Hallo zusammen,
auf Einladung von Leonardi hin habe ich mich in diesem Forum angemeldet, da mich die Berechnungen und Messungen rund um das Laufrad interessieren und ich gerne dazu beitragen möchte. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich selbst kein Liegerad-Fahrer (geschweige denn Experte) bin, sondern immer auf einem „gewöhnlichen“ Zeitfahrrad unterwegs bin. Aber die Physik, die sich hinter den Fahrwiderständen eines wie auch immer gearteten Fahrrads verbirgt, ist ja grundsätzlich die gleiche.
Thema Aufstandsfläche:
Wie ich in der oben von Leonardi zitierten Aussage schon kurz beschrieben habe, beruht meine geometrische Untersuchung bezüglich der Form der Aufstandsfläche auf der wohl unstrittigen Beobachtung, dass der Reifen in die Breite abrollt. Ein Torus-Schnitt (also eine Cassinische Kurve) ist eine zu drastische Vereinfachung. Da ein Luftreifen nun einmal unter hydrostatischem Innendruck steht und es kein solider Festkörper ist (Vollgummi-Reifen), entsteht auch keine Ellipse.
Subjektiv stört die meisten Leute wohl die „Spitze“ an den Enden der Aufstandsfläche, die sich mathematisch aus meiner Untersuchung ergibt. Das ist natürlich insofern nur Theorie, dass der von mir angenommene „mathematische“ Reifen eine Wandstärke von null aufweist und frei biegsam, jedoch quer nicht stauch- oder streckbar ist. Das ist also nur ein idealisiertes Modell, dem ein Rennrad-Schlauchreifen aber möglicherweise schon recht nahe kommt. Die reale Wandstärke von einigen Millimetern an der Kontaktfläche und die damit verbundene Steifigkeit werden in der Realität jedoch zu einem leichten Abrunden der „Linsenspitze“ führen.
Ob die Theorie stimmt, könnte man vielleicht recht leicht praktisch untersuchen, wenn man nur einen Schlauch ohne Reifen auf eine Felge zieht, aufpumpt und dann gegen eine Glasscheibe drückt, denn der nackte Schlauch kommt den Annahmen „Dicke null“ und „freie Biegsamkeit“ schon recht nahe.
@Leonardi: Auf jeden Fall würde ich gerne eine Kurve „Auflast über Abplattung“ sehen, wenn Du eine gemessen hast, da sich die ja auch recht einfach mit den von mir berechneten Kurven „A über e“ (Aufstandsfläche über Abplattung) vergleichen ließe.
Thema Volumenberechnung:
Da verstehe ich ehrlich gesagt nicht so ganz das Ziel der Berechnung. Ein Rennradreifen fasst etwa 0,75 Liter Luft, die bei 8bar Druck grob 7g wiegt. Wenn der Reifen nun auf der Straße steht und belastet wird, wird der Reifen zwar ein wenig komprimiert, wodurch sich das Volumen etwas verringert und dadurch der Druck etwas erhöht, aber das dürfte kaum nennenswert sein. Dass die Druckzunahme kaum zu messen ist, wundert mich daher nicht. Ich werde vielleicht später mal die Volumenabnahme nach meiner Theorie ausrechnen.
Thema Rollwiderstand / Luftwiderstand:
Ich habe auf ebener Strecke (Neubau-Industriegebiet, perfekte Straße) und bei Windstille Ausrollversuche gemacht, indem ich auf etwa 50km/h beschleunigt habe und dann das antriebslose Ausrollen mit dem GPS aufgezeichnet habe (also Weg über Zeit, nicht Geschwindigkeit über Zeit). Die theoretische „Weg über Zeit“-Kurve habe ich dann per Excel nach der Methode der kleinsten Fehlerquadrate eingepasst. Ein eventuelles Gefälle habe ich dadurch kompensiert, dass ich die Strecke in beide Richtungen gefahren bin. Diese Messung habe ich allerdings 2008 mit meinem „normalen“ Fitnessrad gemacht, nicht mit dem jetzigen Rennhobel. Damals habe ich übrigens einen Reibwert von 0,0055 berechnet und ein cwA von 0,45m².
An Versuche im Tunnel hatte ich auch gedacht, aber da funktioniert GPS nun einmal nicht. Eine einfache Methode wäre eventuell noch, an einer Speiche etwas zu befestigen, was beim Vorbeistreichen am Rahmen ein „Klick“-Geräusch erzeugt (wie beim „Glücksrad“). Wenn man das akustisch aufzeichnet, hätte man ebenfalls in kurzen Abständen recht genaue Wegdaten, da die Abstände zwischen den Klicks genau einer Radumdrehung entsprächen. Nur so eine Anregung.
Thema Prüfstand:
Ich bezweifle nicht, dass die Messungen, die Ihr durchgeführt habt, alle in sich schlüssig und auch recht genau und glaubwürdig sind. Hut ab vor dem Ideenreichtum und den handwerklichen Fähigkeiten! Ich interessiere mich auf jeden Fall für die Messergebnisse. Ob ich mich aktiv beteiligen kann, kann ich noch nicht sagen. Zu wenig Zeit für zu viele Hobbies. Und einen Job habe ich ja auch noch…
Ein Prüfstand für die Industrie muss hohe Anforderungen an die Wiederholgenauigkeit etc. erfüllen. Am Ende stehen immer ein Messfähigkeitsnachweis mit Hilfe von Messnormalen, und die Abweichungen wiederholter Messungen am gleichen Messnormal dürfen nur ein sehr enges Maß vom Mittelwert abweichen. Ansatzweise kann man sich hier
https://de.wikipedia.org/wiki/Six_Sigma
einlesen. Nur weil ein nagelneues, gefettetes Stahlkugellager mit Dichtscheiben heute bei 18°C Starttemperatur, frisches Fett, voll gefüllt und Dichtscheiben am Innenring satt anliegend einen Drehwiderstand von 0,02Nm hat, hat es in sechs Monaten nach 2000 Betriebsstunden, bei 39°C, Fett nicht mehr ganz frisch, Dichtscheiben eingelaufen, nach 30min Prüfdauer noch lange nicht den gleichen Drehwiderstand. Allein die Tatsache, dass der Wert variieren KANN, ist Grund genug, ihn zu vermeiden. Insofern wäre der Ausschluss von verfälschenden Einflüssen wie zum Beispiel dem Drehwiderstand im Nabenkugellager in einem Industrie-Prüfstand Pflicht, wenn er nicht grundsätzlich in seiner absoluten Höhe vernachlässigbar ist.
Grundsätzlich noch einmal zu meinem Artikel:
Das Ziel bestand nicht darin, den Rollwiderstand eines realen Fahrradreifens an sich zu berechnen, sondern eine plausible Theorie darüber aufzustellen, wie der Rollwiderstand an sich zu erklären ist. Der
reale Rollwiderstand ist insbesondere bei Reifen mit dickem Profil, kräftigen Pannenschutz etc. viel komplexer. Walken habe ich zum Beispiel überhaupt nicht berücksichtigt, allerdings halte ich das Walken auch für überschätzt.
Ein realer Fahrradreifen auf Asphalt hakt sich in die poröse, zerklüftete Oberfläche. Aufgrund der lokalen Verzerrung des Reifens entstehen an den „eingehakten Punkten“ Kräfte, die vielleicht zu Rutschen, vielleicht aber auch zu verlustbehafteten Dehnungen in der Reifenwand etc. führen (Hysterese), oder auch zu Rutschen von Staub, Sand oder anderen losen Partikeln etc. über die feste Asphaltoberfläche. Wer weiß. Die Realität ist viel komplexer als die Theorie, die immer nur im Ansatz Mechanismen erklären kann. Wenn die vorhergesagten Werte dann recht gut mit der Realität übereinstimmen, ist das schon einmal ein gutes Zeichen. Dann beginnt aber erst die Tätigkeit der Experimental-Physiker…
Für sehr anschaulich halte ich dagegen die hergeleitete Kurve „Aufstandsfläche in Abhängigkeit von der Abplattung“, bzw. die Näherungsgleichung, dass
und
Diese Formel gibt nämlich letztlich die „Federkennlinie“ an, die hier
http://www.forschungsbuero.de/PV38_S6_8.pdf
berechnet werden sollte. Allerdings rechnen die dort auch mit dem Torusschnitt, also besser gleich vergessen…
Abschließend möchte ich aber noch die Frage loswerden, die hoffentlich nicht falsch verstanden wird: Wozu das Ganze? Schließlich ist der Rollreibwert eine kaum zu beeinflussende Größe. Ich habe eigentlich nur 3 Stellrädchen:
1. Druck (höher ist besser, ich denke, da sind wir uns einig)
2. Reifenhersteller und –Typ (wenn ich da den besten fahren will, muss ich entweder selber Zig Reifen messen, immer wieder, oder den einschlägigen Magazinen vertrauen)
3. Reifenbreite (tja, da scheiden sich die Geister. Und dass sie es tun, ist ein sicheres Indiz dafür, dass der Unterschied winzig klein ist und vermutlich eher von 1. und 2. abhängt)
Viel interessanter finde ich dagegen den Luftwiderstand, der ja nun einmal den größten Anteil am Gesamtwiderstand ausmacht, und auf den man noch viel mehr Einflussmöglichkeiten hat. Insofern würde ich mich, speziell im Hinblick auf mein Zeitfahr-Rad, eher auf Ausrollversuche konzentrieren wollen.
Ciao,
Thomas