Lenkrollradius und Momentanpol berechnen

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Hallo zusammen,

ich möchte richtig verstehen, was es mit dem Lenkrollradius auf sich hat. Dazu habe ich versucht, die Bewegung des Lenkgestänges zu modellieren; dabei habe ich gelernt, dass die Ingenieure das ein Koppelgetriebe nennen, die offenbar ein Standard-Problem ist; inbesondere in der Form als Viergelenkkette (da ein Gebilde aus drei Stangen und drei Gelenken langweilig ist, da starr, und mit fünf Stangen/Gelenken sich fast beliebig bewegen kann, und nicht nur auf festen Bahnen).

Ich habe dazu dieses Werkzeug gefunden, mit dem ich ein paar Simulationen gemacht habe:

1.: DF
  • Längslenker: ca. 14 cm (Länge a; dunkelblau)
  • Lenkplatte, Abstand zwischen Gelenken ca. 7 cm (Länge b; blau)
  • Querlenker: ca. 26 cm (Länge c; braun)
  • Der Längslenker ist ca. 20 cm rechts (x_A) und 25 cm oberhalb (x_B) des Querlenkers befestigt
  • Die Achse ist ca. 2 cm hinter dem Querlenker an der Lenkplatte befestigt.
  • Die Achse ist ca. 3 cm lang, von der Lenkplatte (Höhe der Kugelgelenke) bis zur Nabenmitte.
  • => Somit wird der Weg der Nabenmitte, und somit auch etwa der Radaufstandspunkt, von der roten Linie gezeichnet.
Grafik: unten = Fahrzeugmitte, oben = linke Außenseite, rechts = vorne, links = hinten
viergelenk_df.png
Ergebnis: Das Rad legt einen kurzen Weg zurück; wenn es gerade steht, ist die Bewegung fast null; in beide Lenkrichtungen bewegt sich das Rad nach vorne.

2.: Positiver Lenkrollradius
Hier habe ich die Lenkplatte kurz gemacht und den Längslenker lang und nach oben versetzt.
viergelenk_positiver-lrr.png
Ergebnis: Das Rad bewegt sich deutlich mehr; wenn man nach vorne lenkt, bewegt sich das Rad nach vorne, also ein positiver Lenkrollradius.

3.: Negativer Lenkrollradius
Hier habe ich das Gegenteil gemacht, nämlich die Lenkplatte lang und den Längslenker nach unten versetzt.
viergelenk_negativer-lrr.png
Ergebnis: Hier bewegt sich das Rad auch viel; aber wenn man nach hinten lenkt, bewegt sich das Rad nach vorne, d.h. der Lenkrollradius ist negativ.

4.: Go-One Evo Ks, neue Lenkplatten
Ich habe nur ganz grob gemessen:
  • Längslenker ca. 13 cm
  • Lenkplatte ca. 7 cm
  • Achse 2 cm vor dem Querlenker
  • restliche Daten vom DF übernommen
viergelenk_ks_neu.png
Ergebnis: Etwa ähnlich wie beim DF, etwas mehr Bewegung.

5.: Go-One Evo Ks, alte Lenkplatten
Die alten Lenkplatten sind kürzer, ca. 5 cm zwischen beiden Kugelköpfen, und die Achse ist ca. 2.5 cm hinter dem Querlenker.
viergelenk_ks_alt.png
Ergebnis: Der Weg des Rades ist deutlich weiter, und v.a. beim Lenken nach vorne bewegt sich das Rad nach vorne, d.h. positiver Lenkrollradius.

6.: Go-One Evo Ks, Rolands Modifikationen
Hier habe ich die Geometrie von den neuen Ks-Lenkplatten genommen, aber um ca. 5 cm nach vorne verlängert, und entsprechend den Längslenker gekürzt. Ich weiß zwar nicht genau, um wie viel @roland65 seine Lenkplatten verlängert hat (und wie die sonstige Geometrie genau aussieht), aber es sieht dann so aus:
viergelenk_ks_roland.png
Ergebnis: Das Rad bewegt sich weit, aber wenn es nach hinten lenkt, bewegt es sich nach vorne – der Lenkrollradius ist also negativ.


=> Stimmt das so ganz grob? Kommentare, Ergänzungen?
 
Ein Hinweis am Rande: Wenn Du nur das Koppelgetriebe abbildest, stimmen Deine Bahnen (Ortskurven oder wie auch immer) nicht ganz. VM-Lenkungen sind ja keine reinen Koppelgetriebe wie aufgemalt, sondern komische Hybriddinger -- das Federbein dreht/kippt oben um das Domlager und wird nur unten über das Koppelgetriebe geführt. Vereinzelte Hinweise finden sich vielleicht in diesem Faden. Im einfachsten Fall, sind die echten Bahnen etwas größer als Deine. Wenn man ganz genau hinguckt, wirds ein bisschen komplizierter.

Um so etwas vergleichsweise komplexes zu simulieren, könnte man beispielsweise GeoGebra (kostenlos) verwenden. Es gibt eine Lernkurve, aber der Einstieg ist keine Hürde ...
 
Ok, du hast jetzt die Bewegung der Nabenmitte (? erscheint mir bißchen nah dran an der Lenkplatte) beim Einlenken in einer Ebene simuliert, wenn die beiden Lenker ebenfalls in dieser Ebene liegen. Aber was hat das mit dem Lenkrollradius zu tun?
 
Echt? Wie stark ist das Federbein nach hinten geneigt beim K?
Muss es nicht. Der Querlenker ist entsprechend weit vorne, bzw. dürfte leicht schräg nach vorne verlaufen.
Im einfachsten Fall, sind die echten Bahnen etwas größer als Deine. Wenn man ganz genau hinguckt, wirds ein bisschen komplizierter.
Meinst du, weil der obere Drehpunkt fix ist, unten am Boden alle Bewegungen größer sind als in der Mitte (erstens Strahlensatz, zweitens weil das Rad auch noch 4° nach oben gekippt ist)? Das ist nachvollziehbar.

Du schreibst:
Wobei das auch nicht allgemeingültig stimmt, sondern nur den Spezialfall beschreibt, dass beide Lenker (d.h. deren geometrische Achsen) tatsächlich einen Schnittpunkt haben. Den haben sie nur, solange sie in derselben Ebene liegen. Andernfalls müsste man die virtuelle Lenkachse durch den Schnitt zweier Ebenen definieren:
  • E1: Domlager, beide Gelenke/Kugelköpfe des ersten Lenkers
  • E2: Domlager, beide Gelenke/Kugelköpfe des zweiten Lenkers
D.h. es gibt zwei Dreiecke, nämlich jeweils aus Längslenker bzw. Querlenker und Federbeindom, und diese schneiden sich. Aber ich finde, dass Längs- und Querlenker sehr gut in einer Ebene liegen, es also keinen Grund für diese 3D-Betrachtung gibt. Oder?
Ok, du hast jetzt die Bewegung der Nabenmitte (? erscheint mir bißchen nah dran an der Lenkplatte) beim Einlenken in einer Ebene simuliert, wenn die beiden Lenker ebenfalls in dieser Ebene liegen. Aber was hat das mit dem Lenkrollradius zu tun?
Genau. Weil die Trommelbremse innen in der Nabe liegt, müsste das schon stimmen.

Ja, das ist nicht direkt der Lenkrollradius – aber ich hatte angenommen, dass man aus der Bewegung der Nabe diesen bestimmen kann – ist dann eben entsprechend größer, durch die Schrägstellung des Rades, aber nicht grundsätzlich anders. Oder täusche ich mich da?
 
Die Bewegung der Nabe ist m.E. eher ein Nebenprodukt. Wenn du die Veränderung des Lenkrollradius beim Einlenken oder Ein/Ausfedern untersuchen möchtest, mußt du die Lage aller relevanten Punkte im RAUM bestimmen und daraus ein dreidimensionales Modell bauen. Mit Annäherungen aus ebenen Betrachtungen kommt man da meiner Ansicht nach nicht weiter.

Die Frage ist auch, was willst du eigentlich herausfinden? Der Lenkrollradius ist sicherlich auch bei eingelenkten Rädern ganz interessant, aber die meisten Bremsvorgänge (und für die hat er hauptsächlich Relevanz) finden mehr oder weniger in Geradeausstellung statt. Und um da den Lenkrollradius zu bestimmen, benötigst du keine Simulation der Bewegungen der Lenkplatte beim Einlenken, sondern die Lage von folgenden Punkten in einer Projektionsebene quer zur Längsmittelebene (gewöhnlich die yz-Ebene):
- Anlenkpunkt des Federbeins oben in der Karosse
- Lage des Traggelenks unten am Federbein (oder Lage des virtuellen Drehpunkts)
- Lage der Radmitte des Vorderrades
- Radradius
- Neigung des Vorderrades zur Längsmittelebene (Radsturz)
- Lage der Fahrbahnoberfläche

Grüße, Martin
 
Ja, Martin hat Recht: ohne die Miteinbeziehung der dritten Dimension, führt das zu nichts...
 
Ich hab mal den SL MK2 in Solidworks modelliert (nicht ganz banal), aber nie ausgewertet wie sich der Radaufstandspunkt beim lenken bewegt.
 
Hey Wolfgang,

wie hast du die Lage der Punkte bestimmt? 3D-Meßmaschine? (Hab ich leider nicht zur Verfügung.)
 
Die Räder sind nicht am Boden "angeklebt". Da hätte die Düsenjägersoftware gestreikt. Oder der Bug sass vor dem Bildschirm, kann auch sein. Drum ist das vermessen des Aufstandspunktes nicht möglich.
 
Die Frage ist auch, was willst du eigentlich herausfinden?
Idealerweise die Bewegung des Radaufstandspunkts beim Lenken. Ich habe ja schon oft vom Lenkrollradius gehört, aber noch nie gesehen, wie er eigentlich zustande kommt. Und was für einen Einfluss die Änderungen an der Geometrie haben.

Mir geht es da nicht um mm-genaue Analysen, sondern um ein intuitives Verständnis, welche Änderungen am Fahrwerk was bewirken. Und ich finde auf jeden Fall interessant, dass die Nabe einen recht langen und komplexen Weg zurücklegt; das war mir vorher nicht klar.
aber die meisten Bremsvorgänge (und für die hat er hauptsächlich Relevanz) finden mehr oder weniger in Geradeausstellung statt
Genau. Idealerweise zeigt mir das Programm den Momentanpol; aber ich habe nichts gefunden, mit dem man den bestimmen kann. Aber man kann die Kurve eines Punktes anschauen und daraus schließen, um welchen Punkt er sich ungefähr dreht.
Und um da den Lenkrollradius zu bestimmen, benötigst du keine Simulation der Bewegungen der Lenkplatte beim Einlenken, sondern die Lage von folgenden Punkten in einer Projektionsebene quer zur Längsmittelebene (gewöhnlich die yz-Ebene):
Ja, Martin hat Recht: ohne die Miteinbeziehung der dritten Dimension, führt das zu nichts...
Aber wie groß ist denn der Fehler? Ich habe, ähnlich wie @Gear7Lover , einfach mit dem Maßband grob ausgemessen; eine genauere Vermessung, erst recht in 3D, ist ja auch wirklich schwierig, wenn man keine passenden Referenzpunkte hat.
Wenn du die Veränderung des Lenkrollradius beim Einlenken oder Ein/Ausfedern untersuchen möchtest, mußt du die Lage aller relevanten Punkte im RAUM bestimmen und daraus ein dreidimensionales Modell bauen.
Nach meiner Erfahrung spielt der Lenkrollradius bei Bremsvorgängen eine riesige Rolle, während ich durch das Ein- und Ausfedern bisher nichts bemerkt habe. Also geht es mir darum, diesen primären Effekt besser zu verstehen.

Und ich sehe nicht, dass das Lenkgestänge gegenüber der Straße nennenswert verkippt ist, und auch nicht, dass sich dessen Geometrie nennenswert beim Einfedern verändert. Ich sehe also nicht, warum man bei einer 2D-Modellierung einen nennenswerten Fehler bei der Bestimmung des virtuellen Drehpunkts macht. Und um den echten Lenkrollradius zu erhalten, sollte es ausreichen, die Bewegung um den virtuellen Drehpunkt in Höhe des Lenkgestänges entlang der Mittelebene des Rades auf die Straße zu projizieren.

Oder wo liege ich falsch in meinen Annahmen?
 
PS: Der Lenkrollradius ist ein Einfluss auf das Lenkverhalten, der Nachlauf ein weiterer (beide sind eigentlich nur die x- und y-Anteile des Vektors zwischen Radaufstandspunkt und Durchstoßpunkt der virtuellen Lenkachse) ...
 
Ich verstehe immer noch nicht, warum du es dir so kompliziert machst mit Simulation des Koppelgetriebes usw., wenn du nur den Lenkrollradius herausfinden willst. Wir sind uns ja einig, daß der Wert vor allem in der Geradeausstellung interessant ist. Du brauchst doch nur das:

227.jpg

Im Grunde genommen benötigst du nur das Bild links unten, also die Projektion von vorn. In dieser mußt du die Lage von D und V wissen und die Position der Laufradmitte und der Fahrbahn. Dann kannst du rσ bestimmen, und das ist der Lenkrollradius.

Ich persönlich finde schon, daß man das alles dreidimensional betrachten sollte, weil es auch viel anschaulicher ist. Es gibt soviele Einflüsse, die da eine Rolle spielen (z.B. die Abplattung des Reifens in Abhängigkeit vom Luftdruck..), dann mach ich es lieber so genau, wie ich ohne zuviel Aufwand kann.
 
Die gibts eben nicht. Es dreht nicht um eine Achse.
Doch doch...
Wir haben vier Punkte: drei sind fest und einer "eiert".
D: Domlager (fest)
L: Längslenkerbefestigung (fest)
Q: Querlenkerbefestigung (fest)
V: virtueller Schnittpunkt von Längs- und Querlenker (nicht fest)

es werden zwei Ebenen aufgespannt:
1) L-D-V
2) Q-D-V
Die Schnittlinie der beiden Ebenen ist die momentane Lenkachse.
Der Abstand (in seitlicher Richtung) zwischen deren Durchstosspunkts auf der Fahrbahn und dem Reifenaufstandspunkt ist der Lenkrollradius. In Längsrichtung gemessen ist es der Nachlauf.
 
Das mit dem Schnittpunkt von Längs- und Querlenker ist glaub ich quatsch. Das ist nicht der Drehpunkt/ Mittelpunkt vom Lenkrollradius.
 
Ääähm, der "Drehpunkt vom Lenkrollradius" liegt auf der Fahrbahnoberfläche und kann somit garnicht der Schnittpunkt (der Achsen von) Längs- und Querlenker sein (falls dieser denn überhaupt vorhanden ist, wie oben von Beinarbeit dargelegt, gibts den nur, wenn die beiden Achsen in einer Ebene liegen) [Edit: Kann er schon, aber der Fall tritt im echten Leben wohl nie ein.]
 
Hi Christoph,

Idealerweise die Bewegung des Radaufstandspunkts beim Lenken. Ich habe ja schon oft vom Lenkrollradius gehört, aber noch nie gesehen, wie er eigentlich zustande kommt. Und was für einen Einfluss die Änderungen an der Geometrie haben.
der Begriff "Lenkrollradius" enthält zwar den Teil "Lenk", aber der Einfluß eines realen Lenkrollradius ist besonders beim bremsen gegeben, den Wiki-Artikel finde ich dazu ganz gut.

Gruß
Felix

PS: Übrigens der Nachlauf, besonders, wenn unterschiedlich, hat einen Einfluß auf den Geradeauslauf beim fahren.;)
 
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