Der demokratische Rechtsstaat ist keine moralische Anstalt, sondern ein mit Mitteln des modernen Zwangrechts verfasstes Gemeinwesen. Es gehört zum intrinsischen Sinn der rechtsstaatlichen Verfassung, dass sich die Bürger als individuelle Angehörige nach allgemeinen Gesetzen genau die Rechte gegenseitig zugestehen und legal gewährleisten, die den Kern ihrer jeweils eigenen subjektiven Freiheiten bilden. Dies ist letztlich auch der Grund, warum die ungleichmäßig verteilten Einschränkungen und Leistungen, mit denen der Staat in der Pandemie seine Bürger belastet, auch dann, wenn sie aus funktionalen Gründen verordnet werden müssen, von Haus aus den eigentümlichen Charakter eines freiwilligen Beitrags des Einzelnen zur kollektiven Bewältigung einer von allen befürworteten politischen Aufgabe behalten! Am intrinsisch freiwilligen Charakter dieser Leistung ändert die Hülle des Rechtszwangs, in die der erwartete Solidarbeitrag eingekleidet wird, nichts. [...] Die Aporie zwischen Rechtszwang und Solidarität ergibt sich daraus, dass in der Pandemie eine in der Verfassung selbst angelegte Spannung zwischen den beiden tragenden Verfassungsprinzipien aufbricht – zwischen der Volkssouveränität einerseits und der Herrschaft der Gesetze, die subjektive Freiheiten gleichmäßig gewährleistet, andererseits.[...]