Ich bin noch einen kleinen Abschlussbericht schuldig … Viel Spaß beim Lesen
20 Jahr ging ich jetzt mit dem Gedanken schwanger meinen Freund in Dresden mit dem Rad zu besuchen. Damals trainiert ich für eine 1000km Veranstaltung und hatte gerade eine 24h Fahrt nach Amsterdam und zurück hinter mir.
Zunächst wollte ich diese 1000km Veranstaltung hinter mich bringen und dann … waren Familie, Hausbau, Beruf erstmal wichtiger.
Vor 2 Jahren wurde dann klar, dass mein Freund Dresden in absehbarer Zeit verlassen würde. Jetzt musste mein, ihm und mir, gegebenes Versprechen langsam umgesetzt werden. Letztes Jahr fehlte dafür komplett jede Vorbereitung. Ich war zwar mal 200km gefahren aber das war ne ganz schöne Quälerei, da ich sonst selten länger als 2-3h fahre.
Die Uhr tickte. Ralf schlug einen Termin vor und ich nahm an, weil ich weiß, dass ich mit dem Druck eines Termins besser “funktioniere“. Mein Bauchgefühl sagte mir „Das ist zu früh“. Aber der 19.7. versprach noch eine relativ kurze Nacht. Das kam mir entgegen, denn ich wollte auf jeden Fall durchfahren. Ralf hätte lieber die Nacht in einer Pension verbracht. Ich wäre lieber im Herbst gefahren. Dann wäre mein Vorbereitung besser gewesen, aber der Fahranteil im Dunklen ungleich größer.
Also galt es mich und mein Rad irgendwie in Form zu bringen. 2017 hatte ich noch einen neuen Rahmen in Auftrag gegeben. In mein altes Rad wollte ich ich nicht mehr Arbeit als nötig stecken. Leider kam der neue Rahmen erst mehrere Monate später als er mir versprochen war. Zu einem Zeitpunkt an dem ich keinerlei Zeit mehr hatte mich um einen Neuaufbau meines eigenen Rades zu kümmern … erster kleiner Dämpfer.
So musste ich mein Rad mehrmals vom nachttauglichen Alltagsrad zum flotten Sportliegerad umbauen, weil ich keine Lust habe auch im Sommer mit der Winteraussttattung rumzufahren … dafür war ja eigentlich das neue Rad geplant.
Bei meinen Tests offenbarten sich so einige Schwächen. Weder ich noch das Rad waren wirklich langstreckentauglich. Nach spätestens 150km fingen Rücken und Füße an zu schmerzen. So stark dass ich noch Tage danach Schmerzen hatte. Die Ernährung war ebenfalls ein Problem. Bis 150km habe ich bisher immer irgendwie „weggedrückt“. Während meiner Rennfahrerzeit war ich so stark, dass der Leistungsabfall am Ende im Verhältnis zu anderen Fahren z.B. bei RTF`s nicht auffiel. Ich war auch zum Schluss noch immer deutlich schneller. Deshalb machte ich mir keine Gedanken darum. Mittlerweile ist meine Grundleistung aber soweit gesunken, dass der Leistungsabfall ab 150 km so stark wird, dass ich bis 200km nur noch nach Hause eiere … das wurde jetzt offensichtlich.
Irgendwie musste ich unterwegs mehr Energie zu mir nehmen. Die ganzen stark zuckerhaltigen Riegel quittiert mein Magen leider irgendwann mit Sodbrennen … dann krieg ich nichtmal mehr Wasser runter.
An meinen Füßen, bzw. Schuhen und Einlegesohlen experimentiere ich schon mehr als 2 Jahre rum, denn mit richtig Druck kann ich nur noch 1,5h fahren, dann fangen die Füße an zu brennen als wenn ich auf nem Nagelbrett stehe.
Zudem funktioniert mein Sitz nicht mehr wie in den letzten 15 Jahren. Ich bekommen jetzt immer häufiger Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich. Wegen dieser Schmerzen bin ich 1988 vom Rennrad aufs Liegerad gewechselt …
Ne Menge Baustellen. Ich experimentierte mit verschiedenen Riegeln, kaufte breitere Schuhe, besserte die Einlagen selber nach und ließ mir dann dementsprechend Neue anfertigen und ändert die Position der Lordorsenstütze.
Alles wurde ein bisschen besser, aber ab 200km überwogen die Schmerzen. Es war zum verzweifeln. War ich schon so alt und verschliessen, dass was ich mir früher aus dem Arm geschüttelt habe jetzt unerreichbar war?
Meine Langstreckentests fielen ernüchternd aus. Beim 500km Test war ich soweit das Unterfangen abzusagen. Das einzige was funktionierte war die mittlerweile von mir neu gefertigte Lordorsenstütze aus deutlich härterem Styropor.
Als der erste Frust verflogen war beschäftigte ich mich mit den im Forum gesammelten Tipps zur Ernährung und einer weiteren Idee zu meinen Einlagen.
Mit neuen härteren und dünneren Einlagen und neuem Ernährungsmix mit Maltodextrinmix und Natrontabletten ging es in den letzten 4h Test. Der verlief erfreulich positiv. Die neuen Einlagen fühlten sich erst komplett falsch an, wurden aber mit jedem Kilometer besser. Die regelmäßige Energiezufuhr fühlt sich auch gut an. Nach 4h zügiger Fahrt tat nichts weh und ich hatte weder Hunger noch Durst, so wie sonst meist nach meinen längeren Ausfahrten.
Der 19.7. konnte kommen. Ein große innere Aufregung konnte ich aber nicht ablegen. Die vorangegangen 3 Wochen bin ich kaum zum Fahren gekommen, dafür hab ich umso mehr gearbeitet, weil ein Mitarbeiter im Urlaub war und der andere krank … alles andere als eine gute Vorbereitung.
Am 19. stand ich um 4 Uhr auf, das Rad hatte ich tags zuvor präpariert. Gepäck und Nahrung für 2 Tage unterzukriegen war nicht so einfach. Die von mir geplante Gepäckkapazität war knapp zu wenig, konnte ich aber nicht mehr ändern.
Ralf holte ich guter Dinge in Telgte ab. Das Wetter war toll.
Bis Paderborn war der Mix aus mir bekannten Routen und Komootempfehlungen super. Danach eigentlich auch. Für die Hügel die auf dem Weg nach Dresden liegen kann Komoot ja nix
Hinter Paderborn wartete die höchste Erhebung der Strecke und der erste „Test“ für mich. Wie würde ich mit meinen Wattvorgaben die Hügel hochkommen? Hoch nach Altenbeken, lief es erstaunlich easy. Super!
Dann mein erster Fauxpas. Die Route führt über ein Stück der B64. Ganz übel, kein Standstreifen … uns war nicht klar ob wir dort überhaupt fahren durften. Keine Ahnung wie mir das durchgehen konnte, denn ich kenne die Strecke … . Ich trat deutlich mehr als ich wollte, damit wir dort wegkamen. Keine gute Idee, dass meinte auch sofort Ralf.
Danach ging es flüssig bis zur Weser auf schönen Wegen und es wurde wärmer und wärmer. Wir „tankten“ regelmäßig Wasser … . Bei den kleinen Zwischenstopps an irgendwelchen Supermärkten konnte man deutlich die viel bessere Wendigkeit von Ralfs Rennrad sehen. Bis ich mein Eisenschwein mit flacher Sitzposition um 180° gewendet hatte war Ralf schon im Supermarkt verschwunden …
Im Kopf hatte ich schon die zu erwartenden Steigungen von der Weser hoch. Für mich bei der Hitze ne Quälerei für Ralf leichtes Warmfahren. Ein weitere Anteil des Liegerades. Bei der Hitze fällt der Rücken als Kühlung aus, weil er gut isoliert vom Sitzpolzer ist. Die Füße kühlten wir dennoch beide im Brunnen in Oedelsheim.
Einige Steigungen waren gar so steil dass mein Frontantrieb keine Traktion mehr hatte … auf Asphalt ! Solche Steigungen kenne ich weder in den Baumbergen noch vom Teutoburger Wald … ich musste schieben
Nachdem wir das Weser Bergland hinter uns gelassen hatten, begann der leichte Teil.
Kleine Pause zum Abend war angesagt und wir fuhren passende an einem Imbiss in Großbodungen vorbei. Ich war mir nicht ganz sicher was ich meinen „Mimosen“-Magen zumuten könnte, aber der Hunger war groß und ich bestellte mir ein vegetarisches Dürum. Das tat gut. Einzig im noch Hellen zu stehen statt zu fahren fand ich etwas ungeschickt … die Hoffnung auf eine weitere „Nahrungsquelle“ zu treffen wäre in der Gegend allerdings eher vergebens gewesen.
Es wurde dunkel, aber es stand nicht „Wildes“ mehr im Weg. Dafür meldete sich mein Magen. Ich hatte schon gemerkt, das mein Appetit auf Energieriegel geringer war als es gut war. Jetzt aber bekam ich wieder das gefürchtete Sodbrennen und ich wurde sehr müde. Viel stärker als zu erwarten war. Diesmal war ich ja ausgeschlafen gestartet !? Ich musste ne 1/4 h die Augen zu machen. Ich suchte mir ne Bank und tankte Konzentration. Ralf schrieb derweil ein paar Nachrichten … . Wieder wach ging es weiter. Leider hielt meine Konzentration eine nur lächerlich kurze Zeit und das Sodbrennen wurde stärker … nicht schön. Es war eine weitere Zwangspause nötig. Diesmal, mangels Bank, auf dem Boden einer Bushaltestelle auf der Matte meines Sitzes. Ralf blieb wieder wach, diesmal wurde es ihm aber zu kalt. Damit hatte ich keine Probleme, hab ja ne isolierende Fettschicht.
Ich wollte Ralf das Gekrauche aber nicht weiter antun. Meine Konzentration hielt wieder nicht besonders lange und ich hatte Halluzinationen. Das machte das Fahren nicht leichter ich hatte echte Probleme auf dem Weg zu bleiben und sah Gebäude wo nur Bäume waren … da ich keine bessere Idee hatte schlug ich Ralf vor, dass er weiterfahren soll und ich mich irgendwo richtig ausschlafe. Das wollte er aber auf keinen Fall … eben ein echter Freund. Ich war aber wirklich verzweifelt, weil ich nicht wusste wie ich in dem Zustand weiterfahren sollte. Kein Bahnhof oder Rastplatz/Tanke in der Nähe. Wir waren da wo niemand tot überm Zaun hängen will. Dort wo die Straßenlaternen nur angehen wenn man drunter fährt. Kein Mensch weit und breit und nichtmal ab und zu ein Auto. Wie sagte Ralf: „Dunkel wie im Bärenarsch“
Irgendwie musste Energie in mich rein. Also würgte ich mir ein Gel rein und schluckte direkt eine Natrontablette mit nem Schluck Wasser. Was sollte schon passieren? Schlimmstenfalls Erbrechen …
Aber das Gemisch blieb drin und mein “Akku“ meldete sich wieder. Ich hatte wieder Energie … super! Fast schon euphorisch ging es weiter. Und dann konnte man endlich das Morgengrauen sehen … jetzt war ich wirklich euphorisch.
In Braunsbreda war zwar um 5 Uhr noch keine Tanke auf, aber ein „Tante Emma Laden“. Wir hatten gerade eine sehr schöne Etappe entlang des Geiseltalsees hinter uns, Leipzig lag in „Rufweite“ und bis Dresden konnte es dann auch nicht mehr weit sein. Kleines Frühstück und der billige kalte Fertigkakao waren eine Wohltat.
Nur soviel zu Leipzig: Außer mit dem Fully oder Fetty unbedingt großräumig umfahren. Übelste Radwege mit wilder Führung kombiniert mit rücksichtslosen Autofahrern sind keine Kombi die Freude aufkommen lässt. Dort wollten wir beide nur schnell weg. Allerdings gar nicht so einfach, denn jede, wirklich jede Ampel war rot. Gute 2h hat der „Spaß“ gedauert, der sich anfühlte wie 5h.
Ich dachte jetzt hätten wir das Gröbste hinter uns. Ralf klärte mich auf, denn bis hierher führen seine Touren von Dresden ab und zu. Schöne Gegend folgte, leider bewegten wir uns quer zu den hügeligen Aufwürfen. Einige Steigungen folgten, ähnlich wie die Steigung von Darup nach Billerbeck. An sich nichts Schlimmes. Leider gab es in jeder Steigung ein kurzes Stück für das meine Übersetzung nicht reichte um locker durchzukurbeln. Meine Energiereserven waren natürlich noch nicht wieder komplett gefüllt und mit der Überlast merkte ich wie ich mich ins Leistungstal arbeitete.
Meine Fahrt auf den Mount Ventoux war nicht schlimmer. Nominell sicher schon, aber nicht gefühlt. Ich sehnte die letzte Steigung herbei. Die Sonne wurde wieder heiß und Schatten gab es in dem Gelände auf der Straße nicht … ich brauchte noch eine letzte Pause im Schatten einer Scheune.
Das Timing war suboptimal, jeweils zu den heißesten Tageszeiten waren wir in an den unangenehmsten Steigungen ... da war meine Fettschicht ne doppelte Last
Dann ging es nach Meißen runter zur Elbe. In der Elbe kühlte ich noch einmal die Füße die sich jetzt trotz der deutlich besseren Einlagen doch langsam meldeten. Das Ziel in Reichweite, fast schon in Sicht ging es zügig bis zum Ende. Ralf vor weg, ich hinterher …
Ralf sagte im Nachgang dass es auf dem ganzen Stück keine schlimme Steigung gab, entweder zu kurz oder nicht steil genug … Erzgebirgeproofed! Und er hat Recht! Ich habe es nochmal nachgeprüft und mit den Steigungen in den Baumberger verglichen. Auf unserer Tour hatten die Steigungen ein Faktor von HM zu Länge von 0,023 -0,056. Hoch zur Leopoldshöhe in den Baumbergen kommt man auf 0,06. Allerdings nicht mit ganz so steilen Zwischenstücken. Hier bei uns komme ich überall hoch ohne zu schieben!
Insgesamt waren wir auf unserer Tour länger unterwegs als ich bei meiner 500km Generalprobe. Die Fahrzeit war allerdings kürzer trotz 50km mehr Länge. Wir habe viel mehr Pausen gemacht. Darum fühlte ich mich auch wohl stark genug am nächsten Tag zurück zu fahren. Das redete Ralf mir aber aus. Vermutlich war es vernünftig, aber es fühlte sich ziemlich doof an. Ich wollte doch so gern auch zurückfahren. Das fühlte sich so an wie ein Computerspiel, bei dem man immer wieder von ganz vorn anfangen muss … auch wenn man in Level 55 rausfliegt.
Es ist schön das ehemals gesetzte Ziel, mit meinem Freund in seine Stadt zu fahren, endlich erreicht zu haben. All die Hindernisse - Füße, Rücken, Gepäck, Essen - bewältigt zu haben macht es noch ein Stück prägender. Eine tolle Erfahrung