Tempo 30 auf den meisten Straßen der Städte ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.
Reicht das aus, um sich mit pedalgetriebenen Velocars sicher auf den Straßen zu bewegen, die ja idR < 25 km/h unterwegs sein werden ?
Interessante Frage. Ich würde vermuten, es verbessert die Situation, reicht für sich alleine jedoch nicht aus, um die Akzeptanz bei den potentiellen zu erhöhen (die Frage der Sicherheit mal ausgeklammert). Entscheidend dabei dürfte die Frage sein, ob Tempo 30 die Aggressivität und damit die
gefühlte Bedrohungslage im Strassenverkehr für die Fahrer solcher Fahrzeuge mindert. Wenn wir der Einfachheit halber einfach mal annehmen, durch Tempo 30 würde der - ebenfalls gefühlte, nicht zwingend objektive - Geschwindigkeitsnachteil bei der Erreichung des Fahrziels ausgeräumt und auch die sonstigen Aspekte von Image über Preis bis Transportkapazität wären auf magische Weise kein Problem mehr dürfte das möglicherweise sogar der entscheidende Faktor sein. Ich hatte da gestern ein ganz erhellendes Erlebnis: Ich fuhr gestern Abend zweimal durch die Stadt, erst im Hellen, später noch mal im Finstern. Auf Strassen, die normalerweise stark befahren sind, was das Fahren sehr unangenehm macht. Gestern war nun aus irgendwelchen Gründen sehr wenig Verkehr. Das führte dazu, dass die Autos, die unterwegs waren, zum einen fast alle grosszügige Überholabstände liessen und zum zweiten zu meiner Überraschung ebefalls überwiegend relativ langsam fuhren (von Ausnahmen abgesehen). Ich fuhr daher auch an Stellen entspannt auf der Strasse, wo ich normalerweise freiwillig auf's den nicht verpflichtende Hochbord-Radweg switche. Verkehrsdichte ist also ein durchaus relevanter Faktor für empfundenen Stress.
Es gab nun einige Stellen, wo der Verkehr dichter war - längst nich so, wie normal werktags, aber wesentlich mehr als gestern im Durchschnitt erlebt. Aber wie gesagt immer noch vergleichsweise locker und reichlich Platz zwischen den Autos, kein Stau, allerdings hatte jeder Autofahrer immer n andere Autofahrer um sich rum. An diesen Stellen war der Verkehr nicht nur dichter, es wurde auch
deutlich schneller gefahren und enger überholt. Und schon war es wieder vorbei mit der empfundenen Gemütlichkeit. Mein eigenes "Reisetempo" war durchgängig leicht oberhalb von dem, was von Velocars zu erwarten wäre - zwischen knapp 25 km/h und gut 30 km/h, selten mal bei 20 km/h. Die 20 km/h Marke wiederum erkennt man auch ohne Tacho ganz gut, weil die von den eTretrollern als hartes Geschwindkeitslimit gefahren wird und die Dinger sind aktuell wieder in Scharen unterwegs. Offenbar sind die Touristen zurück in Berlin. Die fahren ja auch auf der Fahrbahn (und gestern auch tatsächlich - auf dem Gehweg habe ich im Gegensatz zu sonst keinen fahren sehen) und kommen offenbar ganz gut klar, trotz niedriger Geschwindigkeit und grosser Geschwindigkeitsdifferenz zum normalen PKW-Verkehr. Allerdings ist meine persönliche Meinung: "not for the fainted hearted" - da muss man schon ein robustes Nervenkostüm haben oder einen grossen Mangel an Phantasie, alternativ einen erheblichen gesunden Optimismus, um sich damit in den normalen Stadtverkehr reinzustürzen. Gestern hätte ich das auch gemacht.
Ergo: Wenn die Verkehrsdichte abnimmt könnte das klappen. Wenn die Geschwindikeit niedriger wird schadet das sicher nicht, damit sie abnimmt muss sie aber überwacht werden, sonst endet das so, wie das Thema Parken auf dem Radweg. Da waren gestern durchaus einige Kandidaten dabei, die 70+ für eine angemessene innerstädtische Geschwindigkeit halten.
Spanien hat kürzlich flächendeckend Tempo 30 (und teilweise Tempo 20) innerstädtisch eingeführt:
https://www.heise.de/news/Spanien-fuehrt-30-km-h-Tempolimit-innerorts-ein-6043809.html
In Deutschland ist allerdings jeglicher Vorschlag in die Richtung politischer Selbstmord. Hier in Berlin ist das durchaus im Gespräch, allerdings rudern in Anbetracht des laufenden Wahlkampfs sogar die Grünen zurück und rufen ihre eigene Verkehrsenatorin zur Ordnung:
https://www.tagesspiegel.de/berlin/...n-will-tempo-30-zonen-ausweiten/27302448.html
In der Summe würde ich sagen: Tempo 30 wäre sicherlich sinnvoll, ganz unabhängig von Velocars, würde diesen aber sicherlich mehr Akzeptanz verleihen. Für sich allein reichte das aber mit Sicherheit nicht aus, es ist ein Mosaikstein. Und wenn die Dinger 30 führen / fahren dürften, wäre das sicherlich besser.
Interessant, wenn auch nicht relevant, wird, wie sich die Velomobilfraktion positioniert, wenn Tempo 30 kommt. Zumindest bei einigen heisst es ja regelmässig, "Tempo 50 gilt nicht für mich gemäß STVO, ich darf schneller und das mache ich auch, wenn ich das kann". Analoges gilt ja dann auch für Tempo 30. Bloss dass sich die 30 per Fußantrieb deutlich einfacher und häufiger knacken lassen als die 50... Wird also spannend, ob Gesetze dann mal wieder nur für "die anderen" gelten und man selbst aus Gründen moralischer oder sonstiger Überlegenheit sich nicht dran halten muss.
PS: Unterwegs habe ich gestern zwei Enuus gesehen. Beide ordentlich geparkt am Strassenrand auf PKW-Parkplätzen. Keinen in Fahrt.