200-km-Brevet "Zum Priwall"
Kurzfristig entschied ich mich zur Teilnahme am Brevet "Zum Priwall". Mit dem offenen Lieger traute ich mir aufgrund anhaltender Rekonvaleszenz die komplette Fahrt (noch) nicht zu, außerdem war in der Wettervorhersage ausdauernder Regen angekündigt. Das ist mit zusätzlichen Anforderungen (v. a. Regenkleidung mit Problemen der Wärme- und Feuchtigkeitsabfuhr, bei diesen Temperaturen nützt Goretex nix) verbunden, die sich im Velomobil erfahrungsgemäß nicht so auswirken. Dafür musste ich die Fahrt bis zum Startort Ahrensburg - von mir zu Hause knapp 30 km entfernt - selbst zurücklegen und konnte nicht die S-Bahn und RB nutzen. Der zeitliche Unterschied zwischen Fahrt im VM und Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln für die An- und Abfahrt war marginal; würde ich mit der Kombination Fahrrad - S-Bahn - RB ca. 1:10 Std. benötigen, konnte ich davon ausgehen, dass ich für die Strecke mit dem Velomobil 1:15 Std., also 5 Minuten länger, brauchen würde. So fiel mir die Entscheidung leicht und ich startete um 6:35 mit dem Milan SL in Wilhelmsburg. Bei sehr wenig Verkehr kam ich gut vorwärts. Eine Baustelle, in der die Strecke nur in eine (nicht in meine) Richtung freigegeben war, musste ich die Spitzhacke ansetzen und mich zwischen Baustellenmarkierungen und entgegenkommenden Fahrzeugen durchmogeln. Radfahrer hatten sie in dieser Baustellenführung komplett vergessen (vielleicht auch absichtlich nicht berücksichtigt, wer braucht das schon und es kostet Geld) - das werde ich gelegentlich den Kollegen der Behörde für Wirtschaft und Verkehr - Referat Unmotorisierter Verkehr erzählen. So wurden also aus den 210 km fürs Brevet selbst zuzüglich An- und Abfahrt ca. 270 km.
Die Zeit für die Anfahrt war exakt kalkuliert, 10 Minuten vor Start des Brevets kam ich an und konnte meine Anmeldeunterlagen im Empfang nehmen. Auf die Schnelle zählte ich ca. 15 Teilnehmer, davon 4 oder gar 5 Liegeräder und ich mit dem einzigen VM. Jetzt prasselte das ordentlich, alle fuhren mit Regenklamotten los. Ich dagegen stand mit dünnem Plastikshirt und kurzer Radhose im Regen und ließ mich von der Fahrt nach Ahrensburg etwas abkühlen. Da ich mich nicht im Detail auf die vorgegebene Strecke verlassen wollte, hatte ich mir eine Strecke ausbaldowert, die eine Mischung aus bekannten Strecken und, wo nötig, neuen Streckenempfehlungen des Brouters war. Vor der ersten Kontrolle waren in der Streckenempfehlung Streckenanteile ausgewiesen, in denen man sich auf wenig Fläche mit Fußgängern herumplagen sollte, das liegt mir mit Velomobil nicht. Ich bevorzuge außerdem lange möglichst gerade Strecken, da ich aus Erfahrung und ohne überzupacen 1,5 bis 2 km brauche, um auf ressourcenschonendes Reisetempo (in der Ebene 35 bis 40 km/h) zu kommen - halt VM-spezifisch.
Start war pünktlich um 8:00. Meine erste Etappe führte mich in östlicher Richtung aus Ahrensburg heraus über Lasbek-Dorf, Barkhorst, Schmachthagen, Rethwischdorf, Meddewade, durch Reinfeld, nördlich weiter durch Heidekamp nach Badendorf, ich umfuhr Stockelsdorf nördlich, weiter ging es durch Rensefeld und Ratekau zum Hemmelsdorfer See, weiter durch Warnsdorf, um schließlich in Travemünde mit der Fähre die Trave zu queren. Ich hatte großes Glück, die Fähre war gerade am Ablegen, überlegte es sich dann nochmal anders, weil ich gesehen wurde. Mir wurde sogar noch die Zeit gegeben, um mit der Fahrkartenverkäuferin zu debattieren, ob mein VM nun ein Auto oder ein Fahrrad sei (wir entschieden schließlich Fahrrad, weil man mit Radschuhen nicht Auto fahren würde
). Bis dahin hatte ich bereits 73 Kilometer hinter mir, nach weiteren 10 Kilometern um 11:10 erreichte ich schließlich die erste Kontrolle in Dassow. Dort genehmigte ich mir zwei Schokobrötchen und einen Kaffee. Vor meiner Abfahrt von zu Hause nach Ahrensburg aus konnte ich einfach noch nichts essen, die zwei Riegel unterwegs waren zu wenig, sodass mir die 20-minütige Pause gut tat. Diese erste Etappe legte ich nur von einer kurzen Pinkelpause unterbrochen mit einem Schnitt von 26 km/h zurück.
Die nächste Etappe sollte nach Zarrentin am südlichen Ortsende führen. Auch diese Strecke fuhr ich nach eigenem Entwurf (55 km: Schönberg, Niendorf, Ratzeburg, Seedorf, Zarrentin), der zwar einige Kilometer länger war als der Brevet-Entwurf, dafür über lange Strecken vorfahrtberechtigt auf schönen Straßen mit glattem Asphalt führte. In Schönberg verfuhr ich mich gleich zweimal, was mich ca. 5 Minuten "kostete". Bis Seedorf regnete es wirklich ununterbrochen, zeitweise als Starkregen, von dem ich auch im VM etwas abbekam. Ich finde das nicht weiter schlimm, im Gegenteil, das kühlt angenehm und man muss nicht so schwitzen. Für diese 52 km benötigte ich knapp über zwei Stunden, nur unterbrochen von einer Pinkelpause. Der Aufenthalt in Zarrentin fiel kurz aus, Stempel geholt und gleich wieder weiter.
Die dritte Etappe (Testorf, Boize, Gudow, Lehmrade, Mölln - entsprach dem Streckenvorschlag) war mit 23 km die kürzeste und mit einem 28er-Schnitt die schnellste. Kurz hinter Zarrentin kam sogar die Sonne heraus und es wurde gleich subtropisch. Das Grün links und rechts funkelte in einem fast schon unwirklichen Glanz, grell, neonartig, einmal dachte ich, welche Drogen denn da abgeschmissen worden sind ... Vor Mölln war der Asphalt weitestgehend abgetrocknet, ich musste in Abfahrten nicht mehr ganz so vorsichtig sein und konnte es stellenweise bis über 60 km rollen lassen. Mit Mölln verbinden mich gemischte Gefühle. Einerseits war ich hier vor 1,5 Jahren zur Reha und die historische Innenstadt ist autoüberflutet, andererseits ist es ein nettes Städtchen mit viel Wasser und einer wunderschönen Kirche, in der ich mal einem Orgelkonzert lauschen durfte. Die Kontrolle in der Shell-Tankstelle wurde mit einem belegten Brötchen, einem Kaffee und einem interessanten Gespräch mit der Bedienung abgerundet. Die Tankstelle hat rund um die Uhr geöffnet (nachts muss aus gesetzlichen Gründen für 30 Minuten geschlossen werden), dafür sind drei Schichten nötig. Ich habe früher mal vorübergehend im Drei-Schicht-System gearbeitet und fand es sehr anstrengend. Die Mitarbeiterin bestätigte meinen Eindruck, verwies aber auf das zusätzliche Geld, das mit einer Nachtschicht verdient werden könne. Nach etwas mehr als 20 Minuten ging es weiter zur letzten Etappe.
Die letzte Etappe fuhr ich wieder nach eigenem Entwurf über Poggensee, Köthel (Lauenburg), Mühlenrade, Hamfelde, Trittau, Grossensee, Schierholzkate, Meilsdorf, Ahrensfelde, Hagen (Siedlung) und Am Hagen, sodass ich von Süden her zum Ziel zurück kam. Auch auf dieser Etappe verfuhr ich mich zweimal, was knapp 5 Minuten Verzögerung mit sich brachte. Gesamtschnitt dieser Etappe 26 km/h.
Im Ziel kredenzte mir Jochen Hinrichs-Stöldt eine kräftig gewürzte Nudelsuppe, ich nahm zwei Cola-Schorle zu mir und erzählte von meiner recht ereignislosen Fahrt. Ich hatte keine Pannen, keine wesentlichen Probleme durch den ausdauernden Regen, kam gut vorwärts und war nach 204 km und einer Gesamtzeit von 8:45 Stunden, darunter ca. 50 Minuten Essens- und Pinkelpausen sowie ca. 10 Minuten "Verfahrenszeit" wieder im Ziel. Gegen die Feuchtigkeit im Velomobil hatte ich einen Lappen dabei, mit dem ich das Wasser im Fahrzeug gelegentlich entfernte. Entgegen meinen Befürchtungen im Vorfeld ging es mir recht gut. Die Beine waren etwas schwer und die Knie zwackten leicht, aber nichts heftiges. Ich hatte trotz Trinkblase (mit 200 Gramm Maltodextrin in 2,5 Liter 5%iger Traubenschorle) etwas zu wenig getrunken und sicherlich zu wenig gegessen (meine alte Schwäche), aber ich habe ausreichend Körperfett im Leib, um nicht an Unterernährung zu sterben. Später trank ich zwei Flaschen Malzbier und einen halben Liter Wasser nach. Außerdem hatte ich am Abend vorher in meiner privaten Pastaparty gleich die Portion für die Mikrowelle nach dem Brevet vorbereitet, sodass die Muskulatur schnell wieder mit Kohlenhydraten gefüllt wurde.
Abends schaffte ich es sogar auf den Energieberg in Georgswerder, um die Cruise-Days und das aus dessen Ehren stattfindende Feuerwerk aus gebührender Distanz zu fotografieren. Um 22 Uhr war es dann gut und ich fuhr etwas ausgekühlt nach Hause und schlief schnell ein. Ich war mit diesem Tag sehr zufrieden. Außerdem strahlt eine solche Tour bei mir in die folgende Woche mit guter Laune aus.