Aus welchen Gründen fahrt ihr Velomobil oder habt ihr Interesse bekommen ?
Ich hab
fast 20 Jahre lang nur rumgesessen und mußte mich wieder bewegen. Nun bin ich wieder süchtig (>1000km pro Monat).
Welche Rolle spielt die Nutzung des V. für Nachhaltigkeit und das Gefühl, den CO2-Fussabdruck zu verbessern ?
50% Fitness, 50% gutes Gefühl (wenn ich denn pendeln würde: Home Office wg. Corona, bin vor dem Milan aber mit der Bahn gefahren). Ein Milan SL ist jedoch zu unpraktisch, um Alltagsfahrten jenseits des Berufspendelns zu absolvieren. Aber ich fahr eh nur wenig Auto. Die letzte Tankfüllung hat fast fünf Monate gereicht.
Ist für euch das Velomobil ein Beispiel für eine gelungene Nachhaltigkeits-Transformation und welches Potential seht ihr in Zukunft für die Verbreitung der Velomobile aus diesem Grund ?
Das Potential ist bei der momentanen, homöopathischen Durchsetzung natürlich immens, aber leider nur theoretisch. Mathematisch. Die Realität, daß der Mensch ein Herdentier ist, macht dem ganzen aber einen Strich durch die Rechnung. Zivilisation hin, Kultur her, evolutionär lebt das menschliche Hirn immer noch in der Steinzeit. Alles außerhalb
des eigenen Stammes ist fremd, wird mit Argwohn betrachtet und erstmal grundsätzlich mißtraut; Personen wie Dingen. Dazu gehört auch das Verhalten. Wer anders ist, gehört nicht dazu. Und daran scheitert's immer noch.
Zwar werden große Reden geschwungen und Individualität propagiert, aber wehe, man ist zu individuell, dann ist man schnell wieder fremd. Die Spitze der heutigen Individualität ist ein 3er BMW, der in jaune hélios anstatt dakargelb lackiert ist. Voll individuell... daß es trotzdem nur einer von 27 millionen 3er BMWs ist, wird ausgeblendet.
Velomobile sind anders, ungewohnt und fallen total aus dem Raster. Muß ich hier ja niemandem erzählen. Aber genau deswegen stoßen sie auf Ablehnung. Würden sie einen wirtschaftlichen Vorteil bringen, sähe das anders aus, aber das ist ja nicht der Fall.
Nun gibt's immer auch die, denen Gruppenzwang egal ist. Entweder, weil's ihnen wirklich einfach egal ist (so jemand landete früher gern auf dem Scheiterhaufen), oder weil sie schon alle Schwanzvergleiche hinter sich haben und in sich ruhen können. Rangordnungen gibt's heute wie früher. Und wer noch jung ist und/oder sich ganz unten befindet, hat kein einfaches Leben, wenn jeder auf ihm herumhacken kann, darf und tut. Das ist purer Streß. In solch einer Situation noch aus der Reihe zu tanzen, wird sich niemand leisten, der Gruppenzwang verspürt.
Und dann ist da noch der Preis. Kein Wunder, daß Velomobile hauptsächlich von älteren gefahren werden. Mal abgesehen davon, daß die mehr Zeit zum Sparen hatten, lag bis zur Jahrtausendwende das Geld doch auf der Straße, wenn wir mal ehrlich sind. Heute in den Arbeitsmarkt einzusteigen ist kein Spaß mehr, vor allem nicht, wenn man nur durchschnittlich ist. Zwei Vollverdiener, die gerade so über die Runden kommen, werden sich keine zwei Velomobile leisten können, weder finanziell noch sozial (s.o., Gruppenzwang) und womöglich auch nichtmal zeitlich (das Hamsterrad überwältigt alles).
Ich habe daher wenig Hoffnung, daß sich Velomobile mittelfristig etablieren. Die, die trotzdem welche fahren, sind in der Anzahl viel zu wenige, als daß der Anblick irgendwann mal kein Kuriosum mehr sein würde, und für den Rest hat es zuwenig Nutzen. Zu teuer, zu unpraktisch. Nicht jeder kann am Ankunftsort immer duschen, Ein- und Ausstieg sind umständlich, Motorisierung ist nicht immer erhätlich bzw. macht es noch teurer. Der Mensch ist faul und hat zudem noch genug andere Baustellen.
Das mögen viele hier anders sehen, aber hier ist niemand normal, auch wenn man sich normal vorkommt. Dessen sollte man sich bewußt sein. Und natürlich ist auch der Bekanntenkreis auch nicht normal, denn warum sollte man sich mit Freuden herumschlagen, die so gar nicht zu einem passen? Natürlich gesellt man Gleichgesinnte um sich. Eine vorhandene Akzeptanz im Freudes- und Bekanntenkreis ist daher nicht aussagekräftig.
Warum taucht das Velomobil in der Diskussion um eine verkehrspolitische Wende nie auf ?
Meine folgende Meinung bezieht sich hauptsächlich auf die Situation außerhalb von Großstädten. Mehr Erfahrung hab ich nicht.
Velomobile sind verkehrstechnisch von der Anzahl her nicht relevant. Andererseits ziehen sie unbequeme logische Schlussfolgerungen nach sich und tun gut daran, ignoriert zu werden, wenn man den Status Quo (auch argumentativ) erhalten möchte. Wenn Fahrräder in der Verkehrswende eine Rolle spielen sollen, so muss ihre Durchschnittsgeschwindigkeit eine Rolle spielen. Man kann die heutige Hetze nicht einfach entzerren, nur weil man das gerne so hätte. Also muß auch der Radverkehr fließen, und zwar schnell. Normale Radwege sind aber nur für ambitions- und ziellose Freizeitradler in Schrittgeschwindigkeit ausgelegt, heutige und auch zukünftige. Eine höhere Anzahl an Radwegen darf darüber nicht hinwegtäuschen.
Wie man deutsche Autobahnen eigentlich überall gut mit 250 km/h befahren kann, sollte man dies auf Radwegen, zumindest außerorts, auch mit 50 km/h tun können (bitte keine Schnappatmung jetzt, Tempo 50 sind für den normalen Radler soviel wie 250 für den normalen Autofahrer, nämlich eine ganz andere Welt). Solche Radwege würden aber zwangsläufig eine komplett getrennte Infrastruktur erforden, was weder finanziell noch ökologisch Sinn macht und vom Platz her schon gar nicht zu realisieren ist (Mehrspurigkeit). Daher: Fahrräder auf die Straße. Solange das nicht passiert, haben wir ein Henne-Ei-Problem. Ohne entsprechende Infrastruktur kein Bedarf an schnellen Fahrrädern und ohne schnelle Fahrräder kein Bedarf an entsprechender Infrastruktur. Und ohne beides keinen echten Einfluß auf irgendeine Verkehrswende.
Das Velomobil, dem ich am ehesten den Durchbruch zutraue, wäre ein Quattrovelo als S-Pedelec für unter 4000 Euro. Aber auch das wird hart, auf allen Ebenen. Bekannte neulich: sowenig Platz, daß der Berlingo (3 Kinder) nicht auf den Hof paßt. Aber natürlich wäre ein zweites Auto für die ganzen Alltagsfahrten praktisch - am besten Elektro, wegen der Umwelt. Mein Vorschlag: kauft euch ein gebrauchtes CityEl für zweieinhalbtausend Euro. Das paßt nicht nur auf den winzigen Hof sondern sogar in die noch kleinere Garage. Wurde wegen der der mangelnden Crashsicherheit abgelehnt - obwohl sie Teil meines ebenfalls nicht normalen Bekanntenkreises (s.o.) sind. Es ist noch ein langer Weg, wenn schon Leicht-KFZ solche Akzeptanzprobleme haben. In den nächsten zehn Jahren sehe ich daher keine Veränderung. Die Verkehrspolitik wird sich nach wie vor mit Autos beschäftigen, in den Köpfen werden Fahrräder weiterhin nur wenig mehr als Draisinen sein und Velomobile nicht dem Kuriositätenkabinett entkommen können.
...Mike