In der FAS vom 30.6.2019, Wissenschaftsteil, eine kulturhistorische Betrachtung über die Fascination Italien.
Lesenswert. Ich zitiere mal ein bisschen:
Zum Drama der Künstler dies:
Mit diesem Dilemma sah sich fast jeder der in Rom ankommenden Künstler konfrontiert. Man war nach Italien gekommen, um mit eigenen Augen zu schauen, was so viele andere schon geschaut hatten, um – mit einer gewissen Folgerichtigkeit – vor Ort dann feststellen zu müssen, dass alles, was es in Rom und Umgebung zu sehen gab, von anderen bereits betrachtet, erkannt und in griffige Bildformeln umgesetzt worden war.
Ebenfalls interessant:
Nach Italien fuhr man in diesen Jahren eher im Rahmen der sogenannten Grand Tour, also jener Form der adoleszenten Bildungsreise, bei der gesellschaftliche und erotische Initiationen die kulturellen Programmpunkte im Zweifelsfall überlagerten. Winckelmann dagegen ging nach Rom, wo er mehr als zwanzig Jahre lang leben und arbeiten sollte, und zwar nicht über Rom oder die römische Kunst, sondern über etwas, was man nur in Rom erfinden konnte: die „Kunst der Griechen“. Es sei, so Winckelmann, „fast unmöglich, etwas Gründliches von der alten Kunst und von nicht bekannten Alterthümern (und damit meinte er die Griechen) außer(halb von) Rom zu schreiben“. 1764 erschien die vollständig in Rom geschriebene und fast ausschließlich von Griechenland handelnde „Geschichte der Kunst des Altertums“. Die zahlreichen Einladungen, nach Griechenland zu fahren, hatte Winckelmann dagegen standhaft ausgeschlagen.
Und dies:
Eine Rolle für die deutsche Fixierung auf Italien spielte bestimmt die Faszination, eine durch die Alpen sinnbildlich getrennte Gegenwelt vorzufinden, deren Überwindung als Passage-Ritus erlebt und beschrieben wurde. „Von diesem schnellen Übergang aus einem rauen in ein mildes Klima – dem Werk von zwei Tagen und Nächten – und von dem Eindruck dieses plötzlichen Wechsels der Jahreszeiten auf die Seele, entwirft die blühendste Dichterphantasie keine treffende Darstellung. Es war das herzerbebende Bild des Übergangs vom Tod zum Leben.
Natürlich darf Goethe nicht fehlen:
Eng verbunden mit dieser wundersamen Transformation von Landschaft und Klima war die Vorstellung einer damit verbundenen Verwandlung der eigenen Person. Spätestens seit Goethe seine diesbezüglichen Erlebnisse von 1816 an publizierte, gehörte der persönliche Wandlungsprozess durch eine Italien-Reise zu jeder gehobenen bürgerlichen Biographie. Das Besondere an Goethes Reise war dabei, dass er sie nicht, wie bei der internationalen Grand Tour sonst üblich, als junger Mann angetreten hatte, sondern im für damalige Verhältnisse reifen Alter von 37 Jahren, inmitten einer tiefen Midlife-Crisis.
Und damit wird vollends klar warum wir 2020 eine Italien-Rundfahrt machen:
Der Kulturhistoriker Victor Hehn beschrieb dieses Phänomen bereits 1840: „Die Helden unserer Literatur waren alle erst durch die Zone Italiens zu ihrer Höhe gewandelt, trugen noch Abzeichen und standen unter Wirkung dieses Durchganges. Die trockensten Schulgelehrten entschädigten ihre unnatürlich unterdrückte Phantasie durch den Zauber Italiens. Eine Reise dorthin riss sie aus ihrem Philisterwesen, machte sie jung, zwang sie zu praktischen Geschäften; und wenn sie dann wieder heimgekehrt und der Geist im alten Schlafrock wieder eingerichtet, dann verschönerte sich in der Ferne Italien immer mehr, sie priesen und seufzten in Sehnsucht und sahen dort nur Herrlichkeit.“
Die Sache war früher allerdings nicht immer ohne Probleme, und vor allem Künstler gerieten unter großen Druck, aus diesem Feuerwerk der Eindrücke und Historien etwas zu machen. Gelang vielfach nicht. Schlimmer noch:
Die eindrücklichsten Italien-Schilderungen stammten nicht selten von Autoren, die wie Jean Paul, Friedrich Schiller oder Joseph von Eichendorff Italien nie gesehen hatten.
Natürlich würde im 20. Jahrhundert vieles anders:
Schon die Namen, die wir mit der deutschen Italien-Rezeption des 20. Jahrhunderts verbinden, zeigen, dass es hier um andere Themen geht als früher: Thomas Mann, Rainer Maria Rilke, Rudolf Borchardt, Stefan Andres, Werner Gilles, Ingeborg Bachmann, Hans Werner Henze, Rolf Dieter Brinkmann, Joachim Fest. So unterschiedlich, ja unvereinbar die mit diesen Namen assoziierten Themen sein mögen, so ist ihnen doch eine Grundverschiedenheit zu alldem gemeinsam, was die Generationen vor und nach 1800 bewegte. Stellvertretend für die Fremdheit mit dem versunkenen Land, wo die Zitronen einmal blühten, sei das seltsame, sechszeilige Gedicht „Fußnote zu Rom“ des Büchner-Preisträger Günter Eich von 1955 zitiert: „Ich werfe keine Münzen in den Brunnen/ ich will nicht wiederkommen./Zuviel Abendland,/verdächtig./Zuviel Welt ausgespart. Keine Möglichkeit/für Steingärten.“
Und nochmal anders nach der deutschen Besatzung Italiens ...
Wir werden uns nicht irre machen lassen, und Italien schlicht und einfach durchqueren, der Länge nach.