Bericht Liegerad Flux S900
Moin Leute, ich bin neu hier im Forum und möchte als Neuling über mein neues Liegerad und meine Erfahrungen damit berichten.
Seit Jahren kamen immer mal wieder die Gedanken hoch, ein Liegerad zu kaufen. Ende April 2015 war die Entscheidung gefallen: Mein Stevens gab nach 10 Jahren mit einem Rahmenbruch die „Löffel“ ab. Was bis dahin Gedankenspielerei war, wurde aus der Not kein Rad mehr zu haben Realität. Ich ging zu einem Liegeradhändler in Norddeutschland, drehte mit zwei verschiedenen Liegerädern wackelig meine Runden und bestellte mir ein (schon vorher ins Auge gefasstes) Flux S900 mit Oberlenker, einer Rohloff Speedhub und kompletter Beleuchtungsanlage. Mit der Speedhub habe ich schon an meinem Stevens 7 Jahre gute Erfahrungen gemacht und auch auf einen Son-Nabendynamo wollte ich aus den gleichen Gründen nicht verzichten.
Nach knapp 6 Wochen war das Rad endlich beim Händler angekommen.
Was nun kam war neu. Die ersten Fahrversuche endeten nach wenigen Metern, weil ich zu stark am Oberlenker zog und drehte. Es war einfach das mangelnde Vertrauen, sich in den Sitz reinzulegen. Es war ein Gefühl von sich am Lenker festhalten zu müssen. Nachdem der Lenker wieder richtig eingestellt war, passierte das noch 3 bis 4 mal. Naja, kurze Skepsis kam auf, ob es vielleicht doch nicht die richtige Entscheidung war......doch schließlich war das S900 ja zu teuer, um einmal angefahren und wieder weggestellt zu werden.
Mein Händler gab mir den Tipp sich dem Sitz anzuvertrauen, das Lenkrad nur ganz leicht zu steuern und den Horizont im Blick zu behalten. Leicht gesagt, zumindest anfangs schwer umgesetzt....
Ich legte mein S900 erstmal in meinen Kombi und fuhr damit nach Hause. Dort ein paar Modifikationen. Schlosshalter angebaut, Navihalterung, andere Klingel und die Ortliebtasche mit der QL2-Halterung angepasst. Die Shimano-SPD-Halterung auf die lockerste Einstellung eingestellt.
Dann der Moment auf den ich seit Wochen gewartet habe: Zum ersten Mal mit dem Flux alleine unterwegs....und die Anspannung war riesig groß. Meine vorigen Erfahrungen beim Abholen des Rades machte mich zusätzlich nervös. Der eine oder andere Nachbar schauten interessiert aus dem Fenster....
Also rein in den Sitz, Pedale einklinken und los....gleich nach der ersten Kurve mit der Ferse erstmal ans Vorderrad gekommen und fast hingefallen. Darauf hatte mich mein Händler auch hingewiesen und ich hatte es auch im Internet gelesen, aber es in der Anspannung vergessen.
Dann auf unserer Straße die ersten Fahrversuche .... Langsam, ein wenig hin und her eiernd erstmal in den nahe gelegenen Park. Für die Straße fühlte ich mich absolut zu unsicher, an den Fuß-/Radweg war gar nicht zu denken. Ich erinnerte mich an das Wackeln, als mein Sohn zum ersten Mal ohne Stützräder mit seinem Rad fuhr. Ein Gefühl von völligem Verkrampfen im Bereich des oberen Rücken und der Bauchmuskeln. Alles in allem kein Genuss. Jeder entgegenkommende Verkehrsteilnehmer löste in mir eine kleine Panik aus und in mir wurde jedesmal der unausgesprochene Wunsch riesengroß, mir einfach nur Platz zu machen. Da war der 4 m breite Weg für mich und die Mutter mit der Kinderkarre echt zu schmal, zumindest in meinem Kopf.
Keiner wußte ja, dass das meine erste Ausfahrt auf einem Lieger war. Bloß nicht Hinfallen mit dem Rad, schließlich merkte ich schon eine etwas größere Aufmerksamkeit, aber mehr ob des Rades. Nach den ersten 2 – 3 Kilometern auf unbefahrenen Wegen erstmal eine kleine Pause. Meine Bauchmuskeln waren verkrampft und die permanente Anspannung mit dem Wunsch sich an irgendetwas festzuhalten, machten diese kurze Tour nicht zu einem Genuss. Aber eines wurde klar. Das Potential zum komfortablen Fahren und das Tempopotential wurde auf der ersten – noch recht wackeligen - Ausfahrt deutlich.
Ich rollte erstmal wieder nach Hause und jede Markierungstange im Park und jeder Passant waren ein mit Anspannung zu bewältigendes Hindernis. So musste sich mein Sohn gefühlt haben, als er seine ersten Fahrversuche ohne Stützräder absolvierte.
Nach jetzt insgesamt 400 Km und einer längeren Tour über 70 Km mit dem Flux S900 zaubert mir das S900 immer wieder ein Grinsen aufs Gesicht. Die Verspannung ist weg. Das Anfahren, welches anfangs (auch mal in der Stadt vor hundert Passanten an der Ampel) immer wieder mal scheiterte, klappt mittlerweile recht gut.
Ich genieße das Dahincruisen mit 15 – 20 Km/h und das Speedpotential bis über 40 Km/h mal so kurz aus den Beinen getreten. Leicht bergab ist man schnell bei 50 Km/h und ein wenig mehr. Das Schöne an einem Lieger ist das Gefühl so leicht mit 20-25 Km/h entspannt unter dem Wind durch zu fahren. Das Rad liegt toll in den Kurven, man muss sich nur seinem Sitz anvertrauen und sich durch die Kurve tragen lassen.
Alles in allem hätte ich mich schon viel früher dem Liegeradfahren widmen sollen, weil es eine ganz neue Erfahrung des Radfahrens ist.
Leider folgt dem aber auch die Erfahrung, dass man als „erdnahes Objekt“ permanent übersehen wird. Dabei geht es nicht um das Geltungsbedürfnis, sondern um die normale Aufmerksamkeit, die man von anderen Verkehrsteilnehmern erwarten dürfte. So kam es schon trotz eingeschalteter Edellux II und wilden Klingeln für den einen und anderen – auch mal wieder auf’s Smartphone starrende - Fußgänger zu einer bösen Überraschung, wenn ich mit dem S900 so kurz vor den Menschen zu stehen kam, weil viele nicht mit einem Liegerad rechnen, wenn sie ein Klingeln hören und schlicht über einen „drüber“ schauen....und erstmal nichts sehen....
Hinzu kommt, dass man vom Tempo her (30 Km/h ist ja locker mal drin), wenn man denn gesehen wird, unterschätzt wird. Gerade bei rechtsabbiegende Autofahrern scheint keine Vorstellungskraft dafür vorhanden zu sein, dass ein auf dem Radweg fahrender Liegeradfahrer, an dem man vor 150m vorbei gefahren ist, bis zum Abbiegevorgang schon wieder aufgeholt haben könnte, und nehmen einem wie selbstverständlich die Vorfahrt; natürlich ohne beim Abbiegen zu kucken, weil man ja alleine auf der Welt ist.
Alles in allem bedarf es einer noch defensiveren und aufmerksamen Fahrweise als auf dem „Up“.
Wenn man auf weniger befahrenen Straße, vielleicht auch an Rande der Stadt, unterwegs ist, dann ist das Liegeradvergnügen perfekt: Man gleitet leicht dahin, hat den Horizont und den Himmel vor Augen, liegt entspannt ein seinem Sitz und entkoppelt in diesen Momenten vom Alltag.
Zum S900 ist zu sagen, das alles gut funktioniert. Das Lenken fällt in der Version mit Oberlenker auch einem Liegeradanfänger wie mir mittlerweile recht leicht. Das Bremsverhalten ist mit der Avid BB7 vorne und hinten auch bei Panikbremsungen und blockierenden Hinterrad gutmütig. Dürfte ich mich bei der Bremse nochmal neu entscheiden, würde ich in jedem Fall zu einer hydraulisch gesteuerten Scheibenbremse tendieren, weil ich die Dosierbarkeit dieser Art von Bremsen vorteilhafter finde. Ich habe mir den Sitz mittlerweile in die niedrigste Einstellung gebracht und bin damit wie auch mit dem Sitz an sich sehr zufrieden.
Ich freue mich jeden Tag wieder mich auf’s S900 zu setzen. Ihr aus Gröbenzell habt mir da ein schönes Rad zusammen gebaut. Danke dafür.