die Hälfte aller Autofahrten unter 5 km Distzanz waren und nur 1 % Fahrten über 50 km -- und ich gehe mal davon aus, dass das nicht nur für die großen Wochen- oder Monatseinkäufe war... :-o D.h. locker geschätzt die Hälfte der Fahrten könnte man ohne Probleme mit Rad / VM machen.
Vollkommen korrekt, aber (oh je, jetzt wird 's lang) hier meine Gegenrede zur
Nahmobilität 2.0:
Die Substitution des PKW-Verkehrs durch das Fahrrad nur auf der Kurzstrecke zu propagieren ist kontraproduktiv.
Werden innerstädtische Fahrten zu einem Großteil vom PKW aufs Fahrrad verlagert,
sinkt die km-Leistung des motorisierten Individual-Verkehrs (MIV) nicht etwa,
sie steigt an! Mit einer nennenswerten Anzahl an Elektroautos wahrscheinlich sogar schneller als ohne.
In Münster konnte man das in den letzten Jahren gut beobachten: Die km-Leistung des MIV stieg proportional zum innerstädtischen Radverkehrsanteil. Dieses Phänomen erscheint auf den ersten Blick paradox, entbehrt aber nicht einer gewissen Logik:
Die durch den Umstieg vom PKW aufs Rad freigewordene Verkehrsfläche wird schnell vom einpendelnden MIV belegt, sodass letztendlich nur die "motorisierte Kurzstrecke" von der "motorisierten Mittelstrecke" abgelöst wird.
Die Folgen sind höhere km-Leistung, höherer Schadstoffausstoß und die weitere Ausdehnung des Staus ins Umland der Städte. Das Verkehrsklima verschlechtert sich, die "gefühlte Sicherheit" bei Radfahrern nimmt ab und der Radverkehrsanteil stagniert letztlich auf einem leicht erhöhtem Niveau.
Dieses Dilemma ist nur durch die Ertüchtigung der Mittelstrecke für das Fahrrad aufzulösen: denn i.d.R. wird eine Fahrzeit von 30 (max. 45 min) etwa für den Arbeitsweg toleriert, relativ unabhängig vom Verkehrsmittel.
Nur wenn es gelingt, die Reisezeit für Radfahrer so zu optimieren, dass innerhalb dieses begrenzten Zeitkontingents eine Strecke von 10-15 km fahrbar ist (und der ruhende Verkehr domestiziert wird), kann das Potenzial des Fahrrades als Verkehrsmittel –also jenseits von „Nahmobilität 2.0“- sinnvoll genutzt werden.
Die derzeitige innerstädtische Infrastruktur ist hierfür vollkommen untauglich; sie bremst Radfahrer durch nachrangige Ampelschaltungen, zu enge Kurvenradien und schlechte Oberflächen gleich dreifach aus. Auch "vehicular cycling" ist keine Lösung, es stellt den Radfahrer in die Blechlawine. Was es braucht, ist eine vorrangige Radverkehrsführung auf der Mittelstrecke radial ins Zentrum der Städte.
Die Verkehrsachsen hierfür sind vorhanden; sie müssen lediglich in Teilen umgewidmet werden, mit dem Ziel, ein separates Radnetz entlang der Hauptverkehrsachsen zu schaffen. Dieses Netz muss direkt und vorrangig und vor allen Dingen Fahrzeit-optimiert (Kurvenradien, Oberfläche etc.) geführt werden. Da zu muss es ganztägig und ganzjährig benutzbar sein. Bei Fahrbahnen ist das eine Selbstverständlichkeit, bei Radwegen nicht einmal die Regel.
Eine echte Förderung des Radverkehrs muss daher zwingend zunächst zu Lasten des MIV gehen, indem Querschnitte von Hauptstraßen reduziert und die freiwerdende Verkehrsfläche exklusiv dem Radverkehr (und leichten motorisierten Zweirädern) zur Verfügung stellt. Die Radialen dieses Primäre Streckennetzes müssen nach dem „Leiterprinzip“ miteinander verbunden sein, wobei der Radverkehr auch auf den Verbindungen selbst nicht nachrangig geführt werden darf. Reine „Anwohner-Park-Straßen“ (die derzeit gern als „Fahrradstraßen“ ausgezeichnet werden) sind ungeeignet, solange der ruhende MIV nicht auch reduziert wird.
Langfristig profitiert sogar der MIV von dieser Regelung; das ist das "zweite Paradox" der Radförderung (das genau wie das erste keines ist). Ein vierspuriger Straßenquerschnitt hat eben nicht eine doppelt so hohe Verkehrskapazität für den MIV wie ein zweispuriger. Auf einer sechsspurigen Straße können sich auch nicht 1/3 mehr KFZ bewegen als auf einer vierspurigen. Die Kapazität einer Straße steigt (oder sinkt) nämlich nicht linear zum Querschnitt.
Wird bei einer sechsspurigen Hauptverkehrsstraße eine Fahrspur je Richtung für den Radverkehr umgebaut (nicht einfach nur umgewidmet) und es gelingt, nur ein Drittel des MIVs aufs Fahrrad zu verlagern profitiert der MIV. Selbst wenn nicht die vollen 6-7 m von 2 kompletten Spuren, sondern lediglich Parkstände und Abbiegespuren dem MIV entzogen werden, kann hieraus eine leistungsfähige, sichere und von der Allgemeinheit akzeptierte Fahrradinfrastruktur entstehen.
Bezieht man sinnvollerweise den Fußverkehr und den ÖPNV mit ein, so lautet die Kurzformel für eine sinnvolle Verkehrsplanung:
„Reisezeitoptimierung auf mittleren Distanzen – nur nicht für den MIV“
Die Förderung von E-Autos ist kontraproduktiv. Sie lässt die Verkehrsplanung in ihrem alten Paradigma des 20. Jahrhunderts „
Straßen sollen möglichst viele KFZ transportieren können“ verharren. Dabei vollzieht sich gerade ein Paradigmenwechsel.
Das des 21. Jahrhunderts lautet: „
Straßen sollen möglichst viele Menschen transportieren können“. Das erreicht man durch dern Ersatz des MIV, nicht durch dessen Förderung. Die Bauart des Motors ist hierbei relativ unerheblich.
Gruß
Christoph