"Fahrradstraße ist ein Flop"

Moin moin!
Die Enrichtung von Fahrradstraßen hat i.d.R. einen Grund: "Greenwashing". Ich kenne genau eine einzige Fahrradstraße, die -obgleich unzulässig- nicht für den gesamten KFZ freigegeben wäre.
Wichtig ist bei einer Fahrradstraße, daß man flott, d.h. vor allem auch dooringfrei vorankommt. Wenn die zur Umwidmung vorgesehene Straße nicht breit genug ist, müssen mindestens auf einer Seite Kfz-Parkplätze entfallen. Wird eine Fahrradstraße nur stark genug vom Radverkehr frequentiert, wird auf die Dauer der durchfahrende Kfz-Verkehr verdrängt. Natürlich ist es besser, den durchfahrenden Kfz-Verkehr mittels baulicher Maßnahmen auszuschließen.
Meistens sind werden dann auch beiderseits zugeparkte enge Wohnstraßen zu "Fahrradstraßen." Man schreibt "Fahrradstraße" und baut einen Anwohnerparkplatz mit Durchgangsverkehr. Zeichen 244.1 nützt der Stadt in ihrer Selbstdarstellung als "fahrradfreundlich".
Ein Problem ist die Demokratie. Aber wer will sie schon missen.
Die Behörden, welche die vom Rat demokratisch beschlossenen Fahrradstraßen umsetzen sollen, werden bei der Kommunikation mit den dort wohnenden Bürgern von den Kommunalpolitikern und auch von den meisten organisierten Fahrradfahrenden allein gelassen.
Ein schönes Beispiel ist der vom Rat beschlossene Umbau der Max-Winkelmann-Straße in Münster-Hiltrup zur Fahrradstraße. Mehrere Kandidaten für Stadtrat und Bezirksvertretung versuchten aus dem Zorn der Anlieger wegen wegfallender Kfz-Parkplätze Wählerstimmen zu generieren.
Hier eine unvollständigte chronologische Auflistung der Veröffentlichungen zu dieser geplanten Fahrradstraße:
Presseservice der Stadt Münster am 26.6.2020: 2020: Max-Winkelmann-Straße, Fahrradstraße erhält Rotmarkierung, Umgestaltung nach neuen Qualitätsstandards / 30. Juni bis 9. Juli / Wichtiger Schulweg in Hiltrup / Kfz-Parken entfällt weitgehend ab 1. Oktober
Kleinanzeigen Münster am 26.6.2020:
Max-Winkelmann-Straße: Fahrradstraße erhält Rotmarkierung
WN am 30.6.2020: Max-Winkelmann-Straße wird zum Schutz der Radfahrer rot eingefärbt. Einige Anwohner sind mit der Parkregelung nicht einverstanden
WN am 10.7.2020: Schreiben an die Anwohner der Max-Winkelmann-Straße
Antenne Münster am 13.7.2020: Immer Ärger mit den roten Straßen
WN am 25.7.2020: Fahrradstraßen, SPD fordert Nachbesserung für Max-Winkelmann-Straße
WN am 5.10.2020: Umstrittene-Fahrradstrasse-Max-Winkelmann, Strasse-Stadt-informiert-Anwohner
Presseservice der Stadt Münster am 8.10.2020: Info-Abend zur Max-Winkelmann-Straße. Drei Veranstaltungen zur umgestalteten Fahrradstraße am 29. Oktober.
In den den Leserbriefspalten artikulierten sich ausschließlich Anlieger.

Übrigens habe ich bei derlei Informationsveranstaltungen bisher nur zornige Anlieger, Behördenvertreter und einzelne Kommunalpolitiker wahrgenommen. Letztere gehen vor zornigen Bürgern oft mit einem "....fordern, daß die Stadt die Bürger mittnimmt..." in Deckung. Von ebenfalls ausdrücklich eingeladenen "betroffenen Fahrradfahrenden" keine Spur.

Abschließen ein Zitat von Friedrich Schorlemmer: "Demokratie lebt vom selbstbestimmten Mitmachen der Bürger."

Gruß aus Münster-Geist,
HeinzH.
 
Wichtig ist bei einer Fahrradstraße, daß man flott, d.h. vor allem auch dooringfrei vorankommt. Wenn die zur Umwidmung vorgesehene Straße nicht breit genug ist, müssen mindestens auf einer Seite Kfz-Parkplätze entfallen.

Dooringfrei wird i.d.R. heißen, dass Parkplätze nur auf der rechten Seite aus Sicht der im Einbahnverkehr geführten Kfz eingerichtet werden, denn sonst geraten die Radfahrenden bei Kfz-Gegenverkehr in die Türschlagzone. Wäre die Fahrbahn so breit, dass das trotz beidseitigen Parkens nicht passiert, würde es ständig zu Überholvorgängen mit zu geringem Abstand kommen.

Wird eine Fahrradstraße nur stark genug vom Radverkehr frequentiert, wird auf die Dauer der durchfahrende Kfz-Verkehr verdrängt.

Durchgangsverkehr darf in Fahrradstraßen nicht zugelassen werden. Zulässiger Anliegerverkehr führt nicht zu durchfahrenden, sondern nur zu ein- und ausfahrenden Kfz.

Natürlich ist es besser, den durchfahrenden Kfz-Verkehr mittels baulicher Maßnahmen auszuschließen.

Welche sollen das sein? Mir fallen da nur Abpollerungen mittig oder an einem Ende der Straße ein. Das wiederum führt aber dazu, dass Zweirichtungs-kfz-verkehr zugelassen werden müsste, das wiederum dazu, dass keine Parkplätze eingerichtet werden dürfte oder s.o.

Ein Problem ist die Demokratie. Aber wer will sie schon missen.

Kommt darauf an, wer der Diktator ist. ;) Abgesehen davon haben wir keine echte Demokratie, sondern eher eine Lobbykratie. Das Problem ist vor allem, dass Politiker eigentlihc immer im Wahlkampf sind und unpopuläre Maßnahmen daher vermieden werden, auch wenn sie langfristig - wenn die Bevölkerung damit Erfahrungen machen könnte - populär werden. So können wegfallende Parkplätze ja auch mehr Ruhe, ein angenehmeres Stadtbild und mehr Sicherheit für die schwächsten Verkehrsteilnehmer (Kinder, Gebrechliche) sowie mehr finanzellen Spielraum nach Abschaffung des eigenen Autos bedeuten. Die Anlieger haben nur keine Chance, das zu erleben.

Zorn der Anlieger wegen wegfallender Kfz-Parkplätze

Bei der einzigen, bereits Jahrzehnten bestehenden Fahrradstraße hier in Hilden hat die Verwaltung es ganz geschickt angestellt: Es gab drei Ausbauvarianten: Zwei Anliegerstraßen und die Fahrradstraße. Letztere verfügte über die meisten Parkplätze, so dass sogar die FDP zustimmte. Über Türschlagunfälle wurde von dort bisher nichts berichtet.
 
Abpollerungen mittig oder an einem Ende der Straße ein. Das wiederum führt aber dazu, dass Zweirichtungs-kfz-verkehr zugelassen werden müsste
Bei der nächsten Straße wird man zum Abbiegen in eine vordefinierte Richtung gezwungen und so auf kurzem Weg wieder zur Autohauptstrecke geführt.
 
Dooringfrei wird i.d.R. heißen, dass Parkplätze nur auf der rechten Seite aus Sicht der im Einbahnverkehr geführten Kfz eingerichtet werden, ...(.....)
So ist es. Und so soll es auch in der von mir beispielhaft angeführten Max-Winkelmann-Straße sein.

Durchgangsverkehr darf in Fahrradstraßen nicht zugelassen werden. (.....)

(........)

Kommt darauf an, wer der Diktator ist. ;) Abgesehen davon haben wir keine echte Demokratie, sondern eher eine Lobbykratie. Das Problem ist vor allem, dass Politiker eigentlich immer im Wahlkampf sind und unpopuläre Maßnahmen daher vermieden werden, auch wenn sie langfristig - wenn die Bevölkerung damit Erfahrungen machen könnte - populär werden.
Wer wie ich langjährige Wahlämter innehatte wird Dich bestätigen können. Es nützt niemanden, die reine Lehre formulieren zu können, aber nicht einmal ein Stückchen davon umsetzen zu können. Viele, die meisten Projekte dauern inklusíve Planung länger als eine Wahlperiode.
"...echte Demokratie, sondern eher eine Lobbykratie...."
Ich halte dies für eine wohlfeile Formulierung. Bei allen Fehlern ist unsere Demokratie das Beste, was einer Nation mit unserer Geschichte passieren konnte. Dafür ist besonders der britischen, der US-amerikanischen und auch der französischen Besatzungsmacht Dank geschuldet. Speziell den Briten im Übrigen auch für das ÖR-Modell.
Neuerdings wird mal wieder ein alternatives Demokratiemodell gehandelt: Das Parlament soll demnach nicht mehr mit gewählten Abgeordneten bestehen. Stattdessen sollen alle vier Jahre 500 Bürger*innen aus allen Teilen des Landes ausgelost werden und in das Parlament einziehen. Abgesehen davon, das dieses Modell nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, halte ich es weder für demokratisch noch für zielführend.

So können wegfallende Parkplätze ja auch mehr Ruhe, ein angenehmeres Stadtbild und mehr Sicherheit für die schwächsten Verkehrsteilnehmer (Kinder, Gebrechliche) sowie mehr finanzellen Spielraum nach Abschaffung des eigenen Autos bedeuten. Die Anlieger haben nur keine Chance, das zu erleben.
Viele Bürger, so meine Erfahrung, finden dies ganz toll, wenn sie es im Urlaub anderswo erleben. Aber doch nicht vor der eigenen Haustür:notworthy:

Bei der einzigen, bereits Jahrzehnten bestehenden Fahrradstraße hier in Hilden hat die Verwaltung es ganz geschickt angestellt: Es gab drei Ausbauvarianten: Zwei Anliegerstraßen und die Fahrradstraße. Letztere verfügte über die meisten Parkplätze, so dass sogar die FDP zustimmte. Über Türschlagunfälle wurde von dort bisher nichts berichtet.
Verwaltung hin oder her. Welche Variante hat der gewählte Stadtrat beschlossen?

Bis denne,
HeinzH.,
der jetzt zum Bauernlädchen radelt und eine Reh- oder Hirschkeule für Weihnachten bestellt...
 
Das ist so als ob man fordern würde, zur Rohrleitungs-Reparatur solle auch das beteiligte Wasser erscheinen. Der Anwohner ist das ortsfeste Element und ich bin der Materialstrom.
Das kann man so sehen, nur so wird das nüscht... Lässt man Verwaltung&gewählte Politiker mit den ebenso zornigen wie wahlberechtigten Anwohnern allein, erzählen sie "uns" hinterher, daß die Fahrradstraße im geplanten Standard zwar richtig und wünschenwert sei, aber schlichtweg gegen die Anwohner nicht durchsetzbar. Nein, auch die Anwohner müssen life erleben können, daß es aus Sicht der betroffenen Fahrradfahrer andere Prioritäten als den Parkkomfort gibt. So meine Erfahrungen in Münster und früher in Hamburg.
Bis denne,
HeinzH.
 
Umbau der Max-Winkelmann-Straße in Münster-Hiltrup zur Fahrradstraße
Mein Post, den Du zitierst ist 6 Jahre alt, da war "Schild dran pappen und alles so lassen, wie es ist" Handlungsmaxime und die Max-Winkelmann-Straße noch gar nicht im Gespräch.
Glücklicherweise ist diese Diskussion mittlerweile aufgekommen (für Münsteraner Verhältnisse fast schon eine gesamtgesellschaftliche).
Vielleicht bleiben uns zukünftig die von mir monierten Lächerlichkeiten wie die "Fahrradstraße":
IMG_20201216_185718.jpg
,der erweiterte Parkplatz der Uniklinik erspart.
Ich habe vor Jahren mal daran gedacht, nach § 24 Gemeindeordnung NRW, die Aufhebung der Fahrradstraße anzuregen.

Gruß
Christoph
 
Gruß aus Münster-Geist,
HeinzH.
Diese Geist-Viertel haben wir hier auch, schön ruhig und bürgerlich. Aber die liegen leider so garnicht auf dem Weg zwischen mir und den Ärzten oder dem neuen Einkaufszentrum. Und wenn man wie unsere Pensionsanwärter gerade ganze Stadtteile und jetzt die Hauptverkehrsadern zu Tode beruhigt, wird das wohl nicht immer so bleiben. Du hast gesagt, wir wollen die Demokratie nicht missen. Mir kommts vor, als ob die woanders besser funktioniert im Sinne von Fortschritt. Die Fahrradstraße funktioniert nicht. Und dann guck mal rüber nach Groningen oder Venlo.
 
[...] wir wollen die Demokratie nicht missen. [...] guck mal rüber nach Groningen oder Venlo.

Ich hab' mal zwei Jahre in Groningen gelebt. Das mit der Demokratie und der Stadtplanung hat(te damals, 1999/2000) etwas Besonderes auf sich:
Es gab keine uneingeschränkte Freizügigkeit!
Für jedes Quartier waren Quoten für Studenten, Familien, Rentner, Ausländer, Behinderte etc. vorgegeben. Wollte man eine Wohnung mieten, so musste man zum Stadtbüro und eine Bestätigung (Verhuizingsvergunning hieß die glaube ich) holen, daß die für einen selbst geltende Quote noch nicht voll war. Hatte man Pech, musste man warten oder wo anders eine Wohnung suchen.

Für die Stadt- und Verkehrsplanung hatte das folgende Auswirkungen:
Das "Opagenörgel" gab es in den belebten Innenstadtquartieren wegen niedriger Rentnerquote nicht in dem Ausmaß wie bei uns. Sowohl Verkehrsversuche (wie z.B. damals das "Rundum-Grün an Ampeln nach Schulende") als auch Umbaumaßnahmen zulasten der Parkplätze als auch Kneipenlizenzen für Kellerspelunken und Discos mit Wohnungen darüber konnten trotz Bürgerbeteiligung verabschiedet werden.
Stadtteile mit höheren Quoten autoaffiner und ruhebedürftiger Bürger (wobei sich die Ruhe ja immer nur auf Musik und fast nie auf Autos bezieht) hatten hingegen weniger human-power-orientierte Verkehrskonzepte.

Das führte dazu, daß die Innenstadt deutlich moderner, fahrradfreundlicher und lebendiger wurde, während diese "Blockis", also die typischen holländischen Appartment-Viertel aus parallelen, aufgeständerten dreigeschossigen Häuserriegeln mit Supermarkt unten drin genauso (oder stärker) auf Autoverkehr und Parkplätze ausgerichtet waren als vergleichbare Viertel bei uns. Denn dort wohnten viele Rentner, nicht zuletzt wegen Aufzügen, die es ja in Altstädten nur dann gibt, wenn man sie kaputtsaniert (früher sagte man "entkernen" dazu...)

Würde man bei uns solche Bewohnerquoten einführen wollen, würden alle ganz laut "Kommunismus!" schreien. In Holland war das von einer breiten Mehrheit getragen, um das Abwürgen von Stadtleben sowie die Ghettobildung zu verhindern.

Ob es diese Quoten jetzt noch gibt, weiß ich nicht.
 
Zurück
Oben Unten