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Am VM
- treten ganz andere Winkel der Luftströmung zur Mittelachse auf
- ist auf der Leeseite die Strömung oft vollturbulent und in weiten Bereichen abgelöst.
Gut, @sanktnelson widerspricht dir dort nicht direkt:
Aber deswegen ist die Leeseite nicht egal.
Beim Segeln kommt man zwar auch mit in Lee abgerissener Strömung vorwärts, aber wenn die Strömung anliegt hat man viel mehr Schub.
Letzten Endes ist es nur Impulserhaltung: Je mehr Luft du nach hinten umlenkst, desto mehr schiebt es dich nach vorne. Und wenn die Strömung auch in Lee anliegt, wird wesentlich mehr Luft gezielt umgelenkt anstatt nur chaotisch zu verwirbeln.
Jedoch ist bei der Milan-Messung bei Anströmung von 30°-140° ein nennenswerter Vortrieb entstanden.
Du meinst also der kommt fast ausschließlich aus der Anströmung auf der Luv-Seite. Sei's drum.
AntoineH schrieb:
- VM entsprechen im o.g. Vergleich am ehesten den Verhältnissen am Flügelende ("Randbogen"). Dort gibt es in.d.R. eine heftige Quer-Strömung von der Unterseite seitlich um den Flügelrand herum. Relativ unabhängig vom Profilverlauf.
Ja, das habe ich auch erlebt: beim VM die Überströmung von Luv- zur Lee-Seite, welche versucht den Deckel abzuheben.
Gerade diese will ich ja z.B. durch meine aufgeklebten Winglets reduzieren, um so mehr Luft nach hinten umzulenken.
 
Die Frage war ob bei diesem der Bodeneffekt beim rollenden Milan ein völlig anderes Ergebnis zeitigt wie oft behauptet.
Oder sind die Abweichungen in der Größenordnung z.B. eines zusätzlichen Außenspiegels.
"Wie oft behauptet", habe da noch keine gegensätzliche Aussage mitbekommen ??? Kann ja nur ein Milanfahrer in Verbindung mit Seitenwinderlebnis gewesen sein, der von einem völlig anderes Ergebnis "gefühlt" berichtet hat ?
Interessant scheint mir der verbesserte Vortrieb bei Seitenwind von schräg vorn ab 18 Grad (neg. Cw-Wert max. bei 75 Grad) zu sein, weil es den Gedanken zuwider läuft, das Gegenwind von schräg vorn sich deutlich Fahrt unterstützend auswirken würde. Beim Quest fühlte ich bis jetzt nichts davon, obwohl es schon mehrere solcher Situationen gab. Derartige Erzählungen über den Milan habe ich auch erst geglaubt, als mir CAS mehrfach von seinen eigenen Erlebnissen darüber berichtete und ich die Ostfalia Windkanal-Ergebnisse von S.Apel über @Ventoux bekommen habe.

Ich erinnere mich noch das er mir erzählte das er bei einem 300km Brevet Lingen->Niederlande->Lingen bei heftigen Gegenwinden von 60 km/h auf 70-90 km/h beschleunigt, dabei regelrecht in den Sitz gedrückt wurde ( ohne weitere Anstrengung), er hatte keinen Grund mir die Taschen zu füllen.

Schade das nicht andere VM dahingehend im Windkanal untersucht wurden, ob es da diesen Effekt auch gibt. Ah, der kleine Kanal ist fertig: https://wiki.sonia.de/display/HUMW/Der+Windkanal
@labella-baron wende Dich doch mal an Milanfahrer https://www.ostfalia.de/cms/de/ikam/personal/professoren/kli/
Vielleicht gibt es diesbezügliche Messungen von anderen VM, sonst mein Quest mit Rennhaube könnte ich dort zur Messung zur Verfügung stellen.

@labella-baron hast Du die email von Ventoux ? Ich habe hier sein Excel mit noch viel mehr Ergebnisauswertungen/Diagrammen von den damaligen Milan Windkanalmessungen von S.Apel. Muss er Dir aber selbst geben, vielleicht wollt ihr einen Austausch.

Gruß Leonardi
 
Gerade diese will ich ja z.B. durch meine aufgeklebten Winglets reduzieren, um so mehr Luft nach hinten umzulenken.
Das Höhe:Tiefe- Verhältnis eines Flugel-Winglets ist ein völlig gegensätzliches zu Deiner Bauart, die mehr mit einem Grenzschicht-Zaun gemeinsam hat. Am ehesten könnte ich mir dabei die Wirkung eines Turbulators vorstellen.
Nochmal kurz das Obige zusammengefasst:
Ein VM-Rumpf ist ein Verdränger und kein Flügel. Flügel sind mehrfach "länger" (Spannweite) als ihre Profiltiefe.
Die Strömungsverhältnisse und Anstellwinkelbereiche sind nahezu komplett verschieden.
VM-Karossen haben nicht den Bodeneffekt eines Tragflügels.
Ein Vergleich von VM-Rumpfformen mit Tragflächenprofilen könnte dem Auge des Betrachters gefallen, beide haben aber ganz unterschiedliche Randbedingungen und Erfordernisse.
 
Ein Vergleich von VM-Rumpfformen mit Tragflächenprofilen könnte dem Auge des Betrachters gefallen, beide haben aber ganz unterschiedliche Randbedingungen und Erfordernisse.
Und dennoch funktioniert es bei dieser Windenergieanlage. Jetzt ist nur die Frage offen, ob man das Profil so nieder machen kann wie ein Velomobil hoch ist.
Deiner Bauart, die mehr mit einem Grenzschicht-Zaun gemeinsam hat
Dann werde ich mich wohl mehr mit dem Grenzschichtzaun beschäftigen müssen.
 
Auch beim Darrieus-Rotor ist der Flügel ja sehr lang, also im Fachjargon „hoch gestreckt“. Genau das ist beim VM nicht der Fall.
Daher lässt sich Profilaerodynamik nicht einfach auf auf VM übertragen. Der Sonderfall des (senkrecht zur Strömungsrichtung) gestreckten Flügels lässt die Vereinfachung zu, einen 2D-Querschnitt aka Profil zu betrachten.

Das VM ist ein schlanker Strömungskörper (der also längs der Strömungsrichtung gestreckt ist). Damit ist da nix mit 2D, es ist alles 3D. Man kann nur sehr wenig vom Flügel aufs VM übertragen. Da man sich gerne an das bisschen klammert, was man kennt, ist die Versuchung aber leider groß.
 
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