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Meine Güte! Ich vermeide lediglich haltloses Rumspekulieren, wohingegen Du ausgesprochen viel Freude daran zu haben scheinst. Wenn einem das wichtig ist kann man auch einfach im Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig nachlesen und stellt fest: Ja, darin ist von den Klickpedalen die Rede. Und nein, von der Konstellation der Sterne ist nicht die Rede. Woraus sich möglicherweise erklärt, warum der BGH das Eine erwähnt, das Andere aber nicht.Dir ist also nicht klar, dass allein der Hinweis auf mögliche Mitbeteiligung (hier der Klickpedale) eine Veränderung der Sichtweisen bedeutet? Das Gericht hätte genauso gut schreiben können, die Konstellation der Sterne könnte eine Rolle gespielt haben. Oder der Mageninhalt des MTB-Fahrers. Muss nicht, könnte ja aber sein. Nun, warum tat das Gericht das nicht und verwies stattdessen aber auf die Klickpedale? Und Du glaubst nun, das spiele gewisslich keine Rolle für die mögliche Schuldzuweisung, weil es ja nur als "könnte" bezeichnet war?
Ich hatte ja überlegt, das Suchen, Finden und Lesen des Urteils Dir als Fingerübung zu überlassen. Rein, damit Du's lernst. Käme mir aber irgendwie kindisch vor. Also hier Auszüge (!) aus dem langen Urteil:
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Mit Beschluss vom 24.03.2017 (Bl. 381-385 d. A.) hat der Senat darauf hingewiesen, dass der Geschädigte T nicht nur mit unangepasster Geschwindigkeit im Sinne von § 3 Abs. 1 StVO unterwegs gewesen ist, sondern sich vor dem Unfall offenbar auch nicht genügend mit dem Bremsverhalten seines relativ neuen Mountainbikes der Marke Cube Reaction CTC 29 vertraut gemacht hat. Ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen M vom 15.02.2017 (Bl. 283 ff. d. A.) wog das Fahrrad nur rund 11,5 kg und die Pedale des Herstellers Shimano waren einseitig über ein Klickpedalsystem nutzbar. Bei dem Fahrrad bestand - wie bei Bremsversuchen durch den Sachverständigen festgestellt worden ist - wegen der schnell erreichbaren Blockierung des Vorderrades auch bei normaler Sitzposition und Betätigung beider Bremsen eine „hohe Gefahr des Überschlages“ (vgl. S. 22 des Gutachtens M vom 15.02.2017). Dies galt hier insbesondere für den Geschädigten T, der zum Unfallzeitpunkt nach eigenen Angaben 103 kg wog (Bl. 272 d. A.) und nahezu 2 m groß ist (Körpergröße 202 cm gem. Pflegegutachten M vom 27.05.2014, Anlage K2; 1,97 m gemäß Gutachten M, S. 17). Nach den Feststellungen und Berechnungen des Sachverständigen M hätte ein Überschlag des Fahrrades durch bewusste Gewichtsverlagerung nach hinten verhindert werden können.
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Der Geschädigte T hat unfallkausal gegen die auch für Radfahrer geltende Vorschrift des § 3 Abs. 1 StVO verstoßen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 StVO darf nur so schnell gefahren werden, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird, wobei die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften des Fahrzeuges anzupassen ist. Des Weiteren darf gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann.
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Nach den Feststellungen des Sachverständigen M war der Geschädigte mit seinem Mountainbike in dem ihm unbekannten Gelände mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von mindestens 16-20 km/h unterwegs. Bewiesen ist damit eine Ausgangsgeschwindigkeit von mindestens 16 km/h. Soweit die Klägerin eine wesentlich geringere Geschwindigkeit behauptet, ist der Gegenbeweis nicht erbracht. Der Senat hat – auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin aus dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 19.07.2017 und dem Privatgutachten der D vom 6.7.2017 - keine Zweifel an den schlüssigen und nachvollziehbaren gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen M.
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Der Umstand, dass der Sachverständige M einen längeren Bremsweg zugrunde legt als die Länge der gezeichneten Bremsspur von 1,10 m, ist weder „unschlüssig“ noch stellt es sich gar als Verstoß gegen Naturgesetze dar. Als Bremsweg wird der Weg beschrieben, welcher vom Beginn der Bremsung bis zum Stillstand benötigt wird. Die gezeichnete Bremsspur hingegen stellt nur diejenige Strecke dar, während der das Rad/die Räder blockieren. Hier ist es am Ende der gezeichneten Bremsspur (vermutlich) zum Überschlagen des Fahrrades gekommen ist. Der Sachverständige M hat bei seinen Berechnungen (vgl. S. 31 des schriftlichen Gutachtens vom 15.2.2017) auch nicht die von ihm selbst angesetzte Schwellzeit der Bremse von 0,2 Sekunden „vergessen“; vielmehr ist diese ausdrücklich in den ausgedruckten Berechnungstabellen zur Bremsausgangsgeschwindigkeit mit berücksichtigt worden. Es ist auch nicht zutreffend, dass der Sachverständige M bei seinen Berechnungen davon ausgegangen ist, der Stacheldrahtzaun bzw. die Absperrkonstruktion sei für den Geschädigten bereits aus einer Entfernung von 11 m erkennbar gewesen. Zwar errechnet der Sachverständige M (vgl. S. 32/33 des Gutachtens v. 15.2.2017) „eine wahrscheinliche Entfernung zwischen der Augenposition des Geschädigten und Stacheldrahtzaun zum Zeitpunkt der Reaktion in der Größenordnung von 8,5 bis 11,5 m“, im Folgenden, insbesondere auch im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens vom 14.03.2017, legt er jedoch durchgängig die Erkennbarkeit mit einer Entfernung von 8,50 m vor dem Hindernis zugrunde. Die in dem Privatgutachten der D enthaltene photogrammetrische Auswertung und die Schlussfolgerungen hinsichtlich der Entfernung zwischen dem Ende der Bremsspur und der Entfernung zum Zaun (danach sollen es nur 0,9 m sein; vgl. S. 31 des D-Gutachtens) überzeugen den Senat nicht. Die Entfernung zwischen Stacheldrahtzaun und Ende der Bremsspur ist vielmehr ausweislich der Ermittlungsakte mit „ca. 2 m“ angegeben und von dem ermittelnden Beamten PM S offenbar auch so gemessen worden (er hatte jedenfalls einen Zollstock dabei). Die Berechnungen des Sachverständigen M orientieren sich mithin zu Recht an den Feststellungen aus der Ermittlungsakte.
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Mit den sonstigen abweichenden Tatsachenbehauptungen aus dem mit dem Schriftsatz vom 19.07.2017 eingereichten Gutachten der D vom 06.07.2017 braucht sich der Senat allein schon unter dem Gesichtspunkt des § 296a ZPO nicht näher zu befassen. Wie noch auszuführen sein wird, gebietet dieser neue, nach Schluss der mündlichen Verhandlung erhobene und nicht nachgelassene Tatsachenvortrag auch keinen Anlass, die mündliche Verhandlung gemäß § 156 ZPO wieder zu eröffnen. Damit kommt es auch nicht darauf an, dass der nachgereichte, nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 19.07.2017 offensichtlich nicht von ihrem Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt Z unterzeichnet worden ist (vgl. dessen Unterschrift beispielsweise Bl. 404 d. A.), sondern „i. V.“ von einer unbekannten dritten Person, deren Postulationsfähigkeit nicht feststeht.
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Die danach feststehende (Mindest-)Bremsausgangsgeschwindigkeit des Geschädigten von 16 km/h war angesichts der örtlichen Verhältnisse und der Eigenschaften des von ihm gefahrenen Fahrrades im Sinne von § 3 Abs. 1 StVO zu hoch. Der tragische Unfall ereignete sich auf einem abgelegenen Feldweg, der zwei ausgefahrene Fahrspuren mit einem Grünstreifen zwischen und jeweils neben den Fahrspuren aufwies. Im Anschluss an die äußeren Grünstreifen war dichter grüner Bewuchs mit Büschen und Bäumen vorhanden. Wie dem Geschädigten nach seinen eigenen Angaben durch die von ihm benutzte Karten-App bekannt war, handelte es sich bei dem Feldweg um eine „Sackgasse“, die an einem Waldstück endete. Bei dem von ihm benutzten Fahrrad handelte es sich um ein relativ neues, zum Unfallzeitpunkt erst 2-3 Monate altes Mountainbike des Herstellers Cube. Der Sachverständigen M hat dieses Rad mit einer 30-Gang-Schaltung als „Sportgerät“ bezeichnet. Das Fahrrad war weiter ausgestattet mit hydraulischen Scheibenbremsen, die eine deutlich höhere Bremswirkung haben als normale Felgenbremsen sowie Pedalen mit einem einseitigen Klicksystem. Nach den Feststellungen des Sachverständigen M weist das Fahrrad bei starken Bremsungen eine hohe Überschlagsneigung auf.
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Auch wenn der Sachverständige M „aus technischer Sicht“ keine Bedenken gegen die Nutzung der Klickpedale durch den Geschädigten hatte (vgl. S. 6 des Protokolls vom 14.03.2017), begegnet die Nutzung derselben unter dem Gesichtspunkt des § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO in der konkreten Situation gleichwohl Bedenken. Der Geschädigte hätte bei dem Befahren des Feldweges die „normale“ Pedalseite nutzen können und müssen. Bei den vom Sachverständigen M durchgeführten Fahr-/Bremsversuchen mit dem Fahrrad des Geschädigten gelang es dem Probanden bei einer Gefahrenbremsung aus einer Geschwindigkeit von unter 20 km/h nur, einen vollständigen Überschlag zu vermeiden, weil er sich unter anderem über die Beine abstützen konnte (vgl. S. 24 des Sachverständigengutachtens vom 15.2.2017 nebst Lichtbildern). Dies gelang dem Probanden, weil er die Klickpedale - im Gegensatz zum Geschädigten - nicht benutzt hatte. Nach den Ausführungen des Sachverständigen M erfordert es Übung, Klickpedale rechtzeitig zu verlassen, weil der Fuß seitlich herausgedreht werden muss. Dem Geschädigten jedenfalls gelang dies nicht, vielmehr stürzte er ohne Abstützmöglichkeit durch die Beine überschlagend in die Stacheldrahtkonstruktion. Durch die gekoppelten Klickpedale zog der Geschädigte sein Fahrrad hinterher, das anschließend auf ihn drauffiel.
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Den Haftungsanteil der Beklagten zu 1) bis 3) bewertet der Senat nach alledem mit 25%, weil der überwiegende Verursachungsbeitrag infolge von Obliegenheitsverletzungen dem Geschädigten T selbst zur Last fällt. Ein haftungsausschließendes überwiegendes Mitverschulden des Geschädigten - wie vom Landgericht angenommen – liegt nicht vor. Gleichwohl liegen auf Seiten des Geschädigten erhebliche Sorgfaltspflichtverletzungen vor, die den vom Senat angenommenen Mitverschuldensanteil auf Klägerseite von 75% rechtfertigten. Die von der Klägerin angeführte Rechtsprechung steht der Annahme eines überwiegenden Mitverschuldensanteils des Geschädigten nicht entgegen. Es handelt sich ersichtlich um anders gelagerte Fälle, wie sich schon daraus erschließt, dass die zitierte Entscheidung des OLG Hamm eine Verkehrssicherungspflichtverletzung in der Innenstadt betraf, das Urteil des OLG Köln einen ebenfalls an nicht vergleichbarer Stelle über einen Weg gespannten einfachen Weidedraht. Gleiches gilt für die weiter zitierten obergerichtlichen Entscheidungen.
Tu mir bitte einen Gefallen und lies, bevor Du die nächste Packung Spekulatius aufmachst das komplette Urteil - nicht dass es neuerlich aus Mangel an Information und Verknappung zu steilen Thesen kommt, die nicht zu halten sind.
Das Urteil findet sich über diesen Link mit der Suche nach dem Datum "10.08.2017". Der direkte Link wäre dieser - ich vermute aber aus der Erfahrung mit solchen Datenbanken, dass der möglichweise einen eklatanten Mangel an Langzeitstabilität hat.
Und eins noch, rein sicherheitshalber: Ich mache mir die Aussagen und Argumente aus dem Urteil des OLG gewiss nicht zu eigen. Nur, um direkt der nächsten Mißinterpretation und Attacke vorzubeugen. Im Gegenteil, ich finde Einiges daran mehr als krude und bin daher froh, dass der BGH das Urteil kassiert hat.