AW: ... und die RRler so richtig abhängen
Hallo,
ich schreib hier ja selten, aber jetzt muss ich mich doch mal zu Wort melden. Ich schraube wohl an meinem Liegerad rum, aber solange das noch eine Baustelle ist, hol ich mir die Kilometer und den Fahrspass auf dem Rennrad ab. Und was hatte ich nicht alles fuer Vorbehalte: Das Papageienkostuem, die Arroganz, die Unfreundlichkeit, die unbequeme Haltung ... der Glaube, man muesse sich mit den letzten 20g noch einen "Vorteil" gegenueber dem "Gegner" verschaffen, und ineffizient sind die bloeden Dinger auch noch, weil man vor lauter Detailverbesserung die Aerodynamik nicht hinkriegt.
Voellig falsche Sichtweise. Rennradfahren ist ueberraschenderweise ein ganz toller Sport. Ich war erstaunt.
1) Rennradfahrer sind "nur in der Gruppe stark". Ist doch klasse! Dann jagt man nicht als einsamer Wolf durchs Land, sondern man faehrt im Rudel. Ist viel geselliger und deutlich weniger langweilig. Ich bin ein paar Brevets gefahren, und das Fahren in der Gruppe gehoert zu den schoensten Erfahrungen. 400km runterspulen stelle ich mir deutlich stressiger und weniger spassig vor, wenn man allein ist. Zumindest bei den Durchschnittsgeschwindigkeiten, die ich errreiche.
2) Wenn man schneller ist, ja dann muss man halt mehr Kilometer machen. mbi03 hatte neulich die richtige Einheit fuer den Trainingseffekt: Kilowattstunden. Die Kilometer sind doch egal. Wenn ich mit meiner Freundin fahre, bekommt die das schnelle Rad und ich das langsame, und schon ist alles in Ordnung. Da graeme ich mich nicht wegen der verschenkten Watt, sondern freue mich ueber die deutlich schoenere Aussicht
Ist doch nur Training fuer den eigenen Koerper, richtig? Dem ist's doch egal, wie effizient man nun fuhr.
3) Die geduckte Haltung auf dem Rennrad macht agressiv. Das spornt an und motiviert. Ist auch gut so, Radfahren ist eh reine Kopfsache. Und wenn die Leute ihren Stress dadurch abbauen, dass sie nach Feierabend Sportskollegen jagen ... ja wieso denn nicht? Kann man mitmachen oder auch nicht; wenn ich jage, dann steh ich aber dazu. Ist jedenfalls deutlich besser als wenn man mit dem Auto um die Kurven jagt, oder Mitmenschen tyrannisiert.
4) Guckt mal kurz in den Rennsport. Die offenen Klassen sind fast verschwunden, die einfachen Reglements gabs vielleicht bis in die 50er Jahre. Da hiess es, Maximalgewicht 750kg und es gab eine Hubraum-Obergrenze. Heute sind die Reglements unglaublich viel komplizierter, und die Formel 1 ist trotzdem langweilig. Richtigen Rennsport gibts vielleicht bei den Tourenwagen zu sehen, wo die Autos fast identisch sind. Die 24h Nordschleife sind komplett langweilig, weil die Viper ganz vorne spazierenfaehrt und niemand eine Chance hat. Diese doofen Nascar-Rennen sind uebrigens auch ein spannender Sport, weil einfach ne Menge ueberholt wird. Ich kann das auch nicht mitansehen, aber die Fangemeinde ist riesig.
Natuerlich braucht auch die UCI ein sehr praezises Regelwerk, sonst ist der Sport naemlich derbe langweilig fuer alle Beteiligten. Ich finde es respektabel, wie man ein Spassfahrzeug gestaltet hat, das im Preis so dermassen billig ist, dass es fuer jeden erschwinglich ist, der es ernst meint. Mein Rennrad hat 500 Euro gekostet (kein Neugeraet). Damit kann ich mithalten und mich mit Freunden messen. Fuer 2000 Euro bekaeme ich ein Geraet, mit dem man Rennen fahren kann. Das zeichnet einen Sport doch aus, dass er Wettkaempfe zulaesst, aber nicht erzwingt, und sie im besten Breitensport-Gedanken fuer alle moeglich macht.
Velomobile sind keine Wettkampfgeraete. Das sind Prototypen, Rekordfahrzeuge ... aber es gibt keine Wettkampfklassen, in denen sich Fahrer fair messen koennten. Vielleicht koennte man mal eine Quest-Rennserie aufmachen, weil es davon einfach so einen Haufen Fahrzeuge gibt. Oder das Kettwieselrennen, ich habs noch nie gesehen, stells mir aber spassig vor. Sowas geht nicht, wenn sich jemand mal 30W Vorsprung herbeikaufen oder -bauen kann. Das macht den Wettkampfgedanken kaputt. Und irgendwie machts dann auch nicht mehr den gleichen Spass auf der Strasse, den Gegner abzuziehen, wenn er doch eh ein Handicap hat.
Ich finde schnelle Velomobile fantastische Fahrzeuge, hab nur leider weder die Mittel noch die vernuenftige Ausrede, mir eins anzuschaffen. Ich sehe darin aber hauptsaechlich Fortbewegungsmittel, und keine Sportgeraete. Das sind eben die Gran Tourismo-Fahrzeuge, mit denen man nach 300km aussteigt, duscht, kurz was isst und noch fit ist. Ein bisschen Oeko sind wir hier ja alle ... deswegen erfreut mich diese Entwicklung ganz besonders. Kleinkriege mit Rennradlern sind aber unsinnig, es ist eben einfach eine andere Klasse.
5) Der Gedanke mit der Uniformierung. Wenn ich jemand uniformiert sehe, sei es eine Reinigungskraft im Dress ihres Unternehmens, die Bedienung im Restaurant, der bewaffnete Polizist auf dem Heimweg im Zug oder der Bundi im Flecktarn am Sonntagabend in der Bahn ... die haben sofort ein so eigenes Erscheinungsbild, dass sie aus der Masse herausstechen. Das kann furchtbar hilfreich sein und auch elend schlecht. Mit so einfachen Kennzeichnungen kriegt man es jedenfalls hin, dass Menschen sich nicht mehr als gleich ansehen, sondern irgendwie als andere, aeh, Tierart oder wenigstens als ein anderer Stamm, zu dem man nicht dazugehoert. Irgendwie scheint das in uns drin zu sein.
Ja und wenn ihr jetzt nicht ein drahtiges Rennrad umklammert, sondern in eurer Vollverkleidung drinsitzt, und ihr wenns geht noch ne Glaskabine habt, die euch abschottet ... natuerlich werdet ihr dann als Alien (als Fremdling) gesehen, der nicht zum eigenen Stamm gehoert, und daher eine Sonderbehandlung bekommt. Da hilft auch kaum ein nettes Gespraech, ihr seid eben die pinkfarbene Kuh. Das fuehrt leider dazu, dass manche Leute es mit dem Individualismus uebertreiben (die vollbaertigen Langliegerfahrer mit dahingeschustertem Rad, Wimpel und Anti-Atom-Sticker werden immerhin seltener), aber so ganz das selbe wird es nie sein. Ihr seid in einer anderen Klasse, vielleicht sollte man sich eher um Respekt bemuehen als um Integration. Ich achte ja auch ein schoen aufgebautes Motorrad und einen stilvollen Fahrer, obwohl ich dafuer sonst so gar nix uebrig hab.
Da hilft zuallererst mal eine freundliche Haltung. Gruessen sollte man zumindest, ich gruess ja auch vom Rennrad jede Familie auf Trekkingraedern. Fahrzeuge, die einfach geil aussehen, helfen natuerlich auch. Insofern ist das Go-One Evo in all seinen Facetten auch ein wichtiger Beitrag. "Sportliches" Verhalten sollte aber selbstverstaendlich sein, sonst verkehrt man die Anerkennung schnell ins Gegenteil.
Gruesse
Heiko