Ja, es wird wirklich sehr schwer gemacht, locker zu bleiben und einen einigermaßen objektiven Standpunkt einzunehmen.
Wir erschrecken, wenn es bei Autounfällen 3500 Tote in einem Jahr gibt und finden 110000 Tote durch Rauchen und Passivrauchen ganz normal.
Im ersten Fall machen wir ein Fass an Techniklösungen auf, Produkthaftungen, Pflichtenhefte, technische Prüfungen, Airbags, noch mehr Airbags, Fidelbums und Fideldei und feiern es als Erfolg, wenn die Zahl der Autototen um 100 zurückgeht. Nebenbei haben wir durch den größeren Energieeinsatz mit seinen Folgen für die Umwelt mehr Menschen (und noch viel mehr Tiere und Pflanzen) umgebracht, als die Gesamtzahl der Verkehrstoten umfasst.
Im zweiten Fall sagen wir mit Recht, dass jeder machen kann, was er will, solange er die Freiheit eines anderen nicht beeinträchtigt. Und drückt gerne und viele Jahrzehnte beide Freiheitsaugen zu. Ein paar Sammelbildchen auf die Packungen, etwas Scheinkrawall und ab zur Tagesordnung.
Natürlich erwarte ich beim Kauf eines Standardproduktes, dass mir dieses statt Schaden Freude bringt (nur bei Seilen, Giften und Schießgeräten sind diese Intentionen manchmal etwas anders). Wage ich mich jedoch in eine Nische, gehe ich freiwillig einen gewissen Grad an höherem Risiko ein. Ein richtig aufgestellter Segler wird selten einem gebrochenen Mast nachtrauern, weil der Wind, welcher diesen Mastbruch letztlich verursachte, zuvor einen sagenhaften Ritt ermöglichte. Wenn ich noch an eine Rundum zurückdenke, bei der vor Hagnau/Meersburg in einer einzigen Bö um die 40 Stück wie Dominosteine einfach so weggefetzt wurden - war schon eindrücklich...
Dieses Risiko muss mir bewusst sein, es bürdet mir selbst ein gerüttelt Maß an Eigenverantwortung auf. Dazu muss ich bereit sein, sonst sollte ich es lassen. Wir aber tun heute so, als ließe sich dieses Risiko durch immer mehr Auflagen aus der Welt schaffen, wenn wir diese nur konsequent genug durchsetzen. Wir brauchen Wiederbelebungsgeräte an jedem öffentlichen Platz, Damentoiletten in Schwulenkneipen, Patientenverfügungen, Zusatztreppen an Zweifamilienhäusern, Zielradar an Autos, Gummihandschuhe an Käsetheken. Wir sterben an Krankheiten, die man hätte vermeiden können - dabei kann man Krankheiten sicher nur dadurch vermeiden, dass man erst gar nicht geboren wird.
Ich will damit die verantwortungsvolle Sichtweise nicht durch den Kakau ziehen. Im Irrwitz des realen Gesetzesdschungels ist das Überleben des Produzenten sicherlich nicht unbedingt leicht (in Amerika, habe ich gehört, muss man Käufer von Mikrowellen sogar darüber informieren, dass diese Mikrowellen nicht zum Hundetrocknen verwendet werden sollen). Irgendwie beschleicht mich aber das Gefühl, als würden wir in diesem Übereifer letztlich das mit dem Hintern umwerfen, was wir mit unseren Händen erschaffen haben. Die Menschen wurden in wenigen Jahren von allem entfremdet, was sie für ihr Leben benötigen. Im Zweifel gibt es ja die Produkthaftung. Warum also soll ich mich mit dem blöden Teil beschäftigen? Fragt mich doch irgendeine Frau via einem großen Internethändler, ob sie ihre gusseiserne Grillplatte auch mit Grillreiniger reinigen dürfe. Geht es noch? Unsere Omas würden ihre Köpfe schütteln und bezweifeln, dass diese Frau überhaupt selbstständig lebensfähig sein kann. Wenn die Gussplatte dann hinüber ist und alles zuverlässig immer schneller anbrennt, wird sie erzählen, der Hersteller habe gepfuscht. Und schon gibt es wieder eine neue Vorschrift, damit Dummchen auch mit viel Chemie nichts kaputt machen kann....
In meinem realen Fall würde ich es als fair ansehen, wenn Velomo sich den einen Schuh anzieht und ich mir den anderen. Die ursprüngliche Lenkplatte war tatsächlich etwas zu schwach. Wurde korrigiert. Den zweiten Schaden hätte es nicht gegeben, wenn ich sensibler auf die Veränderungen im Lenkgefühl reagiert hätte. Ein Autofahrer würde ja auch gleich zur Werkstatt abbiegen, wenn er beim Drehen des Lenkrades den Beifahrer um Hilfe bitten müsste...
Ist etwas übertrieben, aber das macht Spaß!
Gute Nacht und tolle Tage
Martin