AW: Radaufhängung eines VMs
Warum nutzt man dann keine normale Dreieckslenker oder McPhersonaufhängung mit punkteller Aufnahme am Rad?
So könnte man via Ackermann den Reifenverschleiß erheblich senken.
Hallo Patrick,
hier mal meine Sicht der Dinge, die ich mir im Studium, aus entsprechender Fachliteratur (z.B. Reimpell/Betzler - Fahrwerktechnik Grundlagen) und durch die Beschäftigung mit der Problematik angeeignet habe.
Es IST im Grunde genommen McPherson. Oder zumindest das, was allgemein als McPherson bezeichnet wird.
Die ursprüngliche McPherson-Achse ist ein radführendes Federbein (also eins, was auch für die Positionierung des Rades zuständig ist und nicht nur zum Federn (wie z.B. bei Doppelquerlenkervorderachsen)) mit einem Querlenkerstab (also einem einzelnen Querlenker, der Richtung Fahrzeugmitte geht) und einem radführenden Stabilisator (also einer Stabilisatorstange, die nicht nur eine Drehstabfeder ist und ausgebaut werden kann (wie Scorpion fs) sondern auch eine radführende Funktion hat, nämlich die, das Rad an Bewegungen in der Längsachse zu hindern. Ausgeführte Achsen siehe Polo 86C oder die Bilder vom woelowmobil.
Allgemein wird auch alles, was einen Dreiecksquerlenker und ein radführendes Federbein hat, als McPherson bezeichnet.
Die Flevo-Vorderachse, die bei vielen VM eingesetzt wird, ist im Prinzip sowas, hat aber anstatt eines Dreiecksquerlenkers zwei getrennte Lenker (die Gewindestäbe), welche einen virtuellen Drehpunkt für die Lenkachse des Rades bilden (das ganze ist ein "Getriebe" mit vier Gelenken und drei Gliedern - das dritte Glied ist das L-Blech unten am Federbein, der virtuelle Drehpunkt ist der Momentanpol, den die Gewindestäbe bilden). Das Rad wird also um die Achse "Momentanpol - oberer Aufnahmepunkt des Federbeins im Radkasten" gedreht. Die Verlängerung dieser Achse bis auf den Boden ergibt einen Durchstoßpunkt. Der Abstand dieses Punktes von der Radmittenebene auf dem Boden ist der Lenkrollradius. Diesen negativ zu halten (also Durchstoßpunkt weiter außen als Radmittenebene) wirkt sich positiv aufs Fahr- und vor allem Bremsverhalten aus. Das ist mit einem festen Drehpunkt an einem Dreiecksquerlenker nicht einfach, weil bei einem Speichenlaufrad kein Bauraum "im Inneren des Rades respektive der Speichen" nutzbar ist, wie z.B. bei einem Scheibenrad eines Autos (man muß mit dem Drehpunkt unten möglichst weit nach außen). Andere Möglichkeit wäre noch, die Spreizung sehr groß zu machen, was aber ungünstig für die Lenkkräfte ist. Außerdem hat man beim VM nich unendlich viel Platz oben nach innen, weil da Beine im Weg sind. Bleibt als Lösung also der virtuelle Drehpunkt, den man sehr weit nach außen legen kann, ohne daß man Bauraum braucht, den man nicht hat.
Das Problem ist, daß sich der Momentanpol beim Lenken in seiner Position (je nach Geometrie des "Getriebes" sehr stark) ändert und damit die Auswirkungen dieser Wanderung in Form von Kinematikveränderungen schwer zu kontrollieren sind. Im Grunde genommen muß man aus meiner Sicht sowas in 3D simulieren, weiß dann aber immernoch nicht wirklich viel - also bauen und guggen wie es geht. Und daß sich alle möglichen Geometrien fahren lassen, beweisen ja die VMs, bei denen die beiden Gewindestäbe je nach Modell verschieden angeordnet sind.
Durch die Positionierung der Anlenkpunkte an der Karossiere und der Drehpunkte des Federbeins im Raum lassen sich die Kinematikwerte der Achse, also die Bewegungskurve des Rades und insbesondere des Radaufstandspunktes beim Einfedern beeinflussen. Es gilt hier auf guten Geradeauslauf, geringen Reifenverschleiß und gute Seitenkraftübertragbarkeit in Kurven zu optimieren (Hauptforderungen, da kommt noch einiges hinzu, was man beachten kann). Teilweise laufen die Realisierungsmöglichkeiten bestimmter Forderungen anderen entgegen - wie so oft beim Konstruieren muß hier halt Kombinationen festgelegt werden, mit denen man leben kann. Geringe Veränderungen in der Lage der Punkte kann hier schon zu wesentlich schlechteren Werten führen.
Zum Thema Ackermann, was bei der Auslegung natürlich auch mit reinspielt: Die Ackermannbedingung gilt nur für seitenkraftfreie Kurvenfahrt. Also quasi nur, wenn man ganz ganz langsam eine Kurve fährt. Alles andere ist Ermessenssache des Konstrukteurs und Auslegungssache des Fahrzeugs. Wohl so ziemlich jedes Fahrzeug ist "unter-Ackermann" ausgelegt, heißt, das äußere Rad lenkt weiter ein als es nach der Bedingung dürfte. Vorteil: geringerer Wendekreis bei Langsamfahrt und bei schnellerer Kurvenfahrt kommt es durch die Seitenkräfte eh zu einem Differenzwinkel (dessen genauer Name mir gerade nicht einfällt .. Spurdifferenzwinkel glaube ich) aufgrund von Schlupf. Das kurvenäußere Rad ist also weiter eingeschlagen als dem tatsächlich gefahrenen Kurvenradius entsprechen würde. Hier gilt es also abzuwägen und entsprechende Lenkungskinematiken zu simulieren und deren Verhalten zu beurteilen, was meiner Meinung nach nur mit Erfahrung bzw. Ausprobieren oder irgendwelchen Richtwerten von anderen Baufreunden geht.
Konstruktive Grüße
Martin