Velomobil Probefahrten: Velayo, DF-XL, Strada, Quest Carbon, Milan SL

Milan SL
Durch die Erfahrungen der letzten Tage hatten einige meiner sorgfältig aufgebauten Urteile zwar Korrekturen hinnehmen müssen, aber ich war zufrieden, ich hatte eine Menge gelernt und nun wollte ich noch ein Modell unter die Lupe nehmen, das ich immer irgendwie besonders fand. Und besonders heißt für mich automatisch interessant. Der Milan entzieht sich den üblichen Normen ein bisschen, auf Fotos finde ich es zum Beispiel wirklich schwer, ein Gefühl für seine Größe zu bekommen, selbst wenn man schon welche in echt gesehen hat. Die Geschwindigkeit ist sicher in Ordnung, aber für mich kommt er aber eher weniger in Frage, wegen der schlechten Erreichbarkeit der Vorderräder, der geringen Bodenfreiheit, der fehlenden Federung hinten (optional lieferbar, aber ist die dann wiederum steif genug?), dem großen Wendekreis und dergleichen mehr. Weiß man ja alles.

Solchermaßen in meinem inneren Wertesystem gefestigt bin ich also nach Siedenburg gefahren, wo mich Jens empfangen hat. Da habe ich erst einmal dicke Backen gemacht, weil der Milan GT nicht wie vereinbart da war, den ich auf Grund meiner Größe (1,88cm, lange Beine und für meinen BMI eher breite Schultern) und der Hinterradfederung auf jeden Fall fahren wollte. Natürlich war ich auf den SL neugierig, aber ins DF habe ich schon nicht reingepasst, da habe ich mir beim SL kaum Hoffnungen gemacht. Aber gut, ohne Probefahrt wollte ich auf keinen Fall wieder nach Hause fahren. Also erst einmal den SL gesucht (da unten?) und zum ersten Mal gedacht, wenn ich mit dem nach Hause komme, hält meine Frau mich endgültig für übergeschnappt. Niedrig ist der. Schon auch irgendwie faszinierend, auf eine ganz andere Weise als das DF.

Also reingesetzt und das Tretlager noch 2cm wieder rangeholt und - ja, gibt’s das? Passt. Und zwar wie angegossen. Die Schultern haben zwar Kontakt mit der Außenwand, da war ich mir erst nicht so sicher wie ich damit klar komme, aber im weiteren Verlauf hat mich das nicht mehr gestört. Knie stoßen nicht an, Hacken auch nicht, die Füße schleifen nirgendwo und auch zwischen den Radhäusern war immer noch minimal Platz. Nicht viel, aber es reichte, um ohne Kontakt zu pedalieren.
Naja, also probiere ich halt den SL statt des GT.

Die Strecke nach Asendorf ist wellig, nicht wirklich hügelig, der Asphalt ziemlich gut, von daher ideales Geläuf für ein VM. Ich habe es aber nicht auf Geschwindigkeit angelegt, weil mir erstens mein Zeh noch wehtat und außerdem immer noch sehr kräftiger und vor allem unangenehm böiger Wind wehte, aber immerhin war es trocken.
Die erste Runde bin ich komplett offen gefahren, also ohne Deckel und Haube, der SL beschleunigte ohne Murren gut weg und ich war auf dem Weg. Die Kassette hätte meiner Meinung nach durchaus feiner abgestuft sein dürfen, aber irgendwas ist ja immer. Der Tacho zeigte auch alles an, nur keine Geschwindigkeit, aber egal, die Sonne schien und ich musste mich nur auf den Wind etwas konzentrieren, der immer mal wieder von Gebäuden und Gebüsch unterbrochen einen manchmal ordentlich versetzte, zum Glück war nicht so viel Verkehr. Für das bessere Wetter konnte der Milan ja nichts, aber die Fahrt habe ich einfach nur genossen, ich lag entspannt (wesentlich flacher als im DF, Strada und Quest sowieso) und ließ locker pedalierend die Landschaft vorbeigleiten. Das nächste, was mir klar wurde, war, das Tiller nicht gleich Tiller bedeutet. Vielleicht ist das auch nur eine Abstimmungsfrage, aber während der bei den drei Holländern eher lang war und man in einer Art Hamsterstellung steuerte, indem man den Tiller entlang seiner Längsachse verdrehte, war der Tiller im Milan kürzer und behielt von selbst eine aufrechtere Position bei. Lenken tat ich mit leichten Bewegungen nach rechts und links. Ich weiß, dass einige ihren Tiller aufhängen, um einen ähnlichen Effekt zu erreichen, wirkt sich das auch in gleicher Weise auf die Lenkcharakteristik (rechts/links statt Drehbewegung) aus, kann dazu mal jemand was sagen, der den SL gut kennt?

Egal wie es zustande kam, jedenfalls war das Lenkgefühl im Milan ein ganz anderes, nach der ersten Kurve hatte ich den Bogen raus und konnte den Milan auf Zentimeter genau dirigieren (halbe Meter Windversatz mal ausgenommen). Was ich immer noch nicht konnte, war um die Kurven flitzen, weil ich nicht weiß, wie allmählich sich der Grenzbereich, Wegrutschen oder Umkippen ankündigt, darauf wollte ich es nicht ankommen lassen und habe immer brav abgebremst vor den Kurven. Die tiefe Position hat mich nicht längst nicht so gestört wie gedacht, da ich auf Grund der guten Beschleunigung und der höheren Geschwindigkeit viel besser im Verkehr innerorts mitschwimmen konnte und von daher auch viel weniger zum Überholen eingeladen habe. Noch so eine Erkenntnis, die man nur in der Praxis überprüfen kann. Im Ort bin ich auch noch ein wenig herumgegurkt und dann wieder zurück, diesmal schräg gegen den Wind, was wie schon im DF verblüffend wenig Unterschied machte. Die tiefstehende Sonne und die gleißend helle Fahrbahnoberfläche ließen mich dann aber doch den Rückspiegel genau im Auge behalten. Unter diesen extremen Gegenlichtbedingungen werden ja schon Aufrechtradler übersehen und der Milan hat ein noch kleineres Profil. Ein solches bedauernswertes Exemplar, das gegen einen Wind ankämpfte, den ich fast gar nicht spürte, überholte ich und verlor ihn gleich wieder aus dem Rückspiegel, man kommt sich richtig schäbig vor, wenn man da so locker vorbeizieht.

Ich will es mal kurz machen. Ich bin dieselbe Runde (jeweils knappe 20km) dann auch noch mit Haube gefahren und auch noch mal eine andere Strecke auf schlechterem Asphalt und einem holperigen Bahnübergang in die andere Richtung. Ich weiß jetzt, was KidKaracho mit “Kopf nicht ablegen, schont die Rübe” meint. Das Ding ist steinhart und mit Haube auch laut, wenn auch nicht so schlimm wie ich es befürchtet hatte.
Als ich Jens fragte wie lang denn die Kurbeln gewesen seien, sagte er: “140 <Pause> Also du musst dich da schon eine Weile dran gewöhnen, wenn du bisher längere Kurbeln gefahren bist, die Schnitte ändern sich erst nach und nach….”

Ich musste ihn irgendwann unterbrechen, dem mag ja durchaus so sein aber...

AAAA.L.T.E.R., das Ding rennt ja so schon wie die Sau! Selbst wenn sich da nicht mehr viel ändern sollte…
Von wegen Tacho kaputt. Ich habe es mit dem Handy verglichen und das war dann offenbar genauso kaputt. Selbst ohne Haube nach Asendorf hin und zurück 40+ Schnitt in Bewegung und mit Haube 46+. Ich will nicht angeben, aber ich bin nicht annähernd gefahren, was der Motor hergibt, diese Leistung hätte ich wirklich über lange Zeit halten können und meine Muskulatur ist kurbeln obendrein überhaupt nicht gewöhnt, da der Bewegungsablauf beim Rudern ein komplett anderer ist.
Ich fing dann an hochzurechnen, wenn ich bei 2°C und Starkwind, lockerer Fahrweise und nur neun ungebrochenen Zehen schon so flott unterwegs bin wie ich es kaum zu hoffen gewagt hatte, was geht denn dann bitte im Sommer :eek:???
Ich erinnere mich auf dem Rückweg vor einer Rechts/Linkskombination kurz vor Siedenburg eine kräftige Angstbremsung veranstaltet zu haben und anschließend fluchend den Hügel heraufgeschlichen zu sein, um oben festzustellen, dass ich aber immer noch mit 35 unterwegs war. Hatten am Ende all diejenigen Recht, die hier im Forum immer predigen, dass so etwas geht? Warum weiss ich das erst jetzt?

Na gut, wenn das stimmt, dann stimmt aber auch dass man sich das kaum vorstellen kann, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Ich wechsele jetzt kurzerhand die Seiten und behaupte:
Selbst erlebt. Geht.
Waaaah, ich Trottel!
Ich gehe bestimmt gerade allen schrecklich auf die Nerven, aber ich freue mich wie ein kleines Kind.
Hahaahaaaaaa :D:ROFLMAO:
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich furchte schon du wurdest den Milan vergessen, das ist glucklicher weise nicht passiert. Schones bericht!

Jeroen
 
Beim unterschreiben des Formulars für die Probefahrt kann ich mich noch sehr gut an die Worte von Jens erinnern.

" wer da unterschreibt, der bestellt auch"

Georg
 
Ich kann deine Erfahrung nur bestätigen,
nach meiner Testfahrt konnte ich kaum glauben wie der Milan rennt. :)

Mit meinem Trainingsstand konnte ich problemlos 50Km/h dahin gleiten und das sind Welten im vergleich zu meinem Skorpion :))

Gruß
Achim, der immer noch im Wartezimmer sitzt :barefoot:
 
wer da unterschreibt, der bestellt auch"
Nein. (Beweis durch Gegenbeispiel ;))
Auch ich habe GT und SL getestet und konnte mich zu beiden nicht durchringen. Der Abstand zwischen Quest und GT war mir zu gering und der SL zu wenig wohnlich. Trotzdem ist der SL ein nettes Geschoss. Auch ich war damals überrascht, wie gut Antrieb, Sitzgeometrie und kurze Kurbeln (bei meinem Test 155 mm) harmonieren. (Auch mir war nicht bewusst, dass ich mit so kurzen Kurbeln unterwegs war; aber meine Winterschuhe schliffen und als ich erwähnte, dass man da ja noch mit kurzen Kurbeln optimieren könne, erwiderte Jens: ähhhm, das sind schon 155er ...)

-Andreas
 
Ich bin 187 cm gross umd habe Schuhgröße 46-47. und dennoch konnte ich von 140 er auf 155er Kurbeln erhöhen.
 
@Prion : was Du erlebt hast, hatte ich vor 4 Jahren schon mal mit "Super-Flow" umschrieben ... ;). Bislang habe ich das noch bei keinem anderen VM (incl. DF) so erlebt; man muss es wohl mal selbst erfahren ...
 
Nach meiner euphorisierenden Entdeckung, dass Träume offenbar wahr werden können, noch in diesem Leben und hier auf der Erde und ganz ohne irgendwelche Gesetze zu brechen, kamen auch ganz schnell die Gewissensbisse (tja, so ist das im Leben). Ich stehe wie @Sunny Werner berichtet hat tatsächlich schon seit gefühlten Ewigkeiten auf einer Warteliste für ein DF-XL und komme mir nun auf einmal vor, als hätte ich kurz vor der Hochzeit noch ein Techtelmechtel mit einer anderen gehabt. Einerseits natürlich toll, ein Traum kann wahr werden, aber habe ich auch die richtige Wahl getroffen?

Was jetzt? Alle Einladungen verbrennen und die ganze Hochzeitsgesellschaft wieder ausladen? Aber einfach mal eine andere heiraten ist nicht nur unmoralisch, es ist auch gar nicht so einfach, da sich beim SL MK3 schon @Kid Karacho und Konsorten auf der Warteliste breit gemacht haben (abgesehen davon wären noch 2000 Euro Mitgift fällig).
Aaaber - bis zum Herbst zu warten bis ein SL MK3 verfügbar wäre hält mein Nervenkostüm einfach nicht aus. Also gaaanz langsam und noch einmal tief Luft holen. Was bin ich noch mal? Ach richtig, so schön objektiv und so…Ommmhh.
 
Okay, was genau ist denn passiert?

Den Milan SL MK2 nur der Vollständigkeit halber in meine Favoritenliste aufgenommen zu haben, weil er fast keines meiner Kriterien erfüllte, war die dämlichste Fehleinschätzung, die mir in meiner ganzen Vorbereitungszeit unterlaufen ist. Das Ding ist wirklich rattenscharf. Einige meiner Kriterien waren schon an sich okay, haben aber im Rückblick einfach gar nicht sichergestellt, dass ich meinem eigentlichen Ziel näher kam. Dem nämlich, was ich während dieser Fahrt mit dem SL getan habe, mit eigener Muskelkraft über Land zu fliegen. Erinnert ihr euch, dass ich eingangs schrieb, Geschwindigkeit an sich sei mir gar nicht so wichtig? Alles Quatsch, das war der Prion von letzter Woche, der von heute will fahren und zwar schnell und ja, auch ganz weit. Gut.

Eines habe ich immerhin dadurch gelernt: Das Ganze ist keine Illusion und ich bin mir nun sehr sicher, dass ich mir nicht in zwei Wochen stillschweigend eingestehen muss, dass ein Velomobil für mich ein teures Hirngespinst war. Angesichts eines Kaufpreises oberhalb von 8 großen Scheinen (für ein Fahrrad…) ist das ja schon mal gut.

Auf einem ganz anderen Blatt steht die folgende Frage: Dass ich dieses Schlüsselerlebnis nun mit dem Milan hatte, heißt das, dass ich den zu meinem Glück auch brauche? Das hat mich echt schlaflose Nächte gekostet.

Hätte ich den Gegenbeweis und wüsste, dass das DF nicht in der gleichen Liga spielt, dann täte es mir zwar leid, aber dann würde ich umbestellen, auch wenn es weh täte bis zum Herbst mindestens warten zu müssen. Eines aber ist klar, DA WILL ICH HIN, so will ich fahren und nicht anders. Kleinerer Wendekreis wäre schon schön, Federung hinten auch, mehr Bodenfreiheit auch, es waren ja nicht alle meiner Überlegungen von vorher kompletter Blödsinn, aber wenn klar wäre, dass ich nur ohne mein Ziel erreichen könnte, würde ich ohne mit der Wimper zu zucken meine Kriterien von gestern opfern.
 
Meine Fahrt mit dem DF ist nun buchstäblich ins Wasser gefallen, insofern war es ein Produkt der Umstände, dass die Fahrt mit dem Milan nun die erste war, die mir ein schnelles Velomobil mal richtig vor Augen geführt hat. Unter den Bedingungen in Dronten wäre auch der Milan langsamer gewesen. Wieviel? Keine Ahnung, aber ich kann nicht endlos viele Probefahrten machen, irgendwann muss ich ja auch arbeiten.

Ich verlasse mich erst einmal darauf, dass alle, die die Ergebnisse ihrer Messungen und Vergleichsfahrten hier veröffentlicht haben (an dieser Stelle noch mal ein ganz dickes DANKE an alle!), sich einig waren, dass DF und SL in einer ganz ähnlichen Liga spielen. Insofern bleibe ich aus einer Kombination von Gründen, die so nur auf mich zutreffen, bei meiner ursprünglichen Absicht, denn meine Faszination für das DF ist ja nach wie vor ungebrochen. Es kam nur wie der Blitz aus heiterem Himmel, wie weit sich der Milan nach vorn gekämpft hat (@Stony: guck erst mal ob du in den SL nicht doch reinpasst).

Der Prion von heute will nicht nur schnell fahren, sondern auch bald. Hätte ich mich genauso unverbindlich in eine Warteliste für den Milan eintragen können, wäre ich unter Umständen nicht mal bis nach Dronten gekommen.

Du magst doch Herausforderungen, Daniel, oder? Also leg dich ins Zeug, ich komme und erwarte nicht weniger vom DF als mir der Milan schon vorgeführt hat, Geschwindigkeit, Abstimmung und dieses Gefühl von Leichtigkeit. Ich weiß jetzt, dass es geht, aber die Latte hängt hoch. Streng dich an, ich bringe Bier mit.

Meine Frau schaute mich nur an und fragte: “Wieviel?”. Als sich die anfängliche Aufregung ob des Preises gelegt hatte, grinste sie nur kopfschüttelnd und meinte “Verrückt, aber musst du wissen”. Diesen Gesichtsausdruck von mir kennt sie.
 
Dein Gedankengang zum Milan erinnert mich an meine eigene damalige Probefahrt in Siedenburg.
Da hätte man mir das Grinsen auch ausm Gesicht prügeln müssen, und das war "nur" der dicke Bruder des SL.
Bei mir hat sich damals sämtliche Ratio ausgeklinkt und ich habe entgegen meines ursprünglichen Plans 'nen Bausatz geordert.
Bereuen tue ichs nicht.
Du machst das schon!
 
So, bevor das noch Krieg und Frieden Teil 2 wird, beende ich hiermit meinen Groschen-Fortsetzungsroman. Ihr habt's überstanden ;).

Danke für Eure Geduld und den zivilen Umgangston hier im Forum. Ich bin auch überrascht, wie viele Danke von erfahrenen Velomobilisten kamen, denen ich gar nichts Neues zu sagen hatte. Weil es offenbar gelesen wurde, habe ich weiter geschrieben. Vielleicht haben sich ja einige von euch in meinem Entscheidungsprozess wiedererkannt und vielleicht gibt es ein paar Orientierungspunkte, wenn jemand sich erstmals mit der Materie beschäftigt.

Tschüs
Prion (der jetzt mal ins Wartezimmer eilt)
 
....einige von euch in meinem Entscheidungsprozess wiedererkannt und vielleicht gibt es ein paar Orientierungspunkte, wenn jemand sich erstmals mit der Materie beschäftigt.

Tschüs
Prion (der jetzt mal ins Wartezimmer eilt)

Ich werde das Wartezimmer am Montag mit meinem neuen DFxl verlassen. Ich werde dann berichten wie sich dieses VM auf meiner Pendelstrecke im Vergleich zum C-Quest schlägt. Ein SL bin ich leider nur einmal ganz kurz probe gefahren. Zum Vergleich ungeeignet.
So ein Entscheidungsprozess ist schon ganz schön aufregend. In vielen Punkten und Überlegungen habe ich mich durchaus wieder gefunden.
Du wirst mit deinem DFxl sicher glücklich werden.
 
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