Teil 2
Der LKW von derselben Firma wie mein Fahrrad?
So langsam war es an der Zeit, etwas zu essen, zumal in Kürze der dünn besiedelte Teil der Strecke vor mir lag. Hier an der Küste war es sehr touristisch und schon im nächsten Ort fand sich ein Imbiss mit weggeklappten Türen. So konnte ich drinnen sitzen und das Rad stand draußen, aber trotzdem direkt neben mir. Wieder Spaghetti. Und wieder kleingeschnitten. Aber gut. Also weiter, wieder an Kanälen.
Eine sehr schöne Abendstimmung, so langsam wurde es dunkel. Wobei ich den Einbruch der Dunkelheit noch um 45 Minuten verzögern konnte - durch das Abnehmen der Sonnenbrille
Verrückte Welt: Ich bin in Belgien, die Sonne hingegen ist in Frankreich
Mit den letzten Sonnenstrahlen ging es innerhalb eines Naturschutzgebietes nach Frankreich, ohne das sich das Landschaftsbild änderte. In der Dämmerung waren große Mengen an kleinen Hasen zu sehen, die eifrig die Straßenseite wechselten. Nun war es Zeit, Arm- und Beinlinge anzuziehen. Ich glaube, dabei habe ich einen der kurzen Handschuhe verloren. Blöd war, dass der Tacho nicht mehr richtig lief. Bei jeder Radumdrehung klickte es schön im Sensor, aber der Tacho bekam kein Signal. Blöd!
Aber besser als eine Reifenpanne!
Um 23:30 habe ich die Kontrolle in Bourbourg erreicht. Wie zu erwarten, war alles längst geschlossen. Immerhin war der Ort groß genug, dass es mehrere Bankautomaten gab, und so habe ich etwas Geld abgehoben, wobei man in Frankreich auf Knopfdruck immer eine Quittung bekommt. Ich hatte noch überlegt, das Randonneurshotel einer Bank zu nehmen, die ja in Frankreich sehr selten sind. Die meisten Geldautomaten sind zur Straße hin. Aber ich fühlte mich noch gut und so fuhr ich weiter, die nächste Kontrolle in Wissant war ohnehin nur 49 km weit entfernt. So langsam begann auch der hügelige Teil. Zunächst kaum wahrnehmbar wurden die Hügel ganz langsam immer spürbarer. Aber nie schlimm, alle Steigungen deutlich im einstelligen Bereich. Schnitt bis Wissant rund 20 km/h. So langsam ließ auch der Gegenwind nach. In Wissant dasselbe Bild wie in Bourbourg. Nichts mehr offen. Wie auch, um halb drei morgens in einem Ort mit gut 1.000 Einwohnern. Nicht mal einen Geldautomaten gibt es hier. Und so langsam wurde ich müde. Außerdem war es kalt. Unter 5 Grad. Kleidung hatte ich genug, eine schöne warme Jacke. Zumindest, solange ich in Bewegung blieb. Schlafen wäre jetzt gut, bis eine Stunde nach Sonnenaufgang. Dann würde es wieder etwas wärmer sein. Für ein Bett im Kornfeld war es doch zu kalt. Gibt es Hotels im Ort? Das GPS findet mehrere, schließlich liegt der Ort am Meer und hat einen großen Strand. Also erstmal hin. Vielleicht kann man klingeln und es gibt noch ein Bett. Aber nein, man konnte nicht klingeln. Und die Tür war zu. Was nun? Erstmal ums Haus gehen. Und siehe da, der Hintereingang war nicht abgeschlossen. Also Fahrrad von vorne geholt und rein in das warme Foyer. Sofas? Nein! Sessel? Nein! Aber einen schönen Fliesenboden. Direkt neben der Heizung. Mit der Reserve-Hose als Kissen und der Jacke als Decke. Geht. Erstaunlich gut sogar. Nach zwei Stunden kam jemand die Treppe runter. Und nun?
War "nur" ein Gast, der zur Toilette wollte und sich nicht ernsthaft für mich interessierte.
Nach kurzen Wortwechsel verschwand er wieder und ich habe noch eine Stunde geschlafen. Und zwar gar nicht so schlecht, die Erholung hat wirklich gut getan.
Kurz nach sechs ging es weiter, ohne dass mich jemand bemerkt hätte. Oder man war gnädig und ließ mich schlafen. Wer weiß. Jedenfalls, die Morgenstimmung war phantastisch, Bodennebel über den grünen Feldern und der Himmel zartblau. Und mit der Sonne im Rücken sah alles noch viel schöner aus. Und ich konnte das GPS gut sehen.
Und der (Gegen)wind hatte eine Ruhepause eingelegt. Sehr gemütlich fuhr ich durch die hügelige Dünenlandschaft zum Wendepunkt in Boulogne-sur-Mer.
Morgennebel
Dünenlandschaft
Boulogne-sur-Mer ist eine Küstenstadt, in dem es auch Bäcker gibt.
Und Einbahnstraßen. Durch eine solche führte der Track. Falschherum. An dieser Stelle ein Danke an die französischen Autofahrer, die ganz entspannt waren und ein Engstellen auch mal einen Moment gewartet haben. Über einen ordentlichen Hügel mit schneller Abfahrt ging es aus Boulogne heraus. In der Talsohle links ab auf den nächsten Hügel. So reihte sich ein Hügel an den anderen. Endlich wieder eine Landschaft mit Abwechslung. Die vielen Kilometer an den Kanälen können ganz schön eintönig sein. Der Wind nahm wieder Fahrt auf, aber diesmal kam er aus Osten. Oh Nein! 150 km Gegenwind. Wieso? Am Ende konnte mich der Wind nur bremsen, nicht aufhalten.
Irgendwann rächte es sich, dass ich beim Bäcker in Boulogne nicht daran gedacht hatte, Wasser zu kaufen. Mein Vorrat ging langsam zur Neige und Orte mit Geschäften lagen nicht auf der Strecke. Doch wenn Du denkst es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her. In Form einer RTF-Kontrollstelle. Die Leute dort waren so nett, mir 1,5 Liter Wasser nachzuschütten, dazu gab es zwei halbe Orangen (superlecker!) und einen Becher Pfefferminzsaft, den ich so gerne mag! DANKE! Und wenn es gut läuft, geht auch mal was daneben. Nur wenige Kilometer später passierte, was eigentlich nicht passieren kann: Der Camelbak-Schlauch verknotete sich im Hinterrad, riss ein und etwas des kostbaren Wassers lief auf die Straße. Zum Glück nicht viel. Dachte ich. Ich habe den Schlauch dann so abgerissen, dass noch während der Fahrt trinken konnte, mit etwas zur Seite gedrehtem Kopf und ohne das Ventil. Nicht komfortabel, aber es ging. Nach der letzten Kontrolle in Watten habe ich dann endlich das (leckere) Sandwich vom Bäcker aus Boulogne gegessen, jetzt waren es nur noch gut 100 km zum Ziel. Bald war auch wieder Belgien erreicht. Die Landschaft war inzwischen wieder ganz flach, man sprach wieder flämisch/niederländisch.
Der letzte Grenzer
Belgisch-Flandern: Flach, grün, Felder
Es kam, wie es kommen musste, nach einer guten Stunde war das Wasser leer und ich hatte in Watten kein neues gekauft. Zuerst hatte ich die Idee, die letzten vier Stunden ohne Getränk zu fahren. Das war natürlich blöd. Also 50 km vor dem Ziel an einem Café gehalten und einen halben Liter Cola in den Kopf geschüttet. Wasser und etwas schnelle Energie, das erschien mir sinnvoll. Woran ich nicht gedacht habe, der Magen war längst leer. So veranstaltete die Cola eine schöne Brodelparty und ein Aufstoßen folge dem nächsten, immer mit etwas Magensäure in der Speiseröhre. Aber mit etwas reduziertem Tempo war auch der Magen einigermaßen ruhig. Und dann, ein Kilometer vor dem Ziel in Ostende, sehe ich eine große Gruppe Radfahrer im Rückspiegel. Kaum zu glauben, es waren die Randonneure! So kamen wir fast alle zusammen an, sehr schön! Einige wenige waren vorher bzw. nachher im Ziel.
Große Freude:
Ich bin jetzt internationaler Superrandonneur, denn ich habe die Serie in vier Ländern gemacht (UK, D, NL, B).
Kurz nach der Ankunft habe ich die Magensuppe erstmal mit Fleischabfällen (Frikandel speciaal) beruhigt, was sogar funktioniert hat. Trotz der Zwiebeln.
Später gab es noch eine Pizza. Und dazu Orangensaft, Fanta und Kakao. Also mein Magen möchte ich nicht sein.
Die Rückfahrt mit der Bahn am nächsten Tag verlief ganz pünktlich und wie geplant. Mit vielen Fahrscheinkontrollen, nämlich in jedem Zug. Die letzte kurz vor dem Aussteigen in Remscheid. Da meinte der Apparat, dass meine Fahrkarte nicht in Ordnung wäre, obwohl mit die Schaffnerin bestätigte, das die Preisstufe korrekt ist. Wie auch immer, die Schaffnerin blieb im Zug und wir konnten die Sache nicht klären.
Mein Fazit, was war gut, was nicht: Das Rad funktionierte ohne Probleme, keine Panne, keine komischen Geräusche. Schön! Ich muss mehr essen. Und vor allem, Möglichkeiten zum Wasser- und Lebensmitteleinkauf beim Schopfe packen. Und: Paris-Brest-Paris kann ich nicht mit ausreichend Schlaf packen. Aber vor allem: Mir fehlt mir bei längeren Strecken ab dem zweiten Tag Leistung! Das ist schon länger so. Ich fühle mich dann gut, aber der Puls geht kaum über 115. Damit komme ich aber nicht über Hügel. Flach kann ich aber lange und problemlos fahren. Vielleicht muss ich einfach nur von Anfang an mehr essen?
Grüße
Andreas