Offener Brief des ADFC-Essen zur Informationsveranstaltung am 16.11.2017
So ist es leider:
Offener Brief des ADFC Essen:
Essen, 21.11.2017
Sehr geehrte Damen und Herren,
für Essens Bürger wird nun ausgerechnet im „Grünen Hauptstadtjahr“ klar, dass es mit der Realisierung des Aushängeschildes „Radschnellweg“ bis 2020 wohl nichts werden wird. Bei der Informationsveranstaltung zum Weiterbau wurde offenbar, wie gravierend die Verzögerungen auf dem Stadtgebiet Essen sein werden. Dass der Bau eines simplen Radweges mit einheitlichem Standard ausgerechnet in Essen – also dem zentralen Kernstück des RS1 – zu scheitern droht, ist ein herber Rückschlag für die Standortentwicklung in Essen. Schließlich ist der RS1 mittlerweile selbst in der internationalen Presse als das Projekt des Ruhrgebiets präsent.
Seitens der Stadt wird der Radschnellweg im Bereich des Eltingviertels offenbar nicht als Chance für die geplante Quartiersentwicklung wahrgenommen, sondern eher als Hemmnis. Das Argument des „mangelnden Wohnraums“ ist in diesem Zusammenhang untauglich, denn gerade im Immobilienbereich gilt mittlerweile die Nähe zum RS1 als herausragendes Qualitätskriterium und wird bereits heute entsprechend vermarktet. In der Machbarkeitsstudie für das Eltingviertel wurde zwar immerhin der Aspekt geprüft, wie man möglichst viel Wohnraum mit dem Radweg kombinieren kann. Weitere Anforderungen an die Stadtentwicklung wie beispielsweise die Berücksichtigung des Stadtklimas wurden dagegen ausgeblendet. Und selbst bei der Informationsveranstaltung am vergangenen Donnerstag (16.11.) in der Gertrudiskirche wurden entsprechende Fragen oft nur unzureichend oder erst nach mehrfachen Nachhakens beantwortet.
Das bei der Veranstaltung von Seiten Straßen.NRW besonders herausgehobene Eisenbahnrecht mag in der Tat ein Hemmschuh für den Weiterbau des RS1 sein. Der tatsächliche Bremser ist nach Ansicht des ADFC jedoch die Stadt Essen mit der von ihr favorisierten Variante 3 zur Quartiersentwicklung im Eltingviertel, welche den Verlauf des RS1 auf Dächern und durch Gebäude vorsieht. Weil dabei eine Realisierung ausschließlich als gemeinsames Bauwerk vorangetrieben wird, könnte es passieren, dass der Bau des RS1 auf den St. Nimmerleinstag verschoben wird. Zwar stoße man laut Planungsamtleiter Roland Graf bei der Suche nach einem Investor auf sehr großes Interesse, jedoch schränkt der im Eltingviertel tonangebende Wohnungskonzern „Vonovia“ diese Aussage gleich wieder mit dem Hinweis auf die erforderliche Wirtschaftlichkeit ein (WAZ/NRZ 18.11.17). Schließlich muss ein Investor bei Variante 3 wie auch bei Variante 2 nicht nur die Baukosten für den Radschnellweg im Bereich Eltingviertel tragen, sondern auch die Unterhaltungskosten – z.B. für Reinigung und Winterdienst.
Straßen.NRW hingegen würde die Kosten für Bau und Unterhalt des Radschnellweges nur bei der ersten Variante übernehmen, welche den Verlauf des Radweges auf dem jetzt noch vorhandenen, dann aber doch sehr viel schmaleren Bahndamm vorsieht. Dabei würden RS1 und Bebauung unabhängig voneinander realisiert werden, was diese Variante unbestritten auch zur schnellstmöglich zu realisierenden macht. Bei der Informationsveranstaltung in der Gertrudiskirche jedenfalls hat sich die eindeutige Mehrheit der Zuhörer für besagte erste Variante ausgesprochen. Somit wurde auch vom als Moderator der Veranstaltung fungierenden stellvertretenden Leiter des Stadtplanungsamts Andreas Müller als Fazit gezogen, dass es das vorrangige Ziel der Teilnehmer sei, möglichst schnell auf dem geplanten Radweg fahren zu können.
Eine vom ADFC ins Gespräch gebrachte zeitlich begrenzte provisorische Führung mit geringeren Ausbaustandards scheint von Seiten der Stadt Essen nicht gewollt zu sein, denn nichts sei langlebiger als Provisorien. Dabei gab und gibt es auf dem Radweg Rheinische Bahn gleich mehrere solcher Provisorien; genannt seien die Querung des Berthold-Beitz-Boulevards, das Umfeld des Niederfeldsees oder die nicht asphaltierte Wegedecke westlich des Abzweigs nach Borbeck.
Ein zunächst provisorischer Weiterbau des RS1 in Richtung Osten ist hingegen fundamental wichtig für den frühestmöglichen Baubeginn der einzig noch fehlenden Brücke über die Gladbecker Straße. Schon ein städtische Bekenntnis zu einem provisorischen Radweg würde dazu führen, das Straßen. NRW sofort mit der Planung besagter Brücke beginnen würde, da der Andockpunkt an die Trasse im Eltingviertel laut Machbarkeitsstudie in allen drei Varianten gleich bleibt. Dass wie von Roland Graf befürchtet Provisorien lange Bestand haben könnten, liegt bezeichnenderweise an den handelnden Protagonisten selbst. Da muss man sich seitens der Stadt wohl schon an die eigene Nase fassen.
Auch die vom ADFC vorgeschlagene Variante als „Bürger-Radweg“ wird von der Stadt abgelehnt. Dabei gibt es in Wuppertal mit dem Radweg auf der Nordbahntrasse ein wunderbares Beispiel dafür, wie man mit Bürgerengagement ein europaweit beachtetes Objekt realisieren kann, Die Parallelität ist frappierend, denn auch die Stadt Wuppertal leistete anfänglich erbitterten Widerstand gegen diese Form des Bürgerengagements. Erst als die Landesregierung ihre finanzielle Unterstützung zusagte, konnte hierbei der Gordische Knoten durchschlagen werden. Heute gilt die Nordbahntrasse als das Vorzeigeprojekt der Nachbarstadt im Bergischen.
Eigentlich könnte und sollte letztgenanntes auch für den zukünftigen Radschnellweg in Essen gelten, schließlich trägt die Stadt bei jeder sich bietenden Gelegenheit den RS1 wie eine Monstranz vor sich her. Dabei existiert im Stadtgebiet Essens aktuell ein gerade einmal 700 Meter langes Teilstück, welches den Ausbaustandards des RS1 entspricht. Bei dem fünf Kilometer langen Abschnitt bis zur Universität handelt es sich aber nach wie vor um den Radweg „Rheinische Bahn“, so wie er für das Kulturhauptstadtjahr 2010 realisiert wurde. Hinsichtlich seiner Breite sowie der fehlenden Trennung von Rad- und Fußverkehr entspricht er jedoch in keinster Weise den Standards eines Radschellweges und dürfte daher auch nicht als solcher propagiert werden.
Augenscheinlich können Essens Bürger wohl nur darauf hoffen, dass Straßen.NRW als federführender Bauherr des Radschnellwegs soviel Druck aufbaut, dass sich endlich auch die Stadt Essen konstruktiv einbringt. Das gilt ganz besonders auch für die Politik, wo derzeit vor allem die aus CDU und SPD bestehende „GroKo“ den Radschnellweg ausbremst. Beide Parteien wollen erklärtermaßen den für den schnellen Weiterbau des RS1 zwingend erforderlichen Bahndamm komplett abtragen, ohne dabei zu sagen, wo und wie besagter Radschnellweg – selbstverständlich unter Beibehaltung der Ausbaustandards – alternativ angelegt werden kann.
Der RS1 bildet im Eltingviertel das Entree der Stadt, das mit einer ansprechenden Architektur und einem einladenden öffentlichen Raum mit ortsbildprägenden Brücken dieser Rolle auch gerecht werden muss. Bürger, Pendler und Radtouristen sollen schließlich eingeladen werden, die Innenstadt von Essen zu besuchen. Die von der Stadt favorisierte Variante 3 erfüllt diese Kriterien nicht. Der ADFC-Essen wird in jedem Fall für eine gute Gesamtlösung kämpfen, die vor allem eins zum Ziel hat: Schnellstmögliche Realisierung des Radschnellweges unter Beibehaltung des Bahndamms.
Sollte jedoch die Stadt ihre Rolle als Bremser beim Radschnellweg weiterhin aufrecht erhalten, dann sollte sie nach Ansicht des ADFC auch nach außen sowie gegenüber ihren Bürgern dazu stehen und die Eigenwerbung in Zusammenhang mit dem RS1 zumindest solang nicht weiter fortführen, bis der RS1 auch in der Essener Stadtmitte weitergebaut werden kann.
Text: Jörg Brinkman
Foto: Jörg