Nach dem Prolog jetzt aber wirklich auf die Brevetstrecke.
“I pity snails, and all that carry their homes on their backs.”
― J.R.R. Tolkien, The Fellowship of the Ring
Ich fühle mit Dir Frodo, zumindest bergauf…
Ich sitze eher in meinem Schneckenhaus aber zumindest in meinem Fall stimmt die Geschwindigkeit bei Steigungen.
Wenn selbst
@Jupp, der Großmeister der Zen-Geschwindigkeit austeigt und durch Regenschauern schiebt, was soll dann mich erwarten? Aber wir wollen nicht vorgreifen.
Sonntagmorgen, 6 Uhr, der Regen peitscht gegen die Fenster des B&B Hotels in Wetzlar und ich bin froh, nicht im Bushäuschen übernachtet zu haben.
Die Beine fühlen sich gut an, abends noch den letzten schluck Hakuna-Matata-Apfelschorle gekippt zu haben hat anscheinend nicht geschadet. Das alkoholfreie Bier sicherlich auch nicht .
Ich dreh mich nochmal kurz um.
6:30 Uhr - Im besten Walter White Outfit (Das Kopfkino überlasse ich jetzt euch

) kippe ich weißes Pulver in Flaschen und schüttle bis nur noch kleine Klümpchen übrig bleiben, noch ein Paar Datteln einwerfen und einen halben Liter Leitungswasser ohne Geschmack.
Um kurz vor 7 regnet es immer noch
Wir treffen uns unten, alles ins Velomobil verstauen und ab geht die Post bei fast trockenem Wetter.
Auf den ersten Kilometern fühlen sich die Beine dank Frühstück super an und
@ChristianW sieht mich, leicht übermütig, an der Steigung voraus kurbeln. Bis zur nächsten Sperrung.
Im Verlauf kommt die Sonne raus und wir ziehen über nasse Straßen dem Höhepunkt der Tour entgegen.
Einen Regenschauer von 3 Minuten können wir unter dem Vordach eines KFZ-Betriebs abwettern während
@ChristianW sein Ersatzrad im Rekordtempo tauscht, Schnellspanner sei Dank.
Ich kann erstaunlich gut mithalten. Als die Bäckerei in Sicht kommt wird das Frühstück ausgerufen und kurz danach merke ich, dass da bei den drei anderen wohl einfach nur das Frühstück fehlte. Über Gießen und Marburg
nähern wir uns nach dem Kontrollpunkt in Cölbe (ein Schlauchwechsel am Vorderrad des Quests und Ersatzreifen flicken durch
@ChristianW ) dem exponentiell steiler werdenen Aufstieg zur Lahnquelle.
Hier lasse ich, im noch relativ flachen Bereich, die Drei ziehen. Kalte, kräftige Schauern und Wind machen den Anstieg nicht besser, irgendwann geht es wirklich nur noch im ersten Gang mit 4-5km/h den Berg hinauf, egal ob mit Zuckerwasser oder ohne.
Der Puls geht hoch, die Laune sinkt, warum mache ich das hier eigentlich? Wer baut eigentlich so sau-blöde steile Straßen und warum bin ich nicht besser trainiert. Ich hasse Regen!
Dann taucht im Rückspiegel ein Rennrad auf, ein anderer Randonneur? Wer würde sonst bei diesem Wetter freiwillig hier lang fahren? Der wird wohl bald entspannt im Wiegetritt an mir vorbei fahren…
Spannenderweise verkürzt sich der Abstand über Minuten nur marginal, während ich mit dicken Knien den Hügel hoch drücke. Ich schreibe den anderen, dass Sie bitte nicht auf mich warten sollen, habe aber keinen Empfang im Wald.
Irgendwann, an einem flacheren Stück, überholt mich der Randonneur doch noch, er hat fast die ganze Steigung im Steilstück wie Jupp geschoben. An der Lahnquelle sehe ich die drei Velomobile vor dem Gasthaus geparkt
Der Kontrollpunkt Lahnquellteich ist eher unspektakulär, zumindest bei diesem Wetter
Im Gasthof treffe ich den Rest der Gruppe wieder, ich habe keinen Hunger und trinke nur einen Kakao und eine Apfelschorle, alles ist nass, die Ranndonneure auf dem Up hinterlassen ebenfalls Pfützen in der Gaststube.
Noch kurz Wasser nachtanken und dann geht es weiter. Auf der Höhe blüht noch der Ginster und das Gelb passt wunderbar zum A9.2.
Bergab läuft es wieder gut.
Ich komme kurz nach dem Rest der Gruppe an der Kontrollstelle in Siegen an und trinke tüchtig das Leitungswasser und knabber unterwegs noch ein paar Datteln.
Zügig geht es weiter bis in der steilen Steigung kurz vor dem „Bergdorf Wingendorf“ ein Glassplitter die Luft aus dem Hinterreifen entführt und dann der Mantel rutscht und das Ventil abreißt. So in der Sonne sitzen war der Tausch richtig schön, bis ich Herrausfinde, dass da noch ein Glassplitter war. Dann zieht Regen auf und der Rest der Gruppe, der etwas weiter oben auf mich wartete, fuhr zum Glück weiter, ich hätte sonst schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich die Drei, die ja in der Zeit bleiben wollten, aufhalte.
Ein besonderes Highlight war das landschaftlich wunderschöne Tal des Holper Bachs, Sonnenschein, kein Verkehr, moderate Steigung. Mein Bryton 750SE Bike-Navi meldet keine Nennenswerten Anstiege mehr bis zum Ziel – wir sollten ja auch nur noch die Sieg runter fahren.
Dann geht der Weg plötzlich links ab, auf die „Poststraße“ nach Bitzen.
Brouter
Ich bin ausgestiegen, DAS fahre ich nicht! Die Kühe auf der Wiese und ich schauen uns in jeder Kurve an, das Quest scheint das Highlight der letzten 5 Minuten zu sein. Es war zum Glück trocken und die Sonne trocknet die Sachen, die seit heute morgen nass am Körper kleben. Die Aufzeichnung stockt immer mal wieder, ich mache scheinbar Pausen, obwohl ich nur nach oben möchte und eigentlich die ganze Zeit laufe.
Oben angekommen läuft es wieder, ich habe keinen Hunger.
Die drei warten am Bahnhof in Schladern und frieren ein wenig. Wäre ich schlau gewesen hätte ich die drei jetzt auf den Weg geschickt und eine Pause gemacht, oder zumindest mal die 4 verbliebenen Müsli-Riegel aus der Tasche in Griffreichweite gepackt. Aber nein, das Quest und ich wollen sich ja nicht Lumpen lassen und in der Gruppe mitfahren….
Der Sonntagsnachmittagsverkehr sorgt immer mal wieder für spannende Überholsituationen der Autoschlange, die sich hinter uns bildet.
Ich habe Hunger, das Wasser ist alle und die Datteln auch alle weg gesnackt.
19:36 Uhr, kurz vor Hennef mit dem Ziel in Bonn im Blick merke ich „Der Christoph-Akku ist leer“ Ich falle in ein richtiges Hungerloch und schicke Hajo hinter Jupp und Christian her. Im Gruppenchat schreibe ich eine Nachricht. Hätte ich was gesagt oder die Drei einfach losgeschickt, dann wäre das gar nicht so blöd gelaufen. Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden und jede(r) ist für sich selbst verantwortlich.
Jupp schreibt, dass das Quest in Bonn übernachten dürfte. Ich hatte in meinem Übermut das A7 nicht ausgepackt und meine Frau hat einen Hexenschuss, das älteste Kind ist nicht zuhause und irgendwie ist jetzt alles so richtig blöd.
Jetzt wird mir richtig kalt, ich zittere am ganzen Körper wie blöd. Ich will meine lange Laufhose anziehen um nicht auszukühlen, die hat sich aber mit Wasser vollgesogen und wäre jetzt noch schlechter als die halbwegs trockenen Beine. Die Fleecedecke um die Luftpumpe ist ebenfalls gefühlt 2kg schwer und mit Wasser durchtränkt. Ich habe völlig vergessen, dass die am Start ausgeteilte Rettungsdecke noch im wasserdichten Packsack liegt, die Verbandstasche hätte auch noch eine Rettungsdecke im Angebot. Zum Glück erinnere ich mich an die verbliebenen Riegel und würge einen nach dem anderen runter und fahre langsam weiter, um nicht noch weiter auszukühlen. In Hennef tanke ich in einer Pizzeria Wasser nach und wärme mich kurz auf.
Ich will einfach nur der Linie auf dem Navi folgen und fahre an der Sieglinde über die Brücke, jetzt weiß ich auch, wo das ist…
Als ich auf den Track komme mir sehe 200-300m vor mir noch noch die beiden Randonneure auf dem Rennrad, die ich bewusst zuletzt an der Lahnquelle gesehen habe. Die Beiden hole ich nicht mehr ein, nur noch ankommen, langsam aber stetig. Der Abend ist sonnig und mild, das Regenbogen-Zebra-Quest sorgt für Begeisterung auf dem wunderbar glatten Radweg am Deich.