AW: Spinner oder Propheten?
Hallo Alle,
bin leider erst relativ spät auf diesen Thread gestossen. Deshalb "antworte" ich mal eben auf ein paar Beiträge gleichzeitig:
Zum Thema "Elitäres VM":
Autos kosten mehr als Velomobile.
Gesellschaftliche Fehlentwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Lebensqualität der darin Wohnenden sollten schon aus sozialen Beweggründen heraus beseitig werden wollen, nicht nur deshalb, damit da dann auch draussen sicher VMs geparkt stehen können.
Gründsätzlich ist aber ein VM schon eine "vergrösserte Spezialversion" des Grundkonzeptes Fahrrad, das für die meisten Sozialwohnungswohnenden, zumindest in den urbanen Gebieten, in der Form Kompaktfaltrad eine zweckmässigere Lösung darstellen dürfte als ein VM oder gar ein Auto.
Uns allen wäre auch sicherlich dann schon sehr geholten, wenn alle, die das könnten, das nötige Kleingeld durch den Verkauf ihrer Dose beschafften davon dann auch ein VM kauften. Das liesse sich dann auch sicher in der eben freigewordenen Garage unterstellen.
Zum Thema "Lösung von Transportproblemen durch eine Auswahl von Fahrrädern in Kombination mit anderen Transportmitteln":
Das Auto ist das Versprechen der Industrie als Antwort auf das Bedürfnis sich bequem und schnell von A nach B zu bewegen. Diese Antwort ist - wie so oft bei industriellen Lösungen - zu gross, zu teuer, ressourcenverschwendent und - in letzter Konsequenz - inhuman ("Je grösser ein Lüge,...").
Das Fahrrad ist all dies nicht, erfordert aber vom Benutzer die Aneignung einiger - in meinen Augen durchaus erstrebenswerte - Eigenschaften. Da es dann nicht mehr nur eine Antwort auf die allermeisten Transportfragen, sondern derer viel mehr gibt, erfordert der Verzicht auf's Auto Flexibilität, Kreativität, ein gewisses Planungsvermögen, Fitness und eine gewisse Bereitschaft, persönlich Risiken auf sich zu nehmen.
Dies sind Eigenschaften, die bei einem Autobesitzer nur sehr schwach gefordert werden, die sogenannte Bequemlichkeit.
Schnell sind die Kisten in Wirklichkeit übrigens ganz und gar nicht, der Kürze wegen hier der übliche Verweis zu
Ivan Illich's Energy and Equity.
Da rauszukommen ist für die Betroffenen sehr schwierig. Autos haben eine dem Heroin nicht unähliche Wirkung.
In meiner Familie haben wir zusammen rund 10 Fahrräder (2 Erwachsene, ein 4 1/2- und ein 2 1/2-jähriger), die uns einen einfachen, aktiven und erfüllten Alltag ermöglichen.
Eins von den 10 Rädern ist ein VM, weil ich auch bei schlechtem Wetter lieber 25 km zur Arbeit radle, als 1 km zu radeln, 15 km im Bus zu sitzen, 4 km in der S-Bahn zu fahren und danach noch 5 km zu radeln. Ginge zwar auch, anders ist allerdings schöner.
Ein Auto benutze ich übrigens ab und zu. Ein befreundeter Händler leiht mir seinen Transporter, wenn ich mal wieder 40-50 Bromptons ausliefern muss.
Zum Thema "VM und Industrie":
Dass die Autoindustrie anfängt, VMs zu bauen, kommt entweder (zu) spät oder gar nicht.
Die Autoindustrie lobbiiert seit ungefähr 100 Jahren äusserst erfolgreich gegen das Fahrrad und wird sich geradeso beherrschen können, einer weiteren Bedrohung ihres Umsatzes zum Durchbruch zu verhelfen. Die müssten dann schon - quasi auf dem Totenbett - noch die 180-Grad-Wende hinlegen. Vorher wird das nix.
Auch ist Industrie schon konzeptbedingt das Gegenteil von Fortschritt. Die meisten Industrien leben von Kontinuität und scheinbaren Neuerungen, meistens sogar nur in der Form.
Da ist es schon wahrscheinlicher, das eins der 2 folgenden Szenarios Realität würde:
- Ein sehr reicher Mensch entdeckt das VM als Vehikel seiner Ambitionen und ermöglicht die Serienproduktion. Wäre verdammtnochmal auch Zeit, wo sinnvolle Betätigungsfelder für Wohltätigkeit langsam knapp, die Superreichen immer zahlreicher werden und der CO2-Gehalt der Atmosphäre scheinbar unaufhaltsam ansteigt.
- Eine branchenfremde Industrie sucht Diversifikationsmöglichkeiten und stösst auf das VM. Das i-mobile wird geboren. Nokia sieht die Zeichen der Zeit und bläst zum Gegenangriff.
Verkaufen liesse sich das übrigens mMn ohne weiteres, auch zu heutigen Preisen. Mit etwas guter Werbung und etwas ausgereifteren Produkten könnte man das sicher auch an die breite Masse absetzen, gerade auch unter dem Aspekt des wachsenden Umwelt- und Körperbewusstseins.
Wünschen würde ich mir allerdings, dass stattdessen jeder jetzt in sein stilles Kämmerlein geht und den dringen angesagten Verhaltenswandel beschliesst, den Puter anschmeisst und schonmal ein VM bestellt.
Der Rest kommt dann von ganz allein.
Ach so, Prophet oder Spinner? Sicher von beidem ein bisschen.
Tschüss
Thorsten