Stufentandem - 2000 km Velomo Hi-Life2 - ein Erfahrungsbericht

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Vorgeschichte:

Nach ca. 1000 km auf einem geliehenen "Hase Pino" und einem nicht zufriedenstellenden Versuch mit einem Trike-Stufentandem haben meine Frau und ich Ende Februar diesen Jahres ein "Velomo Hi-Life2" Stufentandem erstanden. Genau genommen, den weißen Prototyp / Vorführrad, der ersten Modellreihe mit relativ hohem Stokersitz und ca. 1,65 m Radstand. Bei der neuen Version wurde das Oberrohr abgesenkt und die dritte Strebe am Hinterbau weg gelassen. Mit dem Rad sind meine Frau und ich inzwischen 2000 km gefahren, davon 1000 km auf Tagestouren zwischen 30 und 120 km mit 5-15 kg Gepäck und eine Woche lang 700 km mit ca. 30 kg Gepäck inkl. Zelt, Kocher, 2 Iosmatten und 2 Schlafsäcken und Getränken.

Hier das gute Stück in Aktion am Schloss in Dornburg (SA)
Hi Life 2 Dornburg.jpg

Ausstattung / Aufbau

Wir haben das Rad als Vorführrad wie es da war gekauft:

wackeliger Gepäckträger hinten, keiner vorn,
Standard 622er Hinterrad mit 19mm Felge,
Shimano DH32 Nady vorn mit dicker Discfelge mit 23er Maulweite (406 mm)
Avid BB7 Bremsen V+H
Schwalbe Roadcruiser / Spicer irgendwas Reifen

Die Ausstattung wird normalerweise mit den Käufern abgestimmt und in einigen Punkten deutlich umfangreicher Ausfallen als hier genannt, dafür wird vermutlich auch die Rechnung umfangreicher ausfallen und ich bin den Jungs von Velomo wirklich dankbar, dass sie uns das Rad für einen fairen Preis überlassen haben.

Normalerweise werden die Rahmen auf Maß gefertigt in diesem Fall ging das natürlich nicht. Da ich mit 1,92m etwas größer bin als für den Rahmen geplant, wurde der Stokersitz nach vorn versetzt und der Vorbau des Captains von 0 mm auf 70 mm länge angepasst und der Ausleger für den Stoker entsprechend verlängert und auch die Kurbel vorn auf 150 mm gekürzt. Dadurch sitzt der Stoker etwas weiter vorn auf dem Vorderrad, was das Fahrverhalten natürlich verändert. Da meine Frau im Gegensatz zu mir aber deutlich leichter ist, ist das verkraftbar.

Nach den ersten Testfahrten habe ich noch folgendes verändert:

Gepäckträger hinten auf Topeak Explorer Disc getauscht

Die Scheibenbremsaufnahme an den hinteren Ausfallenden ist leider außenliegend, so dass viele GT nicht passen. den Tubus Disco mit Befestigung an der Achse hätte man evtl. montiert bekommen, wäre aber eng geworden. Die M5 Löcher am Rahmen waren leider ohne Gewinde und eine Mutter hat wegen der wechselbaren Ausfallenden nicht dahinter gepasst. Hier wären in Zukunft innen liegende (zwischen Ketten und Sattelstrebe) wünschenswert. Mit etwas Gefrickel sitzt der GT nun aber bombenfest.

Vorn hat mir Steffen von Velomo noch einen Edelstahl-Lowrider geschweißt bzw. vorgeschweißt und ich habe die letzten beiden Laschen passend zur Aufnahme am Rahmen angeschweißt (da das Rad in Hamburg und nicht in Weida stand).

Hinterreifen auf 42/622 Schwalbe Marathon Supreme EVO
Vorderreifen auf 47/406 Schwalbe Marathon Greenguard

Bei 19 mm Maulweite wollte ich hinten nicht auf 47 oder 50 mm gehen, auch wenn der Rahmen das noch hergibt. die 42 mm sind mit 200 kg Gesamtgewicht noch vertretbar, aber nicht optimal.
Wenn der Reifen runter ist oder nächstes Frühjahr werde ich hinten wohl auf eine 589er / 650B Felge mit 23er Maulweite wechseln und einen 55 mm Reifen aufziehen. Vorn ist es so wie es ist super.

Als Beleuchtung habe ich noch vorn eine NaDy gespeiste BUMM IQ Premium an die Gabel angebracht. Diese leuchtet unter dem Stocker her und auch prima in die Kurven, da an der Gabel befestigt.

Übersetzt ist das Rad momentan mit 28/38(/34) vorn und 11-34 9-Fach (Shimano Deore Hebel und Schaltwerk) hinten. das Äußere Kettenblatt ist kleiner als das Mittlere, da die Kette sonst am Ständer schleift und wird einfach nicht benutzt. mit 38/11 kann man schon schnell genug treten, das Rad ist eine Touren- und keine Rennmaschine.

Die Lenkübersetzung der Indirektlenkung war im Auslieferungszustand eine Untersetzung (ca. 1:0,7). Dies habe ich ziemlich schnell durch eine andere Aufnahme auf 1:1,2 geändert. Steffen von Velomo sagte mir, dass durch die Untersetzung, das Fahrverhalten bei hohen Geschwindigkeiten sehr gut sei. Das Stimmt, leider ist der Kurvenradius dadurch aber riesig. Mit 1:1,2 habe ich bei hohen Geschwindigkeiten keine Verschlechterung merken können, aber es ist wesentlich wendiger geworden.

Ja wie fährt es denn nun?

Das Anfahren mit einem Tandem ist immer etwas wackeliger als normal, aber auf dem Stufentandem geht es ganz gut. Da der Stoker einen Freilauf hat, kann der Captain, wie auf einem Aufrechtrad, normal starten und der Stoker setzt ein, sobald es rollt. Je nach Gepäck und Hilfe des Stokers kann das manchmal auch so behäbig sein, wie ein Elefant der zum Fliegen ansetzt, aber Anfahrprobleme mit Umfallen hatten wir nie.

Wenn es läuft, dann läufts! Einmal in Fahrt gleitet man zu zweit sehr schön dahin. Das Hi-Life ist angenehm Steif auch, wenn man als Captain, mal aus dem Sattel geht und kräftig am Lenker zieht und in die Pedale tritt. Das Hase Pino ist hier nach meinem Empfinden deutlich weicher und wackeliger und ein Wiegetritt nahezu unmöglich. Das Hi-Life haben meine Frau und ich auch 15% Rampen mit 30 kg Gepäck, beide im Wiegetritt, (sie mit den Schultern am Sitz) hochgestemmt. Auch bei hohen Geschwindigkeiten fühlt sich die Lenkung fest und spielfrei an und der Rahmen liegt satt auf der Straße (kein Wunder bei 200 kg Gesamtgewicht). Die Federgabel vorn ist sehr wichtig und schluckt vieles weg. Hinten kann man halt mal aus dem Sattel gehen.

Und wie schnell fährt man damit?

Die Frage haben wir des Öfteren zu hören bekommen und nicht alle waren mit der Antwort glücklich. Bei einem Starken Team aus Captain und Stoker ist man mit dem Stufentandem sicher schneller als auf zwei einzelnen Rädern. Oft wird ein Tandem (wie in unserem Fall auch) von Paaren mit unterschiedlichen Leistungen gefahren. Die Reisegeschwindigkeit bei meiner Frau und mir liegt in der Ebene ohne Windeinfluss bei mittelmäßigem Asphalt je nach Gepäck bei ca. 25 km/h. +- 2 kmh. Am Tagesende landen wir, wenn ich schieben durch Fußgängerzonen oder ähnliches rausrechne, bei 20 km/h Schnitt in Bewegung. Alleine wäre ich sicherlich schneller, meine Frau würde aber alleine gar nicht erst ankommen und wenn dann nur deutlich langsamer. Bergauf hat das Stufentandem ggü. einem Doppellieger den Vorteil, dass der Captain im Wiegetritt nochmal etwas mehr wegdrücken kann. Bergab geht's richtig schnell. Wenn man einmal nicht hinschaut ist man schnell bei 50 kmh oder mehr. Auch da macht das Hi-Life 2 noch richtig Spaß.

Und das Fazit?

Ein Stufentandem macht im Tandemalltag vieles Angenehmer als ein Aufrechttandem oder ein Doppellieger. Kommunikation und das Zeigen von Dingen am Wegesrand sind sehr einfach, wenn die Köpfe nur wenige cm auseinander sind und beide uneingeschränkte Sicht haben. Trotz allem muss aber der Captain leider im Sattel sitzen und kann nicht liegen, was sich nach 120 km am Tag natürlich bemerkbar macht.

Mit dem Velomo Hi-Life haben sich einige Probleme (mangelnde Steifigkeit) ggü. dem Pino deutlich verbessert. Etwas Luft nach Oben ist an der ein oder anderen Stelle noch da. Die Scheibenbremsaufnahmen sollten innen liegen oder die wechselbaren Ausfallenden geändert werden. Serienmäßig wäre mir eine Übersetzung der Lenkung lieber, als die Untersetzung. Aber sonst fällt mir als Kritik am Gesamtkonzept (Die Ausstattung ist ja variabel) nichts weiter ein. (Außer dass der Captain notgedrungen auf einem Sattel sitzen muss)

Auch meine Frau ist mit dem flacheren Sitzwinkel sehr zufrieden und will das Rad nicht mehr her geben - was sich auch in der Kilometerleistung (2000 km in 4 Monaten) widerspiegelt.

Das Wichtigste für ein schönes gemeinsames Fahrerlebnis auf einem Tandem - und beim Stufentandem ganz besonders - ist aber, fernab aller Technik:

1: Man muss sich wirklich sehr mögen, man muss sich vertrauen, vor allem der Stoker, der ohne Handlungsmöglichkeit vorne drauf mit 50 kmh bergab durch die Kurve geschoben wird, muss dem Captain vertrauen.

2: Der Captain sollte klar machen, wenn er aufhört zu treten, Hindernisse / Unebenheiten ankündigen und sich niemals über mangelnde Leistung des Stokers beschweren.

3: Gleichzeitig sollte der Stoker auch das leisten, was er kann und nicht am Hang aufhören zu treten, außer es können beide darüber lachen und führt nicht zum Umfallen (Siehe Punkt 1)

Zuletzt noch mein Lieblingskommentar eines kleinen Mädchens zu unserem bei vielen Passanten Aufsehenerregenden Gefährt: "Was ist das denn für ein Fahrrad? So ein Rad gibt es ja gar nicht!"

Ich hoffe, das war jetzt nicht zu viel und ich konnte den ein oder anderen davon überzeugen, dass Tandem-Fahren (auch, aber nicht nur auf dem Velomo Hi-Life 2) richtig Spaß machen kann und in vielen Situationen Hilfreich ist. Auf den ganzen 2000 km, haben wir nämlich nur eine Hand voll anderer Tandemfahrer getroffen und nur 3 Stufentandems.
 
Schöne Beschreibung, Danke.
Ich selbst habe es am Tandem in schwierigen Balancesituationen immer sehr angenehm empfunden, wenn der Stoker permanent reintritt und ich als Captain das, was ich gerade nicht brauchen kann, einfach wegbremse.
So ist dauerhaft Kraftreserve da und enge Situationen an Drängelgittern, bewim Umdrehen etc... werden für mich leichter.
Gruß, Harald
 
Hallo Till,
interessanter Bericht, Euer Tandem mit starrem Hinterbau wird sicherlich steifer sein als unser ehemaliges. Bei unserem hatten wir die Erfahrung gemacht, dass Straßenlage und Lenkbarkeit bei möglichst wenig seitenelastischen Reifen am besten ausfallen. Wir haben von 47-406 / 47-559 auf 35-406/37-559 gewechselt und erfuhren darin einen großen Unterschied.
Grüße, Antoine
 
Servus Till & Co.,

auch wir hatte ein Stufentandem zur probe geradelt und uns aber schießlich doch für ein UP entschieden.
Tandem, egal in welcher Ausführung ist ideal für zwei Peronen mit unterschiedlichem Leistungspotential.
Sehr schöner Bericht mit zahlreichen Paralellen zu unseren Er-Fahrungen.

Griaße (Grüße)
Scor & Pedalo
 
Zuletzt bearbeitet:
Servus,
@derTill : Danke für den Erfahrungsbericht und die kontruktive Kritik :)
Viele der "Mängel" haben wir ja mittlerweile beseitigt, z.B. sind neue Ausfallenden hinten verbaut die die Discaufnahme innen haben und mehrere M5 Ösen für Gepäckträger und Schutzblech bieten.
Der Strocker sitzt tiefer und ein besserer Ständer ist erhältlich.

Viel Spaß noch mit dem Rad :)

Gruß,
Patrick
 
Nette Sache, so ein Stufentandem. Ist halt arg langsam im Vergleich zum Aufrechttandem. Kann bergab von Vorteil sein, wenn man nicht zu schnell werden will. Wie meinte doch ein berüchtigter Tandemcaptain: Ich fahr bergab nicht langsam, ab Tempo 80 verstummen die Schreie von hinten sowieso!
Womit ich nicht übereinstimme ist Punkt 2: Ich habe gute Erfahrung damit gemacht, beim Stoker falls benötigt mehr Leistung auf Zuruf abzurufen, den Rest der Zeit durfte er/sie dann machen was/wie gewollt war. Besonders gut, wenn mein Foto hinten war und es dementsprechend tolle Bilder gab.

Gruß,

Tim
 
Bei unserem hatten wir die Erfahrung gemacht, dass Straßenlage und Lenkbarkeit bei möglichst wenig seitenelastischen Reifen am besten ausfallen. Wir haben von 47-406 / 47-559 auf 35-406/37-559 gewechselt und erfuhren darin einen großen Unterschied.

Wir haben nach den ersten Testrunden mit hinten 32/622 ganz schnell auf 42/622 gewechselt. Mit dem schmalen Reifen war das einfach viel zu schwammig und ich hatte an jedem Körnchen Angst vor einem Durchschlag + Snakebite. Mit den 42ern fährt es sich schon ganz gut, aber eine breitere Felge für mehr Seitenhalt wäre mir noch lieber. Harte Seitenwände / Karkassen mag ich nicht. Beim Tandem zählt der Rollwiderstand ja doppelt, da doppelte Last.

Der Strocker sitzt tiefer und ein besserer Ständer ist erhältlich.

Mit der hohen Sitzposition des Stokers hatten wir bisher keine Probleme. Das Aufsteigen hat nach ein zwei mal üben super geklappt. Für Stoker unter 1,60m oder bei schwereren Stokern ist das aber sicher hilfreich.
Der Ständer funktioniert bisher ganz gut. Sobald es halbwegs eben ist und das Rad gleichmäßig beladen passt das schon. Etwas Verschleiß macht sich aber schon bemerkbar. Evtl. werde ich nächstes Jahr dann mal bei euch nach etwas stabilerem fragen.

Nette Sache, so ein Stufentandem. Ist halt arg langsam im Vergleich zum Aufrechttandem

Im Vergleich zum Aufrechttandem? Oder meist du Doppelliegetandem? Bei letzterem muss ich dir Recht geben, das ist in der Ebene sicher schneller, als ein Stufentandem, vor allem als Back to Back.
Wie bei den Aufrechttandems gibt es bei den Stufentandems unterschiede in der aerodynamischen Ausrichtung der Sitzpositionen, prinzipiell einen Nachteil des Stufentandems sehe ich nicht.
Bei dem speziellen Modell von uns ist der Stokersitz mit ca. 35° Sitzwinkel relativ flach und durch die hohe Sitzposition genau vor dem Hüftbereich des Captains. Der Sattel ist zudem leicht über Lenkerhöhe, also eher sportliche Fahrposition beim Captain.

2: Ich habe gute Erfahrung damit gemacht, beim Stoker falls benötigt mehr Leistung auf Zuruf abzurufen

Ich meinte auch eher, dass man nicht generell behaupten sollte, dass der Stoker zu wenig tritt. Eine klare Kommunikation mit Ansagen, wenn Leistung benötigt wird (Rampen, Stadtverkehr in Kreuzungsbereichen, etc.) hilft natürlich.
 
Im Vergleich zum Aufrechttandem?
Ja.
prinzipiell einen Nachteil des Stufentandems sehe ich nicht.
Der Captain steht prinzipbedingt voll im Wind mit Lenker und Oberkörper, während beim Aufrechttandem der Stoker hinter dem Captain versteckt wird. Das langsamste Rad ein Tal runter auf ner Tandemtour war das Stufentandem, selbst die Mountainbiketandems waren volle 10 min schneller.
Da warten wir grade:
tt04444.jpg

Bild von den Tridembrothers.
dass man nicht generell behaupten sollte, dass der Stoker zu wenig tritt.
Das gehört doch zu den üblichen Frotzeleien. Irgendwo hab ich ein Foto, wo die Stokerin tritt und der Captain lenkt - er hat demonstrativ die Füße von den Pedalen genommen. Falls der Captain nicht mit der Fitnessdifferenz klarkommt (egal in welche Richtung), wirds natürlich nichts mit dem Tandemfahren.

Gruß,

Tim
 
Der Captain steht prinzipbedingt voll im Wind mit Lenker und Oberkörper, während beim Aufrechttandem der Stoker hinter dem Captain versteckt wird. Das langsamste Rad ein Tal runter auf ner Tandemtour war das Stufentandem, selbst die Mountainbiketandems waren volle 10 min schneller.

Meine Arme und Hände (Captain) befinden sich bei der Geradeausfahrt hinter den Schultern des Stokers. Der Stoker selber liegt ja vorn flach im Wind. Die Fronfläche ist bei dem Hi-Life2 nicht größer, als beim Aufrechttandem. Für andere Stufentandems gilt das sicher nicht immer. Beim Hase Pino sitzt der Stoker tiefer (bei der neuen Version des Hi-Life2 allerdings auch) und der breite Lenker steht rechts und links vom Stoker voll im Wind.
Ich würde das Stufentandem auch nicht als Konzept für ein Renntandem heranziehen, aber so schlecht ist es auch nicht.

Das Hi-Life2 haben wir uns auch nicht als Rennmaschine gekauft, sondern für gemeinsame Ausflüge zu zweit.
Selbst wenn evtl. die Aerodynamik schlechter ist, so löst es doch viele unserer Probleme auf einem Aufrechttandem.

Wir werden den Rest des Sommers weiter fahren und berichten, wenn es Neuigkeiten oder nette Bilder gibt.
 
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