Überführungsfahrt vom Rhein an die Ilm
Prolog:
Vergangene Woche konnte ich mein erstes Velomobil, ein neues gebrauchtes DF-XL in Empfang nehmen und überführen. Das Inserat von
@Stephan1965 kam mir gerade gelegen. Also habe ich Nägel mit Köpfen gemacht und mich mit ihm für Donnerstagabend für eine Probefahrt verabredet. Stephan und ich haben zufällig sehr ähnliche Körperproportionen, sodass ich nach Montage der mitgebrachten Pedale ohne Anpassungen einsteigen und losfahren konnte. Die Probefahrt war erfolgreich und nachdem die Kaufformalien erledigt und etwas VM-Plausch getätigt war, ging es für die Nacht in ein wenige Kilometer entferntes Hotel in Mondorf. Dort schlummerte das VM wohlbehütet von einer Dendrocops-Plane im Hinterhof und ich auf bequemer Matratze (ohne Plane
).
Die Vorbereitungen:
Dem Forum kann man entnehmen, dass es für einen Velonauten zum guten Ton gehört, das Fahrzeug auf eigener Achse zu überführen. Beim Entdecken der Verkaufsanzeige hatte ich sogleich BRouter befragt, welcher 390 Kilometer mit 2400 Höhenmeter ausspuckte. Komoot prophezeite sogar 3100 Höhenmeter. Das passte gut zu meiner Leidenschaft längere Strecken zu radeln. Mit dem Rennrad hätte ich einfach routiniert die nötigen Sachen eingepackt und wäre losgeradelt. Mit dem VM hatte ich aber gehörig Respekt vor der Strecke: Unbekanntes Fahrzeug, in den letzten 6 Monaten keine 200km liegend geradelt, halten Knie, Muskulatur und Technik durch?
@Fritz fragte noch, ob ich nicht spontan wieder zur Alten Hexe kommen möchte. Das hätte allerdings eine Anreise über Nacht bedeutet und damit zwei Nächte ohne Schlaf; dazu noch nächtliche Abfahrten im neuen Fahrzeug. Ich entschied, dass die Überführungsfahrt genug Abenteuer bieten würde.
Zur Vorbereitung habe ich nur noch ein paar Details der BRouter-Strecke optimiert, das nötige VM-spezifische Zubehör und Ersatzteile besorgt und ein paar Riegel und Gels eingepackt.
Die Fahrt:
Das Hotel will das Frühstück entgegen der Ankündigung leider doch nicht vor 7 Uhr servieren. So habe ich bis dahin schon alles gepackt und ins VM geräumt. Dank der vielen im Forum zu findenden Tipps findet alles seinen Platz. Die 3l-Trinkblase wird an die Sitzhalterung gehängt, Kleinkram und Nahrung für während der Fahrt kommen in die VeMoBag und in eine offene Flasche im Flaschenhalter, Werkzeug und Ersatzteile auf die Hutablage und das restliche Gepäck wird in Stausäcken seitlich des Sitzes verstaut. Als ich bei den letzten Startvorbereitungen bin, kommt die Wirtin des Hotels heraus und stellt mit einer Mischung aus Staunen und Begeisterung zahlreiche Fragen. Ein Foto von mir mit dem neuen Gefährt bekomme ich aber auch.
Zum Schluss meint sie noch auf das VM zeigend: „Falls Sie noch keine Frau haben sollten, haben Sie jetzt eine.“ (Meiner besseren Hälfte erzähle ich das zuhause mit dem Hinweis „zukünftig besseres Drittel“. Sie nimmt es mit Humor.)
Dann ist alles bereit und ich kurbele von Mondorf nochmals zu Stephan, da bei der Probefahrt sein Inbusschlüssel aus Versehen in meinem Gepäck gelandet war. Es geht durch eine Ortschaft nach der anderen in Richtung Bröltal. Ich gewöhne mich schnell an die Haube; nur das Visier bleibt für die bessere Luftzufuhr erstmal offen. Der vorsorglich mitgebrachte Gehörschutz ist aber Gold wert. In Siegburg kreuze ich die Fußgängerzone. Davor ist an der Hauswand eine seltsame rote Ampel mit einem Schild „Feuerwehrzufahrt“ daneben. Ich halte an, rätsele was sie zu bedeuten hat. Da keine Feuerwehr zu sehen oder hören ist, taste ich mich centimeterweise an die Ampel heran. Auf einmal knallt es laut und das DF bleibt abrupt stehen, Ich zucke zusammen und sehe, dass ich gegen einen Poller gerumst bin, der sich unmittelbar vor meinem Bug – und damit nicht sichtbar - aus dem Boden erhoben hatte. Die Ampel ist jetzt aus. Dafür war sie also da. Oder hat der Poller doch Sensoren, die ihn bei nahenden Fahrzeugen nach oben schnellen lassen?
Lektion 1 für den Velomobilneuling: Beim Anhalten immer darauf achten, was vor einem auf dem Boden ist. Bleibende Schäden gibt es keine; nur etwas schwarzen Abrieb. Ich atme durch und rolle weiter.
Das Bröltal ist schneller erreicht als gedacht. In lang gezogenen Kurven geht es durch das malerische Tal aufwärts. Bei Kilometer 33 halte ich vor der Burg Hermstein um meine Vorräte umzuräumen. Beim Aussteigen (genauer gesagt dem Versuch auszusteigen) rutsche ich mit einer Hand ab, plumpse zurück ins VM und schürfe mir den einen Unterarm etwas auf.
Lektion 2 für den Velomobilneuling: Vor dem Aussteigen immer die schweißnassen Hände abwischen. Irgendwann hatte ich das doch schonmal im Forum gelesen… Apropos Schweiß: Über die rollende Sauna hatte ich schon viel gelesen und gehört und war gespannt darauf, das Ausmaß am eigenen Leibe zu erfahren. Für mein Empfinden war das aber gut erträglich und im Rahmen des Erwarteten.
In Waldbröl ist die Hauptstraße durch eine Baustelle komplett aufgerissen. Ich schiebe das DF über den Gehweg und nutze das als willkommene Abwechslung für den Bewegungsapparat. Dann steht auch schon der erste Anstieg an. Die Haube ist schnell nach vorne geschoben. Ich schalte zum ersten Mal aufs kleine Kettenblatt und pedaliere gemäß Jupps Velomobil-Zen entspannt nach oben. Dort angekommen geht es auch schon wieder bergab. Beim Hochschalten aufs große Kettenblatt mit dem Gripshift entdecke ich wohlwollend die reibungsunterstützenden Eigenschaften meines Shirts. Ich lasse es rollen und genieße, dass das DF immer weiter beschleunigt. Das nervöse Handling bemerke ich aber auch schnell, als ich ausgelöst durch eine Lenkbewegung auf meiner Spur hin- und herpendele. Daher bremse ich etwas ab. Schließlich kommen noch viele weitere Abfahrten, bei denen ich mich an das Handling gewöhnen kann. Es geht weiter auf und ab und schnell stellt sich eine Routine beim Vor und Zurück der Haube und beim Auf und Zu des Visiers ein. An einer steilen Rampe habe ich leichte Krampfanzeichen in beiden Oberschenkeln. Da machen sich trotz einer Übersetzung von 34/36 die 155er Kurbeln und die unangepasste Muskulatur bemerkbar. Ich blicke mit gemischten Gefühlen auf das kommende und erklimme die weiteren Anstiege entspannt. Über zwei weite Haarnadelkurven geht es hinab nach Kreuztal. Kurz danach sind in Hilchenbach die 100 Kilometer geschafft. Mittlerweile haben sich meine Fußsohlen mit einem leichten Brennen bemerkbar gemacht. Vom Rennrad kenne ich das auch - allerdings erst nach deutlich größeren Distanzen. Eine kleine Pause wäre also angebracht. Leider finde ich keinen Platz, der mir zusagt. Dann muss ich wohl doch noch den Höhenzug des Rothaargebirges erklimmen. Anfangs geht es in der prallen Sonne bergauf. Da komme ich ganz schön ins Schwitzen. Ich bin froh, dass ich nicht einen Tag später unterwegs bin. Da wären 36°C angesagt und nicht 28. Weiter oben gibt es endlich schattenspendenden Wald. Das Schwitzen hört zwar nicht auf, es wird aber erträglicher. Oben auf dem Kamm rolle ich auf den Rastplatz und gönne meinen Füßen 20 Minuten Entspannung. Vom Rothaargebirge herab folgen mehrere kleine und größere Abfahrten mit anschließenden Gegenanstiegen. Am Ende eines solchen traue ich meinen Augen nicht mehr: Wisente gibt es ja im Rothaargebirge. Aber Zebras? Für ein paar Sekunden bin ich verblüfft und sehe dann, dass da jemand seinen Pferden sehr originelle Umhänge verpasst hat. Die Pferde schauen nicht weniger verblüfft zurück und beäugen mein Vorbeirollen mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen.
Bei Kilometer 170 erreiche ich Frankenberg im Edertal und suche mir eine Bäckerei, um meine Vorräte aufzufüllen. Ich ordere einen Latte-Macchiato und eine Nussschleife und kaufe verschiedene Leckereien für die weitere Fahrt. Dann lasse ich es mir mit schönem Ausblick schmecken:
Die Stelle ist stark von Fußgängern frequentiert. Viele bewundern das DF, einige sprechen mich auch nett an und stellen mehr und weniger geistreiche Fragen. Bingozettel hätte ich an diesem Tag einige voll bekommen. Nach einer erfrischenden Cola erklimme ich in mehreren Stufen den Kellerwald. Eine lange Abfahrt führt zurück ins Edertal. Da das DF schnell auf Geschwindigkeit ist, lasse ich es meistens rollen oder bremse sogar, wenn die Lenkung wieder zu unruhig wird. Dann, nach 200 Kilometern Auf und Ab, ist es endlich so weit: Eine relativ ebene Bundestraße im Edertal mit gutem Belag und wenig Verkehr. Ich gleite mit lockerem Treten und Rollen lassen mit 40-50km/h dahin. Das ist es also – das sagenumwobene Velomobil-Feeling. Ein Grinsen breitet sich in meinem Gesicht aus und lassen mich die wieder schmerzenden Füße vergessen.
Irgendwann melden sie sich doch wieder und auch ein paar Druckstellen am Rücken machen sich bemerkbar. Daher beginne ich, mich nach einer Pausenmöglichkeit umzusehen. Ein Verkehrsschild sagt 6km bis Fritzlar. Das wäre doch etwas. Fritzlar liegt leider doch etwas abseits der Route. Also heißt es weiterfahren und weitersuchen. Es folgen allerdings nur Felder und kleine Ortschaften. Nirgends ist eine Linderung meines Kaffeedurstes zu entdecken. Dann muss ich wohl doch erst noch über den nächsten Höhenzug. Dieser bringt mich von der Eder an den anderen Quellfluss der Weser: Die Fulda. Bergauf brennen die Füße, aber bergab schließe ich entspannt rollend auf einen LKW auf, der mich oben auf der Kuppe noch überholt hatte. An einem kurzen, aber steilen Stich krampfen die Oberschenkel wieder etwas. Es wird also höchste Zeit für eine Pause. Ich entdecke eine Tankstelle und freue mich schon auf eine Erfrischung. Erst auf der Abbiegespur bemerke ich, dass es dort ziemlich verlassen aussieht – Die Tanke ist geschlossen. Der schöne Schwung der kleinen Senke ist weg, aber jammern hilft nichts. Kurz danach kommt in Altmorschen ein Supermarkt in Sicht. Ich parke das DF davor und kaufe mir eine Gurke (sehr erfrischend!) und 3 Liter Wasser für die restliche Strecke. In der im Supermarkt befindlichen Bäckerei bekomme ich einen weiteren Latte Macchiato und setze mich damit neben mein Gefährt. Ich beantworte fleißig Fragen, genieße die Bewunderung und lasse kleine Kinder und rüstige Männer ins Velomobil gucken. Nur ein Bikepacker auf Gravelbike, der ebenfalls den Supermarkt für eine Pause auserkoren hatte, würdigt das VM mit keinem Blick. Eigentlich könnten wir ähnliche Interessen und Erfahrungen und somit mehr als ausreichend Gesprächsstoff haben. Genug unterhalten hatte ich mich aber schon und als Velonaut habe ich mich sehr schnell daran gewöhnt, dass der Kontakt zu einem gesucht wird. So lasse ich ihm seinen Frieden, wechsele noch den Akku und fahre weiter.
Schnell erreiche ich Bebra. Ab hier kenne ich die Strecke von vorherigen Touren. Die Erhebung in Richtung Werratal läuft anfangs super; oben raus wird es doch etwas zäh. Das Werratal wird dann bereits von der Abendsonne in warme Farben getaucht. So langsam erscheint mir eine nächste Pause als reizvoll. Etwas Strecke kann ich aber noch machen. Einige schöne Pausengelegenheiten bemerke ich zu spät. Umdrehen möchte ich aber auch nicht für sie. Dann ist schon Herleshausen nicht mehr weit. Die steile Rampe im Ort möchte ich auch noch vor der Pause abgehakt haben. Am Ortsausgang entdecke ich eine Bank und halte auf dem Gehweg. 300 Kilometer sind abgehakt – höchste Zeit für die in Frankenberg erworbene Nussecke. Damit kommt sogar etwas Alte-Hexen-Feeling auf.
Mein verschwitzter Körper zieht Unmengen an Fliegen an. Da keine Stechmücken dabei sind, ist es einigermaßen erträglich. Nach einem kurzen Telefonat mit der Freundin wird wegen der anbrechenden Dämmerung die Sonnenbrille gegen die normale Brille getauscht. Bald kommt Eisenach in Sicht. Hoch über der Stadt thront die Wartburg und leuchtet in der Abendsonne. Ab hier bin ich die Strecke schon oft gefahren. Da es langsam dunkel wird, wechsle ich vom daCannon-Tagfahrlicht zum normalen Licht. Ich bin gespannt, wie es sich mit dem tief angebrachten Scheinwerfer fährt. Dank Höhenverstellung klappt das problemlos – zumindest auf bekannter Strecke. Wie er sich auf unbekannten Wegen macht, muss sich bei einer anderen Tour zeigen. Für eine weitere Erholung der Füße und Druckstellen plane ich eine Pause an einer Tankstelle 40km vor dem Ziel. Kurz davor ist der Weg auf einmal durch eine Baustelle versperrt. Eigentlich hatte ich meine Route in den Baustellenportal der Länder überprüft. Nur hilft das nichts, wenn dir Baustelle dort nicht eingetragen ist. Hinter der Absperrung sieht es allerdings nach neuem Asphalt aus. Meine Motivation für eine Umfahrung über einen weiteren Hügel hält sich auch in Grenzen. Daher trage ich das DF um die Absperrung herum und rolle auf frischem Belag durch die Nacht. Nach 3km folgt ein weiteres Umtragen am Baustellenende. Das gibt meinen Füßen so viel Abwechslung, dass ich an der angepeilten Tankstelle vorbeifahre und erst in Mühlberg die letzte Pause einlege. Schnell wird ein Rosinenbrötchen verdrückt. Kurz bekleidet wird es doch langsam kühl.
Mittlerweile bin ich endgültig in meinem Heimatrevier angelangt. Über einen Hügel geht es nach Arnstadt. Dann sind es schon nur noch 20 Kilometer bis zum Ziel – allerdings auch noch 300 Höhenmeter. Zunächst folge ich dem welligen Geratal aufwärts. Dann steht der Anstieg in zwei Stufen an. Ich lege einen einfachen Gang ein, nippe ab und zu an einem Koffein-Gel und kurbele gemächlich bergan. Es läuft. Ich versinke in Gedanken und denke zurück, wie ich diesen Berg schon weit über einhundert Mal in den unterschiedlichsten Verfassungen hinaufgefahren bin. Eigentlich mag ich diesen Berg – meine Rennradkollegen eher weniger. Seltsam. Dann erinnere ich mich an die Tour, bei der ich mir den KOM geholt hatte. Das ist keine so gute Idee. Schließlich war damals das Leiden deutlich schneller vorbei als heute. Irgendwie hilft das Nachdenken doch und komme oben an. Es folgt eine kurze Abfahrt hinab nach Ilmenau und dann poltere ich um halb eins über das Kopfsteinpflaster vor meiner Haustüre. Das VM ist schnell ausgeräumt und unter der Treppe verstaut. Dann kann ich endlich ein erfrischendes Getränk zu mir nehmen und tonnenweise Salz unter der erquickenden Dusche abspülen. Im Spiegel entdecke ich, dass zwei Druckstellen am Rücken aufgescheuert sind. So schlimm hatte sich das gar nicht angefühlt. Abgesehen von der Beinmuskulatur fühle ich mich körperlich noch ziemlich Fit – ein Anzeichen dafür, dass ich wirklich gemütlich unterwegs war. Das GPS sagt 391km mit 2950Hm. Ich bin überglücklich, die Überführungsfahrt geschafft zu haben und falle in den wohlverdienten Schlaf.
Der Epilog:
Die Überführungsfahrt war ein Abenteuer, das sich gelohnt hat. Ich bin froh, es gewagt zu haben. Velomobilfahren macht eindeutig Spaß. Dazu trägt auch bei, dass man nur durch das Vorbeifahren so vielen Leuten einen schönen Moment bescheren kann. Es gab unzähliges Daumen-Hoch, Anlächeln und Zuwinken, dazu manchen sperrangelweit offenen Mund. Bei den vielen Begegnungen während konnte ich Problemlos das Velomobil-Bingo füllen. Insgesamt spürt man aber bei den meisten Leuten eine positive Neugier und Freude.
An manchen Stellen habe ich gemerkt, dass ich mich noch etwas adaptieren muss und dass auch manche Sachen am DF angepasst werden müssen. Wenn ich das nach dem Urlaub angehe, gibt es vielleicht einen eigenen Thread dazu. So in der unangepassten Paarung wäre die Tour auf dem Rennrad auf jeden Fall angenehmer gewesen.
Ich bin gespannt, was die Reise mit meinem neuen VM an Erlebnissen bringen wird...