Hallo,
Da ich
Randonneur round the Year werden will, »muss» ich jeden Monat ein Brevet fahren. 200 km reichen aus, aber nicht in jedem Monat gibt es so kurze Brevets. Ganz dünn ist der August, da konzentriert sich alles auf Paris-Brest-Paris, das ich aber nicht mitfahre. Der einzige andere Brevet war der
600er von Herentals (bei Antwerpen) nach Bitburg und zurück.
Das Besondere bei diesem Brevet ist eine weitgehende Organisation. Bei Bitburg gab es einen Schlafplatz (eine Herberge mit Mehrbettzimmern) mit Frühstück und Taschentransport hin und zurück. Das hat die Sache deutlich vereinfacht. Natürlich war es insgesamt nicht einfach. Aber das war klar. 600 km sind nie einfach. Sehr gut: Das Wetter. Weitgehend sonnig, aber nicht zu heiß. Am ersten Tag geschätzte 27 Grad, am zweiten Tag bis 30 Grad. Den gesamten Sonntag habe ich meine Armlinge anbehalten. Und es war mir nicht zu warm. Der (erwünschte) Schutz vor den Sonnenstrahlen und die (erwünschte) Isolierung haben sich die Waage gehalten.
Jeder Brevet beginnt mit einer Anreise. Komplett mit dem Rad (rund 250 km) war mir zu weit, aber ich bin am Vortag immerhin 135 km bis Eupen (Belgien) gefahren.
Ab Eupen weiter mit dem Zug. Wie meistens war das völlig stressfrei. Ich habe mein Rad einfach irgendwo hingestellt, wo es möglichst wenig stört.
Vom Bahnhof Herentals waren es zwei Kilometer zum privaten Gastgeber, mit dem ich dann nach schön etwas essen gegangen bin. War sehr angenehm. Natürlich zeitig ins Bett, denn der Wecker stand auf 4:30 Uhr. Es waren rund 8 km bis zum Startort, den ich um 5:30 erreichte.
Nach der Einschreibung und etwas quatschen fuhren wir pünktlich um 6 Uhr los. Zunächst acht Kilometer auf einer schnurgeraden und völlig flachen Bahntrasse. Aber mit Umlaufsperren an jeder Straßenkreuzung. Das ständige Abbremsen und Beschleunigen nervte.
Nach der Bahntrasse wurde es ganz leicht hügelig. Und ich hatte gedacht, die ersten 130 km wären völlig flach. natürlich waren die Steigungen nicht schlimm, Aber je weniger Höhenmeter am Anfang, desto besser. Es sollte ja noch einiges kommen. Der ganze Brevet war ohne steile Anstiege, aber sie summiertes sich. Es ging ja durch die Ardennen und die Eifel. Also ließ ich die Gruppe ziehen.
Nach der ersten Kontrolle in Gellik (km 75) verlief die Strecke am Albertkanal absolut flach, sodass es mit 30-33 km/h gut lief. Der Kanal dort in einer sehr schönen Schlucht. Die Hänge waren zum Teil sehr grün, aber auch schroffe Felsen. Hübsch! Nach zwei Fotos blinkte die Akku-Anzeige der Kamera – leer! So ein Mist. Erst kürzlich hatte ich den anderen meiner beiden Kamera-Akkus aus der Schublade genommen, damit er dort nicht vergammelt. Aber offenbar ist genau das schon passiert. Deswegen gibt es nur noch ganz wenige Fotos. Immerhin hatte ich eine kleine Videokamera am Lenker und damit einige Filmchen gemacht. Die Qualität ist natürlich mäßig. Aber besser als nix.
Als ich an einer Brücke die Kanalseite wechselte, holte mich die Statistik ein: Der vordere Reifen war platt. Ein Snakebite durch eine hohe Kante. Ersatzschlauch rein und weiter.
Im Video die Kante, die den Snakebite verursacht hat.
Nach wenigen Kilometern wieder ein Snakebitel. Wenn man mit 35 km/h über eine fünf cm hohe Kante fährt, ist es kein Wunder, dass der Reifen die Felge küsst. Jetzt hatte ich noch einen neuen Ultraleicht-Ersatzschlauch – aber den wollte ich nicht vorne einbauen. Also den ersten Schlauch mit einem selbstklebenden Flicken repariert. Wegen der zwei benachbarten Löcher war es etwas schwierig, den Flicken so zu platzieren, dass er beide Löcher abdeckte. Quasi diagonal erschien mir sinnvoll. War es aber nicht.
An der Schleuse Lanaye, an der Grenze zu den Niederlanden, wechselte der Track zur Maas, die dort mit dem Albertkanal verbunden ist. Und es ging flach weiter, durch das Hafengebiet und einen Park nach Lüttich.
In Lüttich zeigte sich, dass meine Schlauchreparatur nicht erfolgreich war. Der hohe Luftdruck hatte den Flicken leicht angehoben. Also Flicken runter und einen neuen selbstklebenden drauf, diesmal gerade.
Die Fahrt durch Lüttich war nervig, weil der Maas-Radweg mehrfach die Flussseite wechselte, zeitweise über Straße lief, man oft abbiegen musste und so weiter. Einmal musste ich mich entscheiden, ob ich ein Radverbot ignorieren oder falsch gegen die Einbahn fahren wollte (ich entschied mich für das zweite, aber im Grunde war es egal). Ein flüssiges Fahren war das nicht, das kam erst kurz nach Lüttich auf, wo ich die Maas verließ und die Strecke an der Ourthe in die Ardennen führte. Immer den Fluss bergauf, zum großen Teil auf separaten Radwegen oder sehr verkehrsarmen Anliegerstraßen. Die Steigung war gering, und so kam ich gut vorwärts. Und schön ist es im Tal der Ourthe. In einigen Orten war richtig etwas los, hier liegen offenbar die Naherholungsziele der Lütticher.
In Rivage, rund 30 km hinter Lüttich, dann die vierte Reifenpanne. Wieder hatte sich der Flicken gelöst. Jetzt also einen "normalen", klassischen Tip-Top-Flicken. Oder besser gleich zwei, damit die beiden Snakebite-Löcher vernünftig abgedeckt sind. Und das hätte ich gleich machen sollen. Denn es hat bis zum Ende des Brevets gehalten. (Die neue Tip-Top-Flüssigkeit ohne Wartezeit werde ich demnächst mal ausprobieren).
Kurz hinter Rivage habe ich die Ourthe verlassen und bin entlang der Amblève gefahren, das war ebenso schön wie im Tal der Ourthe. An der zweiten Kontrolle (Tankstelle in Rémouchamps) eine schöne Fanta getrunken, Camelbak aufgefüllt und Gummibärchen gegessen. Weiter ging es entlang der Amblève, immer leicht bergauf. Ab Targnon entlang der Lienne, auf einer zunächst mäßig guten Landstraße. Im Quellgebiet der Lienne, bei 530 Meter Höhe, war der lange Aufstieg beendet und folgten 25 hügelige Kilometer. Irgendwann überholte mich ein Polizeiato mit Blaulicht (aber ohne Tatütata) und eine Polizistin fuchtelte wie wild mit den Händen aus dem offenen Beifahrerfenster. Es folgten einige Polizeimotorräder und die Polizisten wollen, dass ich anhalte, wozu ich aber wenig Lust hatte. Bis dann ein Nicht-Polizei-Motorrad kam und der Fahrer mir zurief, dass es ein Radrennen gäbe und ich doch bitte anhalten möge, um das Peloton vorbeizulassen. Was ich auch tat, als ich die Gruppe sah. Und die nahm die Straßenbreite vollständig ein. Sie rauschte innerhalb von 2 oder 3 Sekunden vorbei und machte reichlich Wind. Und ich konnte auch sofort weiter.
Die dritte Kontrolle lag unmittelbar hinter der Grenze zu Luxembourg. Wegen der lästigen Stadtfahrt durch Lüttich, aber vor allem wegen der vier Pannen, war ich erst kurz nach 18 Uhr dort. Wasser auffüllen, Cola und Schokolade sofort verzehrt, weiter. 15 Minuten Aufenthalt.
Der Track führte sofort wieder nach Belgien. Und zwar in des deutschsprachige Ostbelgien, dass mich mit einem Schild
STRASSENSCHÄDEN und einer steilen Abfahrt begrüßte. Am Beginn der Abfahrt hat mich ein Auto überholt. Als der Wagen rund hundert Meter vor mir war, bremste er stark ab. Was mich zuerst nervte, änderte sich schnell in Dankbarkeit. Denn dadurch habe ich bemerkt, wie unglaublich kaputt die Straße war. Man muss in Belgien, gerade in Ostbelgien, zwar immer mit Schlaglöchern rechnen, aber was ich da gesehen hatte, war krass. Der Autofahrer machte genau das richtige, er kurvte in Schrittgeschwindigkeit um die Krater herum. Und ich tat es ihm nach. Ohne die Warnung durch das vorsichtig fahrende das Auto wäre ich womöglich für immer in einem der Schlaglöcher verschwunden.
Es folgte ein welliger Abschnitt, der in einem Anstieg (200 Höhenmeter, 5%) mündete, in welchem es wieder nach Deutschland ging. Dann kam der liegeradfreundliche Teil: Wellig, und tendenziell bergab. Zunächst im Tal der Our, dann im Tal der Sauer. Davon ein gutes Stück in Luxembourg. Bei den meisten Buckeln konnte ich den Schwung gut nutzen. Ich musste nur darauf achten, nicht mit zu viel Kraft bergauf zu fahren, es lagen ja noch 350 km vor mir. Eine ganze Zeit fuhr einige hundert Meter hinter mir ein Teilnehmer aus Venlo. Irgendwann war er kurz hinter mir, blieb aber unvermittelt stehen.
Wenig später, kurz vor 22 Uhr, habe ich die vierten Kontrolle in Bollendorf erreicht. Jetzt standen inklusive der Anfahrt 308 km auf dem Tacho. Bis ich eine Gaststätte gefunden und dort gegessen und etwas getrunken habe, war es 22:30 Uhr. Jetzt noch 27 km zum Schlafplatz, wobei noch ein Hügel (250 Höhenmeter, 4%) zu überwinden war. Die Nachtfahrt durch das Hügelland war außergewöhnlich. Mit Vollmond im Rücken, bei völlig klarem Himmel, war es richtig hell. Ich hatte allerdings auch ständig den Eindruck, ein Auto würde hinter mir fahren. Besonders die Weizenfelder reflektierten das Mondlicht stark und auch etwas unheimlich. Kurz nach Mitternacht endlich am Schlafplatz, wo der Organisator Jan Essen und Getränke anbot. Wenige Minuten nach mir kam auch der Venloer an. Er meinte, er wäre sehr langsam und wollte nach einer Stärkung weiterfahren (was er auch tat). Ich hingegen genoss den Komfort einer Dusche und machte um kurz nach ein Uhr die Knöpfe zu.
Vier Stunden Schlaf? Geht! Um fünf Uhr gab es Frühstück und um kurz nach sechs fuhr ich weiter. In frischen Sachen. So ein Taschentransport ist schon eine feine Sache. Und nun waren Geduld und eine ruhige Fahrweise das Gebot der Stunde. Denn die nächsten 85 km ging es leicht bergauf, darunter zwei Hügel. Der erste rauf nach Bitburg, dann runter zu Kyll und aus dem schmalen Kylltal wieder rauf bis Kyllburg. Dann immer den Fluss hoch. Einige Abschnitte bin ich allerdings auf der Straße gefahren, da mich das Zickzack des Kylltalradwegs nervte.
Um zehn war ich an der fünften Kontrolle, eine Konditorei in Stadtkyll. Hier war anscheinend die ganze Stadt zum Frühstück verabredet. Für mich nur ein paar Schoko-Croissants (nicht so trocken und gut zu transportieren). Meine Zeitrechnung aber machte mir etwas Sorgen: Vier Stunden für das erste Viertel des Tages. Das hieße bei gleich bleibender Geschwindigkeit eine Ankunft um 22 Uhr - und das ist genau zum Kontrollschluss. Also habe ich darauf gehofft, dass die zweite, deutlich flachere Tageshälfte, etwas schneller sein wird. Und dass ich keine Pannen haben werde.
Weiter ging es über den neuen Vennquerbahn-Radweg bis kurz vor die Staatsgrenze zu Belgien, sehr mäßig und vor allem gleichmäßig bergauf.
In Belgien wieder Landstraße, denn der Vennquerbahn-Radweg ist dort noch nicht geteert. Noch wenigen Kilometern bergauf sollte es für den Rest des Tages praktisch keine Steigungen mehr geben. Dachte ich. Doch man sollte sich die Höhenprofile genau angucken. 80 km Strecke auf einem 3,5 km breiten Bildschirm zeigen nur die Tendenz an. Zunächst war das Profil so, wie ich dachte. Nach dem Höhepunkt (670 m) ging es 45 km fast nur bergab. Ein ganzes Stück auf der Vennbahn-Trasse, zuletzt ziemlich steil und schnell an einer sehr verkehrsreichen Bundesstraße zur Kontrolle in Roetgen (NRW). Dabei verlief die (deutsche) Bundesstraße 258 nochmal drei Kilometer durch belgisches Gebiet.
Nun ging es sofort wieder nach Belgien, direkt an der Kontrolle von Ivos Vennbahn-200er vorbei, in Petergensfeld. Erneut durch den deutschsprache Teil des Landes, dann durch den französischen Teil, in dem viel deutsch gesprochen wird, und dann direkt an der Grenze zu den Niederlanden durch die flämische Exklave Voeren/Fourons, mit zweisprachigen Ortsschildern. Dieser Abschnitt war zwar tendenziell bergab (von 415 auf 75 Meter), aber mit nicht wenigen (für mich) unerwarteten Gegenanstiegen. Keine schlimmen, schon gar nicht steil, aber es ging nicht so flott voran, wie erhofft. Ein Stück fuhr ich mit dem anderen Liegeradfahrer des Brevets:
Nur wenige Kilometer vor Maastricht steuerte der Track wieder zur Maas und führte dieselbe Strecke zurück wie am Vortag hierhin. An der Schleuse Lanaye links ab zum Albertkanal und völlig flach zur letzten Kontrolle in Gellik. Die war für mich psychologisch wichtig, denn hier entschied sich prinzipiell, ob ich den Brevet packen würde. Mit einer Ankunft um 16:40 fühlte ich mich sicher. So hatte ich (bei 20 Minuten Aufenthalt) fünf Stunden für die letzten 75 km.
Und die fühlten sich komisch an. Irgendwie war ich über den Berg, der schwierige Teil endgültig vorbei, aber am Ziel war ich noch nicht. 75 praktisch flache Kilometer sind keine Hürde, aber "wegtreten" muss man sie doch. So zog es sich Abschnittsweise etwas. Aber zahlreiche Begegnungen mit zwei anderen Brevet-Teilnehmern sorgten durch ständiges, gegenseitiges Überholen für etwas Kurzweile. Die letzten acht Kilometer liefen auf einer alten Bahntrasse, schnurgeradeaus und absolut flach.
Bei der Ankunft um 20:25 Uhr saßen noch einige Teilnehmer nett zusammen, auch Boris aus dem Rennradforum.
Zusammen haben wir dann kalte Wurststückchen mit Senf gegessen (war lecker) und es gab natürlich eine belgische Spezialität, frittierte Kartoffelstäbchen.
Anschließend hatte ich noch acht Kilometer zu meinem Gastgeber, den ich bereits am frühen nächsten Morgen verlassen habe, um mit dem ersten Zug nach Hause zu fahren. Und dann großes Glück im Regionalexpress, denn beim Umsteigen in Aachen habe ich vergessen, eine deutsche Fahrradkarte zu kaufen (die belgische galt bis Aachen). Die Schaffnerin war sehr nett und hat mir keine Strafe aufgebrummt. Die Radkarte habe ich dann als Handy-Ticket online gekauft. Im Zug waren noch zwei sympathische wallonische Radreisende auf dem Weg nach Lindau, von wo sie erst am Bodensee und dann in den Schwarzwald wollten. Das war noch ein sehr nettes Gespräch. Einer der beiden konnte etwas deutsch und suchte in seinem Wörterbuch verzweifelt nach einen deutschem Wort, das er irgendwo mal gesehen hatte. Nach einer Erklärung haben wir dann gemeinsam herausgefunden, welches Wort er suchte:
unplattbar.
Grüße
Andreas