AW: TerraCycle-Umlenkrolle am Scorpion - es lohnt sich!
...oder hab ich da einen Denkfehler?
Hallo Klopfer,
ich kann da keinen erkennen - allerdings zeigt ein Blick auf die Maßstäbe: Es bildet sich durch den Druck ja keine "Ritzel" mit hohen Zahnspitzen oder gar eine Evolventenverzahnung in Kettenhöhe heraus, sondern kleine Mulden, in denen die Rolle dann läuft. (In den Mulden bzw. Ritzelgründen ist der lokale Druck ja weit kleiner als bei "Linienlast" einer Walze auf einem ideal ebenen Gegenpart). Sobald sich diese gebildet haben, kommt der Prozess weitestgehend zum Stillstand und man kann viele tausend Kilometer weiterfahren, ohne dass eine Veränderung der Rolle sichtbar wird.
Verschleiß tritt an Kettenblättern / Ritzeln meist durch eine Kettenlängung aufgrund Kettenverschleiss in den Lagerröllchen auf. Der Kunststoff unserer Kettenführungsrollen hat da eine gewisse Plastizität, so dass sich die Mulden etwas anpassen können. Dagegen verursacht die Kettenlängung bei Zahnrädern / Ritzeln Verschleiß an den Zahnflanken, da die gelängte Kette auf den Zähnen hochsteigt und durch die Tretkraft in den Zahngrundbereich hineingezwängt wird. Dies ist bei verschlissenen Ritzeln (insbesondere bei kleinen Ritzeln mit wenig Zähnen) manchmal als Vibration im Antriebsstrang spürbar. Im Rennradbereich sind Aluminium- oder Titanritzel häufig wegen des Gewichtsvorteils gegenüber Stahl im Einsatz, dort aber auch für ihre Verschleißanfälligkeit bekannt. Wenn es rein um Verschleißgesichtspunkte ginge, würde ich für einen Antriebsstrang mit hohem Umlenkwinkel bei der Bauart "Ritzelrolle" ein Stahlritzel empfehlen.
Vielleicht wird in der Bewerbung der Vorzüge einer Bauform gelegentlich der technische Unterschied zwischen einem Antriebsritzel und einer Umlenkrolle übersehen:
Wenn Kettenzugkräfte in Antriebsdrehmomente umgesetzt werden soll, sind hübsche Zähne auf der Scheibe eine tolle Sache - nämlich betriebsnowendig, sonst würde die Kette über das Ritzel rutschen. Genau dies tut eine verschlissene Kette auf einem verschlissenen Ritzel ja auch gelegentlich. Für eine Umlenkrolle, die die Kettenzugkraft möglichst verlustfrei in ihre neue Richtung leiten soll, sind hohe, ausgebildete Zähne aus Ingenieurssicht völlig unnötig. Im Gegenteil, je höher der Zahn und je länger damit die Zahnflanke ist, desto höher wird der Reibungsverlust der Umlenkung, da jedes Röllchen in der Kette (quasi die Lagerpunkte in der Kette zwischen den Kettenlaschen) beim Auflaufen auf das Ritzel zunächst auf die Zahnspitze trifft, um dann bei weiterer Drehung des Ritzels in den Zahngrund zu rollen (vorausgesetzt, Kette und Ritzel sind noch nicht verschlissen und die Teilung passt zueinander). Genau diese Rollbewegung der gleitgelagerten Kette bewirkt Reibungsverlust und weiteren Kettenverschleiß. Je länger der Rollweg, desto mehr Reibung, mehr Verschleiß und geringere Antriebseffizienz. (Den Unterschied zur in der reinen Effizienzbetrachtung idealen harten, glatten Scheibe/Mittelsteg ohne Zähne hat meines Wissens aber noch niemand messen können. Gelegentlich mal die Kette schmieren bringt dagegen sofort nachweisbare Effizienzsteigerung - und möglicherweise Flecken an die Wade.) Wäre die Zahnform dagegen so gestaltet, dass das Kettenröllchen beim Drehen der Umlenkrolle direkt auf ihrem Platz im Zahngrund auftrifft und dadurch keine Rollbewegung entlang der Zahnflanke durchführen müsste – die Zahnspitze und Flanke also gar nicht erst berührt – dann kann man die Zahnspitze und den hohen Flankenteil auch gleich weglassen und sich damit einiges an Gewicht und vor allem Fertigungs- und Ersatzteilkosten sparen.
Wenn also eine Ritzelform aufwändig vorab gefertigt werden soll, reichen kleine "Mulden" statt hoher Zähne aus, da in den Mulden die Röllchen der Kette auf einer größeren Kontaktfläche liegen und dadurch der lokale Druck verringert wird, was zum gewünschten veränderten Geräuschverhalten führen könnte.
Aber wie auch immer, die Überlegungen sind recht akademisch - unsere hochwertigen, kugelgelagerten HP Velotechnik Kettenleitrollen mit Mittelsteg sind bei vielen Tausend Rädern viele mit guten Führungs- und Geräuschdämpfungseigenschaften Jahre im Einsatz, ohne dass uns häufige Austauschfälle bekannt sind. Gleiches gilt meines Wissens für die hochwertigen Terracycle Rollen. Beide werden mit der Zeit verschleißen, bei ungünstigen Einsatzbedingungen / Umgebungsmedien eben früher als später.
Ich halte es allerdings für unlauter, zu behaupten, die Bauform mit Kunststoff-Mittelsteg oder jene mit Metall-Mittelsteg wäre spürbar effizienter, solange keine nachvollziebare, qualifizierte Messungen publiziert werden. Möglicherweise beziehen sich die Superioritäts-Aussagen auf der amerikanischen Terracycle-Webseite auf einige US-amerkanischer Wettbewerber mit Kettenführungsrollen aus Hartplastik ohne Mittelsteg oder diejenigen, die sehr weiche Elastomerrollen wie beispielsweise ausgedrehte Inlineskater-Rollen montieren. In diesen Fällen liegt die Kette mit ihren Laschen auf der Oberfläche auf, Innen- und Außenlaschen verdrehen sich beim Umlenken gegeneinander und könnten mit ihren scharfen Kanten das Material der Umlenkrolle ohne Mittelsteg quasi langsam "wegfräsen". Da die Laschen wie eine liegende 8 geformt sind, kann es bei solchen Rollen zu Vibrationen und starker Geräuschbildung kommen, da die Kette ihre Höhenlage beim Aufrollen zyklisch ändert, je nachdem, ob gerade der hohe Bereich um den Kettenniet oder die schlankere Laschenmitte auf die Rolle trifft.
In Europa wäre eine vergleichbare werbliche Aussage nach meiner Einschätzung nicht zulässig: Bei den meisten europäischen Qualitätsanbietern werden leise und leichte Kunststoffrollen mit Mittelsteg verwendet, neben HP Velotechnik verwenden z.B auch Flux, ICE / Trice oder Challenge (die in einigen Modellen die HP Velotechnik-Rolle einsetzen) hochwertige Rollen mit Mittelsteg.
Wer Kettenführungen von Drittanbietern verwenden möchte, sollte darauf achten, dass die Kettenlinie in der Breite und der Höhe im Vergleich zu unseren Original-Position beibehalten wird, um einen leisen, verschleißarmen Antriebsstrang zu erhalten und die Antriebseinflüsse in die Federung aufgrund einer Veränderung der Zugtrummlage nicht zu steigern.
Frohes Schrauben und Fahrspaß-Erfahren,