Ich kann mich den Worten von
@ChristianW nur anschließen: Es waren wunderbare Tage! Vielen Dank an
@seilsteiger für seine Gastfreundschaft, und die Gespräche mit ihm und
@McElburg und
@ChristianW waren toll!
Eigentlich hört es sich an wie eine Schnapsidee: Ich habe keinen Knicklenker, kann keinen fahren ... was habe ich dann auf dem Workshop zu suchen? Aber das Allgäu ist nicht so weit weg von mir, und ich habe Zeit. Also, warum nicht? Außerdem finde ich Knicklenker interessant. Weil sie wegen des Frontantriebs mit einer recht kurzen Kette auskommen, was gerade dann hilfreich ist, wenn das Rad faltbar sein soll. Und Knicklenker sind wohl die einfachste Möglichkeit, bei einem Liegerad Frontantrieb mit Vorderradfederung zu verbinden.
Und so bin ich ins Allgäu gereist, an einem grauen Hochnebeltag; ab Peiting per Liegerad. Hinter dem Lech kam dann die Sonne raus, wir haben im Garten von
@seilsteiger gefachsimpelt, und dann durfte ich auch die anwesenden Knicklenker probefahren. Meine Erfahrungen vom Probefahren:
- Bisher hatte ich nur einmal den Flevo Racer von @spreehertie ausprobiert; aber ich konnte damit nur wenige Meter weit fahren. Das Biest war einfach zu widerspenstig.
- Auf der letzten SPEZI bin ich auf @seilsteiger s SEDAN gesessen; fahren konnte ich natürlich nicht, aber zumindest fühlte es sich gut an – nach einigen Metern kippte ich, aber das Rad wollte mich nicht aktiv abwerfen.
- @seilsteiger riet mir, erst einmal nur bergab zu rollen. So macht man keine falschen Lenkbewegungen mit den Füßen, sondern lernt erst einmal nur das Fahrverhalten kennen. Hat bei mir aber nicht funktioniert.
- Ich hatte mich vorher mit den Geometrien der verschiedenen Knicklenker beschäftigt (v.a. die Beschreibungen auf der Python-Webseite gelesen). Daher war mir klar, dass die beiden Eigenbau-Knicklenker von @seilsteiger und auch das Python einen negativen Nachlauf haben, und deshalb grundsätzlich ganz anders reagieren als normale Fahrräder incl. klassische Liegeräder. So gesehen kein Wunder, dass ich nicht rollen konnte.
- Dann habe ich versucht, zu treten. Und das hat dann erstaunlicherweise recht schnell geklappt: Nach vielleicht einer halben Stunde konnte ich auf @ChristianW s Python kurze Stücke fahren. Natürlich nur mehr oder weniger geradeaus, eine bewusste Beeinflussung der Richtung war noch undenkbar.
- => Da SEDAN und Python einen negativen Nachlauf haben, folgt zwar das Vorderrad nicht dem schiebenden Heck – wenn man aber das Vorderrad antreibt, dann hat quasi das Heck Nachlauf hinter dem Vorderrad – das Vorderrad zieht den Knicklenker hinter sich her. So gesehen kein Wunder, dass es damit leichter war.
- Es wird immer gesagt, man solle die Hände vom Lenker lassen. Das ist zwar nicht ganz falsch, denn man darf nicht denken, man könne einen Knicklenker am Lenker steuern. Ich habe aber trotzdem den Lenker immer gehalten, und meine Hände im Prinzip als Lenkungsdämpfer genutzt.
- Gegen Abend sind wir eine kleine Runde gefahren; ich habe es tatsächlich geschafft, die 10 km mit dem Python von @ChristianW zu fahren.
- Am nächsten Tag habe ich noch einmal die Knicklenker probiert; ich brauchte wieder etwas Zeit, um reinzukommen, aber es ging deutlich schneller.
- Ich habe dann auch zum ersten Mal @seilsteiger s Flevo Racer ausprobiert (mit kleinerem Vorderrad, d.h. 622 hinten und 559 vorne, was den Nachlauf reduziert). Erstaunlicherweise klappte das auch recht bald, und ich konnte ein paar hundert Meter fahren. Mehr habe ich mich dann nicht getraut, weil man darauf doch recht hoch sitzt, und entsprechend tief fällt.
- Danach haben wir eine längere Tour gemacht. Gestartet bin ich mit dem SEDAN; das ging relativ gut, aber natürlich war ich langsam unterwegs, so dass letztendlich @seilsteiger zurückgeradelt ist, und mir mein normales Liegerad gebracht hat.
- Obwohl das Knicklenker-Fahren erstaunlich gut geklappt hat, war es natürlich sehr anstrengend. Ich konnte die schöne Landschaft mit keinem Blick würdigen, mein Blick blieb auf die Straße fixiert, ich konnte kaum auf den Verkehr achten und keine Handzeichen geben, habe auf wenigen Kilometern eine Jahresdosis Adrenalin freigesetzt, und meine Schuhe haben einige Millimeter Sohle an der Ferse verloren.
Zu den Knicklenkern:
- Ich bin mit dem Python am besten zurecht gekommen. Das liegt wohl am besseren Geradeauslauf (da der Vorlauf größer sein dürfte, d.h. der Self-Center-Effekt), und der breitere Lenker ermöglicht es, mit weniger Kraft zu stabilisieren.
- @ChristianW meinte, das Python habe so viel Geradeauslauf, dass man es mit der gegenüber liegenden Schulter in die Kurve drücken müsse. Kann ich bestätigen; auf einer halbwegs engen Kurve auf der Tour musste ich wirklich mit Druck aus der Schulter das Rad um die Kurve zwingen. Gut, dass es so einen breiten Netzsitz hat.
- Der SEDAN war schwieriger zu fahren, weil er wendiger ist; und wegen seines flacheren Steuerwinkels lenkt das Vorderrad nicht nur, sondern es kippt auch stark in die Kurve. Ein ungewohntes Verhalten. Und der kürzere Lenker braucht mehr Kraft, um Fahrfehler zu korrigieren. Und zudem ist der Tretlagerausleger beweglich, d.h. man kann nicht ausschließlich an den Pedalen ziehen, sondern muss netto immer etwas Druck ausüben, sonst klappt der Ausleger nach oben.
- Die Federung des SEDAN ist natürlich sensationell. Mit breiten Reifen und so viel Federweg kann man echt über alles drüberbügeln. Interessanterweise ist die Vorderradfederung gar nicht ungewöhnlich und an die Lenkgeometrie angepasst, sondern genau so, wie man auch eine Hinterradschwinge federn würde.
- Ich habe erst spät die Genialität des Seils beim SEDAN verstanden: Mit so viel Federweg würde der Tretlagermast mit dem Vorderrad stark auf und ab wippen; aber da das obere Ende per Seil mit dem Hauptrahmen verbunden ist, bleibt das Tretlager auf konstanter Höhe, und das Vorderrad federt zwischen dem Vorderradschwingengelenk und dem Tretlager.
- Ich kann bestätigen, dass ein kleines Vorderrad besser ist – man sitzt tiefer und hat ein weniger voluminöses Objekt zwischen den Beinen, das Rad kann weiter nach hinten, und kippt beim Lenken weniger stark zur Seite.
- Python und SEDAN haben viel Last auf dem Vorderrad; das ist gut, denn dann hat das Vorderrad wenig Schlupf beim Antritt.
- Zum Flevo Racer kann ich nur wenig sagen; ich konnte zwar damit fahren, aber habe mich nicht getraut, damit mehr auszuprobieren. Ging jedenfalls erstaunlich gut, braucht aber vermutlich unbedingt den Lenkungsdämpfer.
- Welche Lenkgeometrie am besten ist, kann ich nicht sagen. Jedenfalls kann man ein Rad mit negativem Nachlauf auch gut fahren; gleichzeitig wird aus dem Vorlauf des Vorderrads ein Nachlauf des Hinterrads, sobald man tritt. Die Zusammenhänge sind bei Knicklenkern also komplizierter als bei klassischen Fahrrädern.
Fazit: Es waren schöne Tage mit sehr netten Leuten, wir haben uns super verstanden, und ich hätte nie gedacht, dass ich auch noch lerne, auf Knicklenkern nicht nur mehr als wenige Meter zu fahren, sondern sogar um die 20 km zurücklege.
Hier noch ein paar Impressionen: