Ich fahr deshalb immer mit Licht.
Im Prinzip ist alles richtig, was du schreibst, und es ist aus der individuellen Sicht heraus völlig verständlich, dass jeder sich selbst schützen will, indem er möglichst sichtbar und auffällig unterwegs ist. Allerdings birgt dieses Verhalten auch eine Gefahr, die umso größer wird, je mehr Radfahrer sich in immer größerer Zahl bemühen, durch allerlei Maßnahmen möglichst unübersehbar zu werden, nämlich die unausweichlich darauf folgende Abstumpfung der Aufmerksamkeit der Autofahrer.
Es klang in einigen Posting ja schon sehr richtig an: Sehen und auch tatsächlich wahrnehmen sind zwei unter Umständen sehr verschiedene Dinge. Nicht alles, was die Augen rein optisch sehen (können), erreicht auch das Bewusstsein. Vieles an Reizen und Eindrücken wird vom Gehirn ganz einfach ausgeblendet. Ich glaube, die meisten hier kennen das Video schon, in dem mitten in einem Ballspiel eine Person in einem Gorilla-Kostüm auftaucht. Sehr viele Betrachter nehmen den Gorilla nicht wahr, obwohl er sehr deutlich sichtbar ist, praktisch unübersehbar.
Dieser Effekt des Ausblendens ist an sich kein Fehler des Gehirns, sondern erfüllt eine wichtige Funktion: Er soll uns vor Reizüberflutung schützen. Würden alle Eindrücke ungefiltert auf uns einströmen, wäre die Folge, dass wir in kurzer Zeit durchdrehen.
Prinzipiell also positiv, aber im Straßenverkehr kann das natürlich fatale Folgen haben. Es gibt Untersuchungen, dass Autofahrer nur einen Prozentsatz der Verkehrszeichen überhaupt wahrnehmen, meine Erfahrung zeigt darüber hinaus, dass Autofahrer auf Warnhinweise aller Arten erst dann reagieren, wenn sie auch tatsächlich die angekündigte Gefahr erkennen.
Auch hier könnte man nun auf die Idee kommen: Dann machen wir die Schilder halt noch größer und optisch auffälliger, in den grellsten Neonfarben und stellen sie in immer kürzeren Abständen auf, etc. Was aber wäre der Effekt? Die Menschen würden sich an die immer stärkeren Reize gewöhnen, die Schwelle der Wahrnehmung stiege dadurch immer weiter an und irgendwann schalten sie dann ganz ab und fahren nur noch stur mit Tunnelblick durch die Landschaft, weil alles andere sie überfordert.
Das Fatale an so einem Aufrüstungsszenario liegt darin, dass es immer leichter wird, Menschen die Schuld in die Schuhe zu schieben, die ganz normal zu Fuß oder per Rad unterwegs sind. Ein Blick in die STVO dagegen reicht: Ich darf als Autofahrer/Verkehrsteilnehmer niemand anderen gefährden und ich darf ihn auch dann nicht überfahren, wenn er mitten in der Nacht alleine ohne Beleuchtung auf der Fahrbahn unterwegs ist. Dieses Verantwortungsbewusstsein gilt es wieder zu wecken, denn das scheint mir in der letzten Zeit sanft entschlafen zu sein.
Insgesamt ein sehr schwieriges Thema, denn ich verstehe natürlich jeden, der durch allerlei Maßnahmen seine Sichtbarkeit und seine Auffälligkeit verbessern will, aber wir sollten uns auch der damit verbundenen Gefahren bewusst sein.