"Mythos" Zentralfederung

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Ich habe mich ja immer gefragt, was am "Mythos" Zentralfederung dran sein kann - physikalisch erschließt sich mir das Konzept nicht (außer für Antriebsfragen). Da sie mal wieder gelobt wurde, hier der Disskussionsfaden, um keinen anderen Thread zu kapern:

Nehmen wir an, der Schwerpunkt befindet sich auf halber Strecke zwischen den Achsen. Wenn des Vorderrad einen Buckel überrolt und die Federung hinten anspricht, wird die Front angehoben und der Fahrer nach hinten gekippt. Die Sensibilität der Federung entscheidet, wie das Verhältnis aus Heben und Kippen ausfällt. (Wenn die Schwelle 3cm hoch ist und das Hinterrad 6cm einfedert, wird nur gekippt, der Schwerpunkt bleibt, wo er ist.
Und welche Rolle soll jetzt der Montagepunkt der Schwinge haben? 6cm Einfedern am Hinterrad sind erst mal 6cm. Eine lange Schwinge ist sicher leichter antriebsneutral zu bekommen, eine extrem kurze Schwinge (sagen wir mal 10cm bei einem fiktiven einseitig aufgehängten nicht angetriebenen Hinterrad) wird ein sehr stark nichtlineares Federverhalten haben, aber ansonsten? Wie sorgt die Zentralfederung im Vergleich zu einer "normalen" Schwinge dafür, dass das Vorderrad Unebenheiten besser schluckt?!

Gruß, Peer
 
Betrachten wir mal nur die Federung, und nicht Fragen des Antriebs (bzw. dessen Auswirkung auf die Federung) (und eine perfekt ansprechende Federung ohne Trägheit):

Klassische kurze Schwinge, mit Drehpunkt unter oder hinter dem Schwerpunkt:
  • Unebenheit hinten: Schwinge federt ein, Schwerpunkt bleibt gleich
  • Unebenheit vorne: Hauptrahmen hebt sich vorne, Schwerpunkt angehoben und nach hinten gekippt
  • => Schwerpunkt hebt sich um 1/2 der Unebenheit, und Schwinge federt minimal, da Schwerpunkt minimal nach hinten wandert
Extrembeispiel sehr lange Schwinge, mit Drehpunkt über dem Vorderrad:
  • Unebenheit hinten: Schwinge federt ein, Schwerpunkt bleibt gleich
  • Unebenheit vorne: Hauptrahmen und Schwinge heben sich vorne am gemeinsamen Drehpunkt, d.h. drehen sich beide nach hinten
  • => Schwinge hebt sich unter dem Schwerpunkt um 1/2 der Unebenheit, Hauptrahmen wegen der Federung weniger
  • => Hauptrahmen kippt unter dem Schwerpunkt nach hinten, hebt sich dort idealerweise aber nicht
D.h. eine „Zentralfederung“ ist eine extrem lange Schwinge, bei dem eine Unebenheit beim Vorderrad den Schwingendrehpunkt nennenswert anhebt. Bei einer klassischen Schwinge ist der Schwerpunkt fix auf dem Hauptrahmen, und dieser bleibt deshalb gleich, und nur die Schwinge bewegt sich. Bei einer Zentralfederung ist sozusagen die lange Schwinge der ungefederte Hauptrahmen, und der Schwerpunkt ist auf diesem federnd gelagert. Weil es ein Drehgelenk ist, kann sich nur das Hinterrad unabhängig vom Hauptrahmen auf und ab bewegen. Das Vorderrad verursacht immer eine Kippbewegung im Hauptrahmen, aber der Hub wird durch die Federung kompensiert.
 
Mir ging es in meinen "auslösenden" Beitrag eigentlich mehr um die Federung am Heck als diejenige vorne, dass mit einer gut funtkionierende Heckfederung eine Federung vorne oft erübrigt war quasi eine Nebenaussage.

Grundsätzlich bin ich auch eher skeptisch bezüglich Zentralfederung oder No Squat oder... oft leider mehr Marketing als anderes.

In der Praxis vermisse ich aber bei meinen heckgefederten Liegen die Vorderradfederung nicht.
Leider konnte ich noch nie eine SPM ohne Federgabel testen, würde mich interessieren ob ich hier ebenfalls die Federung vorne für verzichtbar halten würde.

Andere Vorteile der langen Schwinge wurden ja schon erwähnt (Antriebsneutralität).

Denke aber schon, dass Montagepunkt der Schwinge relativ zum Schwerpunkt eine Rolle spielt.

Falls ich dein vereinfachtes theoretisches Modell korrekt verstehe:
Vollgefedert (Perfekt): Schwelle 3cm, Einfedern vorne 3cm, Schwerpunkt stabil, Fahrzeugfront stabil
Heckgefedert / lange Schwinge / Schwerpunkt in der Mitte, Einfedern 6 cm, Schwerpunkt stabil / Anheben Fahrzeugfront
Heckgefedert, kurze Schwinge bei 3/4 wird der Schwerpunkt um 1/3 der Bewegung angehoben (1 cm bei 3cm vorne) / Anheben der Fahrzeugfront dafür um 1/3 geringer
Ungefedert, Schwelle 3cm - > Anheben um Schwerpunkt um 1.5 cm

Habe ich dein Model korrekt verstanden oder ist ein Überlegungsfehler drinn?

Wieviel des Komfort einer Federung kommt nun vom stabilem Schwerpunkt und welchen Beitrag macht die stabile Fahrzeuglage aus?

Denke, dass die (grössere) Anhebung des Schwerpunktes bei einer kurzen Schwinge verglichen zu einer langen Schwinge), hier um theoretisch 1cm, einen Unterschied ausmacht.

Je nach Liegevelo ist der Schwerpunkt auch näher beim Vorderrad wodurch sich die Geometriewieder ändert, müsste man auch noch einmal durchdenken.

In der Praxis erwarte ich keinen perfekten Wert für die Heckfederung / lange Schwinge aber einen Fahrkomfort, insbesondere in Kombination mit etwas breiteren Reifen, welche mich eine Vollfederung nicht vermissen lässt, insbesonder da damit verbundenen Nachteile (v.a. Gewicht, komlexerer Aufbau der Gabel und auch hier die Antriebsneutralität (Stichwort Gummihüpfkuh)?) wegfallen.
 
Ich hänge mich mal mit einem Link zum Ausgangsbeitrag und einem Kommentar dazu dran:
@Zoxotter Was du hier gemacht hast geht Richtung "Zentralfederung".

Einige heckgefederte Liegeräder haben die Aufhängung der Heckfederung weit nach vorne gezogen nahe zum Schwerpunkt, funktioniert nach meiner Erfahrung gut und macht eine Vorderradfederung weitgehend überflüssig.
OK, den Teil zur Federungsdynamik kann ich wieder löschen, das hat @Christoph Moder ein paar Minuten schneller und vollständiger erledigt.

Bei Tiefliegern (und bei großer Tretlagerüberhöhung) muss man das Schwingenlager weiter nach vorn ziehen, wenn man einerseits die Kette unter dem Sitz durchbekommen und andererseits die Rolle nahe beim Schwingenlager anordnen möchte. Die Rolle nahe beim Schwingenlager zu haben ist sinnvoll, um die Einflüsse von Federbewegung und Ritzelgröße klein zu halten; je weiter vor dem Lager die Rolle sitzt, um so stärker wandert die Kette beim Lager auf und ab, wenn sie auf andere Ritzel wechselt und wenn die Federung arbeitet.
 
@Christoph Moder: Überzeugt mich nicht. Vereinfachen wir weiter, das Rad wiege 5kg, Fahrer gibt es nicht, dafür einen 2000kg-Klumpen schwarzes Loch im Schwerpunkt (dieser wieder mittig zwischen den Achsen). Das Konstrukt besitzt also faktisch kein Trägheitsmoment beim Kippen. Wenn nun eine Unebenheit das Vorderrad um 3cm anhebt, wird das Hinterrad um 3cm einfedern damit der Schwerpunkt bleibt, wo er ist. Dafür spielt die Lage des Drehpunkts mMn keine Rolle, es sollte genauso funktionieren, wenn das fiktive Rad eine starre Schwinge und eine Federgabel besitzt und die Unebenheit mit dem Hinterrad überfahren wird.
In der Praxis - ich gehe davon aus, das die ungefederte Masse >> Masse von Schwinge plus Hinterrad ist - "streiten" ich (Massen)-Trägheit und Trägheitsmoment. Das Rad wird also nicht so weit nach hinten kippen, weil das Trägheitsmoment sagt, "ich will lieber linear angehoben werden".
Entscheidend sollte eigentlich nicht die Lage des Drehpunkts sein, sondern die des Schwerpunkts. Bei SM und co lässt sich vermutlich die Hinterradfederung eher einsparen als die Federgabel, das Birk als wichtiger Verfechter der "Zentralfederung" hat den Schwerpunkt ja recht weit hinten.

Die Argumente bzgl. Wippen und Kettenlauf sind klar.

Gruß, Peer

Gruß, Peer
 
Für die Systemantwort des Fahrzeugs auf einen Stoß von unten gegen ein Rad, eine Achse, eine Spur ist doch relativ unerheblich, wo irgendein Schwingendrehpunkt genau liegt. Die Position der Schwingenachse ist dafür verantwortlich, auf welcher Kreisbahn am Fahrzeug sich die Radachse bewegen kann, aber welchen Einfluß auf die Dynamik des Einfederns soll das haben?

Mit einer Zentralfederung kann ich die Radaufhängungen so miteinander koppeln, dass ich die Dynamik der Nickbewegung, Wankbewegung und der (translatorischen) Auf-/Abbewegung getrennt voneinander einstellen kann. Das geht mit voneinander unabhängigen Radaufhängungen nicht!
 
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