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Tag 17
Das Navi führt mich weiter auf relativ kleinen Strassen Richtung Süden. Ich bin etwas besorgt, dass sich einige dieser Strassen als Gravelpisten erweisen, die ich nicht befahren kann. Nochmal stundenlang schieben wär jetzt nicht so toll. Aber ich habe Glück. Die winzige einspurige Bergstrasse die ich (bzw. Brouter) mir ausgesucht habe hat sehr guten Asphalt und ist sogar landschaftlich sehr reizvoll, und komplett ohne Autoverkehr.Während ich mich langsam der Küste nähere, wird das Wetter immer schlechter, von bewölkt bis nieselig. Bislang hatte ich ja eigentlich die meiste Zeit schönen Sonnenschein. Aber neblig und nieselig passt auch irgendwie zu der rauhen bergigen Landschaft.
Kurz vor Mittag treffe ich eine Radlerin, die in einem Bushaltestellenhäusschen Pause macht. Sie ist in der entgegengesetzten Richtung unterwegs. Wir unterhalten uns ein bisschen. Sie ist aus Österreich und grad Oma geworden. Ihre Tochter, die in Trondheim wohnt, hat sich ein Fahrrad gewünscht. Also hat sie für 200€ das Fahrrad gekauft, auf dem sie unterwegs ist, und hat beschlossen, es persönlich von Österreich nach Trondheim zu überführen. In Norwegen fährt sie die komplette Strecke von Kristiansand nach Trondheim und ist schon seit mehreren Wochen unterwegs. Da ihr Rad nur fünf Gänge hat, muss sie bergauf immer schieben. Der Rest ihrer Ausrüstung wirkt ähnlich abenteuerlich, aber sie hat offenbar alles dabei für eine Reise auf der sie wochenlang meist wild zeltet.
Sie möchte heute zu dem Campingplatz in Førde von dem aus ich heute morgen losgefahren bin. Das sind immerhin 60 km, und ziemlich viele Berge, die sie dann schieben muss. Aber sie ist sehr fröhlich und meint, sie hat ja noch bis 22 Uhr bevor es dunkel wird, also hat sie noch zehn Stunden, das wird sie schon schaffen. Wir wünschen uns noch eine gute Fahrt und fahren dann bei immer stärker werdendem Regen in unterschiedliche Richtungen los. Frisch motiviert fahre ich weiter. Wenn diese hochmotivierte Oma so eine Tour schafft, werde ich das ja wohl auch noch hinkriegen…
Im weiteren Verlauf des Tages fahre ich an ein paar Stellen vorbei, welche die Oma mir ausführlich beschrieben hatte. Offenbar ist sie beim Wildcampen noch deutlich abenterlustiger als ich, denn an manchen Orten die sie beschrieben hat würde ich mich nicht trauen, alleine zu zelten. Aber ich fahre eh dran vorbei, weil ich heute noch etwas weiter kommen möchte.
Am frühen Nachmittag komme ich zum Fährhafen, wo ich auf die andere Seite vom Fjord will. Inzwischen regnet es recht stark, aber ich kann es mir in der Wartehalle gemütlich machen. Schliesslich kommt die Fähre und bringt mich rüber. Noch 35 km bis zum Campingplatz auf der anderen Seite der Halbinsel auf der ich nun bin. Ich freue mich auf eine entspannte letzte Tagesetappe. Was dann kommt sind die wohl schwersten zweieinhalb Stunden der gesamten Reise. Kurz nachdem ich losfahre fängt es wieder an zu regnen, erst ein bisschen, dann immer stärker. Der Himmel verdunkelt sich mit schwarzen Gewitterwolken, und es fühlt sich an wie nachts.
Schemenhaft erkenne ich einen anderen Tourenradler, der mir entgegen kommt. Sein Rad ist mit dem üblichen Tourensetup schwer beladen, und er hat einen grossen Regenponcho an, der patschnass ist. Durch Dunkelheit und Regen ist die Sicht zu eingeschränkt, als dass unsere Blicke sich begegnen könnten, aber ich habe doch den Eindruck dass wir uns grüßend zunicken, verbunden durch diese Erfahrung, für die wir uns beide freiwillig entschieden haben. So schön kann Urlaub sein.
Ich fahre weiter. Die Küstenstrasse kennt keine flachen Stellen. Selbst bergab ist der Gegenwind so stark dass ich noch treten muss, um meine 10-15 km/h zu halten. Der kalte nasse Wind raubt mir die letzte Kraft und die ganze Erfahrung ist extrem zermürbend. Ich hoffe sehr, dass der Campingplatz geöffnet hat und eine warme Dusche und eine Möglichkeit zum Trocknen für mich bereithält. Notfalls könnte ich natürlich auch neben der Strasse zelten, aber dann wär alles nass und kalt. Ich zähle die letzten Kilometer bis zum Campingplatz. Und immer noch eine Kurve, noch ein kleiner Berg der sich dann als schwierig erweisst.
Schliesslich erreiche ich den Campingplatz mit letzter Kraft. Die Frau an der Rezeption ist total nett, als ich patschnass hereinkomme. Es ist ihr sichtlich peinlich, wie schlecht das Wetter heute in ihrem Land ist. Dafür bekomme ich ein trockenes Handtuch, und es gibt auch einen Zeltplatz für mich, und ich darf sogar eine leerstehende Hütte als Trockenraum nutzen und dort die Heizung anmachen. Das Leben geht wieder weiter. Ich baue mein Zelt im strömenden Regen auf und wische es mit dem Handtuch von innen aus. Das klappt sogar ziemlich gut, und meine Schlafsachen bleiben trocken.
Später sitze ich geduscht und aufgewärmt im Restaurant des Platzes und lasse es mir gutgehen.
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