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Also wenn etwas tatsächlich im Aussterben begriffen ist, dann sind das Fahrräder, die vorrangig wegen ihrer Eigenschaft als günstiges Transportmittel gekauft oder gefahren werden.Wie kommst Du auf Spaß? Es geht um ein Transportmittel.
Einst waren sie das tatsächlich, etwa vom Anfang des vorigen Jahrhunderts bis in die fünfziger Jahre. Nicht nur weil sie günstig waren, sondern oft auch, weil es gar keine Alternativen gab. Sie wurden in einer großen Anzahlt von Varianten benutzt: Zweiräder, Transporträder mit zwei und drei Rädern(Bäckerrad, Bakfiets,...), Tandems, Sociables, mit Anhängern, mit und ohne Hilfsmotor(z.B. Saxonette), Sesselräder..., es gab kaum etwas, das es nicht gab.
Nach dem 2. Weltkrieg aber verschwanden die Räder in all diesen Varianten immer stärker aus dem Verkehrsgeschehen, Wirtschaftswunder und die damit einhergehende Massenmotorisierung zeichneten dafür verantwortlich. Es existierte zwar weiterhin eine kleine Gruppe von sportlichen Rennradfahrern, aber das Fahrrad als Transportmittel für Menschen und Waren, als Verkehrsmittel, um von A nach B zu gelangen, stand buchstäblich vor dem Aus. Klar, einige wenige Unerschrockene, zu denen auch ich zählte, wagten sich trotz aller Widrigkeiten und Anfeindungen durch forsche Autofahrer, die sich in ihrem stürmischen Vorwärtsdrang nicht ausbremsen lassen wollten, aufs Rad und nahmen es in Kauf, als Sonderlinge und Spinner bezeichnet zu werden. Wohlgemerkt, nicht etwa wegen eines Liegerades, sondern weil wir es wagten, auf einem ganz normalen Rad in das Territorium der Autofahrer einzudringen.
Dann aber brachten zwei Entwicklungen neues Leben ins Spiel:
Zum einen die aufkommende Fitnessbewegung, nachdem immer mehr Menschen erkennen mussten, dass ihnen die bewegungsarme Lebensweise in Kombination mit überreichlicher, und dazu oft noch ungesunder Ernährung ganz einfach nicht guttat.
Und zum anderen die ebenfalls immer mehr an Schwung zulegende Umweltschutzbewegung, als immer mehr Menschen realisierten, dass die Ressourcen der Erde nicht endlos sind und ständig zunehmender Konsum und Energieverbrauch nicht ewig so weitergehen können.
Als Synthese aus diesen beiden Erkenntnissen entstand fast zwangsläufig bei vielen Menschen der naheliegende Gedanke: Warum verbinde ich nicht gesunde Bewegung und Energiesparen in einer Tätigkeit und schwinge mich aufs Rad? Immer mehr Menschen entdeckten also das Radfahren für sich, besonders auch, nachdem viele feststellen mussten, dass das ebenfalls propagierte Joggen auf Asphalt nicht unbedingt gelenkfreundlich und zudem gerade für Übergewichtige doch etwas anstrengend ist. Ein leichtlaufendes Fahrrad dagegen rollt zumindest in der Ebene fast von selbst.
So nahm die Zahl der Radfahrer weiter zu, sie wurden als Markt entdeckt, und spätestens mit dem Aufkommen des MTB stieg auch die Autoindustrie ins Boot und bot diverse Modelle speziell den Menschen an, die ihr MTB komfortabel in die Natur oder die Berge transportieren wollten, um ungestört vom ebenfalls stetig zunehmenden Autoverkehr ihre mehr oder weniger sportlichen Runden drehen zu können.
So kam es, dass Fahrräder immer mehr vom Transportmittel, mit dem Menschen und Waren von A nach B gebracht werden, zu einem Lifestyle-Produkt wurden, wie @Tüddel es ja schon angedeutet hat. Nicht wenige Menschen kaufen heute Räder nicht nur deshalb, weil sie damit fahren wollen, sondern weil sie damit ein Statement abgeben wollen, wohl nicht zuletzt in der Hoffnung, ihr Image dadurch aufpolieren zu können und ihr Ansehen bei der von ihnen angepeilten Zielgruppe zu erhöhen.
Hinter all dem steckt auf Industrieseite durchaus ein ausgeklügeltes Marketing und auch die Namen für die neuesten Trends sind alles andere als zufällig. "Bikepacking" klingt doch gleich viel cooler als das biedere "Radwandern" unserer Großväter, und wer würde sich schon ein "Kiesrad" kaufen? "Gravelbike" dagegen fetzt doch so richtig und eröffnet gleich ganz andere Dimensionen.
Aber was soll?s. Dank Smartphone & Co haben die Allermeisten eh nur noch die Aufmerksamkeitsspanne eines Grasfrosches und deshalb spätestens nach meinem zweiten Absatz mit dem Lesen aufgehört. Den anderen wünsche ich ein genussreiches "Kiesradeln", auf welchem Rad auch immer.
PS: Und nein, das Zweirad wird nicht aussterben, weder das Upright, noch das Liegerad. Dazu machen sie ganz einfach zu viel Spaß. Totgesagte leben länger.