...weil ich heute Morgen eine interessante Erfahrung hatte:
Friseurtermin, ich muss noch einen Moment warten und setze mich hin. An mir vorbei geht eine mir noch nicht bekannte Mitarbeiterin, die mir von Anfang an unsympathisch ist: Etwa meine Altersklasse, aber massiv nachgefärbt, zwangsjugendliche Jeans mit mehr Loch als Stoff, abenteuerlicher, dunkel ochsenblutroter Lippenstift.
Kurz darauf spricht sie mich an: "Die Sarah kann nicht, darf ich Ihnen die Haare schneiden?"
O.K., ist ja nur Haareschneiden. Ich stecke meine instinktive Antipathie erstmal zurück, vielleicht ist sie ja fachlich versiert: "So lange ich hinterher nicht schreiend herausrenne, alles O.K." Grinsen von der Gegenseite.
"Wie soll´s denn sein?"
Ich erkläre ihr, dass ich es einfach nur kurz und pragmatisch brauche, weil ich ein paar Aufführungen unseres alljährlichen Weihnachtsspiels vor mir habe und es mir ohnehin schon viel zu heiß im Kostüm samt Zottelperücke und Pelzmütze sein wird. Fragen ihrerseits nach dem Weihnachtsspiel, dem Arbeitsplatz, was mich auf diesen Job geführt hat und warum ich den trotz ganz anderer Ausbildung mache. Also klassisches Friseursmalltalk.
Im Laufe des Gesprächs allerdings immer mehr interessierte, ausgesprochen überlegte Nachfragen ihrerseits, die je länger, desto mehr in die Tiefe führen und mit etlichen Denkpausen auf beiden Seiten am Ende bei substantiellen Themen wie professioneller Nähe und Distanz, Berufsethos, Empathiefähigkeit und gesellschaftlicher wie auch persönlicher Wertschätzung enden. Nach einer halben Stunde und mit deutlich kürzerer "Matte" habe ich beim Aufstehen das Erlebnis, eine echte Begegnung gehabt zu haben und bin froh, meine Voreingenommenheit beiseite geschoben zu haben.
Also wieder einmal eine zentrale Lektion wiederholt:
Hör hin, achte darauf, was ein Mensch gegenwärtig ausdrückt, nicht wie er glaubt sich geben zu müssen und "Man sieht nur mit dem Herzen gut." (Saint-Exupéry)
Schön!