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So viele Bücher über Velomobile gibt es nicht, also stelle ich das Neueste hier vor:
Dietrich Lohmeyer, Velomobile. Schnelle Fahrräder mit Wetterschutz, LD-Verlag 2018, 144 S., 28,90 €.
Wer, aus welchem Grund auch immer, auf Velomobile aufmerksam geworden ist findet kaum eine Darstellung zwischen zwei Buchdeckeln, die einigermaßen aktuell und anschaulich geschrieben ist. Für diese Menschen wird das Buch von Dietrich Lohmeyer zur Fundgrube, wegen der zahlreichen Illustrationen und Erläuterungen, aber auch wegen des umfassenden Einstiegs in die Thematik.
In klassischer Didaktik beginnt Lohmeyer bei den Grundlagen: der Geschichte aerodynamischer Fahrräder und ihren Erfolgen, die Rennszene im Wechsel der Jahrzehnte, den Wurzeln in Europa und den USA sowie der allmählichen Herausbildung des modernen, straßen- bzw. alltagstauglichen Velomobils. Ein weiteres Grundlagenkapitel widmet sich der Aerodynamik, ihren Grundlagen und Besonderheiten, gesehen in Bezug auf muskelgetriebene Fahrzeuge.
Den Hauptteil des Buchs bilden dagegen die drei Klassen an Velomobilen, die Dietrich Lohmeyer im einzelnen vorstellt, Stärken und Schwächen gegenüberstellt und in ihrer Technik erläutert. Zur Einführung behandelt er die allgemeinen Eigenschaften von Velomobilen, darunter die wichtigste — die effiziente Umsetzung der eingesetzten Energie. Die erste Klasse bilden für Lohmeyer die Rennvelomobile, auf leichtes Gewicht und gute Aerodynamik optimierte Fahrzeuge, wie beispielsweise der Milan, die Evo-Reihe, das DF oder das WAW. Lohmeyer sortiert auch das französische Mulsanne hier ein, was wahrscheinlich im Alltag nicht zu halten ist. Es gibt noch zu wenige Exemplare dieses jungen Modells, aber der erste Augenschein unterwegs würde das Mulsanne wohlwollend auf das Niveau eines Strada einordnen. Auch wenn einzelne Rekordfahrzeuge aufgenommen sind, liegt der Schwerpunkt des Buchs hier wie generell auf voll straßentauglichen Velomobilen. So findet die recht breite Rennszene in Australien, an der viele Schülerteams beteiligt sind, keine besondere Erwähnung. Man muss allerdings hinzufügen, dass die Zahl der Velomobile auf australischen Straßen trotz dieser Szene kaum der Rede wert ist.
Dann gibt es die Alltagsvelomobile, die Lohmeyer generell durch kleineren Wendekreis (durch offene Radhäuser und genügend Spurbreite) für einen entsprechenden Einschlag, durch einen einfachen weil großen Einstieg und weitergehenden Wetterschutz als bei den „Kopf draußen“ Modellen kennzeichnet. Hier spielen die Klassiker wie die Leitra oder das Alleweder eine besondere Rolle, die Leiba X-Stream oder das Mango, das Quattrovelo, das Strada und natürlich das Versatile bzw. der Orca. Auch in dieser Kategorie stellt das Buch viele Modelle und Varianten vor und erläutert velomobiltypische Technik in Antrieb, Federung, Lenkung oder Bremsen. Wer noch die Kraft hat, ein Buch von vorn nach hinten zu lesen, erhält auf diesem Wege Antworten auf viele Fragen, von denen man zuvor nicht wusste dass sie sich stellen würden.
Die dritte Kategorie ist im Grunde eine Abteilung der zweiten — die elektrisch unterstützten Velomobile. Hier schlägt das Herz des Autors schneller wenn er die einschlägigen Modelle vorstellt, ist doch die Kombination von Velomobil und elektrischem Zusatzantrieb aus seiner Sicht perfekt. Der Antrieb kompensiert die schlechtere Aerodynamik, den größeren Rollwiderstand robuster Reifen und das in der Regel höhere Gewicht der Alltagsvelomobilklasse. Damit sind die gleichen oder in den Bergen sogar bessere Fahrleistungen zu erreichen als mit Rennvelomobilen. Außerhalb der Betrachtung bleiben Rennvelomobile mit E-Motor — ein Milan oder DF beispielsweise lässt sich ohne größere Umstände mit einem Pedelec-Tretlagerantrieb ausrüsten und dürfte sich trotz des Mehrgewichts auch ohne Akku-Kraft noch zügig bewegen lassen (aus Sicht des Rezensenten ist einer der Nachteile vieler E-Velomobile, dass sie ohne Motor allenfalls für kürzere Strecken im Flachen Gelände taugen).
Lohmeyer idealisiert allerdings nicht, er schätzt das Potential von schnellen Velomobilen hoch, doch kennt er sich am besten im Alltagsbereich und mit E-Unterstützung aus — hat er doch viele Jahre Alleweder und andere damit ausgestattet und vertrieben, unter anderem auch die Zulassung von 45 km/h-Modellen erreicht. Mit einem Arbeitsweg von 40-50 km verfügt er daneben auch über reichlich Alltags- und Allwettererfahrung mit seinen Modellen.
Neben den vielen Details und technischen Informationen will das Buch auch einen Überblick über den Markt und seine Nischen vermitteln, was keine leichte Aufgabe darstellt, denn die Produktionszahlen sind lückenhaft verfügbar, und mangels Zulassungspflicht gibt es auch keine validen Daten über die Zahl der auf unseren oder anderer Länder Straßen laufenden Velomobile. Immerhin wird klar, dass der Markt wächst und das Angebot nicht nur bunter, sondern auch moderner wird. Velomobile haben die Bastelecke weitgehend verlassen, die Wertigkeit der Fahrzeuge steigt und die Ausstattung ab Werk spiegelt häufiger als früher die Bedürfnisse des Alltags wider. Damit sollten Velomobile ein wichtiger Bestandteil nachhaltiger Mobilitätskonzepte sein, wie der Autor in einem zusätzlichen Kapitel darlegt.
Das Buch ist ideal als Einstieg in die Welt der Velomobile — wer sich orientieren will, findet hier jede Menge Material, vor allem aus konstruktiver und technischer Perspektive. Wer schon Bescheid weiss, wird es ebenfalls mit Gewinn lesen, weil immer noch etwas zu entdecken ist, und sei es nur wie die Urteile differenzieren oder die Geschmäcker verschieden ausfallen können.
Doch das Buch kann nicht alles, und das ist eine schmerzliche Lücke: Es kann die besondere Faszination nicht darstellen, die vom Velomobilfahren ausgeht und sich selbst erfahrenen Liegeradlern oder Trikern vermittelt. Sie besteht ja nicht allein und Wind- und Wetterschutz oder der höheren Geschwindigkeit, sondern aus der Summe vieler weiterer Aspekte — vom schier endlosen Rollen über die Ablage von Essen und Getränken neben dem Piloten, den Geheimnissen des Momentums in den Hügeln bis zu den Tagesetappen, für deren Länge man auf jedem anderen Rad zu den ganz Harten gehören müsste …. um nur ein paar zu nennen. Das Reisen mit dem Velomobil spielt ebenfalls keine besondere Rolle in diesem alltagsfixierten Buch, doch es begleitet die Entwicklung des modernen Velomobils seit den Italienreise der späteren velomobiel.nl Gründer Ymte Sijbrandij und Theo van Andel mit dem Alleweder über die Alpen. Die Faszination dieser ungewöhnlichen Fahrzeuge bleibt dem Unerfahrenen auch nach der Lektüre dieses Buchs ein Rätsel, und dass ist kein Vorwurf an seinen Autor. Es gibt nun mal Dinge, die man selbst erfahren muss um sie wirklich zu begreifen. Beim Velomobil umfasst die Länge dieser Erfahrung ungefähr 1000 km. Wer diese Schwelle überwindet betritt eine neue Welt des Radfahrens — das Paralleluniversum der Velomobile.
Dietrich Lohmeyer, Velomobile. Schnelle Fahrräder mit Wetterschutz, LD-Verlag 2018, 144 S., 28,90 €.
Wer, aus welchem Grund auch immer, auf Velomobile aufmerksam geworden ist findet kaum eine Darstellung zwischen zwei Buchdeckeln, die einigermaßen aktuell und anschaulich geschrieben ist. Für diese Menschen wird das Buch von Dietrich Lohmeyer zur Fundgrube, wegen der zahlreichen Illustrationen und Erläuterungen, aber auch wegen des umfassenden Einstiegs in die Thematik.
In klassischer Didaktik beginnt Lohmeyer bei den Grundlagen: der Geschichte aerodynamischer Fahrräder und ihren Erfolgen, die Rennszene im Wechsel der Jahrzehnte, den Wurzeln in Europa und den USA sowie der allmählichen Herausbildung des modernen, straßen- bzw. alltagstauglichen Velomobils. Ein weiteres Grundlagenkapitel widmet sich der Aerodynamik, ihren Grundlagen und Besonderheiten, gesehen in Bezug auf muskelgetriebene Fahrzeuge.
Den Hauptteil des Buchs bilden dagegen die drei Klassen an Velomobilen, die Dietrich Lohmeyer im einzelnen vorstellt, Stärken und Schwächen gegenüberstellt und in ihrer Technik erläutert. Zur Einführung behandelt er die allgemeinen Eigenschaften von Velomobilen, darunter die wichtigste — die effiziente Umsetzung der eingesetzten Energie. Die erste Klasse bilden für Lohmeyer die Rennvelomobile, auf leichtes Gewicht und gute Aerodynamik optimierte Fahrzeuge, wie beispielsweise der Milan, die Evo-Reihe, das DF oder das WAW. Lohmeyer sortiert auch das französische Mulsanne hier ein, was wahrscheinlich im Alltag nicht zu halten ist. Es gibt noch zu wenige Exemplare dieses jungen Modells, aber der erste Augenschein unterwegs würde das Mulsanne wohlwollend auf das Niveau eines Strada einordnen. Auch wenn einzelne Rekordfahrzeuge aufgenommen sind, liegt der Schwerpunkt des Buchs hier wie generell auf voll straßentauglichen Velomobilen. So findet die recht breite Rennszene in Australien, an der viele Schülerteams beteiligt sind, keine besondere Erwähnung. Man muss allerdings hinzufügen, dass die Zahl der Velomobile auf australischen Straßen trotz dieser Szene kaum der Rede wert ist.
Dann gibt es die Alltagsvelomobile, die Lohmeyer generell durch kleineren Wendekreis (durch offene Radhäuser und genügend Spurbreite) für einen entsprechenden Einschlag, durch einen einfachen weil großen Einstieg und weitergehenden Wetterschutz als bei den „Kopf draußen“ Modellen kennzeichnet. Hier spielen die Klassiker wie die Leitra oder das Alleweder eine besondere Rolle, die Leiba X-Stream oder das Mango, das Quattrovelo, das Strada und natürlich das Versatile bzw. der Orca. Auch in dieser Kategorie stellt das Buch viele Modelle und Varianten vor und erläutert velomobiltypische Technik in Antrieb, Federung, Lenkung oder Bremsen. Wer noch die Kraft hat, ein Buch von vorn nach hinten zu lesen, erhält auf diesem Wege Antworten auf viele Fragen, von denen man zuvor nicht wusste dass sie sich stellen würden.
Die dritte Kategorie ist im Grunde eine Abteilung der zweiten — die elektrisch unterstützten Velomobile. Hier schlägt das Herz des Autors schneller wenn er die einschlägigen Modelle vorstellt, ist doch die Kombination von Velomobil und elektrischem Zusatzantrieb aus seiner Sicht perfekt. Der Antrieb kompensiert die schlechtere Aerodynamik, den größeren Rollwiderstand robuster Reifen und das in der Regel höhere Gewicht der Alltagsvelomobilklasse. Damit sind die gleichen oder in den Bergen sogar bessere Fahrleistungen zu erreichen als mit Rennvelomobilen. Außerhalb der Betrachtung bleiben Rennvelomobile mit E-Motor — ein Milan oder DF beispielsweise lässt sich ohne größere Umstände mit einem Pedelec-Tretlagerantrieb ausrüsten und dürfte sich trotz des Mehrgewichts auch ohne Akku-Kraft noch zügig bewegen lassen (aus Sicht des Rezensenten ist einer der Nachteile vieler E-Velomobile, dass sie ohne Motor allenfalls für kürzere Strecken im Flachen Gelände taugen).
Lohmeyer idealisiert allerdings nicht, er schätzt das Potential von schnellen Velomobilen hoch, doch kennt er sich am besten im Alltagsbereich und mit E-Unterstützung aus — hat er doch viele Jahre Alleweder und andere damit ausgestattet und vertrieben, unter anderem auch die Zulassung von 45 km/h-Modellen erreicht. Mit einem Arbeitsweg von 40-50 km verfügt er daneben auch über reichlich Alltags- und Allwettererfahrung mit seinen Modellen.
Neben den vielen Details und technischen Informationen will das Buch auch einen Überblick über den Markt und seine Nischen vermitteln, was keine leichte Aufgabe darstellt, denn die Produktionszahlen sind lückenhaft verfügbar, und mangels Zulassungspflicht gibt es auch keine validen Daten über die Zahl der auf unseren oder anderer Länder Straßen laufenden Velomobile. Immerhin wird klar, dass der Markt wächst und das Angebot nicht nur bunter, sondern auch moderner wird. Velomobile haben die Bastelecke weitgehend verlassen, die Wertigkeit der Fahrzeuge steigt und die Ausstattung ab Werk spiegelt häufiger als früher die Bedürfnisse des Alltags wider. Damit sollten Velomobile ein wichtiger Bestandteil nachhaltiger Mobilitätskonzepte sein, wie der Autor in einem zusätzlichen Kapitel darlegt.
Das Buch ist ideal als Einstieg in die Welt der Velomobile — wer sich orientieren will, findet hier jede Menge Material, vor allem aus konstruktiver und technischer Perspektive. Wer schon Bescheid weiss, wird es ebenfalls mit Gewinn lesen, weil immer noch etwas zu entdecken ist, und sei es nur wie die Urteile differenzieren oder die Geschmäcker verschieden ausfallen können.
Doch das Buch kann nicht alles, und das ist eine schmerzliche Lücke: Es kann die besondere Faszination nicht darstellen, die vom Velomobilfahren ausgeht und sich selbst erfahrenen Liegeradlern oder Trikern vermittelt. Sie besteht ja nicht allein und Wind- und Wetterschutz oder der höheren Geschwindigkeit, sondern aus der Summe vieler weiterer Aspekte — vom schier endlosen Rollen über die Ablage von Essen und Getränken neben dem Piloten, den Geheimnissen des Momentums in den Hügeln bis zu den Tagesetappen, für deren Länge man auf jedem anderen Rad zu den ganz Harten gehören müsste …. um nur ein paar zu nennen. Das Reisen mit dem Velomobil spielt ebenfalls keine besondere Rolle in diesem alltagsfixierten Buch, doch es begleitet die Entwicklung des modernen Velomobils seit den Italienreise der späteren velomobiel.nl Gründer Ymte Sijbrandij und Theo van Andel mit dem Alleweder über die Alpen. Die Faszination dieser ungewöhnlichen Fahrzeuge bleibt dem Unerfahrenen auch nach der Lektüre dieses Buchs ein Rätsel, und dass ist kein Vorwurf an seinen Autor. Es gibt nun mal Dinge, die man selbst erfahren muss um sie wirklich zu begreifen. Beim Velomobil umfasst die Länge dieser Erfahrung ungefähr 1000 km. Wer diese Schwelle überwindet betritt eine neue Welt des Radfahrens — das Paralleluniversum der Velomobile.