Also der Reihe nach: Der Ritzelrechner ist eine - die vom Hersteller vorgegebene kürzeste Eingangsübersetzung (also das, was von Kettenblatt und Ritzel vorgegeben wird), eine andere Sache. Natürlich bemüht sich jeder Hersteller darum, etwas zu bauen, was dem Anwender nutzt.
Nun hat bei genauerer Betrachtung Rohloff dort sehr viel mehr "richtig" gemacht, als Shimano. Jetzt muss ich wieder bissl ausholen...
Früher hatte man EINE Übersetzung. Fertig. Dann kam die 3-Gang-Nabe mit dem von vorher bekannten "Normalgang" in der Mitte und einem kürzeren "Berggang" und einen um das gleiche Verhältnis längeren "Schnellgang".
Je mehr Gänge in's Spiel kommen, desto weiter entfernen sich sozusagen die Enden des Übersetzungsspektrums von der Mitte. Bei der für die kurzen Gänge benötigten Untersetzung steigen die Anforderungen ans Material, weil Geschwindigkeiten und letztlich auch Kräfte zunehmen. Die eingeleitete Kraft wird ja quasi auf einen größeren Weg umgelegt, was dasselbe bedeutet, wie ein extrem großes Ritzel hinten - dort zieht es ja auch die nabenseitige Verzahnung ins Aluminium hinein, so groß sind die auftretenden Kräfte. Das muss nun alles innerhalb der Nabe abgefangen werden - und die soll leicht, klein und möglichst billig herzustellen sein. Das betrifft die konstruktive Auslegung der Zahnräder, die Lagerung derselben, die Materialgüte usw...
Also wird der Hersteller einen Kompromiss suchen, der bezahlbar bleibt und für den angesprochenen Kundenkreis funktioniert, oder es machen wie Rohloff, wo man sich gesagt hat: wenn, dann aber richtig! Und um das Getriebe final vor "Kraftvandalismus" zu schützen, hat Rohloff zusätzlich noch eine Sollbruchstelle eingebaut, die vorher nachgibt und im Ersatz deutlich billiger kommt, als eine Getriebeinstandsetzung. Feine Sache!
Sturmey-Archer hatte (oder hat noch?) eine 8-Gangnabe, bei der der 1.Gang der Direktgang ist und die damit alle anderen Gänge in's Lange übersetzen kann. Damit umgeht man im Prinzip die Eingangsdrehmomentlimitierung, handelt dem Anwender damit aber andere Probleme ein...so ist das halt im Leben...
Die von Shimano zum Schutz des Getriebes in den kurzen (untersetzten) Gängen vorgegebenen 1,9 (also das Verhältnis von Kettenblatt zu Ritzel) zum Schutz des Getriebes in den kurzen Gängen wird meist als Empfehlung verstanden - das hat auch seinen Grund, weil noch länger braucht das wirklich niemand.
Also nimmt man das Kürzeste, was der Hersteller freigibt - aber 1,9 ist schon bissl blöd, wenn man mit Standardteilen, die klein(weil möglichst leicht, denn Gewicht ist ein Verkaufsargument), preiswert und ausserdem noch universell einsetzbar sein sollen, hantiert. Und genau dabei kommt dann 'raus, dass man als meist verkaufte Kettenblatt/Ritzelkombination 36/18 oder 38/19 findet. Überall verfügbar, relativ klein - und mit 2,0 auch noch "vertretbar" nah am empfohlenen Übersetzungsverhältnis von 1,9.
Nebenbei schafft man es damit aus Gedankenlosigkeit (oder mit voller Absicht, das sei dahingestellt), dass mit 2:1 zwangsläufig (theoretisch) die statistische Haltbarkeit der Nabe sinkt. Weil jede durch den Kurbelarm ausgelöste Lastspitze mit penetranter Regelmäßigkeit an exakt der selben Stelle von Ritzel und Antreiber einschlägt. Bei ungeraden Übersetzungsverhältnissen, "wandert" dieser Punkt ja ständig, sodass sich statistisch eine gleichmäßige Verteilung der Lastpitzen ergibt. Wie relevant das in der Praxis tatsächlich ist, wäre wirklich interessant.
"In's Kurze" meinte oben die Veränderung der Primär(Ketten)übersetzung in Richtung einer kleineren Verhältniszahl - was die Belastungen im Getriebe erhöht. Eventuell bis zur vom Hersteller befürchteten Zerstörung.
Nun muss man sich einmal ansehen, wie das im Vergleich von Rohloff zu den Shimano 8-Gängern aussieht:
Bei Rohloff wird im Getriebe im ersten Gang auf rund 0,28 untersetzt (also was im 11. Gang 1 Meter wäre, sind im 1. Gang nur noch 28 cm, bei Shimano sind es, glaube ich, rund 53 cm im Vergleich zu 1 Meter im 5 Gang. Alles bei gleicher Primärübersetzung und sonstigen Einflussgrößen betrachtet!
Wenn man das bedenkt wird klar, dass in der Rohloff-Nabe höhere Kräfte auftreten. Da kommen wir zum "Problem, das um sich selbst kreist":
Wenn Shimano das hätte vergleichbar (also 1:1 im 6. oder gar 7. Gang mit dann notwendiger größerer Untersetzung im 1., um wieder auf die 53, oder gar auf die von Rohloff vorgelegten 28cm zu kommen) betriebssicher bauen wollen, wären die Kosten deutlich gestiegen, also hat man sich gesagt: der Kunde kauft es uns so ab, da machen wir es so.
Die "Faulheit" des Kompromisses wird sofort deutlich, wenn man sich die Auslegung der Alfine11 anschaut: dort ist der kleinste Übersetzungsfaktor
trotz zweier zusätzlicher Gänge unverändert bei 1,9 geblieben - weil man eben nicht willens war, das Innere der Nabe tauglicher für höhere Belastungen zu machen. Wenn man die Nabe also getreu den Herstellerspezifikationen betreibt, bleibt der 1. Gang genau so, wie er schon bei der Alfine8 war. Zumindest im 28er Rad vermissen alle (die ich kenne), die eine 8-Gang fahren, einen oder gar zwei kürzere Gänge. Was liefert Shimano? Zwei noch längere - braucht man nicht. Wobei sich die Problematik mit sinkendem Laufraddurchmesser deutlich relativiert - durch den geringeren Abrollumfang ergibt sich eine längere Eingangsübersetzung bei gleicher Entfaltung - oder wie gewünscht, ein kürzerer 1. Gang bei "empfohlener" Eingangsübersetzung. Damit kann man immer bissl spielen, und wenn ich meinen "Privatkunden" ihre Räder für die anstehenden Radreisen etc. optimiere (z.B. mit einem Primärübersetzungsverhältnis von 1,75, was bei Shimano nunmal außerhalb der Spezifikation liegt, in der Praxis aber gerade bei Radtouren mit Gepäck deutlich besser funktioniert und bei entsprehend bewusstem Umgang auch jahrelang hält), sage ich dann explizt dazu, dass sie beispielsweise nicht mit vollem Gepäck bei 6km/h am Berg in den Wiegetritt gehen sollen, sonder lieber schieben. Funktioniert nach Einweihung in die mechanischen Hintergründe sehr gut - schließlich hat niemand Lust, während des Urlaubs sein Getriebe zu "zertreten".
Ich hoffe, das bringt bissl Licht ins Dunkel der Begrifflichkeiten und auch der mechanischen Zusammenhänge - die richtigen Fachleute mögen mir meine teils aus eigener Unwissenheit oder bewusst zur besseren Verständlichkeit bemühten Vereinfachungen komplexerer Zusammenhänge nachsehen...
LG Holger