GBSR 2014 – nacherzählt

7. Tag
Stockholm (S)
27 km


Schon wieder ein Ruhetag, und nach Kopenhagen wieder einer von der eher unruhigen Sorte, denn wir sind in der Stadt, im Getümmel des Großstadtverkehr und dem Gewimmel der Touristen. Dafür ist die Kilometerleistung wieder einmal zu vernachlässigen, weniger als 30, das ist praktisch keiner Rede wert.


Der Tag beginnt entspannt, denn wir haben ja Zeit. Vor der Abfahrt halten wir eins der wenigen Riders Meetings, um den Tagesablauf zu besprechen. Im Unterschied zu ROAM ist die Gruppe bei GBSR recht homogen und organisiert, so dass wir die regelmäßigen Briefings wie in den USA nicht brauchen. Außerdem habe ich eine Reihe der Plätze vorbezahlt, so dass vielfach auch das abendliche Ritual des Geldeinsammelns entfällt. Der Plan ist, auf der vorbereiteten Route in die Stadt zu fahren und sich beim Königsschloss zu treffen, dort nach dem Kopenhagener Modell einen Stützpunkt für die Velomobile zu bilden und die Stadt zu erkunden. Dank des Tracks müssen wir nicht zusammen fahren, was die Abläufe immer etwas schwerfälliger macht. Ein formelles Begegnungsprogramm gibt es für den Tag nicht, was kommt das kommt. Das Sekretariat des Ostseerates, das sich in Stockholm befindet (der Ostseerat fungiert als Patron unserer Tour), hat sich praktischerweise in die Ferien verabschiedet, so dass für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine Arbeit mit uns anfällt und für uns kein Pflichttermin.

Auf einem Mix von Nebenstraßen, Seitensträßchen und Haupteinfallsstraßen bewegen wir uns ab 9 Uhr allmählich in Richtung Ausgang und Stadt, einen Kaffee noch an der Rezeption, ein wenig Datenverkehr im WLAN dort (Harry sitzt bei mir und lässt mir freundlicherweise noch 1-2 Byte übrig), und die erste Gruppe rollt los. Stockholm ist, das muss man wissen, wahrscheinlich hügeliger als jede deutsche Millionenstadt. Schwedens größte Stadt ist auf einer Reihe felsiger Inseln gebaut, die zum Teil recht steil aus dem Meer ragen. Entsprechend fällt etwas Kurbelei an bevor wir die erste größere Straße ins Zentrum der Stadt erreichen. Dort gibt es in der Regel recht ordentliche Radwege, nicht gut für zügiges Vorankommen, doch wir bummeln ja nur. Dabei stören wir kaum einen Einheimischen auf dem Rad, denn es ist kaum einer zu sehen. Es wird schon Rad gefahren in Stockholm, aber nicht so viel und wenig dort, wo wir uns gerade bewegen.

Die Anfahrt auf die kleine Insel mit dem Königsschloss gestaltet sich bauarbeitsbedingt etwas umständlich und löst velomobile Wendemanöver am Berg aus, verwundert verfolgt von ersten Touristengruppen. Doch sind dies vorübergehende Komplikationen, mit einem kleinen Gassenschlenker bewegen wir uns wieder auf den Track und die Brücke Richtung Königschloss zu. Die Seite des Schlosses lassen wir links liegen und bewegen uns auf die Hauptfassade zu, die zu beiden Seiten eine kutschentaugliche Vorfahrt aufweist, aber keinen rechten Platz für die Velomobile bietet. Auch ist keine coffeinspendende Bude in Sichtweite. Kein guter Platz für unseren VM-Stützpunkt, doch dem Hauptportal gegenüber, auf der anderen Seite des Wassers und vor der schönen Kulisse Stockholmer Prachtbauten des 19. Jahrhunderts, da sieht es besser aus, und man zudem das Schloss im Blick. Wir beschließen den Umzug, überqueren eine der vielen Brücken und finden eine breite Kaipromenade mit allem was wir brauchen. Dort fahren allerdings auch etliche Linien der Wasserbusse ab, was den Tag über immer wieder über in Wellen angespülte Touristenströme zur Folge hat, deren jäh erwachendes Faible für Velomobile dem Stützungsteam jeweils alles an Geduld und guten Worten abverlangt.

Die nachfolgenden Fahrergrüppchen haben den Ortswechsel natürlich nicht mitbekommen und finden auch erst vor Ort zu der Einsicht, dass so ein Schloss mindestens vier Ecken hat, oder auch mehr, und hinter jeder könnte sich der morgens besprochene Stützpunkt befinden. So warten einige geduldig an der Rückseite des Schlosses, vielleicht im Glauben, die ersten zu sein, andere lassen sich telefonisch lotsen, finden es aber schwierig auszumachen, welche der Seiten denn als Hauptportal zu erkennen ist, von dem aus man über das Wasser leicht die bisher vor dem prächtigen Grand Hotel im Jugendstil geparkten Velomobile ausmachen könnte.
Solche Irritationen beleben den Ruhetag ein wenig, sind aber nicht von Dauer. Nicht lange, und die eindrucksvolle Reihe an Velomobilen steht akkurat geparkt, eine Reihe der Eigner erkundet bereits die Stadt, andere sitzen im Café und das Stützungspunktteam wird bereits von Neugierigen in Beschlag genommen. Nachdem auch noch Nina und Erwin mit dem Besenwagen-Quest eingetroffen sind, kann Teil 1 der Tagesetappe als abgeschlossen gelten. Nun wird unter strahlend blauem Himmel und ziemlicher Hitze gefaulenzt soweit die Umstände dies zulassen. Stockholm ist eine Perle, deren Zentrum sich gut zu Fuß erkunden lässt, die Inselstruktur bedeutet, dass man beinahe hinter jeder Ecke wieder auf Wasser trifft, ausreichend tief auch für größere Schiffe, so dass hier und da, recht betrachtet fast überall, Kreuzfahrtschiffe, Fähren, alte Großsegler und andere Wasserfahrzeuge am Kai liegen. Mit einigen anderen mache ich eine Runde zu Fuß, ein gepflegtes Mittagessen inklusive. Nachmittags fahre ich noch eine kleine Besichtigungstour mit dem Velomobil, auf der ich einen Liegeradler aufgable, der die Suche nach uns schon fast aufgegeben hatte. Den führe ich der Gruppe zu.

Als Mitglied des Stützpunktteams gibt es für mich ebenfalls viel tun. Mal ist ein Damenkreis aus Kiel mit Durchschnittsalter 70, der mich umringt und alles wissen will, auch warum man „diese Dinger“ in Deutschland überhaupt nie sieht, mal eine Gruppe Jugendlicher, die das alles cool finden bis sie hören dass da kein Motor drin steckt. Dann wieder ganze Großfamilien, bei denen ständig zu befürchten ist, dass eine der schwerergewichtigen Mitgliederinnen ihre mächtige Sitzfläche als nächstes auf einer der Velomobilhauben niedergehen lässt, alles zermalmend, was doch wie ein so schöner Posenplatz aussah, für das Familienalbum. Da konnte man keine Sekunde unkonzentriert sein, zumal ja von allen Seiten auch asiatischen Touristengruppen herandrängten. In Asien, vor allem in China, das wissen wir jetzt, ist eines der beliebtesten Fotomotive das Bild von einem selbst bzw. der Frau oder des Mannes, der Freundin etc., wie er oder sie offenbar gerade im Zentrum Stockholms angekommen einem Velomobil entstiegen sind und nun daneben stehen, darauf lehnen oder sitzen. Dann wieder sind es Kinder in Begleitung ihrer stolzen Eltern, die unsere volle Aufmerksamkeit binden. Gefühlt jedes zehnte trägt ein Eis in der Hand und muss daher als potentieller Sitzbeschmutzer gelten – denn kein Kind kann an einem Velomobil vorbeigehen ohne reinzuschauen, das heißt sich über den Rand zu beugen, und kein Kind gibt dafür vorher das Eis vorher bei den Eltern ab. Die Folgen sind leicht auszudenken und müssen von uns präventiv abgewendet werden. Wer kennt zudem nicht die stolzen Blicke der Eltern, in denen zu lesen ist, wie kräftig und geschickt ihr Kleiner doch ist, und so süß. Guck mal, wie toll der auf dieses bunte Ding klettern kann, sieh nur, wie weit er die Spiegel drehen kann, sind die nicht putzig, wie die Ohren von Mickey Mouse ...

Mehr als einmal werden wir an diesem Tag auch mit der umwerfenden Logik vieler Menschen konfrontiert, die verärgert auf den Hinweis reagieren, man möge die Velomobile doch bitte nur ansehen, nicht anfassen. Warum wir denn dann hier parken würden, wenn man die Dinger da nicht anfassen, besteigen oder besitzen könne? Tja, darauf muss man erst mal kommen. Aber es gibt auch andere, die sehr interessiert sind, zum Teil technische zum Teil radfahrerische Fragen stellen, vieles wissen wollen und erkennbar in diesem Moment etwas für sie Interessantes entdecken. Solche Leute lassen ich dann auch mal einsteigen, wie jene Dame im leichten Sommerkleid, von der ich nicht glaubte, dass sie das Angebot annehmen würde (ihr Ehemann auch nicht), doch sie tut es und überwindet alle Sittlichkeitshürden beim Einstieg ins Quest mit einem Lächeln. Eine Reihe von Kindern lassen wir Probe sitzen; schön zu sehen, wie andächtig die zum Teil darin sitzen, als würde das Gefährt gleich abheben wie im Karussell auf dem Jahrmarkt. Es kommen aber auch nicht wenige vorbei, die glauben, es handele sich hier um Leihfahrzeuge für Stadtrundfahrten, wollen buchen und zahlen. Eine junge Frau sitzt schneller drin als man den Mund aufbekommt um sie davon abzuhalten, sie wolle doch Probe sitzen, bevor sie mietet, sagt sie. Nun ja.

Irgendwann geht dies wie alles andere auch vorbei; um 17:30 wollen wir uns am Fährhafen treffen, an unserem Fährhafen, denn es gibt mehrere. Der Weg dorthin ist anhand des Tracks gut zu finden, doch vor Ort wird die Wegweisung unklar und der Track hilft nicht mehr weiter. Die ersten entdecken eine Pizzeria und vertagen das Thema, andere irren durch das Hafengelände. Dritte folgen der Beschilderung und kommen auch an den richtigen Pier, dort ist aber niemand von den anderen.
Ich mache mich mit Jörn auf den Weg zum Ticketgebäude, wo er die Details klärt. Wir wissen nun genau, wo wir hinmüssen und uns einzureihen haben. Jetzt gilt es die versprengte Schar wieder zusammen zu bringen, was mir mit Fahrbewegungen nach dem Muster eines Schäferhundes hinter der Herde durch das verzweigte Hafengelände schließlich auch gelingt.

Dann müssen wir in verschiedenen Schlangen längere Zeit warten, links Autoschlangen, rechts Autoschlangen, bis wir endlich, nach vielen anderen, aufs Schiff fahren dürfen. Uns hat man ans Ende eines Decks gepackt, da mussten erst ein paar Hundert Autos rein, um es soweit vollzumachen. Der Rest des Tages ist Kreuzfahrt. Wir haben Viererkabinen, die Zuordnung hatten wir zwar morgens im Riders Meeting schon gemacht, aber nun sind die Karten schon mit Namen beschriftet und im allgemeinen Tauschprozess ist bald völlige Verwirrung erreicht, wer jetzt wo mit welcher Kabinenkarte und welchen anderen einzieht. Immerhin, wir haben Außenkabinen für die Nacht, und das Schiff ist eine Shoppingmall mit angeschlossenem Vergnügungspark. Jörn und ich hatten bei der Buchung etwas mehr ausgegeben, um nicht nur Außenkabinen zu erhalten, sondern auch solche, die nicht in Nähe der Disko liegen. Das war eine weise Entscheidung.

Während wir stundenlang in der wunderbaren Abendstimmung durch den Schärgarten gleiten – Schweden ist hier noch einmal pittoresker als wir es unterwegs bereits erlebt haben – gibt sich die Mehrzahl der Passagiere bereits ausgiebig dem Essen und Trinken hin. All inclusive Restaurants halten auch Wein und Bier bis zur Schmerzgrenze bereit, ein Duty Free Shop neben dem anderen bietet gewaltige Mengen Schnaps in jeder Form feil, palettenweise Bier, und wer die Großpalette nimmt, so ab 200 Dosen, bekommt die Sackkarre zum Transport des kostbaren Safts kostenlos dazu. Für unsere drei Evo S Piloten scheidet diese Option ja aus, doch als Quest-Fahrer gerät man doch ins Grübeln angesichts der bisherigen Preise für Leichtöl und unserem Verbrauch.
Wir bleiben standhaft und gehen lieber essen, all you can eat.

So geht vor postkartenkitschigem Abendrot über Schwedens Ostküste die erste Woche unserer Reise zu Ende. Wir sind auf dem Weg nach Finnland. Ein neues Kapitel beginnt.
 
Oh Mann. Hoffentlich haben die anderen, die sich den Stress nicht angetan haben, zu schätzen gewusst was diejenigen die bei den VMs geblieben sind geleistet haben.
 
Oh Mann. Hoffentlich haben die anderen, die sich den Stress nicht angetan haben, zu schätzen gewusst was diejenigen die bei den VMs geblieben sind geleistet haben.

Da war jeder mal dran, so hat sich der Stress auf alle verteilt, wenn vielleicht auch nicht gleichmäßig.
Der allgemeine Eindruck war allerdings, dass so ein 200 km Tag über Land entspannter verlief als ein Tag in der Stadt.
 
Hab Deine Schilderung des Stützpunktbewachung mit Wonne gelesen. Wer es nicht selbst erlebt hat, wird es kaum glauben. Schmunzelnd wurde ich an so manche Begegnung erinnert.
 
8. Tag
Turku (SF) – Espoo (SF)
176 km


Die zweite Woche der Tour beginnt am frühen Sonntagmorgen. Um sechs Uhr nähern wir uns der finnischen Küste. Die Sonne scheint, kleinere Inseln und Buchten wechseln sich ab, ein wenig wirkt es wie der Schärgarten Stockholms, den wir am Vorabend verlassen haben, nur alles ein wenig flacher.

Punkt sieben liegt die Fähre schon am Kai und wir sind zum Aufbruch bereit. Es ist ja schon das dritte Mal, das wir ein Fährschiff verlassen, da stellt sich eine gewisse Routine ein. Diesmal gelingt uns ein eleganter Aufbruch, denn irgendwie kommen wir an etlichen Autos vorbei schnell zur Ausfahrt – im Velomobil macht das eine Menge aus, den hunderte von Autofahrern lassen schon die Motoren an, sobald sich vorn die ersten Bewegungen erkennen lassen. Wer nicht in einer Abgaswolke eingehen möchte, sollte zusehen, rauszukommen. Am Ausgang des Fährhafens warten bereits die ersten beiden finnischen Velomobilisten; kurze Zeit später stoßen zwei weitere dazu. Wir nehmen uns Zeit für einen ausgedehnten Schnack, wollen sowieso auf den Besenwagen warten, in dem vom Vorabend noch Ninas Quest verstaut ist. Noch ein Riders Meeting, damit die Finnen wissen was geplant ist, die Einrichtung der Benzinkasse für den Besenwagen, Photos von allen durch alle und wir rollen los.


Zunächst geht es am Stadthafen (mit den für die Ostseestädte typischen alten Seglern) vorbei in die Stadt und auf die Ausfallstraße nach Osten. Der Morgen ist ziemlich grau, wir fahren dunkleren Wolken entgegen, seit Lübeck eigentlich zum ersten Mal auf dieser Reise. Turku selbst schläft um diese Sonntagmorgenstunde noch – keine Chance, an einem Café oder anderem Frühstücksplatz etwas zu Essen zu bekommen. Unsere finnischen Freunde haben jedoch gesagt, hinterm Ortsausgang würden wir auf einen ABCD treffen; Tankstelle, Supermarkt, Café und Restaurant in Einem. So ist es auch, und praktischerweise geht ein Schauer nieder, als wir gerade reingegangen sind. Auf diese Weise drängelt auch niemand beim Frühstück, die Vorräte werden sorgfältig ergänzt und der Schauer zieht unter munterem Geplauder der Velomobilisten vorbei.

Es sollte nicht der einzige Regenguss dieses Morgens bleiben, doch die Niederschläge hielten sich insgesamt in Grenzen. Einige hatten ihre Hauben aus dem Besenwagen geholt in Erwartung eines Regentages. 176 km im Regen fahren sich mit Haube zweifellos entspannter. Für Harry ändert sich nichts. Er fährt sowieso jeden Tag mit Haube, schon um die Sonnencreme zu sparen, die wir anderen als Ballastgewicht mitschleppen mussten.
Ich lasse die Haube weg, es wird schon nicht schlimm werden, und so war es auch. Einmal noch habe ich in Fahrt den Schaumdeckel rausgezogen und die Rennkappe mit der Baseballkappe vertauscht, weil diese mit ihrem langen Schirm die Brille trockener hält. Selbst bei dieser Gelegenheit zieht der Regen nach 10 Minuten vorüber und ich kann offen weiter fahren.

Die Landschaft ist flacher und irgendwie leerer als zuletzt in Schweden, auch nicht so proper. Wir sehen eine Reihe von Häusern am Straßenrand, denen seit etlichen Jahren ein Anstrich fehlt, andere sind verlassen und zeigen sich in verschiedenen Stadien des Verfalls. Die Straße ist ruhig, wir sind längst von der Hauptstraße abgebogen, aber der Belag ist recht rau. So geht es zügig über Land – ich fahre eine Zeit lang mit Pier zusammen, dem jüngsten Teilnehmer der Tour. Bald ist die Sonne wieder da, der Himmel klart auf und Kaffeedurst stellt sich ein. Ein Dörfchen kommt in Sicht und, sieh da, an einer Ecke lockt eine Kaffeebude, die offenbar bereits eine Anzahl Einheimischer angezogen hat, den Autos nach zu urteilen, die vor der Tür stehen. Ich biege ein, Pier ebenso, einige Minuten später sind wir schon eine kleine Gruppe, der die Eingeborenen mit ratloser Neugier entgegen sehen. An sich ist der Finne kein Mensch spontaner Regungen, doch es vergeht keine Viertelstunde, da haben sich die ersten von ihren Sitzen gelöst und umstehen die Velomobile, während wir unseren Kaffee schlürfen und etwas Gebäck dazu essen. Bald sind alle im Bilde worum es sich hier handelt, und die Fahrt kann weiter gehen. Mehr flaches oder leicht hügeliges Finnland folgt, rasch haben wir den Rhythmus verinnerlicht: sanfte, langgezogene Steigung, leichte Kurve nach links oder nach rechts, kleines Wäldchen, vielleicht noch eine leichte Kurve und die sanfte Abfahrt, meist geradeaus, während voraus schon die nächste sanfte, langgezogene Steigung zu sehen ist.

So geht es bis zum Mittag, und wenn eine Steigung mal etwas weniger sanft ausfällt, ist das schon aufregend. Zu Mittag fällt die Tour einer nach dem anderen in Somero ein, die Route lässt aber kein pulsierendes Zentrum irgendwo erkennen, sondern droht, mit dem nächsten Abzweig wieder aus dem Ort heraus zu führen; also bleibt nur der ABCD mit seiner kleinen Terrasse am Restaurant. Das Essen ist nicht schlecht für ein Tankstellensupermarktimbisslokal, und man sitzt gut, kann sich gegenseitig ein wenig aufziehen und im Blick behalten, wer wohl als nächster ankommen wird, und das werden alle sein, denn die Route verläuft vor unserer Nase und wir sind gleichzeitig heute morgen abgefahren.

Nachmittags setzt sich die Erfahrung des Vormittags fort, das Land ist immer noch weit und ruhig, der Verkehr auch Sonntag nachmittags gering, nur die Hügel werden bisweilen etwas höher. Bemerkenswert ist die Zahl der Menschen, die am Straßenrand auf uns zu warten scheinen, winken, Kinder hochheben oder fotografieren. Irgendwie muss man hier Bescheid wissen, dass die Tour vorbeikommt, unsere finnischen Freunde haben wohl etwas Medienarbeit betrieben. Ich habe bestimmt 5 oder 6 solcher Situationen an diesem Nachmittag passiert.
Dann wiederum sehe ich links, vor der Brücke über einen See, einige Velomobile geparkt, darunter zwei von uns – keine Situation, an der kein Tourkapitän einfach vorbei rauscht, auch wenn Nina, die sich gerade vor mir befindet, stur durchzieht. Zwei weitere finnischen Velomobilisten aus der Gegend stehen dort mit Milan und Mango, um uns zu treffen und ein Schwätzchen zu halten. Also wieder ein halbes Stündchen plaudern, es läuft ja gut und der Tag hat ja nur 176 km.

Bald kommt Helsinki näher, erkennbar auch daran, dass der Verkehr zunimmt. Die nun größere Straße mündet schließlich in eine Autobahn, wir biegen leicht nach links weg und fahren auf der wohl alten Straße weiter, der Straße nach Helsinki vor dem Bau der Autobahn. Das ist praktisch, denn nun gibt es so gut wie keinen Verkehr mehr, und die Straße verfügt über brandneuen und glatten Teer, den besten auf der gesamten Tour. Dafür nehmen nun die Hügel an Höhe und Steigungsgrad zu; die Annäherung an Helsinki erinnert ein wenig an das Stockholme Umland. Zum ersten Mal seit der Ankunft in Finnland kann man Felsen am Wegesrand sehen. Die Fahrt ist nun rauschend oder kletternd, denn es geht beständig rauf und runter, lässt sich aber gut fahren, so gut, dass ich völlig vergesse, ein paar Stücke Teer zu filmen. Nun wird auch die Besiedlung dichter, dann auch der Verkehr, neben der Straße tauchen großzügige Radwege auf, die sich durch die Landschaft schwingen, aber nicht klar erkennen lassen, wohin sie führen, wenn sie Straßen unterqueren und Häusergruppen umgehen. Da ist es besser, auf der Straße zu bleiben, denn jetzt muss gelegentlich abgebogen werden, Brücken über andere Straßen sind zu nehmen, ohne dass ich sehen könnte, ob die da kreuz und quer laufenden Radwege diese Richtungsänderungen wohl mitmachen würden.

Bevor ich diese Überlegungen im Quest vertiefen kann, schwenkt die Route auch schon wieder ab, einen kleinen Berg hoch und durch den Wald, und als es wieder abwärts geht, ist auch schon der See und an diesem unser Campingplatz erreicht. Es ist vier Uhr als Nina, Lars und ich an der Eingangspforte stehen und uns einweisen lassen. Wir haben die Zeltwiese, es gibt viel Platz und auch sonst ist nicht viel los. Wir sind nicht die ersten, aber auch längst nicht die letzten, doch es dauert nicht lange, dann sind alle da, die Zelte stehen, Wäsche wiegt sich an den Leinen. Es ist hier verboten, Leinen zu spannen und Wäsche aufzuhängen – wir machen es trotzdem, falls jemand Anstoß nimmt ist klar, dies ist ja keine Wäsche, sondern eine Anlage zur Humansalzerzeugung – ganz feines aromatisches Salz, das nach Trocknung von den aufgehängten Stoffen geschabt wird und auf den Märkten Asiens höchste Preise erzielt.

Während sich so über neue Produkte und glänzende Marketingperspektiven debattieren lässt, genießen wir das übliche Anlegebier. Der Rezeptionist hält es in Flaschen bereit, darf sie uns aber nicht im Ganzen verkaufen, sondern muss den Inhalt in einen Plastikbecher füllen, den wir auf seiner Terrasse zu leeren haben. So geschieht es.
Weitere finnischen Fahrer stoßen zu uns, einer bringt ein gewaltiges High-Racer Fatbike, ein anderer zeigt uns sein selbst entworfenes Velomobil auf der Basis eines Trikes, mit Seiteneinstieg. Das Modell soll in Serie gehen, der Käufer kann wählen, an welcher Seite er den großen Einstieg haben möchte. In keinem anderen Land auf dieser Reise haben wir schon jetzt so viele Velomobil- und Liegeradfahrer getroffen wie hier in Finnland – morgen, in Helsinki, werden weitere dazu kommen.

Munter vergeht die Zeit bis zum großen Ereignis am Abend, dem Endspiel der Fußballweltmeisterschaft. Das wollen wir nicht verpassen. Ein Spähtrupp hat am See ein Lokal ausgemacht, das am frühen Abend schließt, konnte aber in geschickten Verhandlungen erreichen, dass Küche und Bar wieder geöffnet werden, wenn wir nur genug Personen bringen und ausreichend essen und trinken. Diese Bedingungen bilden bekanntermaßen für uns keine Hürde, die wir nicht locker überwinden könnten, und so sehen wir das Spiel bei leckerem Essen, es gibt dann noch Nachschläge und Zugaben, bis wirklich kein Lachs mehr da ist, und Bier ist auch genug vorhanden; die Chefin steckt sogar die Umstände der Verlängerung weg ohne Wirkungstreffer zu zeigen, solange wir nur genug trinken.
So gesättigt und nachhaltig hydriert, kehren wir nach Spielende und Titelgewinn im Dunkel der Nacht zu unseren Zelten zurück. Der kurzzeitig aufgekommene Impuls eines Velomobilkorso wurde noch verworfen, unseren niederländischen Freunden auf der Tour würde das Herz bluten. So freuen wir uns eher still und gegen 1:15 sind im Camp alle Lichter gelöscht und nichts durchbricht die Stille der finnischen Nacht als die nasalen Warnlaute unserer Wächter, mit denen sie die wilden Tiere auf Abstand halten.
 
Eigentlich hatte ich darauf gehofft, dass meine Tageseindrücke launige, gallige oder sonstwie erhellende oder erheiternde Kommentare auslösen, doch der zu Beginn zart zutage tretende Elan muss rasch versiegt sein:confused:

Sei's drum, heute Abend lade ich den nächsten Film hoch und poste den nächsten Tag, auch wenn es von Dabeigewesenen keiner mit eigener Kraft würzen will, ich mache es für die Zuhausgebliebenen -- die müssen da jetzt durch, hätten ja mitfahren können:rolleyes:
 
Ich freue mich schon darauf! Aber bis ich überhaupt Kommentare abgeben kann, werden noch 2 Wochen vergehen müssen...

Ansonsten lese und sehe ich alle Berichte und Filme mit Begeisterung.
 
Ich bin auch schon gespannt auf die Fortsetzungen.
Die Tour habe ich die ganze Zeit mit Interesse verfolgt und bin auf die umfassende Sicht aus der Rückschau gespannt, weiter so. :)
 
meine Kommentare und Anekdoten kommen schon noch, mach Dir da mal keine falschen Hoffnungen. Der Herbst wird lang genug, und im Winter brauche ich auch noch Beschäftigung. Im Moment muß ich aber andere Baustellen (im wahrsten Wortsinn) abarbeiten :(
 
9. Tag
In Helsinki und Ankunft in Tallinn
50 km


Eigentlich wollten wir um 9 Uhr in die Stadt aufbrechen, so war es auch mit den finnischen Freunden besprochen, doch dann wird es dich später. Wir haben keine Eile, es ist nicht weit, aber das gesamte Gepäck muss mit denn am Abend geht es vom Zentrum aus zur Fähre nach Tallinn. Schließlich ist alles gepackt und wir sind klar zur Abfahrt, unser finnischer Guide mit seinem Liegefatbike steht auch parat, da entdeckt Nina noch einen schlappen Vorderreifen, der noch schnell behoben werden will.


Gegen 9:40 sind wir endlich unterwegs, unsere einheimischen Freunde haben eine bessere Route n die Stadt anzubieten, die fast bis uns Zentrum durch Wald und Park führt. Solche Schmankerl gibt die Planung mit der Straßenkarte nicht her.

Die Route erreichen wir nach einigen Kilometern auf der Straße; es sind wassergebundene Waldwege, die sich aber angesichts stetig leichter Abwärtstendenz gut fahren lassen. Etliche Jogger, Spaziergänger und Radfahrer sind zu umkurven, unser weg kreuzt zudem etliche andere. Da ist gewisse Vorsicht geboten, es empfiehlt sich, zwei Finger stets am Bremsgriff zu haben. Aber die Fahrt ist entspannt und fhrt uns erstaunlich weit in die Stadt hinein, von der man nur gelegentlich etwas sieht. Ansonsten könnte es eine Fahrt im Wald sein.

In der Stadt angekommen steuern wir direkt den großen Platz am Musikhaus an. Er liegt unmittelbar an der Radtrasse, hat reichlich Platz und ist zentrumsnah. Nur der Publikumsverkehr ist nicht so stark wie zuletzt in Stockholm, doch das ist und ganz recht. Es gibt dennoch für das Stützpunktteam genügend zu tun. Verschiedene Fernsehteams rücken an, eins will unbedingt Fahrszenen drehen, ein anderes seinen Reporter ins VM bringen. Printmedien möchten Informationen und dann sind da doch etliche Passanten und auch solche, die uns gezielt besuchen, weil sie von der Tour gehört haben und einmal unterschiedliche Modelle aus der Nähe sehen möchten.

Und es sind auch die finnischen Velomobil-, Liegerad- und Trikefahrer wieder da. Heute kommen schon wieder einige neu dazu; wir treffen an diesen zwei Tagen in Finnland mehr von Ihnen als auf der übrigen Reise zusammen.

Ansonsten läuft das übliche Programm ab: mit Leuten reden, die Stadt ansehen, irgendwo essen, relaxen und die Umgebung auf uns wirken lassen. Die Velomobile haben wir in einem Stern zusammengestellt, das erschwert den Zugang, sieht aber trotzdem schön aus. Helsinki hat eine spezielle Atmosphäre, eine Stadt am Meer mit entsprechender Anmutung, skandinavisch einerseits, mit russischen Elementen andererseits, schon erkennbar ab der Farbgebung vieler der alten Hauser. Statt dem in Schweden üblichen Rot und Gelb sieht man in Finnland in Stadt und Land viel lichtes Blau und helles Grün.

Mit Nina und Jörg unternehme ich eine kleine VM-Stadtrundfahrt – keine besonders zwingende Idee angesichts des großzügig verbauten Kopfsteinpflasters. Wir rumpeln durch die repräsentativen Ecken der Innenstadt, sehen die Segler am Kai, die protestantische Hauptkirche und die orthodoxe Kathedrale, schieben die VMs durch die Fressgasse am Fischmarkt, weil wir auch etwas essen möchten. Von dort gelangen wir über die Esplanade-Promenade zum schwedischen Theater und an den Kaufhäusern vorbei zurück zum Stützpunkt.

Gegen 17:30 Uhr müssen wir aufbrechen in Richtung unseres Fährhafens, einem von mehreren in Nähe des Stadtzentrums. Wieder erweist sich die Anwesenheit lokaler Radler als hilfreich. Statt meiner Straßenroute nutzen wir einen breiten Radweg, der uns kreuzungsfrei bis fast an den Hafen heranführt. Das muss eine ehemalige Bahntrasse sein, die unterhalb des Straßenniveaus in den Fels gehauen wurde. Da Helsinki ebenfalls hügelig ist, rollen wir zum Teil deutlich unter den Häusern und Straßen. Es erinnert sehr an den Greenway, den wir in Minneapolis befahren haben. Kurz vor dem Hafen tauchen wir aus diesem Canyon wieder auf und die übliche Warteprozedur beginnt.

Wir sind inzwischen Routiniers in Sachen Schlangenbildung und Boarding und ebenso gelassen in Bierverzehr und Ostseebeschau an Deck. Die Überfahrt dauert keine drei Stunden, und um 21:30 rollen wir schon in Tallinn, der Hauptstadt Estlands und vor knapp 25 Jahren noch Teil der Sowjetunion, von Bord. Für die Stadt ist es jetzt zu spät, die besuchen wir morgen.

Heute Abend fahren wir am Ostseestrand stadtauswärts, wo in ein paar Kilometern Entfernung unser Campingplatz für die nächsten zwei Nächte liegt.
Damit wenigstens ein paar km auf der Uhr stehen, verfahren wir uns ein bisschen, als der erste falsch abbiegt, folgt ihm die Schafherde, Captain inbegriffen. Bald wird der Fehler erkannt, die ersten wenden, die anderen folgen, und dann ist endlich auch der Camping gefunden, ein Komplex ehemaliger Werkshallen, in Teilen danach wohl mal ein Fitnesscenter, jetzt Campingplatz. Er wird hauptsächlich von Wohnmobilen angefahren, doch es gibt auch eine Zeltwiese die groß genug für uns alle ist. Etwas merkwürdige Atmosphäre, so am Rand eines großen Wohnmobilparkplatzes zu zelten. Die sanitären Anlagen gewinnen mühelos den Preis für die mieseste Qualität auf der gesamten Reise.

Noch bei Tageslicht schlagen wir die Zelte auf und sind bereit zur allabendlichen isotonischen Rehydrierung. Doch wird in Estland ab 22 Uhr kein Bier mehr verkauft, so dass die ausgesandten Kundschafter mit leeren Händen zurückkehren. Hätten wir auf der Fähre doch Vorsorge getroffen ...
 
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damit Jupp nicht die Lust verliert, streue ich unsortiert schonmal was ein:

9. Tag
In Helsinki und Ankunft in Tallinn
50 km
...

Maarten und ich begannen den Tag mit einem Abstecher in den Nooksio National Park, Zeit für Helsinki gab es später noch genug. Nach einer kurzweiligen Achterbahnfahrt über bestens präparierte Straßen erreichten wir nach knapp 20km das Hinweisschild zum Wanderparkplatz. Nochmal zwei km über schlechte Waldwege (welche später im Baltikum gemeinhin "Hauptstraßen" genannt werden), einige Male hart an der Traktionsgrenze, erreichten wir den Startpunkt zu einem halben Dutzend ausgewiesener Wanderwege. Blau hatte ich vorab im Netz ausgewählt, da er etwas anspruchsvoller über Stock und Stein führen sollte. Wir konnten aber nur rote Markierungen finden. Egal, hauptsache Wald riechen.

Knapp eine Stunde folgten wir dem Rundweg durch eine wunderschöne und abwechselungsreiche Landschaft, aber leider mehr oder weniger eben. Kurz bevor wir wieder den Parkplatz erreichten, sahen wir dann auch die blauen Markierungen. Am Start also mal wieder falsch abgebogen...

Auf dem Rückweg schauten wir erst noch auf einen Kaffee bei Rentierbulle Oskar vorbei, und machten uns dann auf den Weg nach Helsinki. Statt die durch die unfreiwillig verkürzte Wanderung gewonnene Zeit sinnvoll in der Natur zu vertrödeln, musste ich nach wenigen km meinen Umwerfer wieder in die angestammte Position bringen, nachdem ich mit dem Schuh aus dem Pedal gerutscht war und den Umwerfer mit der Ferse leicht nach vorne kickte. Jener hakte im Kettenblatt ein und wurde von diesem um 90° nach vorne und 45° nach oben transportiert. Zum Glück konnte ich das mit Bordmitteln schnell wieder richten.

Die weitere Fahrt ins Zentrum verlief Ereignislos, wenn man mal davon absieht, das der Track teilweise absurde Schnörkel und Haken schlug. Irgendwann hatte ich genug von Schleichfahrten auf Schleichwegen, und folgte der erstbesten Straßenbahnlinie bergab. Wird schon zum Zentrum führen, und so war es auch.

Bevor wir den Sammelplatz erreichten, noch schnell ein kurzer Abstecher zum Felsendom. War jetzt nicht so spektakulär wie teilweise in Reiseführern gepriesen, aber die Akustik darin war schon beeindruckend (Livemusik vom Flügel).

Später fuhr ich dann auch noch eine Kopfsteinpflasterrunde zum Dom und zur Kathedrale. Beides sehr eindruckvolle Bauten, letztere war leider für Besucher verschlossen.


Auf der Anfahrt zum Camping in Tallin konnte man gut beobachten, das dank meiner zahlreichen (zugegeben nicht immer freiwilligen :whistle:) Extratouren bzw. Abstecher in der vorangegangenen Woche das Vertrauen meiner Gefährten in meine Navigationskünste etwas eingeschränkt war. Das führte dann dazu, das ich mir auf dem schlechtesten Campingplatz der Welt die Beine in den Bauch stand.
Der aufmerksame Filmgucker kann beobachten, wie alle Velomobilisten von der Ausfallstraße falsch abbiegen. Alle Velomobilisten ? Nein, ein unbeugsamer ... :D
 
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tja, wärt Ihr mal alle Markus nachgefahren :)
Sieht lustig aus, die ratlosen bunten Enten an der Kreuzung!
 
Danke Markus, deshalb spielst du ja auch in der letzten Szene des Films die Hauptrolle zu Recht.
 
Die Hauptrolle spielte er IMG_0849.jpg dann aber auch gekonnt! Das Warten auf andere hat Markus ja auch häufig genug üben können (ich erinnere mal an Stockholm...).
 
9. Tag
In Helsinki und Ankunft in Tallinn
45 km

Reinhard bzw. Moderatoren:
könnt Ihr dies auf 50 km ändern -- ich kann das nicht mehr bearbeiten; hatte die Strecke von Fähre bis Camping vergessen, immerhin 5 km, die ich nicht unterschlagen möchte, auch weil sie ganz lustig waren und eine Rolle im Film spielen ...
 
Und die Geschichte geht weiter, heute mit dem Tag in Estlands Hauptstadt Tallinn:

10. Tag
In Tallinn
30 km


Und wieder ein Stadttag – allerdings müsste es angesichts der Überschaubarkeit der estnischen Hauptstadt eigentlich „Städtchentag“ heißen.
Da die Ankunftsfeier am Vorabend der estnischen Bierverkaufverbotsregelung zum Opfer gefallen war, und weil ich inzwischen den Tourrhythmus verinnerlicht habe, bin ich früh auf, so als sollte es heute auf Strecke gehen – müsste es eigentlich auch, wir machen ja seit Tagen nur noch Ruhetage, allenfalls unterbrochen durch ein bisschen Finnland-Durchquerung ...


Im Camp ist es recht still, in Ninas Zelt regt sich auch auf dezente Anfrage nichts; also beschließe ich, die Stadt vor dem üblichen Tagesbetrieb schon mal vorzuerkunden. Ein paar Kilometer auf der Promenade am Meer entlang, ein paar Ampel Einfallsstraße und schon erreicht man die Altstadt mit ihrem velomobilfeindlichen Kopfsteinpflaster. Heute morgen stört mich das nicht, dafür habe ich die Straßen für mich und ungehinderte Blicke auf die stilvoll restaurierten alten Häuser. Also rolle ich kreuz und quer durch die alte Unterstadt; die Oberstadt hebe ich mir für später am Tag auf. Den großen Platz mit dem Freiheitsdenkmal entdecke ich auch; sollten wir einen Velomobilstützpunkt benötigen, dann wäre dies der geeignete Ort: weitläufig, zentral zur Altstadt, und ein großes Café mit Außengastronomie gibt es auch.

Die Kehrseite der Morgenstille geht mir nach einiger Zeit auch auf: Es gibt zwar jede Menge Restaurants, Cafés und dergleichen, doch alle sind geschlossen.
Mit einigen Nachfragen finde ich schließlich gar nicht weit entfernt vom großen Platz ein kleines Café mit leckerem Angebot und gutem Kaffee. Gleich gegenüber liegt ein Gebäude in der klassischen Architektur sowjetischer Kulturhäuser. Ich parke mein Quest neben zwei Motorrädern und gehe frühstücken.

Danach wird es Zeit, zum Camp zurückzufahren, die anderen zu informieren und Pläne für den Tag zu machen. Dort wird inzwischen gefrühstückt und gechillt was das Zeug hält, es werden alle möglichen Geräte geladen, das WLAN glüht, manch einer hält eine Kleiderwäsche für angezeigt (in der Regel zu Recht), es wird ein wenig gewartet und gebastelt. Die S-Fahrer scheinen immer irgend etwas zu überprüfen und zu reparieren zu haben, und wenn nicht, dann bietet sich an, einfach mal das Hinterrad „rauszureißen“, wie diese Prozedur unter S-Piloten heißt.

Ich schaue mir das bunte Treiben eine Zeitlang an, dann kann ich Nina zu einer Stadtfahrt bewegen. In einer kleinen Gruppe brechen wir auf, parken an dem kleinen Café (das ich früher am Morgen besucht hatte), denn auf dem avisierten Velomobilstützpunkt ist niemand – die ersten von uns haben ihre VMs an die Seite ins Gebüsch geschoben, wo sie in der Tat praktisch unbeachtet bleiben, und sind in die Stadt gegangen.
Am Café praktizieren wir die übliche Rotation, begehen allerdings den Fehler, die fotoaffine Fraktion als erste losgehen zu lassen. In Tallinn ist das riskant, denn es gibt sehr viel zu fotografieren; wer weiß schon, wann man mal wieder herkommt, also besser ein paar mehr Bilder schießen. Nina kann deswegen sehr sehr ausführlich frühstücken, wir können reichlich Kaffee trinken, und danach noch Bier, und eigentlich können wir auch gleich Kaffee und Kuchen anhängen (tun wir dann auch), bis die Ablösung eintrifft.
Der anschließende Stadtgang ist eine Entdeckungsreise. Die verwinkelten Gassen eröffnen immer wieder neue Blicke, vor allem der Weg hoch auf den Domberg lohnt sich; nicht nur weil auch dort schöne Häuser, Kirchen und Plätze zu sehen sind, sondern auch weil man von dort die übrige Stadt, den Hafen und Meer ausgebreitet vor sich liegen sieht. Das hat was. Hier sitzen auch Parlament und Regierung Estlands. Stadt und Land sind in mehrfacher Hinsicht mit unserer Tour verbunden: im 13. und 14. Jahrhundert dänisch (daher rührt der Name Tallinn), danach durch die Deutschordensritter kontrolliert, anschließend zwei Jahrhunderte unter schwedischem Schutz, kurze Phase der Unabhängigkeit bevor das Land auf Basis des Hitler-Stalin-Pakts von der Sowjetunion geschluckt wurde und erst nach dem Zerfall der UdSSR wiedererstand. Tallinn/Reval war ein Zentrum der Hanse, deren Raum wir mit unserer Tour einigermaßen umfassend vermessen haben.

Nachmittags bin ich dann noch einmal in die andere Richtung gefahren, zum nächsten Ort (mit Segelhafen) und etwas darüber hinaus, der breite Radweg entlang der Küste lud zum entspannten Dahinrollen ein. Viel Gegend, ganz schön, mit Nachklang sowjetischer Vergangenheit. Unterwegs komme ich an einem Denkmal vorbei, von dem ich zumindest glaube, es müsse eins sein, denn es sieht eigentlich wie die Bauruine einer sinnlosen Schnellstraße aus, eine große flache Betonwanne, die etwas über den Hang hinausragt und sich in einer entsprechenden Konstruktion am Ufer fortsetzt – doch wer will eine Schnellstraße aufs Meer hinaus bauen? Also Denkmal, denke ich. Dafür macht es allerdings einen recht heruntergekommenen Eindruck. Ich sehe ein paar Jugendliche, die sich am Rand der Betonwanne lümmeln, sonst nichts, aus der geringen Ferne allerdings auch keinerlei Beschriftung, jedenfalls nicht von Straße aus. Später habe ich es nachgeschlagen, es ist das Maarjamäe Memorial, das größte Denkmal der Roten Armee in Estland, und ich habe nur das eine Ende dieser Anlage gesehen.

Alles in allem: Der Tag war interessant, mit vielen Eindrücken, so vielen, dass ich einige Zeit gebraucht habe, mich daran zu erinnern, was ich eigentlich abends gemacht habe. Dann fiel es mir wieder ein: Nina und ich haben uns mit allerlei Delikatessen aus dem Supermarkt eingedeckt und auf dem Campingplatz gegessen, dem munteren Treiben der zahlreichen Wohnmobilistinnen und –isten zugesehen (das Erscheinen der einen Velomobilistin und der sie begleitenden Velomobilisten hatte den Altersschnitt auf dem Platz deutlich gedrückt, obschon wir selbst kaum als Jugendgruppe zu bezeichnen wären), die Upload-Orgien verfolgt (Harry und Wilfred wie immer mit den höchsten Byte-Bergen), FaceTime Dialoge bestaunt, und einige Bierchen konsumiert.
 
zum Hinterradrausreißen: das geht noch einfacher, wenn man die Kiste auf die andre Seite legt. :)
Ich glaube, die S-Fahrer wollten nur beweisen, wie einfach das geht. Oder hast Du auch Querst-Fahrer beim Hinterradrausreißen gefilmt? Da scheint es ja nicht so einfach zu gehen.
 
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