Ich sehe das anders. Das Internet ist heute an vielen Stellen deutlich besser als früher. Ich bin seit ca. 1996, 1997 "drin". Am Anfang in der Schule, wir waren eine der ersten, die Internetzugang hatten, dann mit germany.net und schließlich seit Anfang der 2000er mit DSL, als 768k noch schnell waren.
Richtig ist, dass vor allem das große "Massen-Netz", eine Art BTX 2.0 geworden ist. Da die bekanntesten Webseiten oftmals von gewinnorientierten Firmen betrieben werden, möchten die sich ihr Angebot natürlich bezahlen lassen - mit Geld oder mit Daten. Ich finde allerdings den neuerlichen Trend zu Paywalls oder Registrierungsschranken immerhin konsequent. Letzteren kann man mit Wegwerf-Mail-Adressen Herr werden und erstere braucht man nicht zu nutzen. Das ist dann Angebot und Nachfrage. Keiner macht etwas, das sich nicht auszahlt. Ich mochte in der Vergangenheit eher weniger, dass die Seiten mit Layer-Ads zugepflastert waren, wo man erstmal den Schließ-Button suchen musste - der dann oftmals noch drei weitere Werbefenster aufpoppte. Oder Flash-Werbeanzeigen mit Sound. Da finde ich die heutigen Adblocker-Blocker oder Paywalls durchaus konsequent - dann bekomme ich wenigstens klipp&klar gesagt: "Du kommst hier nicht rein". Dann sage ich: Danke, auf Wiedersehen. Ich versuche nicht mich mit irgendwelchen Adblockerblockerblockern irgendwie reinzumogeln. Das regelt sich von allein.
Würde ich in Clubs gehen und wegen meiner Schuhe vom Türsteher nicht reingelassen werden, dann würde ich dort nie wieder hingehen und ggf. noch eine entsprechende 1-Stern-Bewertung bei Google und Nicht-Empfehlung bei Facebook da lassen - oder das ganze anderweitig kritisieren, damit nicht andere ebenso enttäuscht werden. Entweder geht der Club irgendwann pleite, dann hat er's verdient, oder er ändert seine Einlasspolitik, dann schau ich mir das vielleicht nochmal an und gebe ihm eine zweite Chance, oder es finden sich genug Gäste, die ins Raster passen oder die entsprechenden Maßregelungen über sich ergehen lassen. Dann trägt der sich eben so, das soll mir dann auch Recht sein.
Dass die Themen, welche vorherrschen, vom Niveau her auch immer stärker in Richtung RTL und Co. gehen, ist ebenso logisch, denn mit der leichteren Verfügbarkeit von Teilen des Netzes für jeden, auch wenn er sich mit der Materie nicht auskennt, steigen natürlich auch die Nutzerzahlen, und damit die Nutzer, welche sich für solche Themen interessieren. Aber sogar auf YouTube, Facebook und Co. gibt es nicht nur Schrott, man findet durchaus viele interessante Beiträge, vor allem zu Nischenthemen.
Vor allem, wenn man sich im Selbststudium etwas aneignen möchte, leben wir heute in paradiesischen Zeiten, und das aktuelle Internet möchte ich da nicht missen. Als ich 1991 den Atari 130XE meines Onkels "erbte", tippte ich die BASIC-Programme aus dem Handbuch ab und wollte irgendwann mehr. Das einzige, was sich mir aber als Lernressource bot, waren alte DDR-Computerbücher aus der Schulbibliothek über Microsoft BASIC für CP/M und die ganzen MS-BASIC-Clones der DDR-Heimcomputer. Und deren BASICs unterschieden sich stark vom Atari, was anpassen der Programme für Laien, wie ich damals einer war, schwierig machte.
Die heutige Softwarelandschaft ist auch nur durch das Internet so geworden, wie sie heute ist. Früher musste man für alles, was über das mitgelieferte rudimentäre BASIC des frisch gekauften Heimcomputers hinaus ging, tief in die Tasche greifen. Heute ist sogar die Standard-Edition von Visual Studio kostenlos für Privatnutzung. Das kommt zum einen durch die Open-Source-Gemeinde, aber auch durch die relativ leichte Möglichkeit, unrechtmäßige Kopien der Software anzufertigen und halbwegs anonym online zu verbreiten.
Das mobile Internet möchte ich ebenso nicht mehr missen, denn das Smartphone kann richtig genutzt die Lebensqualität deutlich steigern, Stress vermeiden und Urlaub deutlich erlebnisreicher machen. In den vergangenen Jahren fuhr ich gern in der ganzen Republik mit öffentlichen Verkehrsmitteln rum und besuchte schöne Freizeitbäder. Mit der immer unzuverlässiger werdenden Bahn wurde das aber zunehmend zur Herausforderung. Ich hatte es nicht nur einmal, dass irgendwas passiert war, ich mich aber bereits im Vorfeld informieren und für den aktuellen Tag ein anderes Fahrtziel aussuchen konnte. Mit dem "Nerd-only" Internet der 1990er bis 2000er wäre das nicht möglich.
Streamingdienste wie Netflix erlauben es, dass man sich sein Programm selbst aussucht, und machen es auch möglich, weniger stark frequentierte Formate anzubieten. YouTube genauso, "FUNK" vom ÖRR hat z.B. jetzt den Walulis, der vorher eine Sendung im "richtigen" Fernsehen hatte. Ohne YouTube wäre nach Absetzung von "Walulis sieht fern" Schluss gewesen, so kann er weiter machen. Und ich möchte noch gar nicht von teilweise sehr interessanten Spartenthemen reden wie vom 8-Bit Guy, Techmoan oder auch
@Marlon (RawFuture).
Auch Fachforen findet man immer seltener, manchmal sind sie geschützt wie Fort Knox, obwohl es nur um sowas profanes geht wie Lautsprecher, Fotoapparate oder Vogelhäuschenbau. Den Vogel abgeschossen hat übrigens ein Forum zu meinem 3-Liter-Auto. Die wollen einen Echtheitsnachweis von mir, damit ich weiterhin erzählen darf, wie wenig mein Auto verbraucht.
Das ist allerdings schon lange so. Ich kenne ein Freizeitparkforum, das das seit Anfang der 2000er so handhabt. Dadurch schmort die eingeschworene Community dort mehr oder weniger im eigenen Saft, was denen laut eigener Aussage ganz recht ist. Man wollte eher einen gläsernen Elfenbeinturm im Netz schaffen, in dem sich der harte Kern unterhält und das "Fußvolk" durch große Schaufenster gnädigerweise reinschauen darf.
Seitdem stehe ich Fachforen eher zwiespältig gegenüber. Auf der einen Seite findet man dort zwar geballtes Fachwissen vor, aber auf der anderen Seite wird auch nicht selten die Macht über den Kloschlüssel des Chefs überschätzt. Leider fällt mitunter ein kleiner, aber sehr lauter Haufen Nutzer durch arrogantes, elitäres Gehabe auf, der die eigenen Ansichten zum Nabel der Welt erklärt, und neue, die nicht in die selbe Kerbe schlagen, oder Nutzer mit ganz anderen Ansichten, die sich aber im wesentlichen für das gleiche Thema interessieren, verschreckt. Ich habe es in der Vergangenheit in anderen Fachforen sogar bereits erlebt, dass es manchmal bestimmte akzeptierte "Pet Trolls" gibt, die zu der Stamm-Userschaft ein gutes Verhältnis haben und mit dieser auch nicht trollen, aber gegen Neulinge und andersdenkende in Stellung gebracht werden. Die dürfen sich dann alles rausnehmen, bis weit unter die Gürtellinie und bisweilen in den Bereich des Mobbings.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es in Fachgruppen auf Facebook und teilweise sogar Reddit deutlich zivilisierter zugeht. Ich kann das sogar nachvollziehen, denn gerade der "elitäre Haufen" im Fachforum gibt sich oftmals nicht mit "Fratzenbuch" ab, wie die das oft nennen. Übrig bleiben dann Leute, die in ihrer Fachkompetenz oft den "grauen Eminenzen" kaum nachstehen, aber u.a. aus diesem Grund Fachforen meiden, und mit denen man dann sehr zivilisiert diskutieren kann.