Dynamischer Rollwiderstand: Ursache?

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Hallo zusammen!

Ich habe bisher nicht so richtig verstanden, was der dynamische Rollwiderstand eigentlich sein soll – ich wusste nur, dass es ihn ganz offensichtlich gibt, weil z.B. Messungen auf dem Rollenprüfstand wie z.B. durch @carbono (siehe hier) ihn deutlich zeigen.

Zu seiner Ursache habe ich hier kaum etwas gefunden; lediglich ein Hinweis auf die Kreuzotter-FAQ, wo Walter Zorn schreibt:
http://www.kreuzotter.de/deutsch/speedfaq.htm schrieb:
Wie entsteht der dynamische, geschwindigkeitsabhängige Rollwiderstand (Beiwert CrV)?
Unmittelbar vor der abgeplatteten Radaufstandsfläche des Reifens bewegt sich die Lauffläche immer noch vertikal relativ zum Boden (mit V*sin(Winkel_der_Lauffläche_zum_Boden)). Diese vertikale Bewegung wird am vorderen Rand der Radaufstandsfläche abrupt beendet, die Lauffläche "klatscht" auf den Boden => die kinetische Energie, die im jeweils betroffenen Teil der Lauffläche steckte, geht verloren (als Wärme in den Boden und in die Lauffläche). Strenggenommen folgt daraus, dass auch der dynamische Rollwiderstandsbeiwert mindestens abhängt von: Reifeninnendruck, Laufraddurchmesser, Dicke und spezifischem Gewicht (bzw. Masse/Umfang) der Lauffläche, und von der Normalkraft, durch die der der Reifen abgeplattet wird. Also von allen Parametern, die bestimmen: Wie viel Masse trifft am vorderen Rand der Aufstandsfläche auf dem Boden auf, und in welchem Winkel, also mit welcher vertikalen Restgeschwindigkeit (je nach Fahrgeschwindigkeit). Die Annahme "Dynamischer Rollwiderstandbeiwert = 0.1*cos(Fahrbahnsteigungswinkel)" des Geschwindigkeits-Leistungs-Rechners ist also eine vereinfachende Approximation, insbesondere die Gewichtskraft wird (momentan noch) vernachlässigt. Anmerkung: Im Vergleich zum KFZ spielt beim Fahrrad der dynamische Rollwiderstand vermutlich eine geringere Rolle, da Fahrradreifen leichter sind und i.d.R. einen höheren Innendruck aufweisen.
Soweit ich weiß, ist das hier die akzeptierte Erklärung.

Zum Rollwiderstand selbst (d.h. nicht geschwindigkeitsabhängig) hatte ich nur die intuitive Vorstellung, dass die Verformung von Gummi irgendwie Energie kostet – je mehr Gummi und je stärker die Verformung, desto höher die Verluste. Und dass die Verformung Energie kostet, zeigt sich ja daran, dass der Gummi warm wird.

Jetzt ist mir allerdings folgendes Video begegnet:
Hier wird der Rollwiderstand vor allem mit der Hysterese des Gummis erklärt, d.h. dass er nicht sofort zurückspringt, sondern zeitlich etwas verzögert.

=> Wenn ich das richtig sehe, würde das automatisch den dynamischen Rollwiderstand erklären: je schneller sich das Rad dreht, d.h. je schneller die Verformung erfolgt, desto dramatischer ist es, wenn die Rückverformung verzögert erfolgt.

Außerdem hatte ich mich ja mal gefragt, warum Fahrradreifen im Vergleich zu Autoreifen so schlecht sind:
Ich habe schon vor längerer Zeit mal mitbekommen, dass LKW-Reifen einen überraschend geringen Rollwiderstand haben. (@Jack-Lee hatte das irgendwo geschrieben.)

Jetzt bin ich wieder auf das Thema gestoßen; und zwar über das EU-Reifenlabel. Da wird ja normalerweise nur der Benzin-Mehrverbrauch angegeben; aber in der EU-Verordnung 2020/740 sind tatsächlich Rollwiderstandskoeffizienten angegeben, im Anhang I A:
  • Klasse C1 (PKW): Effizienzklasse A = Rollwiderstandskoeffizient <= 0.0065
  • Klasse C3 (LKW): Effizienzklasse A = Rollwiderstandskoeffizient <= 0.004
Wenn es solche Effizienzklassen gibt, heißt das doch, dass solche Reifen auch tatsächlich kaufbar sind. Und die Werte sind verdammt gut! D.h. ein PKW-Reifen der Effizienzklasse A ist kaum schlechter als ein wirklich guter Fahrradreifen, und ein LKW-Reifen der Effizienzklasse A ist so gut wie die besten Fahrradreifen. (Hier habe ich mit einem konstanten Rollwiderstandskoeffizienten gerechnet, d.h. den dynamischen Rollwiderstand vernachlässigt.)

=> Wie kann es sein, dass diese langlebigen und robusten Dinger gleich gut oder besser sind als hauchdünne Rennrad-Pellen, die kaum eine falsche Behandlung verzeihen, die selbst von Splitt haufenweise Schnitte bekommen, und selbst auf bestem Asphalt nur einige 1000 km lang halten?
Wenn man berücksichtigt, dass es sich bei Autoreifen um walzenförmige Radialreifen handelt, während Fahrräder mit torusförmigen Diagonalreifen fahren, würde die Hysterese des Reifengummi auch das erklären: Bei walzenförmigen Reifen federt vor allem die Luft im Inneren (und der Gummi weicht dem nur aus, ohne sich stark intern zu verformen), während bei torusförmigen Reifen mit seinen gekrümmten Flächen auch der Gummi verformt werden muss – was entsprechend verzögert passiert.

Was meint ihr?
 
Ich habe zwar keine Ahnung und bin gespannt, was hier demnächst zu lesen sein wird, aber ich will vorweg daran erinnern, dass es meist nicht nur eine Erklärung / einen wichtigen Faktor gibt. ;)
 
Nennt sich das nicht einfach Dämpfung?
Das ist auch meine, vermutlich zu einfach gedachte, Erklärung.
Der Rollwiderstand entspricht meiner Vorstellung nach der "Verformungsarbeit" des Reifens. Diese wird in zum Großteil in Wärme (Dämpfung) umgewandelt, ein geringer Teil der Energie wird elastisch, quasi als Feder, in das System zurückgegeben.
Bei höherer Frequenz und damit Umfangsgeschwindigkeit wirkt m. E. die Fliehkraft der Verformung entgegen. Daher sollte aus meiner Sicht die Rollleistung nicht linear mit der Fahrgeschwindigkeit ansteigen.
Der Aufbau des Reifens bestimmt die zur Verformung desselben notwendige Energie (Anteile Feder/Dämpfer).
Wie eingangs erwähnt, vermutlich zu einfach gedacht, aber für mich ein Modell, dass ich mir vorstellen kann.
 
Wenn man berücksichtigt, dass es sich bei Autoreifen um walzenförmige Radialreifen handelt, während Fahrräder mit torusförmigen Diagonalreifen fahren, würde die Hysterese des Reifengummi auch das erklären: Bei walzenförmigen Reifen federt vor allem die Luft im Inneren (und der Gummi weicht dem nur aus, ohne sich stark intern zu verformen), während bei torusförmigen Reifen mit seinen gekrümmten Flächen auch der Gummi verformt werden muss – was entsprechend verzögert passiert.
Puh. Das klingt erst mal nach einer nachvollziehbaren Hypothese.
Würde bedeuten, dass für ein VM ein walzenförmiger Radialreifen als Fahrradreifen noch bessere Rolleigenschaften hätte?
Leider schwierig zu beweisen, ohne einen herzustellen.
Warum gibt es keine Radialreifen beim Fahrrad?
Diverse Quellen im Netz sagen tatsächlich neben dem geringeren Rollwiderstand eine höhere Laufleistung, besseres Lenkverhalten und Nasshaftung und höhere Pannensicherheit der Lauffläche nach. Die Seitenwand wird jedoch empfindlicher.
Allerdings sollen Diagonalreifen besser für höhere Lasten geeignet sein. Ist das ein Problem beim Fahrrad oder VM?
 
Ich habe mir die Dynamik des Rollwiderstandes zum einen mit den steigenden Fliehkräften der Reifenmasse erklärt und mit der Zähigkeit des Gummis bei der Verformung. So wie bei dem Stärke-Wasser-Schleim, auf dem man laufen kann wenn man sich schnell bewegt, und in dem man versinkt, wenn man sich zu langsam bewegt. Es gibt ja auch diese Flummis die man langsam verformen kann aber wenn man sie auf den Boden wirft springen sie fast komplett zurück.

Wenn ich mir das Video anschaue und die ungleichmäßige Druckverteilung auf der Aufstandsfläche, dann wandert ja die Zone mit dem höheren Druck mit erhöhter Geschwindigkeit immer weiter nach vorne. Ich weiß jetzt nicht genau wie sich die Kraftvektoren da verhalten, aber möglicherweise richtet sich da ein Pfeil gegen die Bewegungsrichtung des Fz :unsure:
 
Warum gibt es keine Radialreifen beim Fahrrad?
Es gibt den Schwalbe Tryker, der diesen Ansatz liefert. Nur leider wird der so gut wie nie im Zusammenhang mit VMs erwähnt. Warum, weiß ich allerdings nicht.

Ansonsten ist schon klar, warum es im Fahrradbereich keine Radialreifen gibt. Auf einspurigen Fahrzeugen wären Radialreifen sicher so etwas, wie der Extra-Thrill...
 
Nennt sich das nicht einfach Dämpfung?
Ja, könnte man wohl sagen. Wobei ich darunter recht allgemein einen Energieverlust verstehe, ohne einen konkreten Mechanismus. Und die Geschwindigkeitsabhängigkeit entsteht durch die Geometrie des rollenden Rades.
Bei höherer Frequenz und damit Umfangsgeschwindigkeit wirkt m. E. die Fliehkraft der Verformung entgegen. Daher sollte aus meiner Sicht die Rollleistung nicht linear mit der Fahrgeschwindigkeit ansteigen.
Ich habe das noch nie berechnet, aber denke, dass die Fliehkraft hier vernachlässigbar sein sollte.
Allerdings sollen Diagonalreifen besser für höhere Lasten geeignet sein. Ist das ein Problem beim Fahrrad oder VM?
Ich vermute, das bezieht sich auf Seitenkräfte. Schon klar, dass ein schweres und leistungsstarkes Motorrad einen Radialreifen an die Grenzen bringt. Wenn es nur um die senkrechte Auflast geht, sieht man ja beim LKW, dass das problemlos geht. Und vom Fahrverhalten her sehe ich gerade ein Velomobil deutlich näher am LKW als am Motorrad.
Wenn ich mir das Video anschaue und die ungleichmäßige Druckverteilung auf der Aufstandsfläche, dann wandert ja die Zone mit dem höheren Druck mit erhöhter Geschwindigkeit immer weiter nach vorne. Ich weiß jetzt nicht genau wie sich die Kraftvektoren da verhalten, aber möglicherweise richtet sich da ein Pfeil gegen die Bewegungsrichtung des Fz :unsure:
Ja, ganz genau.
Das ist Unsinn, und Du weißt das.
Es gilt nur bei bei starker Dissipiation, die frequenz/geschwindigkeitsabhängig ist.
Keine Ahnung was du meinst. Kannst du das bitte genauer erklären?

Schon klar, dass ich hier nur Vermutungen aufstelle. Die Frage muss doch längst geklärt sein, und müsste sicher in der Fachliteratur stehen. Aber ich habe von Fahrzeugbau keine Ahnung, ich kenne die Fachliteratur nicht, und nicht einmal die Suchbegriffe, mit denen man was finden könnte. Es müsste hier eigentlich Leute geben, die das beantworten könnten.
 
Nennt sich das nicht einfach Dämpfung?
(Semantisch) genau genommen benennt Dämpfung die zeitliche Abnahme einer Bewegungsgröße, z.B. Verringerung der Rotationsgeschwindigkeit oder einer Schwingungsamplitude. Dissipation und Reibung beziehen sich auf die physikalischen Mechanismen, die das verursachen.
 
Hysterese ist ein (unpräziser) Ersatzbegriff für visko-elastisches Spannungs-Dehnungs-Verhalten. Der schnell verformte Gummi baut eine höhere Widerstandskraft (mehr Spannung) auf als der langsam verformte. Beim Zurückverformen in den Ausgangszustand nochmal, mit entgegengesetztem Vorzeichen.

Der dünnwandige Gummi wird in seiner Form (Dehnung) hauptsächlich durch Luftdruck, Karkasse und Strasse bestimmt. Also kann man den elastischen Anteil für die Betrachtung vernachlässigen (wäre ja eh ein Nullsummenspiel). Er verhält sich hauptsächlich viskos.

Anschaulich wirds beim Löffel im Honig. Langsam bewegt er sich fast widerstandslos, schnell kannst ihn verbiegen. Der Zusammenhang ist überproportional. Für dieselbe Strecke braucht es mehr Energie den Löffel schnell zu bewegen als langsam.
Bei rein elastischem Verhalten (Stahlfeder) wäre die Geschwindigkeit egal, da zählt nur der Weg.

Nicht nur Gummi verhält sich viskoelastisch, auch Karkassenfäden.
 
Der dünnwandige Gummi wird in seiner Form (Dehnung) hauptsächlich durch Luftdruck, Karkasse und Strasse bestimmt. Also kann man den elastischen Anteil für die Betrachtung vernachlässigen (wäre ja eh ein Nullsummenspiel). Er verhält sich hauptsächlich viskos.
Kann gut sein. Aber das erklärt noch nicht:
  • warum der Rollwiderstandskoeffizient bei Autos anscheinend kaum geschwindigkeitsabhängig ist, bei Fahrrädern aber recht stark
  • warum Autoreifen einen derart guten Rollwiderstandskoeffizienten haben, obwohl sie nicht primär daraufhin optimiert sind
 

Kraftfahrtechnisches Taschenbuch von Robert Bosch GmbH (Hrsg.)

und
Das Kleingedruckte beim Radfahren (Autor: Peter Appeltauer)


Beides sind dicke Wälzer und nicht ganz billig. Wurden an anderer Stelle im Forum schon erwähnt, im Rahmen einer Diskussion zum gleichen Thema, falls die Erinnerung nicht trügt.

Im ersten sind Haftreibung, Rollreibung und deren Geschwindigkeitsabhängigkeiten (zumindest für Autoreifen) sehr gut erklärt.
Im Kleingedruckten sind die mikroskopischen Vorgänge rund um die Auflagefläche eines Fahrradreifen schön dargestellt.
 
Ich habe das noch nie berechnet, aber denke, dass die Fliehkraft hier vernachlässigbar sein sollte.
Der Druckverlust in einem Reifen ist bei geringer Geschwindigkeit (Felge hat Bodenkontakt) deutlich wahrnehmbar, bei höherer Geschwindigkeit stabilisiert die Fliehkraft den Reifen.
Daher ist m. E. Der Fliehkraftanteil relevant.
 
Kann gut sein. Aber das erklärt noch nicht:
  • warum der Rollwiderstandskoeffizient bei Autos anscheinend kaum geschwindigkeitsabhängig ist, bei Fahrrädern aber recht stark
  • warum Autoreifen einen derart guten Rollwiderstandskoeffizienten haben, obwohl sie nicht primär daraufhin optimiert sind
Ein laienhafter Erklärungsversuch:
  • Radialreifen (Auto): Die Verformung findet nur in der (eher zylindrischen) Lauffläche statt und in der (relativ dünnen) Flanke. Beides sind leichte Knicke, also Änderung des Radius: Auf der Lauffläche eine Abflachung und an der Flanke eine Krümmung der Wulst bei Fahrbahnkontakt.
  • Diagonalreifen (Fahrrad): Neben den oben beschriebenen Vorgängen, die in einem eher ballonartig runden Fahrradreifen grundsätzlich auch wirken sollten, macht die Verformung durch die diagonalen Fasern des Gewebes aber auch eine Art Scherwirkung innerhalb des Gummis. Ohne das jetzt genau begründen zu können, was das in Betrag oder Qualität ausmacht, ist es gefühlt ein Kneten bzw. Scheren des Materials, was ich von der Anschauung her als energiereicher empfinde als ein reines Biegen desselben.
Ist das nachvollziehbar bzw. macht das SInn für euch?
:unsure:

PS:
Modell:
Es gibt doch diese dicken Gitter-Fußmatten aus Gummi vor Eingangstüren.
35630981


Wenn ich mir vorstelle, die zu biegen (in Längs- oder Querrichtung), dann geht das relativ leicht, da nur jeweils in einer Richtung die Stege innen leicht gestaucht und außen gestreckt werden.
Wenn ich die aber diagonal über Eck stauche oder zerre (was ja bei diagonal eingewirktem Gewebe im Aufstandsbereich auch so passiert), dann biege ich an jeder Zelle dieses Gitters herum und muss viel mehr Energie in die Verformung stecken.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Entwicklung des BIG APPLE gab es ja auch, weil eine querovale Aufstandsfläche weniger Walgung erzeugt, als eine längsovale.
Noch besser wäre dann wohl nur noch ein BigApple Gürtelreifen der vom oval zum Querstreifen übergeht, so wie ihn ein zylindrischer Reifen hätte.

Wenn ich @ChristianW richtig verstanden habe, geht es beim Diagonalreifen nicht nur um die Walgung an den Aufstandsflächenrändern, sondern auch noch um die Walgungen innerhalb der Aufstandsfläche und dann auch einer zusätzlichen Reibung mit dem Asphalt, innerhalb der Aufstandsfläche.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es gibt den Schwalbe Tryker, der diesen Ansatz liefert. Nur leider wird der so gut wie nie im Zusammenhang mit VMs erwähnt. Warum, weiß ich allerdings nicht.
Sind das denn Radialreifen? Ich habe versucht, etwas über den Aufbau zu finden - leider erfolglos.
Ich sehe nur die Abflachung der Lauffläche - aber das kann sich ja auch einfach auf das Gummi beziehen.
 
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