Velayo - eine kritische Würdigung

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Hallo, liebe verkleidete Gemeinde!

Heute habe ich das Velayo zur Probe gefahren.
Da ich das Mango von Andreas Seilinger übernommen habe, habe ich zwar kein Kaufinteresse, trotzdem habe ich mich an der Probefahrt meiner Frau drangehängt - aus reinem Interesse. Ich konnte mir ja das Fahrzeug-Konzept nicht so recht vorstellen. Aber ich wurde eines Besseren belehrt.
Mein Fahrt ging vor allem über kleine und auch schnelle Landstraßen, auch in eine Stadt bin ich gefahren und hatte mäßigen Wind bei etwas Regentropfen dabei.

Nun zu den einzelnen Punkten, die erwähnenswert sind:

Sitzhöhe:
Wunderbar im Verkehr. Ich wurde gesehen und als gleichwertiger Partner im Verkehr akzeptiert. Die Überholmanöver der anderen waren vorschriftsmäßig. Mit dem Ding würde ich auch nach München rein fahren. Das mache ich mit dem Mango nicht. Aber was das Velayo dann unbedingt braucht, sind Blinker. Die Panzerlenkung einhändig zu bedienen (zwecks Handzeichen) und abbiegen halte ich für nicht möglich bis sehr unpraktisch.

Länge / Radius:
Für mich zu groß, in der Stadt und in Gassen zu unhandlich. Aber die Questfahrer sagen ja, man gewöhne sich daran.

Radstand / Hinterradlenkung:
Ungewohnt, aber gut fahrbar. Mit großem sanften Gefühl ist die Kiste ruhig auf der Straße zu halten. Dass das Fahrzeug ausschert stellt kein Problem dar.

Breite:
Für Radwege absolut ungeeignet. D.H. man ist auf die Straßen angewiesen. Abschneider gehen also nicht. Für manche könnte das ein Ausschlußkriterium sein.

Antrieb:
Durch die kurze Kette sehr direkt. Er schluckt keine Energie. Eine Wohltat. Evtl. könnte es schwierig werden, die beiden Umwerfer über 15.000 km hinweg immer wieder korrekt einzustellen, da der Abstand (also die Kettenlänge) wesentlich kürzer ist, als auf dem Mittelhochrad. Aber da habe ich wenig Erfahrung.
Mein größter Kritikpunkt ist jedoch der einseitige Antrieb am vorderen linken Rad. Beim Anfahren und in Linkskurven (hier wird das linke Rad entlastet) rutscht das Antriebsrad durch - und das auch auf trockener Straße. Dadurch habe ich viel gute Kraft sinnlos auf der Straße liegen lassen. Nun könnte es sein, dass ich als Bergsteiger einen recht starken Antritt habe, aber ich denke doch, dass bei Regen, am Berg oder bei Eis das Ganze an seine Grenze kommt. Das müsste man mal längere Zeit im Winter probieren. Ein VM sollte ja v.a. wintertauglich sein. Ich würde das Rad nur mit 2 Freiläufen ordern und empfehle sehr, diese Option zu ermöglichen.

Federung:
Die Räder sind ungefedert mit 26´´-Reifen. Der Sitz hat eine Federung, die man meiner Einschätzung nach weglassen kann. Der lange Radstand und der Gitterrohrrahmen machts. Das ist wirklich erstaunlich. Das spart Gewicht und Technik.
Allerdings rumpelt es auch etwas mehr.

Geschwindigkeit:
Zu Beginn meiner ausgiebigen Runde, dachte ich: Schneller, als Mango. Aber das war wohl eher die ungewohnte Testsituation. Am Ende fuhr ich Teile meines Arbeitsweges. Der Tacho zeigte vergleichbare, mir bekannte Werte, jedoch hatte ich nun das Gefühl, dass das Velayo einen Tick langsamer, als mein Gefährt sein könnte. Ergo: Trotz aller meiner Skepsis, liegt das Velayo auf Mango-Niveau.
Eine Verbesserungsidee: Bei schnellerer Fahrt hörte ich im Hinterbau ein Summen oder Brummen. Zuerst dachte ich: Naja - das Hinterrad ist nicht verkleidet, das werden die Speichen sein. War es aber nicht, denn das Rad ist verkleidet. Ich denke, der Wind fängt sich im Radkasten. Die Karosse hat nach innen gehende scharfe Kanten. Wenn da noch etwas Gedankenschmalz reingesteckt wird, kann man da noch etwas verbessern.
Durch die ungefederten Massen wird das Velayo auf holpriger Straße sehr unruhig. Ich fühlte mich ab etwa 40 km nicht wohl, da mir die Traktion flöhten ging. Stark bremsen wollte ich auch nicht mehr.
Auch auf ebener Bahn hatte ich ein unruhiges Gefährt ab etwa 45-50 km. Das mag an der Hecklenkung liegen oder an der eingeschränkten Traktion.
Das Gewicht ist ganz normal im mir bekannten Bereich.

Regen / Lüftung:
Luftlöcher hat es keine. Aber Fußlöcher und eine große Öffnung oben, zu der viel Luft an den Körper kommt.
Bei Regen wurde mein Hemd bis unter die Brust nass (ich bin aber auch ein Sitzriese). Mein Hals war also voll im Wind. Die Nebenhöhlen empfehlen aus diesem Grund: Dringend Windschild verwenden. Das sollte als Zubehör mit angeboten werden.
Eine Haube und Verdeck befindet sich nach Aussage von Andreas gerade in der Mache. Das wird also sicher noch interessant.

Gepäck:
Hinterm Sitz ist an sich viel Raum, der allerdings vom Gitterrohrrahmen horizontal halbiert wird. Das ist nicht so schön. Aber dadurch kann man auch verschiedene Fächer schaffen. Ich bin ja ein Säckchenfreund. Ich würde im gesamten Gefährt viele Beutel aufhängen: einen für die Brille, einen für die Reparatur, einen für die Arbeitskleidung, einen für das Handy, einen für die Riegel, .... :)

Verarbeitung:
Für einen Prototypen sehr gut. Gefällt mir ausgesprochen.

Fazit:
Ein gutes Konzept, das für bestimmte Anwendungen sicher die erste Wahl sein wird. Ich denke, hier könnten folgende Argumente ein Kaufkriterium sein: Alltagsgefährt mit Überlandfahrten und Stadtverkehr. Prämisse der Fahrer liegen auf Sicherheit in Form von Sehen und gesehen werden sowie den Respekt der anderen Verkehrsteilnehmer. Dafür nehmen die Besitzer in Kauf, keine Radwege mehr zu benutzen und sehen in der Endgeschwindigkeit nicht den wichtigsten Wert.
Meines Erachtens sollten folgende Dinge dringend mit geordert werden: 1. zwei Freiläufe, damit beide Vorderräder angetrieben werden. Das Thema wurde ja auch schon diskutiert, nach meiner Probefahrt habe ich nun eine klare Haltung dazu. 2. Blinker. 3. Windschild

So - nun hoffe ich, nichts vergessen zu haben. Wenn noch Fragen da sind, werde ich mich bemühen, sie zu beantworten. In jedem Fall, war es sehr interessant, ein so andersartiges Konzept erfahren zu können und zu merken, dass tatsächlich mehrere Wege nach Rom führen.

Herzliche Grüße an alle und vor allem unbekannterweise an Herrn von der Wehl: Sie haben da ein bereits sehr weit entwickeltes Gerät auf die Räder gestellt. Respekt.

Simon
 
AW: Velayo - eine kritische Würdigung

Länge / Radius:
Für mich zu groß, in der Stadt und in Gassen zu unhandlich. Aber die Questfahrer sagen ja, man gewöhne sich daran.
Habe noch kein Quest gefahren sondern praktisch auschließlich und nur kurz das Velayo.

Aber ist es in der Stadt nicht schon allein auf Grund der häufigeren Ein- und Ausstiege und der damit verbundenen Prozedur ungeeignet? Oder übt man das und dann geht es genauso schnell wie bei einem Lieger?
 
AW: Velayo - eine kritische Würdigung

Hallo schöne Baronin

Das mit der Unhandlichkeit bezog sich auf den Wendekreis.
Das Ein- und Aussteigen empfand ich als absolut normal. Da gewöhnt man sich genauso daran, wie bei anderen VMs.


Herzliche Grüße

Simon
 
AW: Velayo - eine kritische Würdigung

Schon spannend, wenn Du schreibst, dass Du aufgrund der Sitzhöhe (und sicherlich aufgrund der etwas stattlicheren Statur) des Velayo im Verkehr besser akzeptiert wirst. Daran merkt man, dass Autofahren eindeutig eine männliche Domäne ist: "Size does matter..." :D
Allerdings deckt sich das mit meinen Erfahrungen: Ich werde auf dem Radius Dino wesentlich seltener angeranzt oder geschnitten als auf dem/ im Steintrike oder Alleweder.

Danke für den Bericht!

Gruß, Martin
 
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Moin,moin Simon

vielen Dank fuer den interessanten Bericht !!

Ich muss mich da auch mal reinsetzen, wenn Marcus mal wieder in Lauenbrueck ist....

Gruss Michael
 
AW: Velayo - eine kritische Würdigung

wird ein velayo in sittensen beim treffen sein??? welches evtl auch noch probegefahren werden kann....:rolleyes:
 
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Ich konnte mir ja das Fahrzeug-Konzept nicht so recht vorstellen. Aber ich wurde eines Besseren belehrt.
Hallo Simon,

vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht.
Wie schon anderswo angedeutet, hatte ich auf der Spezi sowohl die Gelegenheit, mit Marcus zu reden als auch eine kurze Runde im Velajo zu drehen.
Nach Deinem Bericht erübrigt sich eine Beschreibung meiner Erfahrungen, gleichwohl war ich (als ehemals sehr großer Zweifler) positiv überrascht.
Interessant finde ich vor allem Deine Erfahrungen mit den anderen Verkehrsteilnehmern. Daß man nicht auf Radwegen fahren kann, sehe ich grundsätzlich eher als Vorteil (Sicherheit). Je nach Alltagsstrecke kostet es eventuell Zeit, wenn Abkürzungen nicht mehr gefahren werden können. Ich genieße mit meinem Trike die Kann-Option der Radwege, ohne die Benutzungspflicht.

Für mich ist ein Velajo sicher nichts, aber das sind die meisten anderen VM auch nicht.
Ich bin mittlerweile aber doch der Meinung, daß das Velajo für manche Leute das richtige VM sein kann, und wünsche Marcus an dieser Stelle ausdrücklich viel Erfolg (und daß er viele der mittlerweile aufgetauchten Anregungen umsetzen kann.)

wolf
(der dank einer Aussage von Baulchen mittlerweile anfängt darüber nachzudenken, ob 63 km einfach nicht vielleicht doch irgendwann mal täglich per Vm zu fahren sein könnten - aber zur Zeit habe ich noch 73 km und etliche andere Baustellen, teils :(, teils :))
 
Dafür nehmen die Besitzer in Kauf, keine Radwege mehr zu benutzen und sehen in der Endgeschwindigkeit nicht den wichtigsten Wert.


Was war denn bis dato die höchste mit einem Velayo gefahrene Maximalgeschwindigkeit?
Und fast am wichtigsten dabei: Wie hat sich's angefühlt?
Mehrfach gefahren?
Auf wirklich *erfahrene* Antworten
freute sich
Urs
 
Hallo Urs, 70 bin ich schon mehrfach gefahren. Geht aus Sicherheitsgründen bei wenig Seitenwind und guter Straße. Mehr ist sicherlich möglich. Mein Gefühl für Sicherheit hört aber bei 55 km auf. Das Velayo ist keine Rennmaschine sondern ein gut sichtbares Velomobil im Straßenverkehr mit einer außergewöhnlichen guten Technik. Frontantrieb links mit kurzer Kette und Hinterradlenkung.
 
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